Niedergeschrieben

Eine sympathische Plaudertasche, die sich manchmal verplappert. Gesine Schwan im Spin der „unabhängigen“ Berichterstattung. Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, Juli 2009

 

Politik ist manchmal ein sehr unerfreuliches Geschäft. Redet einer nur gestanzte, einstudierte Sätze, dann gilt er schnell als fad und unauthentisch. Aber auch, wer mal originell und pointiert formuliert, wird nicht automatisch froh: Ist doch der politische Gegner und der kritische Journalismus meist fest entschlossen, so jemanden misszuverstehen. Hinzu kommt: Taktiert der Kandidat oder die Kandidatin, wird mit Sicherheit bald der Vorwurf der Berechnung laut. Tut er oder sie es nicht, rümpfen die Beobachter ebenso die Nase und sprechen ihr Urteil: Nicht geeignet für die Nahkampfzone Politik. Bemüht sich ein Amtsanwärter um jede Stimme, ist er bestimmt opportunistisch, tut er es nicht, dann ist er ein Loser-Typ. Außer er gewinnt damit: dann ist er natürlich ein Winner, denn entscheidend ist, was hinten raus kommt.

 

Winner wird er natürlich nicht so schnell, besonders wenn er eine sie ist und über keine Machtbasis verfügt. Ist er ein Mann mit Macht, ist das natürlich anders, dann hat er ja Einschüchterungspotential, aber eine Frau vom Rande des Polit-Business hat das natürlich nicht und die ist natürlich eine gute Gelegenheit für Berichterstatter und Kommentatoren, zu zeigen, dass sie ganz mutige, rotzfreche Typen sind.

 

Wenn man diese Funktionslogik einmal begriffen hat, dann hat man auch schon verstanden, warum der Wahlkampf von Gesine Schwan um das höchste Amt der Republik so gelaufen ist, wie er gelaufen ist. Gewiss hat Frau Schwan auch eigene Fehler gemacht. Etwa, dem „Spiegel“ ein freundliches Interview gegeben, als schon klar war, dass man sie niederschreiben, auf’s Glatteis führen will. Dass sie Lafontaine einen Demagogen genannt habe, sei „ein kleiner Fehler“ gewesen, räumte sie darin ein, und: in Hinblick auf eine ohnehin sehr leise Kritik an Amtsinhaber Horst Köhler würde sie „heute eine andere Formulierung wählen“. Gerade, dass sie sich gegenüber den ebenso strengen wie hochnäsigen  „Spiegel“-Vernehmern nicht dafür entschuldigt hat, dass sie das Wort von „sozialen Unruhen“ in den Mund genommen hat.

 

Dem Amtsinhaber würde natürlich nie jemand so nahe treten, das ist ja klar, und dass er Finanzmärkte jetzt als „Monster“ betrachtet, das ist doch schön. Klar wäre es noch schöner gewesen, wenn er das schon bemerkt hätte, als er IWF-Direktor war, aber das wäre doch pingelig, darauf herumzureiten, Hauptsache einer lernt etwas dazu.

 

Im Ernst: Natürlich, Horst Köhler ist keine Katastrophe und die Liste seiner Sünden ist lässlich. Übertriebene Stilsicherheit muss man ihm deswegen noch lange nicht attestieren, dafür gibt es keinen Anlass, wie er gerade eben wieder bei seiner Rede zum Grundgesetz-Jubiläum gezeigt hat, als er in langen Passagen an die Vertreibungen erinnerte aber eher nur knapp und kursorisch auf die eigentliche historische Basis des Grundgesetzes einging: auf seinen Charakter als Negation auf deutsche Verbrechen. Aber man stelle sich vor, wie lange Frau Schwan einzelne Formulierungen hätte korrigieren und wie penibel sie eigene Fehler hätte eingestehen müssen, wäre eine ihrer Reden so aus dem Ruder gelaufen.

 

Hat man einer einmal ein Image verpasst, dann klebt das fest. Und bei Frau Schwan war es das Image der sympathischen, intellektuellen Plaudertasche, die ungeschützt daherredet und manchmal ganz kluge, aber manchmal eben auch recht unüberlegte Sachen sagt. Man kann sagen: das wird persönlich Gesine Schwan nicht gerecht und ist ziemlich gemein. Andererseits: So ist das eben in der Politik. Spin-Doktoren werden gut dafür bezahlt, Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die der Konkurrenz schaden. So ist da nun einmal. Und Universitätslehrer sind punzierbar, da braucht die SPD nicht weinen, mit einer Kampagne gegen einen „Professor aus Heidelberg“ hat sie einmal schon eine fast sichere Niederlage abgewendet.

 

Ob es von Seiten der SPD eine so gute Idee war, Gesine Schwan noch einmal ins Rennen zu schicken, darüber kann man natürlich diskutieren. Ihre Chancen, in der Bundesversammlung eine Mehrheit zu finden, waren von Beginn an minimal und auch dann nur gegeben, wenn sie nicht nur Stimmen der SPD und der Grünen, sondern auch der FDP bzw. der Linken auf sich vereinen hätte können. Man hat auf die Signalwirkung einer solchen Mehrheit gehofft, aber eigentlich keine Antwort auf die Frage gegeben, wie denn eine solche Mehrheit zustande kommen sollte, ohne dass sie politisch vorbereitet ist. Jedenfalls, „in der Luft“ liegt eine solche Mehrheit nicht. Die FDP will keine Ampel – dh. sie würde sie nur wollen, wenn es zu einer Mehrheit mit der Union nicht reicht – und die SPD war bisher weder in der Lage noch willens, Mehrheiten mit Grünen und der Linken als normale politische Option im Bund anzustreben. Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob es dafür gute Gründe gibt oder ob das ein Fehler ist, aber man kann wohl kaum darüber streiten, dass man dann eben auch nicht auf solche Mehrheiten hoffen braucht. Welche Signalwirkungen sollen solche Mehrheiten haben, wenn man eben dieses Signal nicht will? Hätte die SPD dagegen Schwan nicht kandidiert und Köhler gewählt, wäre das eine großkoalitionäre Botschaft gewesen.

 

Die Implikationen dieses Vorganges für die Bundespolitik sind, seien wir ehrlich, letztlich eher gering. Für die Union bedeutet die glatte Wahl Köhlers keinen Schub für die Wahlen im Herbst. Ohnehin wird die realpolitische Bedeutung von Präzedenz-Mehrheiten in der Bundesversammlung chronisch überschätzt. Wann denn eigentlich hat die Wahl eines Bundespräsidenten tatsächlich, und sei es nur atmosphärisch, Einfluss auf folgende Bundestagswahlen gehabt? Gustav Heinemanns Wahl 1969 gewiss. Ein wenig vielleicht die Karl Carstens 1979. Das war’s dann wohl. Exempel aus den letzten 30 Jahren sind nicht in Erinnerung.

 

Stellt sich also nur die Frage, ob Frau Schwan für das Land besser gewesen wäre als Horst Köhler. Der Amtsinhaber ist einer jener Politiker, von dem man sagen kann: Er schadet nicht. Er fällt nämlich nicht einmal richtig auf. Frau Schwan hätte, als Intellektuelle, die in den aktuellen gesellschafttheoretischen Diskursen zu Hause ist aber auch eine pädagogische Ader hat, Anstöße zu Debatten geben können. Womöglich hätte sie dann und wann ein Wort gefunden, dass zu irritieren vermocht hätte. Vielleicht wäre sie sogar eine großartige Präsidentin geworden.

 

Erfahren werden wir es nie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.