Über Wirtschaftsverbrechen

Der Kapitalismus als Tatbestand und Straftatbestand. Vortrag, gehalten bei „Kino unter Sternen“, 19. Juli 2009, Karlsplatz, Wien

misik kino unter sternen.jpg

„Für ein bestimmtest Theaterstück“, formulierte Bertolt Brecht einmal in einer biographischen Notiz, „brauchte ich als Hintergrund die Weizenbörse Chicagos, ich dachte, durch einige Umfragen bei Spezialisten und Praktikern mir rasch die nötigen Kenntnisse verschaffen zu können. Die Sache kam anders. Niemand, weder einige bekannte Wirtschaftsschriftsteller noch Geschäftleute – einem Makler, der an der Chicagoer Börse sein Leben lang gearbeitet hatte, reiste ich von Berlin bis nach Wien nach – , niemand konnte mir die Vorgänge an der Weizenbörse hinreichend erklären. Ich gewann den Eindruck, dass diese Vorgänge schlechthin unvernünftig waren. Die Art, wie das Getreide der Welt verteilt wurde, war schlechthin unbegreiflich. Von jedem Standpunkt aus, außer demjenigen einer Handvoll Spekulanten, war dieser Getreidemarkt ein einziger Sumpf. Das geplante Drama wurde nicht geschrieben, stattdessen begann ich Marx zu lesen.“

 

In Brechts Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ heißt es:

 

Wehe! Ewig undurchsichtig

Sind die ewigen Gesetze

Der menschlichen Wirtschaft!

Ohne Warnung

Öffnet sich der Vulkan und verwüstet die Gegend!

 

Wir können Brechts Worte nun so interpretieren: Wie Wirtschaft funktioniert, ist schwer zu verstehen. Zu viele Variablen sind im Spiel. Individuelle Präferenzen, Gier und Gewinnstreben, Nachfrage nach lebenswichtigen Gütern, Nachfrage nach Gütern, die man nicht so dringend benötigt, Spareinlagen, die nach Investitionsmöglichkeiten suchen, Zinssätze und Preise, wirtschaftlich Mächtige, die ihre Machtposition ausnützen, all das und gefühlte weitere zweihunderttausend Indikatoren, welche sich zu allem Überdruss alle auch noch kreuz und quer bedingen und beeinflussen. Kein Computerprogramm wäre in der Lage, die vorhandenen Daten zu verarbeiten. Und wenn man dann doch solche Computerprogramme hat, dann arbeiten die natürlich mit allgorithmisierten Wahrscheinlichkeiten, die auf historischen Erfahrungen gründen, aber wenn die historischen Erfahrungen nicht zur aktuellen Situation passen, dann kommt etwas ganz Absurdes raus. So hab ich aus Notenbankerkreisen gehört, dass ihre Computersimulationen im Dezember Hochkonjunktur prognostizierten, weil die Zinsen niedrig sind, die Rohstoffpreise auch und noch ein paar zusätzliche Parameter die Rechner davon überzeugten, dass nun eigentlich die Investitionen brummen müssten. Denn normalerweise wird in einer solchen Lage investiert, aber was heißt schon normalerweise…

 

Man kann Brechts Schwierigkeiten beim Schreiben von Wirtschaftsdramen aber nicht nur als Problem des Verständnisses, sondern auch als Problem der Darstellbarkeit verstehen. Nichts ist schwerer zu dramatisieren als das Börsengeschehen. Da ist einmal die Grundfrage: Soll man das darstellen als ein Zusammenhang, bei dem skrupellose Einzelne andere übervorteilen, bestehlen und ihre Marktmacht nützen – was ja ohne Zweifel andauernd vorkommt -, dann käme das natürlich der Funktionsweise des Dramas entgegen. Dann gibt’s da Akteure, mit niedrigen Instinkten, und doofe, auf schnellem Reichtum hoffende Kleinanleger, und es gibt auch noch skrupellose Politiker, die die Geldsäcke decken. Das wäre dann eine prima Besetzung für ein psychologisierendes Drei- bis Sechs-Personen-Drama. Andererseits ist der Kapitalismus natürlich primär eine systemische prozessierende Struktur, in der die Gier und die Skrupellosigkeit böser Subjekte schon eine Rolle spielen, aber in der diese Subjekte natürlich selbst nicht die Autoren ihrer Rolle sind und sich die Logik des Systems hinter ihrem Rücken vollzieht. Vergangenes Frühjahr hatte am Wiener Akademietheater ein Stück von Elfriede Jelinek Uraufführung, eigentlich war es keine richtige Premiere, sondern nur eine Urlesung, fulminant in Szene gesetzt von Nicolas Stemann als popiges Schaustück mit Drums, Klavier und Gitarre, mit Videobildern, die jelinekesk mäandernden Textgirlanden schwappen so immer wieder ins Songformat über. Es ist das Stück zur derzeitigen Wirtschaftskrise. „Der Börsenkurs ist gefallen, weh, weh, weh“, singt der Chor. „Unsere Ersparnisse, die uns jetzt erspart bleiben werden“, werden besungen. Die Banker – der „Chor der Greise“ – antworten: „Damit müssen Sie sich abfinden, so wie wir uns mit unseren Abfindungen abfinden müssen.“ Grundlage von Jelineks Text ist der Absturz des Immobilienfonds Meinl European Land. Das Geld wurde nicht für „unternehmensfremde Zwecke verwendet“, rechtfertigen sich die Banker, es wurde für „unsere eigenen Zwecke entwendet“. Ein schöner Satz lautet: „Fürchtet Euch vor dem Unternehmergeist.“

