Wir Gestörten

Kommunikation ist ein Rauschen, das vor allem aus Irritationen besteht. Manche SMS zielt direkt in unser Gehirn. Aber das größte Desaster ist ein Handy, das niemals klingelt. Der Freitag, 25. Juni 2009

 

 

 

Das Handy klingelt. „Stör ich?“, fragt der Redakteur am anderen Ende der Leitung. Man weiß ja nie heute, wo der gerade ist, den man anruft. Früher war das simpel: Rief man einem im Büro an, und er hob ab, dann war der logischerweise im Büro. Heute kann er überall sein: Im Bett. Im Restaurant. Am Klo. Heute sind wir alle Gestörte. Böse Zungen würden hinzufügen: In des Wortes vielfacher Bedeutung. Wenn wir mit Freunden spätabends am Kneipentisch sitzen, haben garantiert vier von sechs ihre Handys und Smartphones vor sich liegen. Man merkt schnell, wann dem Gegenüber das Gespräch zu langweilen beginnt: Wenn er seine Mails „checked“, wie man so schön sagt. Ist der Dialog intensiver, heißt das nicht unbedingt, dass er ungestört verläuft. Oft läutet das Telefon. So, wie wir unseren Fundus an technischen Gadgets aufgerüstet haben, so haben wir auch unser gestisches Repertoire aufgerüstet. Mal nehmen wir nicht ab und stellen das Telefon auf lautlos, mit dem lässigen Heroismus, der dem Gegenüber signalisiert: Du bist mir jetzt wichtiger als dieser Anruf. Mal nehmen wir den Anruf entgegen, während wir unserem Gegenüber mit unserer Mimik signalisieren, dass uns das jetzt wirklich leid täte, es aber nicht zu ändern sei. Aber wer nie gestört wird, wird natürlich auch nicht froh. Denn das Läuten ist auch der Soundtrack unserer Bedeutung. Ansehen wird nur gewinnen, wessen iPhone auch noch um 23 Uhr klingelt – wobei natürlich nicht der Anruf der Uralt-Freundin Uschi prestigefördernd ist, sondern nur der Call von einem Typen, der irgendetwas Interessantes macht. Schlußendlich gilt: Das größte Desaster ist ein Handy, das niemals klingelt.

Es ist ja fast auch Mode geworden, die permanente Erreichbarkeit und die Überflutung mit „Überkommunikation“ zu beklagen. Aber wer würde sie schon kappen wollen, die Fäden, die uns mit der Welt verbinden? Klar, da gäbe es ein paar, die würden viel dafür geben, wenn das möglich wäre. Mahmud Ahmadineschad ist gegenwärtig ein heißer Anwärter. In Ausnahmesituationen, wie gegenwärtig im Iran, sehen wir, was wir an den Kommunikations-Tools haben: Werden die SMS-Dienste abgestellt, dann gibt es immer noch Twitter, damit sich die Gehör verschaffen, denen man die Stimme gestohlen hat.

 

Heute, wo wir alle vernetzt sind, steht der Begriff „Netzwerk“ für ungezwungene, horizontale Assoziation, für spielerisches Trial und Error, für den schrankenlosen Zugang zu allem Wissen, aber auch für die Möglichkeit eines jeden, sich jederzeit Gehör zu verschaffen. Er ist der Kontrastbegriff zur starren, vertikalen Hierarchie. Steht letztere für „Kommando“, steht das Netzwerk für „Kommunikation“. Die Netzmetapher ist entschieden positiv besetzt. Dabei ist es gerade erst einmal zwanzig Jahre her, da war „Netz“ eher eine Metapher für „Zwangsstrukturen“, aus deren Maschen es „für das Individuum kein Entrinnen“ gäbe, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello erinnern. Wer an Netzwerke dachte, dachte an Sizilien: Mafia, Ränkespiel, Eine-Hand-wäscht-die-andere.

 

Netzwerk meint vor allem Fäden der Kommunikation, und die verbinden uns mit anderen, aber in denen verfängt man sich natürlich auch. Ohnehin, Kommunikation, das klingt so gut: Ist ja prima, wenn die Leute miteinander reden. Freilich, sieht man sich Kommunikation genauer an, dann ist sie voller Pathologien. Man muss nur in die Ratgeber-Abteilung der Buchhandlungen gehen, dann sieht man, wie instrumentell Kommunikation geworden ist. Da stapeln sich die Lebenshilfe-Fibeln, die einem helfen wollen, das Sozialkapital zu maximieren. „Sprechen sie mit niemanden länger als drei Minuten“, rät eine. In eine Stunde bringe man so zwanzig Dreiminutenkontakte unter. Längere Gespräche seien ineffektiv, lasse ich mich belehren. Der Gewinn stünde in keinem Verhältnis zum Verlust, wenn man sich verplaudert und nur mehr mit 15 Personen pro Stehempfang-Stunde redet.

