Ökonomie – eine Gefühlssache

Die beiden Starökonomen George A. Akerlof und Robert J. Shiller beschreiben, wie sich Emotionen im Boom entwickeln und wie schlechte Stimmung eine Krise vertieft. Berliner Zeitung, Mai 2009

 

Die Investitionstätigkeit, schrieb John Maynard Keynes in seiner berühmten „General Theory“, hänge von „animal spirits“ ab, von den „tierischen Instinkten“ der Wirtschaftssubjekte. Ob sie aktiv werden oder nicht – ob sie kaufen oder nicht kaufen, sparen, investieren etc – ist keine Sache kühler Kalkulation sondern von Gefühlen, vom allgemeinen Betriebsklima, von Herdentrieb. Das war damals eine ganz neue Sprache in der Ökonomie. Die Wirtschaft – eine Gefühlssache?

 

Mittlerweile weiß das fast jeder: Der Mensch ist nicht nur der Homo Economicus, der nur nach Nutzenskalkül entscheidet, er ist impulsiv. Mit dabei sein wollen, der Wunsch, fair behandelt zu werden und so weiter, all das sind Kategorien des Ökonomischen. „Animal Spirits. Wie die Wirtschaft wirklich funktioniert“, haben daher die beiden Starökonomen George A. Akerlof und Robert J. Shiller ihr Buch genannt. Akerlof ist Wirtschaftsnobelpreisträger, Shiller unerrichtet in Yale und war einer der wenigen, die ziemlich exakt voraussagten, dass die Immobilienblase platzen und was dann geschehen würde. Man darf also getrost voraussetzen, dass die beiden etwas zur Lage zu sagen haben, in der wir gerade stecken.

 

Vertrauen ist so eine Kategorie der Psychologie des Ökonomischen. „Wenn die Menschen zuversichtlich sind, gehen sie in die Stadt und kaufen ein; wenn sie skeptisch sind, ziehen sie sich zurück und neigen dazu, Teile ihres Vermögens zu versilbern“. Die Leute kaufen eine bestimmte Aktie, wenn viele Menschen eine Aktie kaufen – oder wenn sie erwarten, dass viele Menschen erwarten, dass viele Menschen eine Aktie kaufen. Herdentrieb und Herdentrieb zweiter Ordnung bestimmen das Betriebsklima an den Finanzmärkten. Und auch wenn die Virtualität der Kapitalmärkte wenig mit der Realwirtschaft zu tun hat, so sind die Rückkopplungseffekte doch ganz „real“. Wenn Leute sich nur reich „fühlen“, konsumieren sie mehr, haben sie virtuell „verloren“ – und sei es nur, was sie ohnehin nie materiell besessen haben – geben sie weniger aus. Die Nachfrage bricht ein. Eine Abwärtsspirale schraubt sich nach unten.

 

Überall in der Ökonomie ist Emotion im Spiel. Auf Warenmärkten spielt Image eine Rolle, dabei funktionieren Warenmärkte noch einigermaßen „rational“ – sinkt die Nachfrage, gehen die Anbieter mit dem Preis herunter. Auf dem „Markt“ der „Ware Arbeitskraft“ ist die Sache deutlich verzwickter. „Waren sind weitaus einfachere Tauschobjekte als Arbeitsleistungen. Im Gegensatz zu Arbeitnehmern, die unglücklich werden, wenn sie ihren Lohn für zu niedrig halten, sind Güter unbelebt und haben keine Emotionen.“ Arbeitnehmer haben ja nicht nur einen materiellen Nachteil, wenn ihre Löhne sinken, sie fühlen sich möglicherweise auch noch unfair behandelt. Deshalb ist auch die Deflation, also ein allgemeines Sinken des Preisniveaus so gefährlich – und diese Gefahr droht zur Zeit. Denn wenn die Wirtschaft in eine Krise gerät, haben die Unternehmen weniger Einnahmen, wenn dann auch noch die Preise sinken, haben sie noch weniger Einnahmen. Aber die Nominallöhne bleiben in der Regel gleich hoch, was Reallohnzuwächsen entspricht. Kürzungen der Nominallöhne würden Beschäftigte aber als unfair erleben, selbst wenn die Reallöhne gleich blieben. Deswegen vermeiden sie Unternehmen, weil sie ansonsten vielleicht unmotivierte Beschäftigte hätten. Reallohnverluste werden dagegen oft nicht einmal wahrgenommen, wenn sie durch eine mäßige Inflation von zwei, drei Prozent verursacht werden. Mäßige Inflation und Deflation sind deshalb unterschiedlich gefährlich, weil wir sie psychologisch anders erleben. Erst bei einer hohen Inflationsrate von über zehn Prozent ändert sich das, weil dann die Beschäftigten beginnen, die Preisexplosion in ihre Lohnforderungen einzukalkulieren – dann ist Hyperinflation die Folge, weil dann die Lohnkostenzuwächse ihrerseits auf die Preise aufgeschlagen werden, dann schaukelt sich das Drama hoch. Der Wunsch, fair behandelt zu werden, Geldillusion, Zukunftsvertrauen – all das sind Gefühle mit ökonomischen Implikationen.

 

Aber die Sache ist damit noch nicht erledigt. Auch Geschichten, die wir uns erzählen, der Geist der Zeit hat Auswirkungen. Wenn Gerissenheit zu einer Tugend erklärt wird, die Ähnlichkeiten mit dem Sportsgeist hat, dann verändert das auch das Funktionieren der Ökonomie. Was zu anderen Zeiten „Korruption“ genannt würde, wird dann plötzlich als bloß schlampiger, wenn nicht gar „flexibler“ Umgang mit Regeln betrachtet. Macht ja jeder so – und schon nimmt man auch die eigenen hehren Grundsätze nicht mehr ganz ernst. „So wie sich Krankheiten durch Ansteckung verbreiten“, schreiben die Autoren, „so verbreiten sich auch gesellschaftliche Stimmungen, der Aufbau oder Verlust von Vertrauen. In der Tat können Vertrauen oder Vertrauensdefizite so ansteckend sein wie eine infektiöse Krankheit“. Eine schöne Beschreibung der Zockerstimmung, die sich in den letzten Jahren ausgebreitet hat. „Die Öffentlichkeit erkennt diese Korruption aber größtenteils erst später“. Dann werden die, die davor noch bewundert wurden, als Gier-Banker an den Pranger gestellt. Immer wieder wandelten sich in der Geschichte der Ökonomie gesellschaftliche Stimmungen und mit ihnen die Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählten.

 

Krisen entstehen, wenn sich mentale Denkmuster ändern – und wenn die Krise ausbricht, ändern sie sich wieder. Wie das im Einzelnen funktioniert, welche Folgen und Nebenfolgen das hat, das beschreiben Akerlof und Shiller auf sehr plastische Weise – in einem popularen Stil im besten Wortsinn. Die amerikanische akademische Wissenschaft, das muss einmal gesagt werden, hat keine Scheu davor, maximal verständlich zu schreiben, ohne die Dinge zu versimpeln – eine Tugend, in der die beiden Starökonomen Meister sind. Ein höchst lesenswertes Buch – gewinnbringende Lektüre, auch wenn sie keine direkte Rendite verspricht.

 

George A. Akerlof / Robert J. Shiller: Animal Spirits. Wie die Wirtschaft wirklich funktioniert. Campus Verlag, Frankfurt / M., 2009. 300 Seiten. 24,90 Euro

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