 

Was wird hier beschrieben, kann man sich fragen? Das Verbrechen im Kapitalismus, also eine Ausnahme: Meinl, Grasser, Maddoff. Oder doch eine Struktur, in der das Verbrechen systemisch ist, somit das Verbrechen des Kapitalismus‘? Dann wären die wirklichen Verbrecher und Betrüger, die Maddoff und Co., gerade nicht symptomatisch. Dann wäre das Fragwürdige ja gerade, dass man hier reich, sehr reich werden kann, ohne betrügen und kriminell werden zu müssen. Man braucht keine Untugenden, sondern Tugenden: Zielstrebigkeit, Geschäftssinn, Innovationsgeist. Andererseits ist die Geschichte des Kapitalismus so sehr mit Verbrechen verbunden, der Aufstieg von Räuberbaronen zu ehrwürdigen Geschäftsleuten so sehr die Regel der Akkumulation, dass man durchaus Schwierigkeiten hat, zu behaupten, die Madoffs und Meinls wären nicht die Regel, sondern die Ausnahme.

 

All die hier nur kurz aufgeworfenen Themen sind zentrale Fragen im Hinblick auf den Film, den Sie heute Abend sehen werden: „Hat Wolff von Ammerongen Konkursdelikte begangen?“ des leider so früh verstorbenen Filmemachers Gerhard Friedl. Friedl präsentiert uns auf eine quälend objektive Art eine Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegs-Bundesrepublik, wie man sie auch sehen kann: als Abfolge von Kriminalität und Verbrechen, Betrug und Geldverschiebung, Schmiergeldzahlungen und Klauereien, phantasievoller Buchführung und Steuervermeidung gut vernetzter Geldsäcke, die einerseits mächtig genug waren, sich die Regeln selbst zu schreiben, und sich andererseits an diese Regeln ohnehin nicht gehalten haben. Die Geschichte, die er erzählt, haben alle, die etwas über vierzig sind, in den achtziger und neunziger Jahren in der sensationalistischen Sprache des „Spiegel“ nachlesen können – Flick-Skandal, CDU-Parteispenden-Skandal. Aber der Film ist auch ein Kommentar zum Problem der Darstellbarkeit des Wirtschaftsgeschehens. Es gibt keine O-Töne, nur Text, und der Text legt sich über Bilder von Finanzzentren, von Produktionsstätten, von Montagehallen, die oft gar nicht viel mit dem Text zu tun haben. Ich lese das als Hinweis auf die Undarstellbarkeit wirtschaftlicher Zusammenhänge und Prozesse.

 

Dabei will ich es aber schon belassen, ich halte hier ja heute keinen Vortrag über den Film, sondern soll ihnen selbst etwas über Wirtschaft erzählen. Ich möchte das, was ich mir hier zu Sagen vorgenommen habe, grob in drei Abschnitte teilen. Erstens: Die Darstellbarkeit wirtschaftlicher Prozesse, darüber habe ich jetzt schon ein paar Dinge gesagt. Zweitens: Die Frage „Wirtschaft als Verbrechen“. Und Drittens: In welcher Lage sind wir jetzt eigentlich, in der schwersten Krise seit 60 Jahren und wie sollen wir darüber sprechen?

 

Aber bleiben wir noch bei einem irritierenden Aspekt dieses Films. Der erzählt uns ja von einer Epoche, grob gesagt von den vier fordistischen Jahrzehnten der Nachkriegszeit, die heute gelegentlich idyllisiert werden. Als die Zeit, in der die „soziale Marktwirtschaft“ groß geschrieben wurde, in der die kleinen Leute noch am Wohlstand beteiligt wurden, in der die Finanzmärkte gebändigt und reguliert waren, als Zeit, die noch keine wilde turbokapitalistische Ära war wie die unsere, in der die Wohlstandsschere wieder scharf aufgeht. Aber idyllisch, idyllisch ist natürlich nichts, was wir in diesem Film sehen. Andererseits wird ja gerade vom Verein der Freunde der liberalen Marktwirtschaft eingewendet, dass diese frühen Formen des Kapitalismus nur Durchgangsstadien zu seiner Höherentwicklung waren, zum globalen Kapitalismus mit seinen freien Märkten für Güter, Dienstleistungen und Kapital, in dem nur der Wettbewerb zählt. Wer besser und kostengünstiger produziert, der zieht das Kapital der Welt an, das nach Anlage sucht. Und wenn all das auf möglichst freien Märkten geschieht, führt das zur effizienten Allokation von Kapital. Da kann es dann zwar auch Härten geben, denn, wer nicht gut wirtschaftet oder nachhumpelt am Weg des Fortschritts, der wird auf der Strecke bleiben, aber das ist, so ließe sich dieses Weltbild referieren, letztendlich gut für uns alle, denn es steigt dann die Produktivität, der Fortschritt, der Wohlstand. Und mit ihm, so ist sich diese Weltdeutung sicher, geht auch zivilisatorischer Fortschritt einher: Rechtsstaat, Vertragssicherheit, Checks-And-Balances, nachprüfbare Rechnungslegung und Unternehmensbilanzen mit Veröffentlichungspflicht, Konsumentenschutz und was weiß ich was. Wer korrupt ist, der wird früher oder später gefangen, nicht so wie einst, wo sich die Reichen das Recht kaufen konnten. Aus dieser Perspektive ließe sich die Geschichte dann natürlich so erzählen: Wenn es noch Probleme gibt, dann, weil es halt noch nicht genug Fortschritt gab. Und das ist natürlich nicht ganz falsch: ein entwickelter Kapitalismus hat in sich zumindest insofern etwas Befreiendes, als Vertragssicherheit und glasklare rechtliche Regeln ein hoher Wert sind. Es würde ihm nicht gut gehen, dem Kapitalismus, wenn die Investoren sich nie sicher sein können, ob ihnen ihr Eigentum nicht morgen schon bestritten werden könnte oder wenn irgendwelche Mafiosis sie aus den Markt rauspreisen können.

