Erb gut!

Helga Nowotny und Giuseppe Testa erinnern daran: Das Individuum ist mehr als die Buchstabenfolge des Gencodes. taz, 12. März 2009

 

 

Ich und mein Genom – das ist eine komplizierte Beziehung. Jedenfalls hat der Fortschritt die Biowissenschaften die Dinge „nicht vereinfacht“, wie Helga Nowotny und Giuseppe Testa in ihrem schmalen Suhrkamp-Band über die „Erfindung des Individuums im molekularen Zeitalter“ schreiben. Wenn man sein Genom kennt, weiß man dann besser, wer „man“ ist? Eher nein: „Das Genom wurde zum säkularen Äquivalent der Seele“, zitieren die Autoren Alex Mauron. In der öffentlichen Diskussion herrscht eine diffuse Form „des genetischen Essentialismus“.

 

„Ich“ ist meine Genstruktur, der soziale Kontext, in dem sich das genetisch Wesentliche entfaltet, gerät in den Hintergrund. Und weil heute das Leben „lesen“ können auch das Leben verändern können heißt, wird diese Möglichkeit angesichts solchem Essentialismus sofort als Gefahr für das Ich gesehen. Je mehr wir eingreifen können, in das was als „Ich“ gilt, umso mehr wird das reine, saubere Selbst hochgehalten – die „Natürlichkeit“ gegen die „Künstlichkeit“. Man sieht das schon an der „Fiktion des Natürlichen“ im Sport, bei dem neuerdings nicht nur das Doping verboten ist – beim New Yorker Marathon wurde sogar das Tragen einen iPods untersagt, weil musikalischer Stimulus biochemische Reaktionen auslöst. Aber schon dieses Exempel zeigt, dass die Grenze zwischen „natürlich“ und „künstlich“ kaum zu ziehen ist – denn sind diese biochemischen Reaktionen etwa nicht „natürlich“?

 

Es ist ein kluges kleines Bändchen, das die beiden Autoren in der Edition Unseld da vorgelegt haben, interdisziplinär im besten Sinn. Helga Nowotny, Vizepräsidentin des Europäischen Forschungsrats, ist eine große Nummer am Feld der Wissenschaftsforschung, Giuseppe Testa ist Onkologe und Stammzellenforscher. Sie diskutieren neben den essentialistischen Mythologien, die da über die Hintertür hereinkommen, die Fragen der Wissenschaftsethik, des Rechts am Genom, aber ebenso die Indizien, die dafür sprechen, dass der Fortschritt der Biomedizin den Blick auf uns selbst verändert. Man sieht sich, wenn man über das Risiko Bescheid weiß, an etwas zu erkranken, schon als krank an. „In der Erfahrung der Betroffenen werden die Krankheit und das Risiko, daran zu erkranken, zu ein und demselben Zustand“. Symptomatisch dafür ist der Fall jener Frau mit hoher Risikodisposition für Brustkrebs, die sich nach reiflicher Überlegung beide Brüste prophylaktisch operieren ließ.

 

Die moderne Lebenswissenschaft wird keine Frankensteins züchten. Eher wird sie nach Ingenieursart hier neue genetische Schaltkreise einbauen, Gene ein- und ausschalten – designerhaft und jederzeit revidierbar. Aber das „Leben“ wird dadurch natürlich dennoch verändert. Es ist auch nicht so, dass es auf der einen Seite „die Wissenschaft“ gäbe und auf der anderen Seite die Ethikräte, die sich längst überall etabliert haben. Die Wissenschaft – und übrigens auch die Industrie – bauen mögliche ethische Vorbehalte schon in ihr Tun ein. So wurde ein Typus embryonaler Stammzellen entwickelt, in dem ein Gen deaktiviert ist, sodass sich diese Zell-Entität nie in Richtung eines menschlichen Embryos entwickeln könnte – nur, um das Aufkommen ethischer Bedenken schon im Voraus zu verhindern. Leicht denkbar, dass auch die Industrie einen ähnlichen Weg einschlägt: Firmen, die monopolistisch auf Gen-Eigentum sitzen, werden Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit bekommen, Firmen dagegen, die flexible Kunden-Dienstleisterstrukturen vom Web 2.0-Typus etablieren, werden mit weit weniger Misstrauen rechnen müssen.

 

Nowotny und Testa haben ein steckenweise nicht leicht zu lesendes, aber angenehmes Buch geschrieben, das als Stichwortverzeichnis für Alarmismus nicht taugt, eher zur Entspannung hypermoralischer Diskurse. „Ich“ ist mehr als nur mein Genom. Gewiss stellen sich heikle Eigentumsfragen und es sind auch immer moralische Abwägungen nötig – die, da die Moral heutzutage glücklicherweise im Plural auftritt, Aushandlungsprobleme aufwerfen – aber das „Selbst“ steht nicht zur Disposition. Das „Ich“ ist nicht nur das Genom, und es ist immer schon durch äußere Einflüsse modelliert – das reine monadische „Ich“ mit seiner radikalen Natürlichkeit ist ein individualistischer Mythos, der, karikaturhaft umschlägt, wenn man zu dem Schluss käme, das „Individuum“ wäre durch die endlose Buchstabenfolge des Gencodes auch nur annähernd charakterisiert.

 

Helga Nowotny / Giuseppe Testa: Die gläsernen Gene. Die Erfindung des Individuums im molekularen Zeitalter. Edition Unseld, Suhrkamp-Verlag, 2009, 160 Seiten, 10 Euro

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.