Der lachende Erste

Wenn die Welt westlicher wird, der Westen aber an Macht verliert: Fareed Zakaria schreibt die außenpolitische Doktrin für das postamerikanische Zeitalter. taz und Falter, März 2009

Im staatlichen chinesischen Fernsehen lief vor eineinhalb Jahren eine zwölfteilige Dokumentation über den „Aufstieg großer Nationen“. Die Reporter waren um die Welt geflogen und hatten recherchiert, wie die das machten, die Briten, Portugiesen, Spanier, die Russen, die Japaner und vor allem die Amerikaner. Was sie richtig, was sie falsch machten. „Die Hauptbotschaft der Serie lautet“, fasst Fareed Zakaria zusammen, „dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Nation zu Größe verhilft, Militarismus, imperiale Bestrebungen und Aggressionen dagegen in eine Sackgasse führen.“ Die chinesische Führung ist heute sehr gut darin, aus der Geschichte zu lernen.
„Der Aufstieg der Anderen“, heißt das neue Buch von Fareed Zakaria, dem indischstämmigen Chefredakteur von Newsweek International und Kommentator des TV-Senders ABC. Zakaria ist einer der klügsten Köpfe des diplomatischen Establishments der USA, und man darf sein Buch auch als Versuch lesen, eine außenpolitische Doktrin für die Obama-Ära zu schreiben – für eine Ära, in der die USA immer noch Hegemon sind, aber nicht mehr die alleinige Hypermacht. Noch lässt sich leichter definieren, welche Ära zu Ende geht, daher wählt Zakaria den Begriff des „postamerikanischen Zeitalters“.

Der kometenhafte Aufstieg Chinas und Indiens, aber auch die Fortschritte Brasiliens, Russlands und Mexikos waren zunächst ein wirtschaftliches Ereignis: der dramatischste Wohlstandsgewinn und die rapideste Machtverschiebung in der Geschichte. 2040 könnten die fünf fortgeschrittensten Schwellenländer eine größere Wirtschaftsleistung erbringen als die heutigen G7-Länder. Gewiss machen die dramatischen Unabwägbarkeiten der gegenwärtigen Finanzkrise solche Prognosen etwas sehr volatil. Aber die Prophezeiung wird nicht weniger realistisch, trifft doch die Kernschmelze an den Finanzmärkten im Augenblick Japan, die USA und Westeuropa stärker als China und Indien. Chinas gigantische Devisenreserven geben dem Land einen Spielraum, den andere Volkswirtschaften so nicht haben.
Aber Zakaria ist kein Ökonom, ihn interessiert eher die Mikrophysik der globalen Machtpolitik, die sich verändert. Ökonomisch sind die USA jetzt schon von China abhängig – China leiht den Amerikanern Geld, damit sie chinesische Produkte kaufen können. Freilich: Gemessen am Pro- Kopf-Einkommen ist China noch ein Entwicklungsland, Amerika bleibt die ökonomisch avancierteste Macht. Aber schon jetzt gibt es spürbare Machtverschiebungen.

Wenn früher ein Land in Schwierigkeiten war, musste es sich von amerikanisch dominierten Institutionen wie Währungsfonds und Weltbank die Bedingungen für Kredite diktieren lassen. Heutzutage springt immer häufiger China ein. Früher, schreibt Zakaria, hatte eine „aufstrebende Macht nur zwei Optionen: Entweder sie integriert sich in die westliche Ordnung, oder sie lehnt diese ab und wird zu einem Schurkenstaat.“ Heute gibt es einen dritten Weg: „Sie schließen sich der westlichen Ordnung an, allerdings zu eigenen Bedingungen – und gestalten das System dadurch selbst um.“ Dabei verdankt sich der Aufstieg natürlich, und das ist nicht ohne Ironie, der Anziehungskraft amerikanischer Ideen und der Verbreitung westlicher Technologien. Die Welt wird „westlicher“, zugleich verliert „der Westen“ aber seine Dominanz.

Amerika als Supermacht herauszufordern, daran hat weder China noch Indien auf absehbare Zeit Interesse. Im Gegenteil, China versuche seine Macht eher zu verstecken, als sie zu ostentativ zur Schau zu stellen. Die Strategie lautet: Konfliktvermeidung, weil alles dem Ziel des wirtschaftlichen Aufstiegs untergeordnet ist. Die Taktik: mit Geschick und Beharrlichkeit wirtschaftlich stark werden – die Verschiebung der Machtgravitation folge, ist man überzeugt, dann, aufgrund der schieren Größe, schon von selbst.
Wenn Amerika klug ist, kann es auch in einer solchen „Uni-Multipolarität“ Führungsmacht bleiben, so lautet das Resümee Zakarias, der als Gewährsmann für die richtige Strategie überraschenderweise Otto von Bismarck einführt. Der wollte Deutschland vor 120 Jahren zum Angelpunkt des internationalen Systems machen, indem er bessere Beziehungen zu allen Großmächten pflegte als diese untereinander. Für eine solche freundliche Hegemonie habe Amerika die besten Voraussetzungen. Amerika müsse nur lernen, mit den Augen der anderen zu sehen und seine Arroganz aufgeben.
Amerika könnte da der lachende Erste sein, wenn es den Holzhammer ein- und das Florett auspacken würde.

Ein Gedanke zu „Der lachende Erste“

  1. Ich denke, Amerika hat bereits den Holzhammer eingepackt und sich auf das wohlfeile dialogische Florettfechten verlegt. Ein Meisterstück dieser Art konnte die Welt mit der Videobotschaft des amerikanischen Präsidenten mitbekommen, die, finde ich, viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Hier eine kleine Analyse meinerseits: http://tinyurl.com/c8eje3 Wenn das ein Vorgeschmack auf die kommenden Umgangformen auf dem internationalen Parkett ist, werden einige sich umsehen und gewohnte Kommunikationspfade verlassen müssen. Spannend! Wer weiß, vielleicht erzeugt diese Art der Irritation sogar neue Lösungswege…

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