„Ökonomie ist Fun“

Paul Krugman, Princeton-Professor und New-York-Times-Autor, ist ein
Kämpfer, ein Polemiker und auch ein großer Stilist. Jetzt erhält er den
Nobelpreis. Ein paar Pulitzerpreise würden ihm wohl auch zustehen. Falter, 22. Oktober 2008


„Verdient und überfällig“, sei der Nobelpreis für Paul Krugman, sagte Paul A. Samuelson vergangene Woche, der berühmte Ökonom und Nobelpreisträger des Jahres 1970. Um dann scherzhaft hinzuzufügen: „Das Pulitzer-Preiskomitee sollte sich daran ein Beispiel nehmen, es schuldet ihm schon eine ganze Menge an Preisen.“ Tatsächlich hat Paul Krugman nicht nur zur Handelstheorie und zur wirtschaftgeographischen Forschung wesentliche Beiträge geleistet – Studien, für die er nun den Nobelpreis erhielt -, er hat auch neue Standards in der Wirtschaftsberichterstattung etabliert.
 
Wohl noch nie war ein Wirtschaftsnobelpreisträger eine derartige Celebrity, bevor er den Preis zuerkannt erhielt, wie Krugman. Seine Kolumnen, die zweimal wöchentlich in der New York Times erscheinen, sind Must-Reads, sein Blog auf der Website selbiger Zeitung hat eine eingeschworene Leserschaft. Krugman, ein linksliberaler, keynesianischer Ökonom, vertritt mit schriftstellerischem Witz und Sachverstand zugleich die Sache des Egalitarismus. Kaum jemand hat mit solcher Ausdauer und Verve wie Krugman in den vergangenen Jahren gegen die Bush-Regierung angeschrieben. Den Kampf gegen simple neoliberale „Weniger Staat, mehr Privat“-Ideologen führt er mit Sarkasmus. An manchen Tagen, wenn Krugman seinen Blog vier-, fünfmal mit komplizierten Abhandlungen vollschreibt, fragt man sich, wie der Typ es schafft, noch Zeit für etwas anderes zu finden.
 
Nur am Montag der Vorwoche, da fand sich nur eine lapidare Notiz: „Eine interessante Sache ist mir heute morgen geschehen…“ Sonst war da nichts zu lesen – außer dem Link zum schwedischen Nobelpreis-Komitee.
 
Doch Krugmans Tagespublizistik ist in mancher Hinsicht mit seinem akademischen Stil verwandt. Eines seiner wichtigsten Talente, schrieb Krugman einmal in einem autobiographischen Essay, sei seine Fähigkeit, „ernsthafte Ökonomie in scheinbar einfachem Englisch“ zu schreiben. Dies sei sein „intellektueller Stil“, der sich schon durch die Arbeiten ziehe, für die er nun den Nobelpreis erhielt. Krugman baut seine Modelle weniger auf abstrakten Ableitungen auf, sondern auf Datenbasen und Einsichten, die er aber auf möglichst simple Weise darzustellen vermag.
 
Seine „neue Handelstheorie“ lässt sich, beispielsweise, recht einfach formulieren. Die klassische Handelstheorie ging von den komparativen Vorteilen aus, wonach sich im kalten England leicht Schafwolle produzieren ließe, im heißen Portugal leichter Wein, weshalb beide Vorteile hätten, wenn sie miteinander Handel trieben. Heutzutage betreiben freilich oft auch Industrienationen Handel, die durchaus das gleiche herstellen und aufgrund ihrer Faktorausstattung keineswegs notwendig Vor- oder Nachteile haben. Mercedes exportiert nach Japan, Toyota exportiert nach Deutschland. Aber jede Firma hat ein geringfügig anderes Produkt im Angebot. Und je mehr sie davon produziert, umso effizienter kann sie das tun, umso größer ihre Vorteile, es wachsen ihre Erträge. Zudem mögen Konsumenten auch eine abwechslungsreiche Produktpalette.
 
Klingt simpel? Klingt nach Wirklichkeit? Es ist aber gerade diese offenkundige Wirklichkeit, die Krugman und andere in die Handelswissenschaften einführten.
 
Wobei die Wirklichkeit manchmal auch gehörig komplex ist und Krugman ist ein Meister darin, diese Komplexität gemeinverständlich darzulegen. Eine Stunde pro Tag, hat er schon vor Jahren eingestanden, hat er für Gespräche mit Journalisten reserviert. Geduldig erklärt er da etwa, wie die Krise des Immobilienmarktes mit den gesamten Finanzmärkten zusammenhängt und in der Folge zu niedrigerem Wachstum führt. „Dafür gibt es“, hebt er dann an, „grob gesagt drei Gründe: Erstens: Es wird praktisch nichts mehr gebaut und darunter leidet die Bauwirtschaft. Die beschäftigt Millionen Menschen. Zweitens: Es ist gerade in den USA sehr üblich, dass die Menschen Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen, um sich andere Dinge zu kaufen. Diese Möglichkeit ist jetzt sehr eingeschränkt, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Konsumnachfrage. Oftmals haben die Leute jetzt Schulden, die den Wert ihrer Häuser übersteigen. Drittens: Für die Versicherungsinstitute ist das ein schwerer Schlag, weil es sehr, sehr viele Leute geben wird, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, was die Kreditversicherer trifft. Das führt zu einer schwierigen Lage auf den Kapitalmärkten.“
 
So formulierte Krugman das im Gespräch im Februar. Seither stürzten die Weltfinanzmärkte in die größte Krise seit beinahe achtzig Jahren. Krugman hat sie lange vorausgesagt.
 