 

Aber die aktuelle Krise, in der wir stecken, zwingt uns auch hinter diese These ein paar dicke Fragezeichen zu setzen.

 

Wenn es früher, in den achtziger und neunziger Jahren, zu Finanzkrisen gekommen ist, dann war das ja in aller Regel so: Da legten Investoren viel in sogenannten Emerging Markets an, das waren meist Schwellenländer, die gerade den Sprung von Entwicklungsland zum Prosperitätsmarkt gemacht haben. Dann änderte sich irgendein wirtschaftlicher Indikator, und die Investorenhorde zog ihr Geld ebenso panikartig ab, wie sie es vorher enthusiastisch in die jeweiligen Märkte gepumpt hat. Dann brach dort die Wirtschaft zusammen, und aus den zuvor gefeierten Emerging Markets wurden schwupps Emergency Markets.

 

In aller Regel hatte man dann schnell Erklärungen parat, dass nicht das globale Finanzsystem schuld ist, sondern die betroffenen Ökonomien. Die hätten etwa unsolide Staatsfinanzen, windige Buchführung bei den Banken oder es gäbe dort einen „Crony Capitalism“, also Korruption. Dort funktioniere eben die Marktwirtschaft nicht, weil Präsidenten ihre Neffen zu Firmenbossen machen oder umgekehrt, die Firmenbosse ihre Neffen zu Präsidenten, weil sich mächtige Wirtschaftslobbys dort die Politik kaufen und ihre eigenen Regeln schreiben. Der Subtext der Geschichte: Die Krisen kommen von daher, weil die Russen, Asiaten oder Mexikaner halt noch nicht so zivilisiert sind, aber unser westlicher Kapitalismus, der ist sauber, effizient und ordentlich geregelt.

 

Jetzt, wo die führenden kapitalistischen Ökonomien in den Sog eine ganz ähnlichen, nur viel umfassenderen Krise geraten sind, erzählt man eine andere Geschichte: Jetzt haben sich halt „die Märkte“ aufgebläht, weil ein paar Regeln gefehlt haben oder zuviel dereguliert wurde, oder weil die amerikanische Regierung Wohneigentum für Leute gefördert hat, die sich das gar nicht leisten konnten und weil die FED mit billigem Geld auch noch mitgeholfen hat, dass sich die Blasen aufpumpten. All das ist natürlich nicht falsch, aber dass auch unser Kapitalismus ein sehr ähnlicher, Crony Capitalism, sein könnte, das darf natürlich nicht sein. Allerhöchstens hat die Politik beim Regulieren versagt. Aber wer ist denn bei uns im Westen eigentlich „die Politik“? In den USA beginnt längst eine Debatte, auch unter renommierten Ökonomieprofessoren, dass die falsche Regulierungspolitik exakt mit dem zusammenhängen könnte, was man anderswo Korruption nennt. So kommen in den USA seit Jahren die führenden Finanzpolitiker direkt aus der Wallstreet. George Bush‘ Finanzminister Henry Paulson, der beim Krisenmanagement so dramatisch versagt hat, kam direkt vom Vorstandssessel der Investmentbank Goldmann-Sachs in die Regierung. Aber auch in der der Clinton-Regierung gaben die Finanzmarktgrößen den Ton an. Larry Summers etwa war erst Weltbankpräsident, dann Finanzminister, später Harvard-Präsident, dazwischen verdiente er sich eine Goldene Nase bei Finanzdienstleistern. Und jetzt ist er – Bingo! – Wirtschaftsberater von Barack Obama.

 

Allzu oft gilt auch in der westlichen Politik das Drehtürmodell: Raus aus dem Bankvorstand, rein in die Regierung – und wieder zurück. Und wer etwa die Realverfassung Österreichs kennt, der weiß sehr genau, wie eng eine Bankengruppe mit der Führung einer Partei verbandelt ist. Alles ganz legal. Vielleicht ein „Tatbestand“ – gewiss aber kein Straftatbestand.

