„Ich sag nicht ‚fahr zur Hölle’…“

Ich habe gerade ein religionskritisches Buch geschrieben. Mein Freund Wolfgang Kimmel ist ins Priesterseminar eingetreten. Haben wir uns noch etwas zu sagen? Für den "Falter" trafen wir uns zu einer Art Dialog der Kulturen. Falter, 19. März 2008

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Misik: Wir sitzen hier im Priesterseminar in der Boltzmanngasse, in dem Du seit zwei Jahren lebst. Wie bist Du denn hier her gekommen? Wir kennen uns ja vom „profil“, dann bist Du in die Privatwirtschaft gegangen. Der Eintritt ins Priesterseminar ist demgegenüber ein radikal anderes Lebenskonzept. Eine ziemliche Kehre.
 
Kimmel: Ja. Wiewohl ich auch zu meiner früheren Biographie stehe. Andererseits, diese Entscheidung kam ja auch nicht aus dem Nichts. Ich hatte schon ein Klosterleben in meinen frühen Zwanzigern hinter mir. Und auch Theologie studiert. Dazwischen war mir mein Glaube abhanden gekommen. Aber auch in meiner Zeit als Agnostiker gab es immer ein gewisses „Etwas“ – die Frage, spricht Gott den Menschen an, spricht er mich an? Und dann hat er mich plötzlich wieder „erwischt“.
 
Misik: Du hast das in einem Aufsehen erregenden Essay im Magazin „Fleisch“ witzig, polemisch, philosophisch begründet. Du schreibst da etwa über das, was man heute die „Renaissance des Religiösen“ nennt, dass sich „die Menschen aus ihrem Ennui, ihrer Sattheit, die alten Fragen wieder stellen“. Dass man sich mit Oberflächlichkeit und Beliebigkeit nicht begnügt, dass man Dinge ernst nimmt, auch Verantwortung trägt, dass man sich angewidert abwendet von flacher Entertainmentkultur. Nur, das hat doch nicht notgedrungen etwas mit Religion zu tun.
 
Kimmel: Ich rede an dieser Stelle über mein Leben, mein persönliches Zeugnis. Ich bestreite nicht, dass es viele, auch für mich beeindruckende Beispiele von einem gelungenem Leben gibt, ohne dass der, der es lebt, sich der Transzendenz nähert. Es gibt nihilistische Philosophen, die ein hoch ethisches, ein extrem moralisches Leben geführt haben. Aber um die Frage zurückzuspielen: Viele Nicht-Gläubige reagieren auf Gläubige gereizt. Was ist der Grund für diesen Ärger, diesen Zorn?
 
Misik: Zorn ist ein großes Wort. Was mich ärgert ist das zunehmende Wohlwollen auch liberaler Milieus mit dem Religiösen. Vorschnell wird eingeräumt, dass etwas fehlt, wenn die Religion fehlt. Von religiöser Seite wird dieser Ball aufgenommen und getrommelt, dass die Moral ohne Gottglauben einen schweren Stand habe. Diese moralische Überlegenheitsrhetorik, dass man nicht moralisch sein kann, wenn man sich nicht unter der Videoüberwachung eines Gottes wähnt, der einen dann auch beizeiten richtet, die geht mir auf die Nerven.
 
Kimmel: Ich weiß, dass es religiöse Menschen gibt, die das behaupten. Maßgebliche theologische Denker behaupten das schon lange nicht mehr. Aber ich möchte Dich eines fragen: Was hast Du denn eigentlich für ein Bild von Gott?
 
Misik: Als Ungläubiger hat man doch kein Gottesbild, sondern ein Bild von den Gottesbildern der Gläubigen. Da gibt es natürlich mehrere. Etwa das des Alltagsgläubigen, der sich Gott als extrem hoch fliegendes Flugobjekt vorstellt.
 
Kimmel: Was Du im Kopf hast, ist eine Gotteskarikatur. Eine Gottesvorstellung, die sich im Gefolge der Aufklärung erledigt hat. Und zwar zu Recht.
 
Misik: Gott ist ein Gott in der Höhe. Der Gott der Bibel, der, mit dem Moses sein Gipfeltreffen am Berg Sinai hatte, ist sehr anthropomorph und am Vorbild des strengen, strafeslustigen Familienvaters modelliert. Diese Tradition hat ein Bild geformt und man kann das nicht auf eine vulgäre Lektüre schieben. Aber das ist Geistesgeschichte. Mir geht es darum, was heute daraus gemacht wird und wie es politisch wirksam wird.
 
