Der neue Keynes

Für die taz und derStandard.at
schrieb ich untenstehende Würdigung Paul Krugmans angesichts der
Zuerkennung des diesjährigen Nobelpreises für Ökonomie. Ein Interview,
das ich mit Krugman im Frühjahr führte, finden Sie
hier.
 
Dass die Vergabe des Friedens-, oder
die des Literaturnobelpreises meist ein politisches Statement ist,
daran hat man sich ja schon gewöhnt. Für den Wirtschaftsnobelpreis gilt
das bisher auf weniger ostentative Art. Dass der US-Ökonom Paul Krugman
ausgerechnet am Höhepunkt der globalen Finanzkrise und ein Monat vor
dem Ende der Ära Bush den Preis zuerkannt erhält, hat schon erhebliche
symbolische Bedeutung.

Denn Krugman hat seit Jahren vor den
Gefahren der US-Immobilienblase gewarnt. Und er ist einer der
schärfsten Kritiker von US-Präsident George W. Bush. Erst im Frühjahr
erschien – auch auf deutsch – sein Buch. „Nach Bush. Das Ende der
Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“. Als er damals im
„taz“-Interview voraussagte, der Immobilienkrach könne sich zu einer
„schwerwiegenden Krise“ auswachsen, konterte er dem Einwand, man werde
ihn jetzt wieder des üblichen „linken Pessismus“ zeihen, mit Sarkasmus:
 
„Oh, das sagen sie immer. Als ich
darauf hinwies, dass wir eine riesige Immobilienblase haben, haben sie
gemeint, das sage ich ja nur, weil ich Bush hasse. Jetzt weiß jeder,
dass ich recht hatte. Das war die größte Immobilienblase in der
amerikanischen Geschichte und es ist absurd zu sagen, dass das keine
gefährlichen Auswirkungen hat.“
 
Können Sie mal erklären, warum eine
Krise des Immobilienmarktes und in der Folge der Kreditmärkte
notwendigerweise zu niedrigerem Wachstum und Beschäftigung führen muss?
 
Krugman: „Nun, dafür gibt es grob
gesagt drei Gründe: Erstens: Es wird praktisch nichts mehr gebaut und
darunter leidet die Bauwirtschaft. Die beschäftigt Millionen Menschen.
Zweitens: Es ist gerade in den USA sehr üblich, dass die Menschen
Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen, um sich andere Dinge zu kaufen.
Diese Möglichkeit ist jetzt sehr eingeschränkt, mit entsprechenden
Auswirkungen auf die Konsumnachfrage. Oftmals haben die Leute jetzt
Schulden, die den Wert ihrer Häuser übersteigen. Drittens: Für die
Versicherungsinstitute ist das ein schwerer Schlag, weil es sehr, sehr
viele Leute geben wird, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können,
was die Kreditversicherer trifft. Das führt zu einer schwierigen Lage
auf den Kapitalmärkten.“
 
Wahrscheinlich gibt es kaum einen
Ökonomen auf der Welt, der mit so viel Sachverstand und
schriftstellerischen Witz zugleich die Sache des Egalitarismus zu
vertreten vermag. Gemeinsam mit Joseph Stieglitz, Nobelpreisträger des
Jahres 2001, ist er wohl der einflussreichste Keynesianer unserer Zeit.
Und er ist ein streitbarer Popularisierer, fast so etwas wie ein
„klassenkämpferischer“ Ökonom: Er nützt seine regelmäßige Kolumne in
der New York Times ebenso wie seinen Blog auf der Website selbiger
Zeitung fast mit ein bisschen Besessenheit, um den Kampf gegen
neoliberale und neokonservative Ideologen zu führen. An manchen Tagen,
wenn Krugman seinen Blog drei, viermal mit komplizierten Abhandlungen
vollschreibt, fragt man sich, wie der Typ es schafft, noch Zeit für
etwas anderes zu finden. Alleine am vorgestrigen Sonntag verfasste er
fünf Blog-Einträge. Für den gestrigen Montag findet sich freilich nur
eine lapidare Notiz: „Eine interessante Sache ist mir heute morgen
geschehen…“ Dann gibt’s einen Link zum schwedischen Nobelpreis-Komitee.
 
Als Ökonom war Krugman vor allem mit
Studien zur Handelstheorie und der Wirtschaftsgeorgraphie
hervorgetreten, Arbeiten, für die er nun offiziell mit dem Nobelpreis
ausgezeichnet wurde. Krugman, Spross einer jüdischen Familie mit
weißrussischen Wurzeln, studierte am Massachussets Institute of
Technologie (MIT) und ist, nach Stationen in Yale, London, Stanford und
anderen nunmehr Professor an der Princeton University. Krugmans
streitbare Äußerungen lösten oft aber auch Kontroversen aus. Als Gegner
der Neokonservativen in der amerikanischen Debattenlage, die seit
Jahren weniger einem Florettkampf als eher einem Grabenkrieg ähnelt,
hatte er durchaus gelernt, dass es nicht immer darauf ankommt, akkurat
zu argumentieren, sondern vor allem darauf, seine Widersacher zu
besiegen. Kaum jemand hat etwa so viel wie Krugman zur allgemeinen
Verbreitung des lapidar dahin gesprochenen Satzes des
Präsidentschaftkandidaten John McCain beigetragen, der sagte, er
verstehe nichts von Ökonomie.
 