 

Ich will das jetzt gar nicht nur schlechtreden. Die Banker leisten oft auch gute Arbeit und sie haben ein Know How, auf das man beim Regieren nicht so leicht verzichten will. Und sie sind ja auch wichtig für die Wirtschaft. Nur, sie haben eben auch ihre eigenen Partikularinteressen. Nicht immer muss, um das sehr zurückhaltend zu formulieren, das Interesse der Finanzindustrie mit dem Gemeinwohlinteresse deckungsgleich sein. Aber sie sind viel zu oft in Positionen, die es ihnen erlauben, sich die Gesetze selbst zu schreiben. Wir sehen also: Unser Crony Capitalism unterscheidet sich von dem angeblicher korrupter Dritt-Welt-Länder womöglich weniger, als wir uns einreden. Das ist das Verdrängte unserer Zeit, das wollen wir nicht wahrhaben, so wenig wie das Herkommen der großen Kapitale aus Banditentum, Piraterie und Söldnerwesen.

 

Man könnte natürlich auch formulieren, wie das Klaus-Werner Lobo tat, als ich im Web 2.0 in Vorbereitung auf diesen Talk nach Ideen herumgefragt habe, wie ich das mittlerweile beinahe immer tue. Also Lobo meinte: Das Problem ist nicht nur das Verbrechen, also gewissermaßen die illegale Kriminalität, sondern die legale Kriminalität. Nicht die „organisierte Kriminalität“, sondern die „verdammt gut organisierte Kriminalität“, die festschreibt, was legal ist und was illegal. Oder, um das simpler zu beschreiben, und, was ja sehr beliebt ist bei Journalisten, mit „Österreichbezug“: Der Staat stützt die Banken mit Eigenkapital, hat aber nichts davon. Klar, die Banken zahlen das Geld vielleicht zurück, also verschenkt wird nichts. Aber andererseits ist es doch normalerweise so, wenn ich ein marodes Unternehmen rette, indem ich in es einsteige, dann gehört mir zumindest ein Anteil davon. Das ist aber in Österreich nicht der Fall. Nicht einmal einen Aufsichtsratsposten hat der Staat in den Banken. Jetzt wird schon darüber diskutiert, wenn es im Herbst zu einer weiteren Stützungsrunde kommt, ob da nicht der Staat zumindest einen Aufsichtsratsposten erhalten muss. Ich glaub sogar, der Finanzminister sieht das schon ein. Aber jetzt stelle ich mir vor, es käme wirklich dazu, dass der ÖVP-Chef Josef Pröll, zu einem dieser Bankzampanos geht, etwa zu dem Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad, und jetzt stellen wir uns das vor, der sagt dem, Du, ich will einen Aufsichtsratsposten in deiner Bank. Na, da kann ich mir schon vorstellen, was dann passiert. Da brllt der Banker erst einmal und dann ruft er beim Onkel vom Finanzminister an, beim niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll und dann setzt es was, aber hallo!

 

Das Problem des Verbrechens in der Ökonomie sind vielleicht nicht so sehr Verbrecher, die die Regeln brechen, sondern die Frage, wie wir zu Regeln kommen und wie wir über die Ökonomie überhaupt sprechen. Wer wird in diesem Feld überhaupt als Sprecher zugelassen? Noch immer ist die Wirtschaftswissenschaft eine Geheimwissenschaft, noch dazu eine Wissenschaft, in der viele Stimmen aus der Perspektive von spezifischen Interessen sprechen, die auf ideologische Weise zu einem Allgemeinen erhöht werden. Während die meisten Wissenschaften sich dem öffentlichen Diskurs stellen müssen, ist das bei den Wirtschaftswissenschaften nur in beschränktem Maß der Fall, was übrigens zu einem nicht unwesentlichen Teil am Wirtschaftsjournalismus liegt. Während der Journalismus generell zwar, mag man ihm auch da und dort viel vorwerfen können, so etwas wie eine Übersetzungsfunktion erfüllt, ist das beim Wirtschaftsjournalismus nicht der Fall: der verdoppelt entweder das ideologische Kauderwelsch oder er versteht sich als „serviceorientiert“, so von der Art: Investieren Sie in diesen Fonds! Und der „serviceorientierte“ Journalismus ist selbst von Korruption nur schwer zu unterscheiden. Ich denke also, wir brauchen eine verständliche Art, über wirtschaftliche Interdependenzen zu reden, makroökonomischen Sachverstand zu verallgemeinern. Ich komme zum dritten Teil.