Kimmel: Dann lass uns davon reden. Es gibt eine schwierige Gemengelage. Der Fundamentalismus, ob der evangelikaler Christen oder radikaler Islamisten oder anderer, ist ein Phänomen, mit dem wir tatsächlich stärker konfrontiert sind als vor dreißig, vierzig Jahren. Du und andere Religionskritiker erklären alle Religiösen zu nützlichen Idioten der Fundamentalisten. Ich glaube dagegen, dass gerade ein lebendiger Gottesglaube aufklärerisch wirkt. Die jüdische und die christliche Bibel konnte doch nie eindimensional gelesen werden. Es gibt vier Evangelien! Das erzwingt eine pluralistische Lesart.
 
Misik: Man hört immer, wie fest Toleranz und Pluralismus im Christentum verwurzelt wären – das macht die Gewaltgeschichte des Christentums dann aber ziemlich unerklärlich. Aber ich will nicht auf den alten Zeiten herumreiten. Ist der lebendige Glaube, wie Du das nennst, oder das moderat Religiöse, wie ich das nennen würde, tatsächlich das beste Bollwerk gegen den Fundamentalismus? Ich glaube, Du übersiehst, wie sich der moderate Glaube und der Fundamentalismus auch gegenseitig stärken. Der Fundamentalismus hat die Bedeutung der Religion in allen Diskursen dramatisch erhöht. Alles wird in ein Schema religiöser Auseinandersetzung gezwängt. Das schaukelt sich dann hoch, es kommt zu Verhärtungen auf allen Seiten. Sieh Dir doch nur den grassierenden christlichen Anti-Islamismus an. Da kannst Du dann sagen: Glaubt richtig. Ich sage: Hört auf, die Religion so wichtig zu nehmen.
 
Kimmel: Ich mache mir da schon Sorgen, auch um meine eigene Kirche. Heutzutage scheint in den religiösen Gemeinschaften die Sehnsucht nach Identität, Sicherheit und Abgrenzung wieder unglaublich wichtig zu werden. Wenn sich der notwendige Wahrheitsanspruch der Religion mit Verunsicherung (theologisch gesprochen mit „Unglauben“) paart, dann entsteht Intoleranz, Hass, Fanatismus. Gerade die trinitarische Gottesvorstellung verbietet uns starren Monotheismus im Sinn einer fixen Gottesidee: Gott ist nicht nur der geschichtlich und individuell Erfahrbare, über den sich „Wahres“ aussagen lässt, er bleibt dabei auch der ganz Andere. Letztlich endet der Sohn Gottes am Kreuz, weil er die Gottesvorstellungen seiner Umgebung nicht einlösen will. Achtzig Prozent der Menschen weltweit sagen, dass die Erfahrung des Transzendenten, Göttlichen zu ihrem Leben gehört. Da kommt es mit einigermaßen banal vor, wenn ein paar Millionen Leute wie Du, in Europa, der industrialisierten Welt, sagen: Der gehört jetzt endlich abgeschafft. Was für ein Hochmut!
 
Misik: Ich will niemandem seinen Glauben nehmen. Das könnte ich ja auch gar nicht. Aber selbst für die Gläubigen gilt: Die Religion ist nicht das, was Euch alleine ausmacht. Es ist doch absurd, die Religion zum primären Identitätsmerkmal zu machen. Im 21. Jahrhundert!
 
Kimmel: Nein, das ist gar nicht absurd!
 
Misik: Wir sind Städter oder Landbewohner, Unterschicht oder Oberschicht, bildungsbeflissen oder Trash-TV-Konsumenten, wir sind Schwule oder Heteros, Bauern oder global agierende Investmentbanker. All das macht unsere Identität mindestens so sehr aus wie das religiös-kulturelle Herkommen.
 
Kimmel: Aber da Du selbst einräumst, dass die Religionen nicht abgeschafft werden können: Was ist denn dann eigentlich praktisch sinnvoll? Ich habe ein personales Verhältnis zu meinem Schöpfer, weiß aber, dass nicht alle wissen, dass es das gibt. Es gibt im Westen eine Krise der Erfahrbarkeit von Gott. Jetzt kann ich jedes Mal, wenn Du etwas gegen meine Religion sagst, antworten: „Du armes Zwutschgerl, fahr zur Hölle“. Das widerspräche aber meinem Auftrag als Christ. Wobei Du in deinem Buch immer nur den Missbrauch der Religion ansprichst, und das gelegentlich recht polemisch. Du zündelst da ein bisserl. Das darf man natürlich tun, wir leben Gott sei Dank in einer freien Welt. Aber ist das der richtige Weg? Wir sollten eher einen Dialog führen, wie man die Fundamentalisten, die unsere gemeinsamen Gegner sind, zurückdrängen kann.
 