Kritiker haben Krugman auch schon mal
einen – in diesem Sinn – etwas zu zweckorientierten Umgang mit
statistischen Daten vorgehalten. Zuletzt sorgte er im Frühjahr für
durchaus kontroverse Diskussionen, weil er als eingeschworner
Unterstützer von Hillary Clinton deren Rivalen Barack Obama fortgesetzt
dafür gegeißelt hat, dass er keinen Plan für eine gesetzliche,
allgemeine Gesundheitsversicherung in den USA vorlegte – im Gegensatz
zur Senatorin aus New York. Er sei da, sagte er, „ziemlich über Kreuz
mit vielen meiner Freunde und Bekannten. Alle finden Obama so toll,
weil er so schön redet, dass das Land den Wandel, den Change, braucht.
Und er ist bestimmt ein klasser Kerl, aber ob er genug Ideen und genug
Biss hat? Frau Clinton hat sehr viel mehr Erfahrung.“ Mittlerweile hat
der Realist Krugman seinen Frieden mit dem Obama-Lager gemacht.
 
Sein jüngstes Buch ist ein Pamphlet,
mit viel Verve geschrieben, für einen neuen „New Deal“, für einen neuen
„Moment“ für den amerikanischen Linksliberalismus. Das Ende der
Bush-Ära, das ideologische Desaster der Neokonservativen, das
erwartbare Debakel der Republikaner nicht nur bei der
Präsidentschaftswahl, sondern auch bei den Kongresswahlen könnte einem
künftigen demokratischen Präsidenten eine Machtbasis verleihen, wie sie
kein progressiver Politiker mindestens seit Lyndon B. Johnson
vorgefunden hat. Und dies gäbe die Chance für einen abermaligen
Kurswechsel, so Krugman.
 
In der modernen amerikanischen
Geschichte gab es, so führt er aus, „zwei große Bögen – einen
wirtschaftlichen Bogen von großer Ungleichheit zu relativer Gleichheit
und zurück“ zu mehr Ungleichheit. Die Progressiven, die Amerika
„gleicher“ gemacht hätten, hätten das Land aber auch stärker gemacht.
Krugman unterstreicht mit Überzeugungskraft, dass egalitärere
Gesellschaften nicht nur gerechter, sondern auch leistungsfähiger sind
als ungleichere. Die Zeit, in der auch in den USA ein
wohlfahrtsstaalicher Konsens herrschte, war nicht nur durch die
Entstehung eines breiten, stabilen Mittelstandes gekennzeichnet,
sondern auch durch bisher unbekannte Wohlstandsgewinne. Allerdings, so
Krugman, wurden die Reichen wirklich ärmer, während die Unter- und
Mittelschichten gewannen.
 
Dass das egalitäre Amerika seit den
siebziger Jahren zerstört wurde, geht, so Krugman, auf eine
ideologische Strategie zurück, die die Strömung der „Neokonservativen“
seit den sechziger Jahren verfolgte. Doch jetzt gäbe es eine Chance,
dass die lange, säkulare Tendenz wieder in die andere Richtung geht.
 
Man müsse sich vor allem von einer
Auffassung verabschieden, die auch in progressiven Zirkeln vorherrsche:
dass der „fordistische Kapitalismus“, der die Gangsterkultur des
Raubritterkapitalismus abgelöst habe, gewissermaßen automatisch eine
Gleichheitskultur gefördert habe, wohingegen der „postindustrielle“,
zeitgenössische Kapitalismus wieder nahezu naturgemäß zu mehr
Ungleichheit führe. Alles nicht war, sagt Krugman::
„Mittelschichtgesellschaften entstehen nicht von selbst mit der Reifung
einer Volkswirtschaft, sondern müssen durch politisches Handeln
geschaffen werden.“ Es war nicht die „kapitalistische Entwicklung“, es
waren Liberale, die es durch entschlossenes Handeln und indem sie die
konservativen Kräfte besiegt haben schafften, „die Ungleichheit der
Einkommen erheblich zu verringern, mit fast ausschließlich positiven
Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.“ An diesen Männern und
Frauen sollten sich „die Liberalen von heute ein Beispiel nehmen, wenn
sie lernen wollen, was politische Führung zu bewirken vermag“.
 
Jetzt ist Krugman Nobelpreisträger,
aber das wird ihm nicht reichen. Längst kandidiert er für die Rolle des
neuen Keynes. Er bringt einiges mit, was an den britischen
Jahrhundertökonomen erinnert – nicht zuletzt die Lust, den öffentlichen
Meinungsstreit via alle Kanäle zu führen. Und noch eine frappante
Parallele gibt es: Keynes Aufstieg begann, als ein spektakulärer
Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte einen Paradigmenwechsel
auslöste.
 
Das Ende der Privatisierungsideologie,
diese Tage, in denen Bankenverstaatlichungen plötzlich wieder die
normalste Sache der Welt werden – es ist Krugmans Moment.

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