 

Erst unlängst saß ich mal wieder dabei, als ein führender Investmentbanker einem führenden Notenbanker die Vorteile von „Leerverkäufen“ erklären wollte, also jener raffinierter Termingeschäfte, bei denen der Anleger mit Wertpapieren handelt, die er zu diesem Zeitpunkt nicht besitzt, die ihm aber große Gewinne einbringen, wenn die Papiere im Wert fallen. Der Nachteil solcher Geschäfte ist, dass man Firmen damit in den Boden wetten kann. Was der Vorteil dieser Geschäfte ist, hat der Investmentbanker zu erklären versucht, es soll, wenn ich es richtig verstanden haben, mit der effizienten Allokation des Kapitals zu tun haben, wenngleich es, was der Investmentbanker gar nicht abstritt, gelegentlich zu extrem ineffizienten Kapitalallokationen kommen kann – zur Vernichtung von Billiarden nämlich. Ich muss zugeben, dass ich in letzter Zeit ganz versessen auf solche Lektionen in Börsen-Vodoo bin, weil sich das, was hier verhandelt wird, in abstrakten Sphären des Mirakulösen zuträgt, es aber gleichzeitig ganz reale Auswirkungen hat und die feinen Fäden, die das Imaginäre des Vodoo mit dem ganz Realen des, sagen wir, Zahnstocherfabrizierens, verbinden, für mich, wie für jeden interessierten „Marktteilnehmer“ (früher hätte man „Menschen“ dazu gesagt), eine kognitive Herausforderung sind. Ich sage das, wenngleich ich zögere, zu formulieren, die Komplexität der Ökonomie, mit ihren Gütermärkten, ihren Finanzmärkten, den Raffinessen der Fiskalpolitik und dem Auf und Ab der Geldmenge hätten etwas Mirakulöses, weil man damit ja den Bescheidwissern das billige Argument in die Hand gibt, dass der ahnungslose Laie sich eben nicht auskenne und deshalb bitte zu Schweigen habe, was die Bescheidwisser, die freilich auch keine Ahnung davon haben, wie es nun weiter gehen könne, in die Lage brächte, ihren Geschäften ungestört nachzugehen, jenen Geschäften, die uns in die Lage brachten, in der wir jetzt sind, eine Lage, von der weder Bescheidwisser noch wirkliche Experten genau wissen, um welche Lage es sich denn eigentlich handelt.

 

