Kapseln für’s digitale Suproletariat

Schriften zu Zeitschriften. „Texte zur Kunst“ umkreist das Leben im Neoliberalismus, „dérive“ zeigt, wie man in ihm wohnt. taz, 4. Mai 2009

 

Von David Brooks, dem liberalkonservativen amerikanischen Autor stammt das Bonmot, dass die Gegenkultur ökonomisch verloren, aber kulturell gesiegt habe. Brooks, ein Meister jener Art von Ironie, die von Sarkasmus nicht immer leicht zu unterscheiden ist, meint damit, dass Hippies, Sechziger-Jahre-Rebellen und radikale Künstler zwar mit ihren antikapitalistischen Flausen gescheitert seien, aber dafür eine Welt geschaffen haben, in der „Kreativität“, „Freiheit des Lebensstils“ und ostentative Ungezwungenheit hohe Güter sind. Aus der Utopie wurde ein Bobo-Paradies.

 

In dem wurden bis vor kurzem Kunstwerke wie Immobilien oder Aktien gehandelt, und werden, mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte, nun folgerichtig „wie toxische Wertpapiere gemieden“, wie es im Vorwort zum aktuellen Heft von „Texte zur Kunst“ heißt, das schon vorausblickend „Nach der Krise“ heißt. Da aber die Voraussage der Zukunft noch viel schwieriger ist als die Prophezeiung der Vergangenheit, geht es im Inneren eher um das was war und „die Krise“ wird eher umkreist. Etwa im Text von Isabelle Graw über Andy Warhol mit dem Titel: „Wenn das Leben zur Arbeit geht.“ Warhol wird da, was natürlich nicht die originellste Neuigkeit ist, als begründende und gleich auch unübertroffene Figur einer Tendenz gezeigt, in der der Künstler sich zur „Celebrity“ stilisiert und mit seiner gesamten Person, seinem ganzen Leben zum Teil seines von ihm geschaffenen „Werkes“ wird. Er wird zur „Blaupause für postfordistische Verhältnisse“, der Neoliberalismus schreibt sich ins Leben ein, und das macht ihn schließlich so erfolgreich: „Er bringt uns dazu, seine Ideale zu internalisieren.“

 

Kreativ sein, auf eigene Rechnung arbeiten, schöpferische Zerstörung – das sind die Catchphrasen. Man glaubt diese Ideologie nicht nur (mehr noch, es ist sogar relativ unerheblich, ob man sie glaubt oder ablehnt), solange man in ihr lebt – in eminenten Sinne. Stichwörter dazu gibt es auch im Gespräch zwischen Thomas Lemke, Maria Muhle und André Rottmann über „Biopolitik“, das man, wie nahezu das gesamte Heft, mit mehr Freude lesen würde, wäre es etwas weniger jargonhaft.  

 

Wenn alles leben arbeiten ist, hinterlässt das auch Spuren in der Stadt. Davon handelt die jüngste Ausgabe von „dérive“, der ambitionierten „Zeitschrift für Stadtforschung“ aus Wien. Neue Unternehmensorganisationen führen auch zu neuen Architekturen. Ein frühes, avanciertes Exempel dafür ist, wie Gabu Heindl in ihrem Aufsatz „Das Leben in Zellen“ schreibt, „die niederländische Versicherungsfirma Interpolis, in deren Hauptquartier in Tilburg rund zwanzig KünsterInnen eingeladen wurden, die unterschiedlichenBbereiche des großen Gebäudes zu gestalten. Die ArbeitnehmerInnen dürfen – manche sagen auch „müssen“ – jeden Tag neu entscheiden, wo sie sich mit ihren mobilen Büro-Accessoires für die Arbeit des Tags niederlassen“.

 

In der Ära der „Flexibilität“ geht es um „das architektonische Konzipieren von urbanem Nomadismus“ – im Büro, aber auch in der Stadt, in der jeder Ort ein potentielles Büro wird. Das ist die unromantische Seite des Nomadismus. Wie weit das führen kann, zeigen „Sheep Boxes“ in Japan, die nicht viel größer sind als Porno-Videokabinen, in denen es Bürostühle gibt, die sich in Liegeposition klappen lassen, plus Computer mit Internetzugang und DVD-Laufwerk, in denen sich Pendler und Zeitarbeiter, die sich kein Hotelzimmer leisten können, stunden- oder nächteweise einmieten. Kapseln für das digitale Subproletariat, für das im Bobo-Paradies kein Platz ist, und für das die siegreiche Niederlage der Gegenkultur nicht einmal ein halber Gewinn ist.

 

Texte Zur Kunst: Nach der Krise. März 2009. Berlin. 15 Euro

dérive: Schwerpunkt: Arbeit Leben. Jänner-März 2009, Wien. 5,50 Euro

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