 

Kommunikation kommuniziert und wir stellen sie uns besser nicht als Dialog vor, sondern eher als Rauschen, das uns umgibt und zu dessen Geräuschkulisse wir beitragen. Die zunehmende Zahl an Kanälen versorgt uns mit Information, aber auch mit Irritation. Man spricht, telefoniert, fragt Mails ab, scannt durch die Twitter-Meldungen, denen man folgt und vertieft sich in Facebook-Statusmeldungen. Oft ist das einfach Zerstreuung. Oft lenkt uns die ab, sinnvolleres zu tun. Oft lenkt sie uns nur ab, wenn wir ohnehin nichts anderes zu tun haben. „Was habe ich eigentlich in Wartezeiten gemacht, bevor es Facebook gab?“ fragte unlängst eine meiner virtuellen Freundschaften. Aber oft schießen Nachrichten direkt und ungefragt in unser Gehirn, wo sie die Synapsen aufs Wirrste verschalten. Was ein entspannter Spaziergang hätte werden können, wird zum grüblerischen Gestapfe, wegen dieser einen SMS, die uns am Feldweg erreichte. Vielleicht war ihr Inhalt unerfreulich, vielleicht hat sich der Absender nur im Ton vergriffen, vielleicht auch haben wir sie nur falsch verstanden: Kurznachrichten klingen oft verdammt anders, als sie der Absender gemeint hat, sie sind Störfälle, ohne dass es immer einen Störer geben müsste, oft gibt es nur die Gestörten.

 

Für den Systemtheoretiker Niklas Luhmann war Kommunikation ein selbstreferentielles Rauschen, für das die kommunizierenden Individuen zwar notwendig, aber nicht relevant waren, und in dem Störungen zumindest soweit produktiv waren, als sie wiederum Ausgangspunkt anderer Kommunikation waren. Luhmanns Perspektive, die mit vernünftigen Subjekten nichts anfangen konnte, war natürlich der Gegenentwurf zu Jürgen Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns, für die Kommunikation der einzige, sichere Zufluchtsort vernünftigen Handelns war. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass Menschen nicht unvernünftig kommunizieren können, aber doch, dass Kommunikation zumindest der Unterstellung bedinge, dass man von Gleich zu Gleich spräche und vernünftiger Rede zugänglich wäre – dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“. Und doch gibt es eines, was die beiden verbindet: Für Luhmann ist Kommunikation ein auf Autopilot prozessierendes System – wie alle anderen Systeme auch -, weshalb „Störungen“ den Selbstlauf des Systems unterbrechen, oder besser: am Beginn eines neuen Selbstlaufs stehen. Für Habermas ist Kommunikation der letzte Ankerplatz der Vernunft. In beiden Fällen ist die Konnotation also entschieden positiv.

 

Man tut sich freilich schwer, beides mit unserer zeitgenössischen Art der medialisierten Dauerkommunikation in Einklang zu bringen. Mal senden wir, mal empfangen wir, aber immer seltener haben wir mit dem Gegenpart etwas zu tun. Wir senden, um Aufmerksamkeit zu erregen und in der „Aufmerksamkeitsökonomie“ zählt manches, aber das „bessere Argument“ ist nur eine der kleineren Münzen. Viel mehr wert ist die steile These des modernen Marktschreiers. Kommunikationsschwärme rotten sich zusammen, nicht ganz zu Unrecht wurde dafür schon das böse Wort vom „Mob 2.0″ erfunden. Aufmerksamkeit wird durch Kommunikation generiert, übersetzt sich in Klicks und damit in geldwerte Einkommen. Auch dem Setting von Fernsehtalkshows kommt man analytisch nicht bei mit der Unterstellung, sie beruhten auf dem Konsens zur vernünftigen Rede – ihr Betriebsklima ist von „Eindruckskonkurrenz“ geprägt, sodass jener gewinnt, der am besten dabei „wirkt“, wenn er möglicherweise den größten Schwachsinn sagt oder in gekonnter NLP-Art am Thema vorbeiredet. Weshalb man natürlich nicht mit dem Gesprächspartner kommuniziert, sondern mit den Zusehenden.

 

So ist heute durchaus fragwürdig, ob sich überhaupt noch behaupten lässt, dass Störungen produktiv sind, weil sie das gleichförmige Rauschen der Kommunikation unterbrechen – oder ob nicht längst ein Gutteil der zeitgenössischen Kommunikation aus Störungen, Gesprächsverweigerungen und missverstandenen Botschaften besteht. Womöglich muss die Produktivität der Störung heute auf einer anderen Ebene verortet werden. Gewissermaßen negativ: Wer wollte ungestört sein? Ungestörtheit gibt es heute freilich immer noch. Man nennt sie, wie einst, Einsamkeit.

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