Innerlich gelähmt

Jetzt zahlt die Linkspartei den Preis für die Fusion mit frustrierten, sektiererischen Westlinken. taz, 19. Mai 2009

 

 

Wenn man heutzutage ein Gespräch über die Finanzkrise führt, stellt meist sehr bald einer der Konversationspartner die Frage: Warum kann die Linke eigentlich nicht profitieren? Damit ist gelegentlich „die Linke“ im Sinne von „die Linken“ gemeint, also als weltanschauliche Strömung, oder „die Linke“ als „die Linke“, also die Partei. Auf diese Frage kann man dann eine Reihe kluger, feinzieselierter Antworten geben, etwa, dass die Bürger in Momenten der Unsicherheit oft auch zum Vertrauten tendieren und auch noch drei, vier andere treffende Argumente anführen. Man könnte aber auch darauf hinweisen, dass die Partei „Die Linke“ im Moment ihrer größten Chance innerlich gelähmt ist.

 

Einzelne „Realpolitiker“ kehrten der Partei in den letzten Tagen den Rücken. Noch viel mehr sind frustriert oder in der inneren Emigration. Das betrifft aber nicht nur Mainstream-Realos, die ihre Partei zu einer sozialdemokratischeren Sozialdemokratie machen wollen, sondern auch die vielen unorthodoxen Linken, die darauf hofften, ihre Partei könnte ein produktives Sammelsurium aus Keynesianern, schrägen, hippen Junglinken, eigensinnigen Milieus der dot.com-Generation und unkonventionellen Lebenskünstlern werden. Für sie alle stellt sich die Frage, ob der größte „Erfolg“ der Linkspartei nicht ein Weg in die Sackgasse war.

 

Mit dem Eintritt Oskar Lafontaines und der Fusion mit der WASG gelang der Partei die Westausweitung. Sie erbte dafür aber auch alle Frustrierten und alle Sektierer der westdeutschen Linken. Alle Verlierer der Geschichte, die schon ein habituelles Ressentiment gegen Modernisierung jeder Art haben, die bei jedem unkonventionellen Gedanken das Kapitulantentum vor dem Klassenfeind wittern und die nach K-Gruppenart jeden, der eine Nuance anders denkt als sie als bekämpfenswürdigen Gegner sehen. Man muss nicht lange mit Spitzenfunktionären dieser Partei reden, um zu spüren, wie viel Animosität sich zwischen den Parteiströmungen aufgestaut hat. Das Parteiklima ist miserabel. Wie soll da noch produktive Politik möglich sein?

 

Seit vielen Monaten schon prognostizieren Beobachter, dass dieses Gemisch mal explodieren müsse. Dass dies bis dato noch nicht geschehen ist, liegt an der Kompromissbereitschaft der Realisten. Realisten sind gerne kompromissbereit, weil sie finden, dass ein großer Krach mehr schadet als nützt. Sektierer sind nie kompromissbereit, weil eine kleine, verengte Partei, die exakt ihre Meinungen vertritt und keine anderen, das ist, was sie sich wünschen. Deshalb haben relativ wenige Sektierer oft die Möglichkeit, relativ vielen Realisten ihre Meinungen aufzuzwingen. Ihr Erpressungspotenzial ist einfach höher. Wenn der Realist mit Krach droht, sagt sich der Sektierer: Droh Du nur, ich weiß ja, Du willst keinen Krach. Wenn der Sektierer mit Krach droht, weiß der Realist: Der meint es ernst, weil der liebt das innerparteiliche Gehaue. Der Sektierer weiß, der Realist wird sich nicht einmal wehren, wenn er ihm alle seine Leute von der Kandidatenliste räumt.

 

Sicherlich haben die Maximalisten ein scheinbar „realpolitisches“ Argument auf ihrer Seite: Wenn plötzlich alle wieder für einen aktivistischen Staat sind, dann muss man draufsatteln und noch eine Prise schärfer sein, als die anderen, um die „Unique Selling Proposition“ zu wahren. Eine solche Argumentation paart jargonhaften Antikapitalismus mit der Logik der Markenartikler auf kurioseste Weise. Aber das ist nur die komische Seite der Sache. Eine Partei, die ihre politische Linie für richtig hält und die diese auch glaubwürdig zu vermitteln versteht, würde den Umstand, dass sich andere ihrer Programmatik annähern, nicht als Bedrohung erleben, sondern eher als Bestätigung. Ist das Gegenteil der Fall, werden die Wähler an der Ernsthaftigkeit einer solchen Partei Zweifel hegen. Und das ist, gerade in ernsteren Zeiten, keine Empfehlung.

 

Dabei geht es, nur um nicht falsch verstanden zu werden, nicht um Forderungen wie einen Mindestlohn von 10 Euro. Für einen solchen spricht manches. Es geht eher um eine Haltung. Die graustichigen Opa-Sozialisten diktieren. Darin steckt ein Schuss Tragik, da es heute ein erstaunliches Maß an Offenheit gegenüber „Der Linken“ gäbe. Selbst im bürgerlichen Milieu sind längst viele zu der Einsicht gelangt, dass die wirtschaftlichen Konzepte, die vor elf Jahren der Finanzminister Oskar Lafontaine und sein Staatssekretär Heiner Flassbeck propagierten, die Richtigen sind. Aber was ist eigentlich aus Lafontaine geworden? Statt die Partei zum Protagonisten dieser Ideen zu machen, erweckt der frühere SPD-Chef und Saarland-Ministerpräsident heute allzu oft den Eindruck, als protegiere er alle Irren, die bei jeder K-Gruppen-Spaltung in den vergangenen dreißig Jahren im Westen mit von der Partie waren. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, freilich einer, an dem nicht viel lustig ist. Nach zwanzig Jahren neoliberaler Dominanz ist eine Linke, die sich selbst politikunfähig macht, so sinnvoll wie ein Kropf.

 

Weil das alle Kraft absorbiert, kann die Linke von der gegenwärtigen gesellschaftlichen Orientierungskrise nicht profitieren. Was wäre, knapp gesagt, heute ein Leitmotiv für eine moderne linke Kraft? Ein renovierter Keynesianismus, der aber nicht den Formatierungen der siebziger Jahre nachhängt, sondern der die Freiheitsgewinne versteht, die der Postfordismus auch mit sich brachte. Einer, der erklärt, warum „mehr Staat“ nötig ist, und vermittelt, dass er die Gefahren eines simplen Etatismus durchaus kennt. Meinetwegen: Ein linker Linksliberalismus. Oder ein linksliberaler Sozialismus. Dass der schwer zu realisieren ist, ist die eine Sache. Dass man dahin mit Sicherheit nicht kommt, wenn man in die Gegenrichtung marschiert, ist aber so sicher wie das Rotfront im Gebet von Lafontaines Freaks.

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