Rechts aus der Bahn geworfen

Jörg
Haider war ein harter Rechter, aber auch ein Spieler und Exzentriker.
Mal war er depressiv, mal euphorisch. Eine Art James Dean der
österreichischen Politik. Jetzt fuhr er sich zu Tode.
taz, 13. Oktober 2008

Wo,
verdammt noch mal, kommt dieses irre Gefühl her? Dieses, ja, was für
ein Gefühl eigentlich? Erschrecken. Mitgefühl. Fast so etwas wie
Trauer. Ich starre auf den Bildschirm: „Jörg Haider tot“, steht da in
riesigen Lettern. Gut, angesichts des Todes tritt die politische
Gegnerschaft zurück und das, was man so unscharf „das Menschliche“
nennt, tritt in die erste Reihe. Als Mann mit „großen Begabungen und
Talenten“ würdigt ihn der Bundespräsident, Noch-Bundeskanzler Alfred
Gusenbauer von den Sozialdemokraten zeigt sich „tief betroffen“. Das
ist schon echt. Man wünscht niemanden so ein Ende. Und außerdem: Die
Pietät verlangt solche Sätze.
 
Andererseits,
es haben auch schon mal Menschen so über gerade Verstorbene gesprochen:
Ein „tragischer Vorfall“, aber man soll „also nicht dauernd, … also
Krokodilstränen für einen, äh, abgeschobenen Drogendealer“ vergießen.
So sprach Jörg Haider 1999, nachdem der schwarze Asylbewerber Marcus
Omofuma bei seiner Deportation, zusammengeschnürt und mit Klebeband
geknebelt, gestorben war. Drogendealer war Omofuma natürlich keiner.
Noch vor ein paar Wochen hat Haider im Wahlkampf während einer
TV-Konfrontation einer Frau, deren Mann gerade auf Grund des
gnadenlosen Ausländerrechtes den Ausweisungsbescheid erhalten hat, ins
Gesicht gesagt, es werde wohl schon einen guten Grund geben, warum der
Gatte des Landes verwiesen werde. Krimineller und so.
 
Bis zuletzt konnte Jörg Haider einem immer wieder mit seiner Fähigkeit zur Unmenschlichkeit überraschen.
 
Dennoch,
es ist schon recht so, dass man Haiders Ende jetzt mit Erschrecken
aufnimmt. Man kann auch Mitgefühl mit jenen haben, die zum Mitgefühl
nicht fähig sind. Hätte man es nicht, sie hätten gewonnen: Man wäre
ihnen ähnlich geworden. Und ein bisschen bleibt einem auch der Atem
weg, wegen der Art dieses Todes. Weil er irgendwie passt. Nicht wenige
hatten erwartet, dass Jörg Haider einmal so sterben würde.
 
Denn
es war immer zu kurz gegriffen, Haider nur als talentierten
Rechtsaußenpolitiker zu beschreiben. Klar, das war er auch, aber das
reicht nicht aus, um diese Figur, diese Type zu verstehen und auch die
Faszination, die von ihr beinahe eineinhalb Jahrzehnte ausging. Haider
war auch ein Exzentriker, ein politischer Borderliner. Er war einer,
der den alten Nazis, den jungen Dumpfen und den feschen Yuppies
schmeichelte, aber er war dabei auch eine Art James Dean der
österreichischen Innenpolitik. Jetzt starb er wie Dean, nur älter. Ende
einer Dienstfahrt.
 
58
Jahre war Haider alt, und es schießt einem der Gedanke in den Kopf: Er
hat es gerade noch geschafft. Haiders Magnetismus verdankte sich nicht
in geringem Maße seiner jungenhaften Rebellenpose. Er wirkt, schrieb
Haider-Biographin Christa Zöchling vor knapp zehn Jahren, in dieser
Pose „tatsächlich alterslos, mit ewiger Jugend ausgestattet“. Als
verlangsamten Alten hätte man sich den postmodernen Pop-Politiker, der
Haider auch war, nur schwer vorstellen können.
 
Er
war Volksverhetzer, aber auch ein Clown. Mal war er mehr zum Fürchten,
mal war er mehr zum Lachen. Mal trieb er die gesamte politische Klasse
vor sich her, dann wieder zog er sich als Landeshauptmann nach Kärnten
zurück und musste sich als „König vom Wörthersee“ verspotten lassen.
Bei kaum einem Politiker wurde derart oft und derart ratlos gefragt:
Wie tickt der Kerl eigentlich? Er führte seine Partei in ungeahnte
Höhen, scharte ergebene Zöglinge um sich, nur um sie regelmäßig zu
verstoßen. Mal drohte er, seine ganze Partei aufzulösen, dann wieder
mit dem Totalrückzug. Eine ganze Journalistengeneration war damit
beschäftigt, Jörg Haider zu verstehen.
 
Dem
Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung verdanken wir den Hinweis,
dass, „wer nun über die Rationalität von Haiders Handlungsweisen
grübelt, die falsche Frage im Kopf“ hat. Er führte durch
Unberechenbarkeit. „Je unergründlicher der einsame Ratschluss des
Anführers erscheint, desto stärker seine Aura.“
 
Der
Irrlauf war Erfolgsrezept, aber er war keineswegs Taktik. Eine
verletzliche Diva hat man ihn auch genannt, „maßlose
Selbstüberschätzung“, bei gleichzeitig „extrem hoher Kränkbarkeit“
attestierte der Wiener Psychoanalytiker August Ruhs, der alle Jahre
befragt wurde, wenn die politischen Kommentatoren in Hinblick auf die
frühere Zentralfigur der österreichischen Innenpolitik wieder einmal
mit ihrem Latein am Ende waren.
 
