Die Horrorparty

Liebes Christkind, mach, dass Weihnachten schnell vorüber geht. Denn es gibt keine richtige Feierlichkeit beim falschen Fest. Der Freitag, 18. Dezember 2009

In meiner Jugend war das so: Zu Weihnachten war man eingesperrt, eingeschlossen, eingekerkert in das Verlies mit dem Namen „Familie“. Man musste dabei sein. Die Oma sang mit falscher Stimme Lieder, die keiner hören wollte und jeder hoffte, dass es bald vorbei ist. Und man hatte, selbst in einer relativen Großstadt wie Wien, keine Möglichkeit, dem zu entgehen oder es sich später wegzuspülen. Keine, buchstäblich, keine! Kneipe hatte offen. Anfang der achtziger Jahre war es dann der grindige New-Wave-Schuppen namens „Ring“, der auch am 24. Dezember offen hielt.

 

Da hingen dann in den ersten Jahren fünf, sechs Leute rum. Erst in den Jahren darauf hielten immer mehr Lokale offen und auch das Publikum wuchs an. Seither kann man Weihnachten aushalten.

 

Okay, ich kenne Leute, für die ist Weihnachten kein Problem. Die fühlen sich wohl in ihrer Klein- oder erweiterten Großfamilie, die freuen sich, dass einmal im Jahr alle zusammen kommen. Manche reisen dafür sogar aus allen Weltgegenden an. Ich kenne auch Leute, die mit Weihnachten biographisch nichts zu tun haben, weil sie Juden oder Muslime oder sonst was sind, und die gerne Weihnachten feiern, weil sie sich der Sache mit der lässigen Unbefangenheit nähern wie der Indio dem Yoga. Aber viele sind das nicht.

 

Für die meisten anderen ist Weihnachten das Fest des „müssens“, der Großfeiertag des Über-Ichs. Man muss ja, wegen der Kinder. Wenn die Kinder dann größer sind, dann müssen die – wegen der Eltern. Man ist, um den lieben Friedens willen, entschlossen, den ewig nervenden Onkel am Nebensitz zu ignorieren. Man trinkt viel zu viel Alkohol, um zu kompensieren. Aber das klappt nie – der Alkohol eskaliert die Sache oft nur. Man will seinen eigenen Ansprüchen genügen – sich fähig erweisen zum Ritus, zur Zelebrierung eines Ausnahmemoments, zu Familie und Gemeinschaftsgefühl, aber auch zur Lockerheit und Modernität. Ansprüche, an denen man meist scheitert.

 

Wenn ich einen Adventkranz sehe, kriege ich eine Gänsehaut.

 

Im übrigen muss ich mich korrigieren: Auch die Nichtchristen haben, sofern sie in traditionell und hegemonial christlichen Gesellschaften leben, natürlich kein entspanntes Verhältnis zu Weihnachten. Fast ist es so: die durchschnittlich säkularen, religiös unmusikalischen „Christen“ beneiden die „Nichtchristen“, weil sie sich Weihnachten ersparen. Die „Nichtchristen“ haben eine gewisse Eifersucht auf die „Christen“, weil die alle bei ihren Familien sind an diesem Tag und sie, die „Nichtchristen“, allein daheim sitzen und im Radio nur blöde Musik spielt. Und in den Wochen vorher dominiert Weihnachten alle öffentlichen und auch staatlichen Räume. Weihnachtsschmuck in allen Straßen und in den Schulen werden Engel und Christbaumschmuck gebastelt, wie selbstverständlich. Den Musikunterricht prägen süßliche Weihnachtslieder in denen das Christkind vorkommt. Egal, wie viele Kinder aus muslimischen, jüdischen, agnostischen oder sonstigen Familien in der Klasse sitzen. Klar, ist ja nicht schlimm, auch das Kreuz im Klassenzimmer tut niemandem weh, außer es fällt runter und einem auf dem Kopf. Sicher, sicher, in unseren weltanschlaulich neutralen, säkularen Rechtsstaaten sind alle Religionen gleich. Aber manche sind gleicher.

 

Was die einen als „ganz normal“ erleben, ist für die anderen Quelle eines Differenzgefühls. Gerade im Alter von acht, neun, zehn Jahren, wo Kinder ein starkes Bedürfnis nach eindeutiger Identität haben. Die Lockerheit der Patchwork-Identität kommt, wenn sie denn kommt, erst später. Und ganz locker wird man nie, wenn man sich mal als Minorität erlebt hat. Und alle Lockerungsübungen sind vergessen, wenn man am Weihnachtstisch im Familienkreis sitzt und sich ansieht, was das mit einem macht.

 

Dabei ist das mit der tief verwurzelten christlichen Tradition „Weihnachten“ ohnehin ein Fake. In Österreich waren die Geheimpolizisten des Fürsten Metternich sogar ganz aus dem Häuschen, als die seltsame Sitte 1814 eingeschleppt wurde. „Komische Lieder“ wurden gesungen, alle „erhielten Geschenke oder Souvenirs“, notierten die Spitzel in ihrem Bericht über ein Fest im Hause der Berliner Jüdin Fanny von Arnstein, die nach Wien geheiratet hatte. Das „Weihbaum- oder Christbaumfest“, zelebriert „nach berliner Sitte“, war von der Tochter des Vorstehers der Berliner jüdischen Gemeinde 1814 erstmals in Wien bekannt gemacht worden. Eine schöne Pointe auf scheinbar seit ewigen Zeiten gepflegte Bräuche, ein Witz über das Wandern von Sitten, die dann im Handumdrehen als „lokale Bräuche“ erscheinen.