Schon die Frage, ob denn Pessimismus, ja Anflüge von Panik der Situation angemessen wären oder doch eher Cooleness, ist nicht leicht zu klären. Alle statistischen Daten weisen uns darauf hin, dass der Absturz der vergangenen Monate dramatischer ist als in den ersten Phasen der Großen Depression der Dreißiger Jahre. Aktienkurse, Wirtschaftsoutput und Welthandel brechen mit einer Massivität ein, die die Wucht des Kollapses Anfang der Dreißiger Jahre übersteigt. Freilich wissen wir, dass sonstige Bedingungen andere sind. Erstens ist der Wohlstand größer und breiter. Zudem: die Notenbanken fluten den Markt mit Geld, um die kontraktiven Wirkungen der Krise auszugleichen. Die Krise führt ja automatisch zu einer Verringerung der Geldmenge, weil Spareinlagen und Vermögen vernichtet wurden und eine Verringerung der Geldmenge, das lesen wir in jedem Markoökonomie-Lehrbuch, führt automatisch in die Rezession. In den dreißiger Jahren haben sich die Zentralbanken, anders als die gegenwärtigen, falsch verhalten. Auch die Regierungen gleichen heute mit einer expansiven Fiskalpolitik Teile des Nachfrageeinbruchs aus (allerdings einen viel zu kleinen Teil, wie Ökonomen wie Paul Krugman tagein, tagaus beklagen). Ganz offensichtlich begehen Regierungen und Zentralbanken also nicht die alten Fehler, das ist die gute Nachricht, aber die schlechte Nachricht ist, dass die Empirie vorerst darauf hindeutet, dass das offenbar bisher keine sonderlichen positiven Auswirkungen hat: der Absturz geht ja unverändert weiter. Wobei, halt! „Unverändert“ ist schon wieder ein sehr unpräzises Wort. Mit der Rasanz des Absturzes der vergangenen Monate kann es ja nicht so weiter gehen, wenn eine Volkswirtschaft ihr Wirtschaftsoutput in einem Quartal um sagen wir 15 Prozent reduziert, ist schon von daher klar, dass das nächste Quartal nicht mehr ganz so rapide bergab gehen kann (sonst wäre man ja bald bei null), also setzt „Erholung“ ein, was freilich nur eine sehr relative „Erholung“ ist. Dies führt zu der auf dem ersten Blick recht widersprüchlichen Datenlage, etwa in der Bundesrepublik Deutschland, wo trotz weiterem BIP-Minus der „Geschäftsklima“-Index zuletzt wieder leise nach oben zeigte. Wenn das Klima schon am Boden ist, kann es sich nur mehr verbessern – das ist eine der Fallen der Statistik. Man kann, dies ist eine Lektion der Krise, die, ich sage das nicht ahnungslos sondern auf Basis informierter Ahnungen niemand, also NIEMAND, restlos versteht, die Geschehnisse widersprüchlich deuten. Einerseits wirft uns ein wirtschaftlicher Rückgang von jeweils fünf Prozent in den nächsten zwei Jahren auf das Niveau von 2003, 2002 oder 2001 zurück, und damals waren wir ja auch nicht arm, andererseits verfügen wir (man tut übrigens gut daran, dieses „wir“ immer in Gänsefüßchen zu denken) damit, um das korrekt zu sagen, über den selben wirtschaftlichen Reichtum im Sinne von Output zu Marktpreisen und ich bin mir nicht sicher ob dieser Reichtum wirklich „der selbe“ Reichtum ist. Kapitalismus ohne Wachstum ist eben nicht gleichbleibender Wohlstand, sondern Wohlstandsverlust. Denn schließlich bedeutet ein Rückgang von fünf Prozent an Wirtschaftsleistung eine Zahl von, schätzungsweise, 600.000 Arbeitslosen in Österreich und fünf oder sechs Millionen in Deutschland. Diese Leute werden dann wiederum weniger konsumieren was wiederum die Nachfrage drosselt und wiederum einen weiteren Rückgang der Produktion von Waren und Dienstleistungen nach sich zieht. Und damit sind wir nur bei den im engen Sinn konjunkturellen Dimensionen der Krise. Daneben gibt es strukturelle Dimensionen, die betreffen einzelne Industrien – wie etwa die Autoindustrie -, sie betreffen strukturelle Ungleichgewichte (wie etwa das Kaufen auf Pump der Amerikaner), die betreffen die chronisch zu niedrigen Reallöhne in jenen Ländern, die sich bisher soviel auf ihre gerade darauf beruhenden „Wettbewerbsvorteile“ einbildeten (was eben in den USA dazu führte, dass die Leute mit Geld einkauften, das sie nicht hatten und in Deutschland dazu, dass die Waren, die produziert wurden, nicht von deutschen Bürgern gekauft werden konnten sondern exportiert werden mussten), vor allem aber das Drama der Finanzindustrie. Die Banken sind, beim jetzigen Stand, gerettet – vorerst. Mehr nicht. Ihre Aufgabe für die Wirtschaft, nämlich Kredite zu vergeben, erfüllen sie nicht in dem Maß, das notwendig wäre. Und zu all dem kommt dann auch noch ein Gerechtigkeitsaspekt hinzu. Dass die Regierungen, die man in den vergangenen zwanzig Jahre anherrschte, sie sollen für einen schlanken Staat sorgen und sich aus „der Wirtschaft“ heraushalten, nun den Kapitalismus retten mussten und die Wirtschaft mehr schlecht als recht am Laufen halten, beeinträchtigt zwar die Überzeugungskraft der neoliberalen Ideologie und darf den Verein der Freunde des westeuropäischen Wohlfahrtsstaats mit Schadenfreude erfüllen, macht die Welt aber nicht unbedingt gerechter. „Mehr Staat“ ist zwar notwendig, aber es ist nicht notwendigerweise gerecht, wie es überhaupt eine unpräzise Verquickung zwischen den Kategorien des Nützlichen und denen des Gerechten gibt. Nehmen wir nur die Frage von „Reichensteuern“ – und bedenken wir, dass damit Steuern auf existierendes Finanz- und Realvermögen, Steuern auf Vermögenszuwachs und Steuern auf hohe Gehaltseinkommen gemeint sein können, was nicht das selbe ist -, nehmen wir also diese Frage, dann muss man sagen: Erstens ist in der gegenwärtigen Situation die Erhöhung keiner Steuer sinnvoll. Es ist nützlich, den Konsumenten soviel Geld wie möglich zu lassen, das sie ausgeben können und es ist nützlich, wenn der Staat die nun notwendigen fiskalischen Stimuli über Defizite aufbringt. Zweitens ist es natürlich auch nützlich, ja ein Gebot der Vernunft, die Defizite nicht explodieren zu lassen. Drittens kann daraus folgen, dass es nützlicher ist, bestimmte Steuern zu senken (etwa die auf Arbeitseinkommen) und bestimmte Steuern zu erhöhen, weil der Staat schließlich Einnahmen braucht (also, beispielsweise, auf Vermögen). Und erst viertens kommt dann noch hinzu, dass man diese nützliche Strukturveränderung des Steuersystems darüber hinaus auf Basis einer bestimmten politisch-ethischen Überzeugung auch noch moralisch als gerechter bewerten kann. Vernünftigerweise wird man das moralisch Gerechte insbesondere dann tun, wenn es auch nützlich ist. Man wird moralisch Gerechtes besser bleiben lassen, wenn es unnütz oder sogar kontraproduktiv ist. Gelegentlich wird man moralisch Gerechtes dann auch tun, wenn es ökonomisch keinen Nutzen, aber auch keinen Schaden stiftet, wenn es eine andere Art von Nutzen verspricht – etwa, weil es den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert, wenn die Bürger das Gefühl haben, dass es gerecht zugeht. Aber die Kategorien des Nützlichen und des Gerechten sollten für eine kluge Debatte auseinander sortiert werden, zumal aus einem weiteren Grund:

 

Es ist schließlich möglich, Nützliches auf unterschiedliche Weise zu tun. Es ist nicht nur nützlich, sondern unumgänglich, die Banken zu retten. Aber man kann Banken natürlich auf verschiedene Weise retten. Man kann Banken so retten, dass die Investoren, die bisher exorbitante Gewinne erzielten, kaum etwas vom unternehmerischen Risiko tragen, und die Steuerzahler die gesamte Last übernehmen – die Masters of Desaster werden so auch noch zu Lucky Loser gemacht, auf unsere Kosten. Oder man kann das auf eine Weise tun, bei der die Lasten geteilt sind. Vom Standpunkt der funktionalen, systemischen Nützlichkeit ist beides womöglich gleich nützlich. Vom Standpunkt der Gerechtigkeit gibt es dennoch Unterschiede. Gleichzeitig wäre es wahrscheinlich am Gerechtesten, die Banken kollabieren zu lassen (schließlich haben Investoren unternehmerisches Risiko gesucht, sie sollen es haben), aber eine solche Gerechtigkeit wäre extrem unnütz, es wäre eine Gerechtigkeit, die niemanden froh machen würde.