Misik: Wir sind uns in diesem Punkt einig und wären es wohl noch in vielen anderen. Ich möchte aber dennoch die drei Punkte noch einmal unterstreichen, wo wir uns möglicherweise nicht einig sind. Erstens: Wir sollten massiv dagegen auftreten, dass realpolitische oder soziale Konflikte religiös aufgeladen werden, denn wo Gott ins Spiel kommt, kommt die Unbedingtheit ins Spiel. Zweitens: Wenn Menschen die Religion als primäre Quelle ihrer Identität ansehen, dann ist das selbst schon eine Fehlentwicklung. Drittens: Ich möchte die modische Deutung in Frage stellen, dass die westliche, liberale Moderne keine Kraft hat und das Kräftige, das, was Gesellschaften zusammenhält, ist die Religion. Wer ist innerlich ausgezehrt? Schweden? Deutschland? Frankreich? Und wer ist innerlich stark? Ägypten? Pakistan? Afghanistan? Das ist doch absurd. Das säkulare Modell hat Grund genug, mit erhobenem Haupt durch die Welt zu gehen.
 
Kimmel: Das ist nicht falsch, aber auch nur halb richtig. Denn ich weiß nicht, ob das Glück, die Freude, die Liebe in diesen kulturell fortgeschrittenen Gesellschaften wirklich regieren. Ich bin mit diesem Zweifel keineswegs allein. Kapitalismus und Kommerz korrumpieren innerlich und ich bin mir nicht so sicher, ob unsere Stärke von Innen kommt. Wir im Westen sind stark gegenüber anderen Kulturen, weil wir das Geld haben.
 
Misik: Geh in einen Kindergarten im siebten Bezirk, und Du wirst Glück, Freude und Liebe sehen. Im Ernst: Genug gibt es am Westen zu kritisieren, aber Wertepluralismus und Werterelativismus – also die Freiheit, sein Leben in vieler Hinsicht nach eigenen Präferenzen zu führen – gehören nicht dazu.
 
Kimmel: Aber auf wessen Kosten sind wir so reich und fortschrittlich? Ist das gegenüber dem Gros der Menschheit ethisch vertretbar? Das sind bohrende Fragen.
 
Misik: Da sind wir uns schon wieder einig. 

4 Gedanken zu „„Ich sag nicht ‚fahr zur Hölle’…““

  1. Wieso glaubt Hr.Kimmel behaupten zu können, dass „Achtzig Prozent der Menschen weltweit sagen, dass die Erfahrung des Transzendenten, Göttlichen zu ihrem Leben gehört.“ Umfrage oder Studie in China?
    Wo sieht Hr. Kimmel moralische Kraft in der nichtwestlichen Welt? In welchen Gesellschaften regieren oder regierten das Glück, die Freude, die Liebe? Für welchen Anteil der Bevölkerung?
    Vielleicht kann es das säkulare Modell schaffen, für einen möglichst grossen Anteil der Menschheit Voraussetzungen für gelungenes Leben zu schaffen, weil es offen ist für Veränderung, neues Wissen und neue Erkenntnisse. Die wichtige Frage ist also, was braucht das säkulare Modell, um in diesen Fragen weiter zu kommen?

  2. Ich bin mir nicht sicher, ob die theologischen Inhalte, die Hr. Kimmel (den ich persönlich kenne und mag) von sich gibt, vor allem in Bezug auf das Gottesbild, mit dem katholischen Glauben übereinstimmen. Vielleicht wollte er nur dem alten Freund nicht wehtun…

