„Utopie ist wichtig“

Veranstaltung zum 125. Geburtstag von John Maynard Keynes: Donnerstag, 5. Juni, 19 Uhr, Kreisky Forum.
Anfang der vierziger Jahre korrespondierte er mit John Maynard Keynes. Attac hält er für wichtig. Kurt W. Rothschild, 93, ist der Doyen der österreichischen Wirtschaftforscher. Anläßlich des 125. Geburtstags von John Maynard Keynes spricht er am Donnerstag in der Reihe „Genial dagegen“ im Kreisky-Forum zum Thema: „Was würde Keynes dazu sagen?" Für den Falter habe ich vorab schon einmal dieses Interview mit ihm geführt.

 
Herr Professor Rothschild, ist es gut, dass es Gruppen wie Attac gibt?
 
Rothschild: Das Wichtigste an Attac ist der Grundsatz: Es gibt eine Alternative. Margaret Thatcher hat ja sehr erfolgreich die Idee verbreitet: „Es gibt keine Alternative.“ Attac ist natürlich keine wissenschaftliche Institution, sondern eine politische Gruppe, die Vorschläge macht. Manche sind realistischer, manche unrealistischer. Aber man soll das Unrealistische auch nicht schlecht machen. Die Utopie ist wichtig. Sie hat einen Nutzen als Orientierungspunkt.
 
Die heutigen Sozialdemokraten, sind die zu ideenlos?
 
Es gibt solche und solche. Aber der Mainstream ist konservativer geworden. Man könnte schon erwarten, dass sie ihre soziale Note mehr herausstellen. Ich würde es mir jedenfalls wünschen. Der europäische Wohlfahrtsstaat ist ökonomisch erfolgstüchtig, weil ein System mit größerer Zufriedenheit auch wirtschaftlich besser funktioniert. Das ist ja das Erfolgsgeheimnis der skandinavischen Staaten.
 
John Maynard Keynes, der große Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, wäre am 5. Juni 125 Jahre alt geworden. Haben Sie Keynes persönlich gekannt?
 
Wir sind uns nie begegnet. Als blutjunger Wissenschaftler in Glasgow habe ich ihm Anfang der vierziger Jahre einen Aufsatz geschickt, er war ja unter anderem auch der Editor der wichtigsten ökonomischen Fachzeitschrift Großbritanniens. Er hat mir dann zurück geschrieben, dass ihm der Artikel gefällt und dass er ihn druckt.
 
Keynes war so etwas wie ein Popstar der Ökonomie?
 
Sein Hauptwerk, die „General Theorie“, hat richtiggehend eingeschlagen. Er hat schon ein Jahr vor Erscheinen an George Bernhard Shaw geschrieben, er verfasse gerade ein Buch, das eine Revolution auslösen wird. Er war sich dieser Wirkung sehr bewusst. Und er hat auch gerne provoziert, die Gegensätze scharf herausgearbeitet, und sehr zielgerichtet in eine breitere Öffentlichkeit hineingewirkt.
 
Was ist das Wichtigste an seiner Theorie?
 
Er hat die Grundannahmen der Mainstream-Ökonomie zurückgewiesen. Er ist davon ausgegangen, dass die kapitalistische Wirtschaft zwar hoch produktiv, aber störungsanfällig ist – während die Mainstream-Ökonomie ja davon ausging, Märkte seien ideal und funktionieren nur nicht, weil man sie nicht funktionieren lässt. Er hat gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass die Märkte Vollbeschäftigung schaffen, dass das vor allem von der Investitionsnachfrage abhängt. Er hat auch sehr eindringlich gezeigt, wie bei Störungen Dominoeffekte entstehen.
 
Er hat auch die Psychologie in die Wirtschaftswissenschaften eingeführt. Wie funktioniert das Zusammenspiel von Rationalität und Irrationalität?
 
Keynes war auch deshalb interessant, weil er immer realitätsbezogen war. Die klassische Ökonomie ging davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte rational und vollständig informiert agieren. Das tun sie aber nicht. Es gibt Unsicherheit, sie haben bestimmte Zukunftserwartungen, die mit der Wirklichkeit nicht immer etwas zu tun haben, es gibt Herdentrieb, Nervosität, Hysterie. Keynes ging von realen Märkten aus, nicht von Modellmärkten.
 
