Symbolische Insolvenzen

Schriften zu Zeitschriften. Das Wiener „Wespennest“ verkündet das Ende
des Kapitalismus. „Texte zur Kunst“ entdeckt das Schrulligkeitskapital.
taz, 8. Oktober 2008

Der Kapitalismus ist schon eine Pest.
Aber glücklicherweise haben wir ihn bald hinter uns. Jedenfalls
verspricht das die neue Ausgabe des „Wespennests“. Schlicht heißt es am
Titelblatt des Wiener Literaturmagazins: „Ende des Kapitalismus“. So
etwas darf man natürlich nie tierisch ernst nehmen. Solche Titel
spielen mit dem Überraschungseffekt, dem Spektakulären. Wenn alle
sagen: „Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus“, zeitigt es den
größtmöglichen aufmerksamkeitsökonomischen Gewinn, wenn man sein Ende
annonciert. Das heißt auch: Wer das „Ende des Kapitalismus“ verkündet,
um wahrgenommen zu werden, der hat ganz offenkundig die Lektion
gelernt, die der postmoderne Kapitalismus uns Tag für Tag erteilt. Die
lautet: Wem niemand zuhört, der wird insolvent.
 
Im Heft selbst referieren Christine
Resch und Heinz Steinert die Achterbahnfahrt vom frühen
Raubritterkapitalismus über Fordismus, Realsozialismus und
Wohlfahrtsstaat – zurück – zum Neoliberalismus und diagnostizieren ein
„Kapitalismus-Ende“, das Kapitalismusfeinde wohl auch nicht gänzlich
froh macht: Der Neoliberalismus erscheint als „Aufhebung“ des
Kapitalismus, der sich von Realsozialismus, Frühkapitalismus und
Feudalismus das Schlimmste rauspicke. Das ist, zumindest
vergleichweise, überzeugender als der schneidige Revolutionsproklamauk
in schwülstem Negri-Jargon, der uns aus den Beiträgen von Heide Hammer
(„…explizieren die Notwendigkeit revolutionärer Veränderung“) und John
Zerzan („…eine Welt, die keine Zukunft bietet…“) entgegenweht.
Wohltuend dagegen sind Peter Moeschls kluge Meditationen über die
Metaphorik des „Kapitalbegriffs“. Kapital, womit man früher im
Wesentlichen investiertes Geld oder sonst wie Gewinn abwerfendes
Vermögen verstand, zirkuliert ja heute in vielen begrifflichen
Betriebsmodi. Bildungskapital, Sozialkapital, symbolisches Kapital. Wer
ein paar Leute kennt, ist heute schon ein Sozialkapitalist. Moeschls
Pointe ist nun, dass mit der Einführung dieser Kapitalbegriffe durch –
in aller Regel – kapitalismuskritische Theoretiker, der Begriff des
Kapitals als solcher an Strahlkraft gewinnt. Moeschl: „Die Menschen
gewinnen durch den Einsatz ihres symbolischen Ansehens in Ausnutzung
ihres gesellschaftlichen Verkehrs ein höheres Ansehen, das ihnen
zugleich zum ökonomischen Vorteil dient. – So weit, so stimmig.
Sogleich aber bemerken die Vertreter des eigentlichen, des ökonomischen
Kapitals die Brauchbarkeit dieser Sprachbildung für eigene Zwecke. Sie
erkannten die Gelegenheit den Begriff des Kapitals aus der ‚profanen‘
Ökonomie emporzuheben und mit den Weihen des Symbolischen zu versehen.“
Ein „Eigentor“ der kapitalismuskritischen Soziologie, so Moeschl. Jetzt
werden „täglich neue Kapitalarten erfunden“.
 
Die Welt des Symbolischen ist ein Markt
und der Markt ist selbst nie profan, sondern Symbolmarkt. Der
Kunstmarkt ein Sonderfall des Marktes, aber in der postmodernen
Lifestyle-Ökonomie auch paradigmatisch für alle zeitgenössischen Märkte
(abgesehen vielleicht von den Rohstoffmärkten). Die jüngste Ausgabe von
„Texte zur Kunst“ widmet sich der Figur des „Künstler-Künstlers“. Der
Künstler-Künstler ist einer, den andere Künstler schätzen oder gar
verehren, der beim allgemeinen Publikum aber unbekannt ist und am Markt
fehl am Platze. Künstler-Künstler kommen aber zunehmend ins Gespräch,
es gibt selbst so etwas wie einen „Boom“ der Künstler-Künstler, und sie
werden, gerade weil sie sich oft sperrig der Vermarktung entziehen,
neuerdings vermarktet. Warum? Auf einem Symbolmarkt wie dem Kunstmarkt
kann gerade mangelnde Marktgängigkeit prestigiös sein und damit den
Marktwert steigern. Der Kapitalismus ist schließlich eine unerbittlich
paradoxe Angelegenheit. Wenn ein Künstler sich mit einem „obskuren“
anderen Künstler verbindet (indem er den bisher Unbekannten zu einem
Vorläufer oder Lehrer erklärt), hat er einiges zu gewinnen: Ihm wird
„Kennerschaft“ zugebilligt, ein „Insiderwissen“, er hebt sich aber auch
von der Oberflächlichkeit der glänzenden Kunstmärkte ab: der
Künstlerkünstler repräsentiert „Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit“,
schreibt Stefanie Kleefeld.
 
Der Hype um die „Künstler-Künstler“
erklärt sich aus dem Unbehagen an der zunehmenden Marktförmigkeit von
Kunst, ein Unbehagen, das selbst wieder in den Kreislauf der
Vermarktung eingespeist wird. Der obskure, schrullige Künstler, den
keiner kennt und der arm stirbt, wandelt sich plötzlich selbst „zur
markttauglichen Version der Künstlerexistenz“ (Kleefeld) .
 
Und sei es nur als Schrulligkeitskapitalist.

Ein Gedanke zu „Symbolische Insolvenzen“

  1. Symbolische Insolvenzen

    Schriften zu Zeitschriften. Das Wiener „Wespennest“ verkündet das Ende des Kapitalismus. „Texte zur Kunst“ entdeckt das Schrulligkeitskapital. taz, 8. Oktober 2008…

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