 

Da die kapitalistische Wirtschaft ein mirakulöses Ding ist, was heißt, dass sie zwar keine unverständliche, aber doch eine hochgradig zerbrechliche Sache ist (was übrigens seltsam mit dem Sachverhalt kontrastiert, dass der Kapitalismus offenbar sehr lebensfähig ist, er ist ja nicht umzubringen, der Kapitalismus…), stellt sich die Frage nach Panik und Cooleness noch in einer weiteren Hinsicht: Alle Datenlagen sprechen dafür, dass wir gut daran tun, damit zu rechnen, dass die Dinge in den nächsten sechs Monaten sehr, sehr viel schlimmer werden. Andererseits spielen in der Wirtschaft Erwartungen – Keynes berühmte „Animal Instincts“ – eine mindestens so wichtige Rolle wir harte Fakten. Und wenn alle Welt annimmt, dass die Dinge schlecht laufen, dann ist das beinahe eine Garantie dafür, dass sie tatsächlich schlecht laufen werden. Dann werden die Konsumenten auf ihrem Geld sitzen, die Banken werden Liquidität horten und die Unternehmen werden nicht investieren. In einer solchen Situation hängt nahezu alles vom Staat ab. Die paläoliberale Ideologie, mit der wir in den vergangenen Jahrzehnten traktiert wurden, dass staatliche Wirtschaftsaktivität die Freiheit der Menschen beschneide, weil er dafür ja Geld benötige, das er den Menschen wegnimmt, und dass wir doch alle besser fahren würden, wenn möglichst viele Menschen auf möglichst freien Märkten ihrem Eigennutz folgen würden, weil dieses Streben nach Eigennutz in einer wundersamen Operation in allgemeinen Nutzen umschlage, ist von der Wirklichkeit dementiert. Das Betriebsklima, das uns diese Idee bescherte, hat nicht zu einem allgemeinen Nutzen geführt, sondern zu einem allgemeinen Desaster. Es hat die Welt auch ungerechter gemacht (was, wie wir gesehen haben, noch nichts über die Nützlichkeit der Ergebnisse aussagt). In der gegenwärtigen Lage grenzt eine solche Haltung aber an leichtfertigem Schindluder, an verbrecherische Fahrlässigkeit. Wer jetzt noch vor „mehr Staat“ warnt, ist entweder dumm, ideologisch verbohrt oder will uns in eine lange, tiefe Depression hetzen.

 

Aber betrachten wir die Sache unideologisch und fragen wir uns, ob die Ausweitung der staatlichen Wirtschaftstätigkeit nicht doch auch heute schon negative Auswirkungen haben könnte, und seien es nur unintendierte Nebenfolgen. Das bloße neoliberale Anti-Staatsressentiment ist reine Ideologie, aber vielleicht gibt es klügere Argumente als den lächerlichen Staats-Hass der Winner-Typen, die gegen „mehr Staat“ sprechen. Eines der möglichen Resultate ist eine Verdrängung privater Investitionen. Die Schulbuch-Rechnung geht so: Da Anlage heischendes Kapital eine knappe Ressource ist, würde, wenn die Staaten sich auf den Kapitalmärkten verschulden, weniger Geld für Private zur Verfügung stehen. Genauer gesagt: Die Zinsen würden steigen. Nun sind gegenwärtig die Leitzinsen auf einem historischen Tiefstand, und wenn die Zinsen für Investitionskredite dennoch hoch sind, dann nicht, weil der Staat die „Konkurrenz“ um das Kapital anheizt, sondern weil die Banken den Firmen nicht trauen und sich ihr Risiko deutlich höher bezahlen lassen. Nicht die Budgetdefizite sorgen für ungesund hohe Zinsen, sondern das negative Geschäftsklima. Eine zweite, durchaus realistische Annahme wäre, dass die Staatsverschuldung und die Flutung der Märkte durch die Notenbanken zu Inflation führen. Tatsächlich ist das eine Gefahr, wenn die Konjunktur wieder anspringt. Gegenwärtig droht aber eher die gegenteilige Gefahr: Die Firmen nehmen weniger Geld ein, sie reagieren mit Preissenkungen auf die gesunkene Konsumlaune der Bürger, manche handeln mit ihren verbleibenden Belegschaften sogar Nominallohnkürzungen aus und beinahe alle „kürzen“ die Einkommen des nicht verbleibenden Teils – durch Kündigungen. Nicht Preisexplosion, sondern Preisverfall ist die unmittelbare Gefahr. Für die einzelne Firma ist das rational, für alle Firmen zusammen ist das aber tödlich, weil das Resultat – Deflation – dazu führt, dass ihre Verbindlichkeiten relativ steigen, selbst wenn sie nominal gleich bleiben. Viele Unternehmen gehen in einem solchen Fall pleite, die ansonsten durchaus überleben könnten.