  3. Meiner Ansicht nach liegt der Kern des Problems erstens in der Vieldeutigkeit des Begriffs „Religion“ und zweitens in geschichtlichen Verdrehungen, Vorurteilen und Ungenauigkeiten. Nicht zufällig weist Hr. Misik auf den Kontrast zwischen Schweden, Frankreich, Deutschland einerseits und Ägypten, Afganistan, Pakistan andererseits. Zu den letzteren Ländern sollte man übrigens auch die Türkei zählen, die sich seit fast einem Jahrhundert als ein säkularer Staat versteht. Gerade in diesem Staat wurde nicht nur der erste Genozid des 20. Jhs. begangen (an den Armeniern), sondern Andersgläubige sind bis heute Verfolgungen und Benachteiligungen ausgesetzt, die selbst im osmanischen Reich unüblich waren. Warum übersieht Hr. Misik, dass Schweden bis vor wenigen Jahrzehnten das Christentum (Lutheranismus) als die Staatsreligion hatte, dass Frankreich der erste christliche Staat in Europa war, dass Deutschland in seiner Verfassung einen ausdrücklichen Bezug auf Gott und christliche Werte hat? Ist es ein Zufall, dass christlich geprägte Länder mit Einsatz für Menschenrechte, für Freiheit und Wohlstand in Verbindung stehen, während für islamische Länder – auch demokratisch regierte! – genau das Gegenteil der Fall ist? Ist es ferner ein Zufall, dass die größten Verbrechen im 20. Jh. im Namen des Atheismus (Nationalsozialismus und Kommunismus) begangen wurden? Es ist viel zu einfach, „der Religion“ lauter wohltuende Wirkungen zuzuschreiben, aber noch viel weniger dem Atheismus, dem Agnostizimus oder dem Unglauben. „Die Religion“ bzw. gleichwertige Religionen als den Gegensatz zum Atheismus gibt es nicht. Die Christen wurden in der Antike als „Atheisten“ bezeichnet und verfolgt, im Islam gelten sie ebenfalls als „Ungläubige“ mit den entsprechenden Konsequenzen. Wie Hr. Kimmel zu Recht hinweist, kommt es letztlich darauf an, welches „Gottesbild“ man vertritt, wobei auch Atheisten ihre „Götzen“ haben, die mit verschiedenen Decknamen versehen werden, wie etwa – bestenfalls – „Humanismus“, „Freiheit“, „Wohlstand“ etc. oder schlimmstenfalls „Rasse“, „Arbeiterklasse“, „Sex“, „Profit“ usw. Man muss durchaus zugeben, dass mitunter auch Christen oft genug den Götzen verfallen. Das gab es übrigens bereits im Alten Testament, was man gar nicht verleugnen kann und will. Der Mensch ist schwach, sein Leben dem Wandel unterworfen, der Dynamik des Wachstums, die auch Verkümmerung und Missbildung miteinschließt. Die Christen scheuen dann nicht, vom Abfall, von Untreue dem wahren Gott gegenüber zu sprechen. Ich kenne aber kein einziges Beispiel, wo dies Atheisten oder z. B. Moslems über sich selbst mit Begründung sagen konnten. Im Atheismus hängt die Moral gleichsam in der Luft und ist – da ohne einen absoluten Maßstab – zwangsläufig verschiedenartiger Willkür ausgeliefert, was z.B. dann sichtbar wird, wenn bestimmten Menschen (Ungeborenen, unheilbar Kranken, Behinderten) mehr oder weniger direkt Menschenrechte aberkannt werden. Im Islam ist die Moral eng an das eigene Gottesbild gebunden, nämlich in der Scharija, die ja unbestrittenermaßen zum Kern dieser Religion gehört, während sie Regeln enthält, die im direkten Gegensatz zu den „westlichen“ Grundsätzen der Menschenrechte stehen. Auch wenn man den Islam inhaltlich nicht kennt, muss es einem zu denken geben, dass es weltweit kein einziges Land mit muslimischer Mehrheit gibt, wo Nichtmoslems gesetzlich und faktisch die gleichen elementaren Rechte in Bezug z.B. auf die Religionsfreiheit hätten. Das kann doch kein Zufall sein. Betrachtet man ganz nüchtern die demographische Entwicklung in Europa samt der Migrationsbewegung, muss man sich die Frage stellen, in welche Richtung das geht und welche Folgen das haben kann bzw. muss. Man kann nicht im Ernst erwarten, dass Muslime, wenn sie in Europa die Mehrheit darstellen würden, eine ganz andere Politik in Bezug auf Menschenrechte betreiben würden als dies heutzutage etwa selbst in den relativ entwickelten Staaten wie die Türkei oder Saudiarabien der Fall ist, wo die Christen keinen öffentlichen Status haben oder gar für den Besitz einer Bibel bestraft werden. Von „Islamophobie“ zu sprechen ist weit mehr als zynisch.

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