Manche nannten das Charisma. Manche eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.
 
Und
er war ein Winner-Typ, der beinahe besessen davon schien, sich immer
auch alles kaputt zu machen. Bei vier Prozent lag die rechtsnationale
Honoratiorenpartei FPÖ gerade, als Haider sie 1986 putschartig
übernahm. 27 Prozent der Wählerstimmen holte er am Höhepunkt seines
Triumphes, bei den Nationalratswahlen 1999. Damit hatte seine Partei
die christlich-konservative Volkspartei auf Platz drei verwiesen und
Haider machte, gewissermaßen als Entrée zu hohen Ministerehren, deren
Chef Wolfgang Schüssel zum Bundeskanzler. Haider selbst aber zauderte
plötzlich. Er blieb in Kärnten und überließ seinen Zöglingen die
Transformation der brachialen Oppositionspartei in eine
Regierungspartei. Kaum folgte eine Identitätskrise der Partei, fiel er
ihnen in den Rücken. Als der ultrarechte Flügel der Partei gegen die
Regierungsfraktion putschte, blieb Haider aber wieder auf Seiten der
Realisten-Fraktion. Und es geschah, was er wohl nicht für möglich
gehalten hatte: Die Partei, die er groß gemacht hatte, wandte sich von
ihm ab. Die FPÖ führt seither der rechte Haider-Klon Heinz-Christan
Strache, Haider gründete sein „Bündnis Zukunft Österreich“ und galt als
Gescheiterter, bis er bei den Nationalratswahlen am vorvergangenen
Sonntag überraschend elf Prozent der Stimmen holte.
 
Es war ein letzter Triumph.
 
Er
war als Politiker immer ein Gambler und er liebte es, wenn die Dinge
auf des Messers Schneide stehen. Vielleicht war es die Lust am Thrill,
vielleicht hielt er sich in seiner Ich-Fixiertheit auch für
unverwundbar. Auch wenn er immer wieder Gefolgsleute um sich scharte,
die ihm schier grenzenlos ergeben waren, war seine politische Karriere
doch auch und vor allem Egotrip. Das  Showmanhafte war seine Stärke,
gegen die sich seine Konkurrenten nicht zu helfen wussten. Seine
Macken, seine Sucht nach Aufmerksamkeit, seine Respektlosigkeit, sein
Vorwitz, seine Ignoranz gegenüber Gepflogenheiten und Realitäten, mit
einem Wort, all jene Charaktereigenschaften, in denen sich seine
Exzentrik erwies, hoben ihn auch immer vom Typus des politischen
Funktionärs ab – von den „Altparteien“, wie er die Etablierten
verächtlich hieß.
 
Er
war nicht der einzige jener rechten Parteiführer, die gleichzeitig auch
Rappelköpfe sind oder waren – Berlusconi, Fortuyn, Bossi, Schill.
 
Dabei
war er ein Mensch, „der kleiner wirkt, je näher man ihm kommt“, wie
eine Reporterin einmal beobachtete. Er war ein Showpolitiker, und
gingen die Scheinwerfer aus, wirkte auch Haider wie abgedreht. Vor
fünfzehn Jahren waren wir einmal gemeinsam in einer deutschen Talk-Show
zu Gast. Nach dem Gespräch hing er sich regelrecht an mich und ein paar
andere Österreicher an. Wir waren für ihn unter all den Deutschen fast
Vertraute. Er fühlte sich unsicher, nach dem Ende der Show. Es war gar
nicht so leicht, seine kumpelhaften Verbrüderungsversuche abzuwehren.
 
Er
war inkoherent bis zum Erratischen. Ein Risikotyp, den immer wieder in
entscheidenden Momenten der Mut verließ, ein harter Rechter, der
ideologischen Ballast ohne viel Federlesens über Bord warf, wenn er ihm
nichts mehr nütze, einer, der wahrscheinlich viel weniger ernst meinte,
als viele glauben, der aber doch immer authentisch zu meinen schien,
was er gerade sagte – selbst wenn es die größte Obskurität war. Maß
kannte er keines. Dass er je vor einer Gemeinheit zurückgeschreckt
wäre, ist nicht bekannt.
 
Jetzt
fand er, wie man so sagt, den Tod. Nicht, dass er ihn gesucht hätte.
Aber gespielt hat er ein wenig mit ihm. Er hatte, wohl mit überhöhter
Geschwindigkeit, links überholt und sich rechts eingereiht, dann warf
es ihn aus der Bahn.
 
Vielleicht macht da mal jemand eine Metapher daraus.

5 Gedanken zu „Rechts aus der Bahn geworfen“

  1. Ich möchte mich den beiden „Vorposter/innen“ anschliessen.
    Würde mir für die Schweiz auch einen Misik wünschen.
    Traugott Elsässer
    St. Gallen

  2. Nach dem Tod von Jörg Haider – Sex, Verschwörung, Lügen, 1,8 Promille und ein Staatsbegräbnis

    Hier hatte ich mit der Bewertung von Haiders Ableben angefangen und damit, u.a. Robert Misik zu zitieren. Das tue ich jetzt schon wieder. Aber erst genügen wir mal unserer Chronistenpflicht: Jochen und ich hatten recht: Jörg Haider ist mit 1,8 Promille im

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