 

Die Krise hat uns eine verrückt gewordene Finanzindustrie eingebrockt, die Produkte entwickelt hat, deren Risiken sie nicht zu überschauen vermochte und die sie auch nur eingehen konnte, weil sie wusste, dass alle großen Banken – im Unterschied zu Schuhfabrikanten, Zeitungsverlagen, Drogerieketten – „too big to fail“ sind, dass sie also vom Staat gerettet werden würden. Sie mussten nicht „unternehmerisch“ kalkulieren, weil sie den Staat im Rücken wussten, jenen Staat, den ihre Clacqeure gleichzeitig als bürokratisches Monstrum verächtlich machten. Das ist Marktversagen. Die Regierungen haben allenfalls versagt, weil sie vom Geist infiziert waren, dass freie Märkte effizient arbeiten. Der Staat muss die Finanzmärkte maximal restriktiv regulieren. Daraus folgt aber keineswegs, ein Plädoyer für „aktivistische Staaten“ auf allen Ebenen. Marktversagen auf den Finanzmärkten hat eben ganz exorbitant andere Auswirkungen als Marktversagen auf dem Markt für, beispielsweise, Brauselimonade. Wir könnten sogar ohne Coca Cola ganz gut leben. Aber ohne Banken eher nicht. Systemische Sektoren sind deshalb „öffentliche Güter“. Auch „mehr Staat“ ist also eine zu simple Antwort. Wie die Regulierung des Finanzsektor aussehen könnte, dafür gibt es eine Reihe von Überlegungen. Geschäftsbanken regulieren, Investmentbanken verbieten – das ist die radikalste. Eine mildere Form: Geschäftsbanken regulieren, Investmentbanken erlauben, aber ein Wachstum über eine bestimmte Größe verbieten – sodass Investmentbanken bankrott gehen können, ohne das ganze System mitzureißen, wohingegen die Kommerzbanken weiter die staatliche Einlagengarantie und damit öffentliche Risikohaftung genießen. Dann müsste man freilich auch verbieten, dass Geschäftsbanken Kredite an Investmentbanken vergeben, sodass sich schon wieder die Frage stellt, wie Investmentbanken dann überhaupt noch ihre Geschäfte betreiben sollen. Dann wären Investmentbanken, Hedge- und sonstige Fonds praktisch nur mehr Geldsammelstellen für risikofreudigere Anleger, die zu faul sind, sich ihre Aktien selbst zu kaufen. Die dürfen dann auf ihrem kleinen, abgezirkelten Markt herumzocken, wenn es ihnen Spaß macht. Aber ich bin abgeschweift, zu Delikten ohne Delinquenz.

 

Ich komme zum Schluss: Was ist der Einbruch in die Bank gegen die Gründung einer Bank? fragte Brecht. Wir könnten heute noch hinzufügen: Was ist die Enteignung einer Bank gegen die Enteignung durch die Bank? Die basale moralische Annahme unseres Wirtschaftssystems lautet, ich habe das schon erwähnt: Wenn alle ihrem Eigennutz folgen, schlägt das in den Nutzen aller um – und das ist tatsächlich ein moralisches Postulat.

 

In der Praxis sieht das dann so aus und ich möchte hier aus einer jener schönen Satiren des Künstlertrios Maschek zitieren, die sie alle kennen. In diesem Fall leihen die Mascheks ihre Stimme dem Julius Meinl V., der auf die Frage, wie denn ein Anleger bei ihm 100 Euro Geld „arbeiten“ lassen könnte, folgendes „antwortet“: Also der maschek-Meinl antwortet: „Es sind dann halt einige Gebühren auch fällig, eine Bareinzahlungsgebühr von 20 Prozent, eine Mindermengengebühr von 15 Prozent, eine Meinl-Namensnutzungsgebühr von 35 Prozent, eine Mohrengebühr von 40 Prozent, eine Ausfallshaftungsversicherungsgebühr von 35 Prozent“. Auf die verdutzte Frage, dass jemand, der 100 Euro anlegen will, schon 150 Euro Gebühren zu bezahlen habe, antwortete der Banker: „Da müssen Sie jetzt Kapital nachschießen klarerweise.“ Wie geht das? „Da kommt jetzt die Meinl-Bank ins Spiel. Wir werden ihnen einen Überbrückungskredit anbieten.“

 

So läuft das also. Ich fürchte, die Realität steht der Satire nicht nach. Kennen Sie jemanden, der wirklich reich ist, aber so richtig reich, der sein Geld auf ehrliche Weise verdient hat, also das, was Sie, ich, der Alltagsverstand meine ich unter „ehrlich“ versteht? Oder ist es nicht einfach so, dass die wirklich schönen Renditen nur von Banditen gemacht werden?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.