Wer nicht klar fragt, hat schon verloren

Für das Wahlblog der Böll-Stiftung:

 

Es gibt eine beliebte literarische Figur: den „Endismus“. Will man ein irgendwie gefühlt bedeutendes Ereignis mit Bedeutung in einem eminenten Sinn adeln, muss man es zum Ende von irgendetwas, am besten natürlich von einer Epoche erklären. Die neueste Denkfigur ist: Das Ende der Volksparteien. Bis vorgestern war der Hit der Saison: Das Ende des Lagerdenkens. Fragen wir nun: Markiert das Ergebnis der Bundestagswahl tatsächlich das Ende der klaren, distinkten politischen Lager?

 

Die Grundlage der „Ende der Lager“-Dignose war ja: Fast alle können mit allen. Die Bürger dürfen zwar ihre Stimme abgeben, aber ob schlussendlich Grüne mit Liberalen und Christdemokraten oder Christdemokraten mit Sozialdemokraten oder Rote, Grüne und Gelbe koalieren, das kann man nicht so genau wissen. Das Ende ist also auch ein Anfang: der Anfang einer neuen politischen Unübersichtlichkeit. Ende der Klarheit, oder anders gesagt: Beginn von Unklarheit.

 

Nur sei die Frage erlaubt: Lässt sich die Diagnose nach dem Ergebnis der Bundestagswahl noch halten? Union und FDP haben, letztendlich, einen Lagerwahlkampf geführt. Nicht aggressiv, aber bestimmt haben sie gesagt: Wir wollen eine klare Mehrheit jenseits von links. Und die Wähler haben eine klare Antwort auf die Frage gegeben, die Union und FDP gestellt haben.

 

Aber heißt das dann im Umkehrschluss nicht auch, dass es auch ein anderes Lager gibt, das diesmal eben nur nicht in der Lage war, eine klare Frage zu stellen? Und das, weil es diese Frage irgendwie nicht stellen wollte, sei es, weil es innerlich dazu nicht in der Lage war, sei es, weil man die Frage selbst als altmodisch ansah, von den Bürgern eben die Antwort erhielt: Wenn Ihr nicht in der Lage seid zu fragen, dann dürft Ihr Euch über die Antwort nicht wundern? Simpel gesagt: SPD, Grüne und Linke wollten im Wahlkampf kein „Lager“ sein. Jetzt sind sie es – in der Opposition.

 

Was, wenn diese Bundestagswahl gerade die Rückkehr des Lagerdenkens annonciert? SPD, Grüne und Linke in der Opposition werden ihr Verhältnis „normalisieren“ müssen, was heißt: Sie werden sich in die Lage versetzen müssen, das nächste Mal den Wählern eine klare Entscheidungsgrundlage vorzulegen. Die lautet immer noch: Mitte-Links oder Mitte-Rechts. „Was die Politiker in einem verschwommen Wahlkampf nicht geschafft haben – die Wähler haben es geschafft: Klarheit!“ So kommentiert heute die „Bild“-Zeitung. Dem kann man schwer widersprechen. Oder, um einen alten Politkitsch-Slogan zu paraphrasieren: Wer klar fragt, kann verlieren. Wer nicht klar fragt, hat schon verloren.

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