Dass Krugman jetzt den Wirtschaftsnobelpreis zuerkannt erhält, hat deshalb geradezu eine ostentative Art – eine solch ostentative, dass er, wie er in einer ersten Reaktion einräumte, „gar nicht an die Ehrung gedacht habe, weil ich sie für dieses Jahr einfach nicht erwartete“. Schließlich hat Krugman wie kein zweiter die Bush-Regierung mit bissiger Kritik verfolgt und außerdem seit Jahren die neoliberale und neokonservative Wirtschaftspolitik angeprangert. Dass er nun, ausgerechnet am Höhepunkt der globalen Finanzkrise und einen Monat vor dem Ende der Ära Bush den Preis zuerkannt erhält, hat eine erhebliche symbolische Bedeutung – und solcher Symbolismus ist normalerweise der Auswahl des Friedensnobelpreisträgers vorbehalten.
 
Zufällige Koinzidenz oder Absicht, wie auch immer, die Ehrung Krugmans fällt mitten in eine Zeitenwende. Die Privatisierungsideologie ist tot, selbst radikale Marktideologen beginnen plötzlich, Banken zu verstaatlichen – weil sie, angesichts der massiven Kapitalvernichtung und damit der Unterkapitalisierung der Finanzhäuser keine andere Wahl haben. Eine Epochenwende, ist Krugman überzeugt: „Wir werden in den USA eine Mitte-Links-Regierung haben. Und es wird eine Wende zu Regulierung geben. Die Leute haben darauf vertraut, dass der Markt alles regelt, aber dieses Vertrauen wurde verraten.“
 
Krugman, 55, Spross einer jüdischen Familie mit weißrussischen Wurzeln, studierte am Massachussets Insitute of Technologie (MIT) und ist, nach Stationen in Yale, London, Stanford und anderen nunmehr Professor an der Princeton University. Ein Jahr hat er sogar als Wirtschaftsberater der Reagan-Regierung gedient. Aber längst ist er so etwas wie ein „Sozialdemokrat“, auch wenn dieser Begriff als Bezeichnung einer politischen Strömung in den USA nicht existiert. Krugman ist der Innbegriff des „Liberals“, des Linksliberalen. „Confessions of a Liberal“, heißt sein Blog und auch sein jüngstes Buch, auf deutsch unter dem Namen „Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten“ erschienen.
 
Es ist ein Pamphlet, mit viel Verve geschrieben, in dem er für einen neuen „New Deal“ eintritt – für den Ausbau des amerikanischen Wohlfahrtsstaates, für eine Politik, die nach der Ära wachsender Ungleichheit wieder mehr relative Gleichheit herzustellen versucht. Während der Vorwahlsaison war seine Sympathie mit Hillary Clinton unübersehbar, wenngleich er auch auf insistieren nicht sagen wollte, wer sein Favorit sei. „Das darf ich nicht sagen. Das hat mir die New York Times verboten“, sagte er ironisch. Dem New Deal der dreißiger und vierziger Jahre, der Präsidentschaft Franklin D. Roosevelts folgte eine „Ära der Gleichheit“, die auch „eine Zeit beispiellosen Wohlstandes“ gewesen sei. Mittelstandsgesellschaften, in denen es keine obszönen Differenzen zwischen Reichen und Armen gibt, sind nämlich auch wirtschaftlich funktionstüchtigere Gesellschaften, zeigt Krugman mit Akribie. Dass soziale Ungleichheit ökonomisch nützlich sei, etwa wegen des „Ansporns für die Tüchtigen“, gehört ins Reich der ideologisch motivierten Märchen. Dass diese egalitäre Ära zerstört wurde, so Krugman, ist Ergebnis der neokonservativen Politik.
 
Man müsse sich vor allem von einer Auffassung verabschieden, die auch in progressiven Zirkeln vorherrsche: dass der „fordistische Kapitalismus“, der di
e Gangsterkultur des Raubritterkapitalismus abgelöst habe, gewissermaßen automatisch eine Gleichheitskultur gefördert habe, wohingegen der „postindustrielle“, zeitgenössische Kapitalismus wieder nahezu naturgemäß zu mehr Ungleichheit führe. Alles nicht war, sagt Krugman:: „Mittelschichtgesellschaften entstehen nicht von selbst mit der Reifung einer Volkswirtschaft, sondern müssen durch politisches Handeln geschaffen werden.“ Es war nicht die „kapitalistische Entwicklung“, es waren Liberale, die es durch entschlossenes Handeln und indem sie die konservativen Kräfte besiegt haben schafften, „die Ungleichheit der Einkommen erheblich zu verringern, mit fast ausschließlich positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft insgesamt.“ An diesen Männern und Frauen sollten sich „die Liberalen von heute ein Beispiel nehmen, wenn sie lernen wollen, was politische Führung zu bewirken vermag“.
 
Als Ökonom, Kolumnist, Buchautor ist Krugman auch ein Kämpfer, und jeder Hieb, dem er dem Gegner verpasst, bereitet ihm diebische Freude. Gewiss, Krugman ist nicht bar jeder Eitelkeit. Ökonomie betreibe er, sagte er einmal, weil er der Meinung sei, dass man die Welt verbessern könne, aber auch, weil er gerne üppige Honorare kassiere und es liebe, kostenlos zu Konferenzen in die schönsten Städte der Welt zu fliegen. Aber, fügte er hinzu, „um die Wahrheit zu sagen, was mich am meisten antreibt als Ökonom ist die Tatsache, dass die Ökonomie Fun ist.“

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