Die Rückkehr des Lagerdenkens

Der deutsche Wahlkampf war Postideologie pur. Das Resultat ist verglichen damit geradezu altmodisch übersichtlich: Mitte-Rechts regiert, Mitte-Links ist Opposition. Falter, 30. September 2009

 

Erst gibt es Wahlkampf, dann wird gewählt und dann gibt es ein Wahlergebnis. Und dann wundert man sich bisweilen: Dann nämlich, wenn Wahlkampf und Resultat in einem seltsamen Kontrast stehen. Das Ergebnis der deutschen Bundestagswahl ist ein solches Ereignis. Und das, obwohl es ja nicht einmal überraschend kam: Dass es für die Unionsparteien und die Freidemokraten zu einer Regierungsmehrheit reichen dürfte, war ja allgemein erwartet worden.

Und doch gibt es einen erstaunlichen Kontrast zwischen der Unentschiedenheit im Wahlkampf, dem verdrucksten Bemühen, politische Differenzen eher zu verwischen, als zu verdeutlichen und der Entschiedenheit des Resultats. Man muss die „Bild“-Zeitung nicht mögen, aber ihrem Urteil kann man kaum widersprechen: „Was die Politiker in einem verschwommenen Wahlkampf nicht geschafft haben – die Wähler haben es geschafft: Klarheit!“

Es gibt ja eine beliebte essayistisch-literarische Figur: den „Endismus“. Will man ein irgendwie gefühlt bedeutendes Ereignis mit Bedeutung in einem eminenteren Sinn adeln, muss man es zum Ende von irgendwas, am besten natürlich von einer Epoche erklären. Der Hit im deutschen Wahlkampf war: Das Ende des Lagerdenkens. Die Diagnose stützte sich auf die Tatsache, dass theoretisch alle im Bundestag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der Linkspartei – miteinander Regierungen bilden können. Getragen wurde diese Deutung auch durch den Charakter der handelnden Akteure, allen voran von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie positionierte sich im Wahlkampf als „beinahe surreale Erscheinung“, wie Jakob Augstein im „Freitag“ wütend schrieb, als Kanzlerin „ohne Attribute, ohne Prädikate“. Eine Politikerin ohne Eigenschaften, von der man nicht zu sagen vermochte, was sie eigentlich will: außer die Macht. Diese Strategie war nicht ganz erfolgreich, aber sie ist auch nicht gescheitert. Sie ist, wenn man so will, erfolgreich gescheitert. Die CDU hat ja selbst ein eher grottenschlechtes Ergebnis erzielt, aber Merkel hat beim Verlieren gewonnen. Dank der 15 Prozent der FDP reicht es jetzt für eine Koalition von CDU/CSU und FDP.

Dennoch stellt das Wahlergebnis die Diagnose vom Ende des Lagerdenkens auf eine harte Probe. Denn bei aller Weichspülerei haben Union und FDP, letztendlich, doch einen Lagerwahlkampf geführt. Nicht aggressiv, aber bestimmt haben sie gesagt: Wir wollen eine klare Mehrheit jenseits von links. Und die Wähler haben eine klare Antwort auf die Frage gegeben, die Union und FDP gestellt haben. Sozialdemokraten, Grüne und Linke haben verloren (wenngleich Grüne und Linke zugelegt haben) – nicht nur, aber auch, weil sie nicht in der Lage waren, eine Frage zu formulieren. Sie wollten im Wahlkampf kein „Lager“ sein. Sie sind es jetzt – in der Opposition.

Sicherlich: die Parteien sind heute nicht mehr gar so trennscharf konturiert. Klar auch, die Bürger können keine Regierungskonstellationen wählen, sie können nur für Parteien stimmen. Aber bei aller Zerfaserung im Fünf-Parteien-System, bei aller Entideologisierung von Politik bleibt am Ende des Tages doch die Frage an die Wähler: Soll Mitte-Links oder Mitte-Rechts regiert werden?

Ende der Lagerordnung? In gewissem Sinne ist sogar das Gegenteil der Fall. Sozialdemokraten, Grüne und Linke sind jetzt in der Opposition und sie werden in den kommenden fünf Jahren ihr Verhältnis normalisieren. Daran führt kein Weg vorbei, auch wenn die Bedingungen dafür nicht gerade optimal sind. Die SPD hat ja nicht einfach verloren, sie hat eine desaströse Niederlage eingefahren. Ihr einziges Glück: Franz-Walter Steinmeier, der Kanzlerkandidat, trägt am Ergebnis die geringste Schuld. Die SPD, kommentierte die „Süddeutsche“, hat „krachend verloren, aber eine neue Führungsfigur gewonnen“. Der Bürohengst Steinmeier, der immer mehr Beamter als Rampensau war, ist im Wahlkampf zum Politiker geworden. Bereits am Wahlabend hat er angekündigt, den Posten des Oppositionsführers im Parlament übernehmen zu wollen. Die Parteilinke, die nicht zu Unrecht die Sozial-„Reformen“ der Schröder-Ära für den Niedergang verantwortlich macht, sollte ihm keine Steine in den Weg legen, obwohl er die Hartz-Gesetze führend konzipierte. Steinmeier wiederum ist die Realist genug, um zu wissen, dass er eine Öffnung zur Linkspartei braucht, um machtpolitisch wieder ins Spiel zu kommen. Ein Hauen und Stechen, ein chaotischer Zerfall der geschlagenen SPD ist also nicht zu erwarten. Die Grünen wiederum, die sich schon in der Rolle der Funktionspartei zwischen den Blöcken gefielen, sind auf der Realität aufgeschlagen: Für die Mitte-Rechts-Parteien sind sie nur interessant, sofern diese keine eigene Mehrheit haben. Haben sie diese, bleiben die Grünen links liegen. Das größte Problem für eine „Normalisierung“ im Lager links von der Mitte ist deshalb die Linkspartei. Die ist zwar in ihrer Mehrheit pragmatisch linkssozialdemokratisch, hat aber gerade aufgrund ihres Wahlerfolges gar nicht so wenige Vertreter des westdeutschen, dogmatischen K-Gruppen-Narrensaums im Bundestag sitzen.

Und die Merkel-Westerwelle-Regierung? Nun, die wird gemessen wirtschaftsliberal regieren. Die explodierenden Defizite wird sie, beispielsweise, nicht über höhere Vermögenssteuern, sondern über höhere Mehrwertsteuern finanzieren, die Ärmere relativ stärker belasten. Sozial gerecht ist das nicht, aber dafür wurde die FDP ja auch nicht gewählt.

Drama ist das alles, zumal von Wien aus gesehen, natürlich keines. Man mag die eine oder die andere der Parteien sympathischer oder unsympathischer finden, letztendlich haben die Deutschen aber fünf Parteien im Parlament, die allesamt für anständige Menschen wählbar sind. Damit haben sie uns einiges voraus.

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