Er schlug deshalb regulierte Märkte vor und staatliche Investitionen, damit die Nachfrage stabilisiert wird. Ist das in einer globalen Ökonomie nicht obsolet, weil das ja relative Autarkie voraussetzt?
 
Natürlich ist die Frage, was kann ein einzelner Staat noch tun? Wie weit kann man mit offenen Grenzen keynesianische Politik machen? Es ist aber nicht so, dass das gar nicht geht. Und im Rahmen der Europäischen Union sieht das schon anders aus. Ein Großteil der Nachfrage in Europa entsteht in Europa. Und für die USA gilt das auch, bei aller wirtschaftlicher Verflechtung.
 
Kann man heute nicht gelegentlich einen plumpen Keynesianismus wahrnehmen – etwa, wenn man in den USA jetzt im Gefolge der Finanzkrise hört: „Bürger, geht einkaufen!“, damit die Nachfrage nicht total zusammenkracht?
 
Ja, es gibt einen Widersinn des Sparens. Gesellschaften können sich nicht reich sparen. Die Nachfrage muss aufrecht erhalten werden. Und dieser Gedanke von Keynes ist wirklich durchgedrungen. Man hat auch gelernt: Sehen wir uns nur diese jüngste Kreditkrise an – man lässt Banken nicht mehr kollabieren.
 
Gerecht ist das aber auch nicht: Wenn die Finanzinstitutionen große Gewinne machen, sacken sie die ein – und wenn sie Verluste machen, kommen die Steuerzahler dafür auf.
 
Gerecht ist es nicht – nur wäre die Alternative ökonomisch fatal.
 
Bei allen Problemen: Es läuft ja wirtschaftlich recht gut in Europa. Sind wir mit Arbeitslosenraten von fünf, sechs Prozent der Vollbeschäftigung nicht ziemlich nahe?
 
Von Vollbeschäftigung können wir nicht reden. Teilweise ist das Arbeitsmarktproblem schlimmer, als die offiziellen Statistiken zeigen. Diese prekären Arbeitsverhältnisse sind in Wirklichkeit ja oft krasse Unterbeschäftigung. Wenn man eine Stunde pro Woche arbeitet, ist man schon nicht mehr offiziell arbeitslos. Man muss sich schon auch die Frage stellen, wie man es einrichtet, dass auch die Menschen, die schlechter ausgebildet sind, aber nötige Arbeiten machen, nicht völlig unter die Räder der Weltmarktkonkurrenz kommen.
 
Sie haben von der Produktivität der Utopie gesprochen. Keynes hat ja selbst einen berühmten Aufsatz geschrieben, der hieß „Wirtschaftliche Möglichkeiten unserer Enkelkinder“, in dem er ein Leben im Prosperität, Wohlstand und wirtschaftlicher Sicherheit ausmalt. Es gab damals noch den kindlichen Glauben, dass die rasante wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu einem entspannteren Leben führen muss.
 
…ist das denn so absurd?
 
Angesichts der Wirklichkeit schon.
 
Wir haben eine lange Friedensperiode, das Volkseinkommen wächst stetig, wir häufen Reichtümer um Reichtümer auf. Da müsste es doch möglich sein, mehr Gleichheit herzustellen, stattdessen wächst die Ungleichheit.
 
„Was würde Keynes dazu sagen?“ Kurt W. Rothschild im Gespräch mit Robert Misik. Donnerstag, 5. Juni 2008, 19 Uhr. Kreisky-Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien.
 
Zur Person:
Kurt W. Rothschild wurde 1914 in Wien geboren. Er studierte Jus in Wien, musste 1938 emigrieren. In Glasgow inskribierte er Ökonomie und wurde Anfang der vierziger Jahre Dozent. 1947 kehrte er nach Österreich zurück und begann seine Laufbahn am Wirtschaftsforschungsinsitut. 1966 wurde er Volkswirtschaftsprofessor in Linz, wo er bis zu seiner Emeritierung 1985 unterrichtete.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.