 

Heute werden Weihnachtsfeiern nicht mehr von Kaiserlichen IMs bespitzelt. Subversiv sind sie höchstens in Hinblick auf die Laune der Feiernden. Weihnachten hat etwas Anherrschendes. Ein großes „Du-Sollst“. Nur, dass der, der diesen Imperativ ausspricht, in uns drin steckt. Und Weihnachten ist auch eine Art Lasso mit langer Leine, das einem immer wieder zurück holt. Man kann sich in der Pubertät abnabeln von daheim. Man kann in den späteren Jahren immer größere Kreise ziehen. Aber irgendwann sind die Eltern alt und einsam und da kann „man“ sie ja nicht alleine lassen an so einem Abend. Selbst, wenn man das Datum am liebsten aus dem Kalender streichen würde, „man“ kann ja nicht. Weihnachten ist die Herrschaftszeit solches „man“, gewissermaßen des Weihnachts-„Mans“. Und die Kinder haben auch ihre Erwartungshaltungen. Man kann dem Tag seinen eigenen Stil geben, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Man kann ihn etwa betont lässig gestalten. Aber dann fragt die Stimme in einem drin mit Gewissheit: War das jetzt nicht zu unfeierlich? Oder man kann ihn feierlich gestalten. Dann fragt sie: Was hat das noch mit mir zu tun? Wo, bitte schön, ist die Autonomie, auf die ich mir immer soviel eingebildet habe?

 

Man kann natürlich sagen, und man liegt damit nicht gänzlich falsch, dass Weihnachten insofern einfach auch ein Chiffre für’s Leben ist, durch das man ohne Bindungen nicht durchkommt und das einem gerade darum dauernde Kompromisse abverlangt. Kaum wächst man aus dem Sturm-und-Drang-Alter heraus, merkt man, dass man es zumindest gelegentlich entlang von Skripts zu leben hat, deren Autor man nicht ist. Wenn man ein Freund großer Worte ist, könnte man das „Entfremdung“ nennen.

 

Mag man über’s Jahr die vielen Kompromisse ohne viel Bedacht leben – sie, auch so ein großes Wort: „verdrängen“ -, ist Weinachten die Stunde der Bescherung, der Moment der Wahrheit. Und wenn man Pech hat, kriegt man zum Ausgleich ein paar Socken, die man niemals tragen wird oder eine Krawatte, garantiert in den Farben, die man am meisten hasst.

 

Als wäre die Familie nicht Belästigung genug, gibt es auch noch die Firmen. Wer über Weihnachten sprechen will, darf daher über die betriebliche Weihnachtsfeier nicht schweigen. Die ist die Mutter aller Peinlichkeiten. Im gut organisierten Großbetrieb mit seinen vielhundertköpfigen Belegschaften ist sie die Quelle allen Grolls. Man setzt voraus, in der Rede des Vorstandsvorsitzenden positiv erwähnt zu werden. Insofern ist diese Erwähnung natürlich keine Freude, sondern eine Selbstverständlichkeit. Nicht die Erwähnung ist Quelle der Freude, die Nichterwähnung ist Quelle des Unfrohsinns. Ich nehme an, dass dies erst seit der Einführung moderner Managementtechniken der Fall ist, seitdem Manager darauf gedrillt werden, sich und ihren Mitarbeitern zu bestätigen, dass „wir alle so super“ sind, dass bei „uns“ so tolle Stimmung herrscht und alle mit so viel Freude bei der Arbeit sind. Und so supermotiviert. Und alle Supermotivierten werden erwähnt. Und die, die nicht erwähnt werden, die sind die folgenden Wochen überhaupt nicht mehr motiviert. Die betriebliche Weihnachtsfeier ist für die Firma, was für das wirkliche Leben der Karneval ist: die Zeit der öffentlich akzeptierten Regel- und Schrankenlosigkeit. Greift im Berufsalltag nur der Vorgesetzte der Sekretärin unter den Rock, langt bei der Betriebsweihnachtsfeier auch schon mal die Kollegin dem Kollegen in die Hose. Schließlich hat man sich das ja verdient, einmal im Jahr: den Kontrollverlust.

 

In den vergangenen zehn Jahren veränderte die betriebliche Weihnachtsfeier übrigens langsam aber merklich ihr Gesicht. Überall schrumpfen die Stammbelegschaften. Um sie herum gibt es Koronas von freien Mitarbeitern, Freelancern und selbständigen Ich-AGs, die oft für mehrere Unternehmen arbeiten. Und für die ist die Zeit der betrieblichen Weihnachtsfeiern eine große Herausforderung. Sie werden nämlich gleich zu einem dutzend Weihnachtsfeiern eingeladen, die sie allesamt besuchen sollten. Schließlich hängt ja auch im Zeitalter von E-Mail und Homeworking viel vom persönlichen Kontakt ab, von der „Chemie“. Für diese Unternehmer ihrer selbst sind betriebliche Weihnachtsfeiern Auftragsbörsen, bei denen sie gute Figur zu machen haben, bei denen sie sich aber hinter keiner Powerpoint-Präsentation verstecken können.

 

Bernd Stauss, Professor für Betriebswirtschaft (!) an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt – schon die Berufsbezeichnung ist in dem Fall Quelle reiner Freude – hat jüngst ein Buch geschrieben mit dem besinnlichen Titel „Optimiert Weihnachten“. Es ist nicht in gänzlich unironischen Ton gehalten und versucht, die Überforderungen der Festsaison mit betriebwirtschaftlichen Mittel in den Griff zu bekommen. Kostenplanung, Timemanagement – alles wird hier unter den Baum geschickt. Stauss: „Nachdem ich alle vorweihnachtlichen Entscheidungen unter Anwendung betriebswirtschaftlicher Methoden gefällt habe, habe ich mehr Besinnlichkeitsepisoden als vorher.“

 

Aber all die ohnehin von jedem beklagten Negativa – der Einkaufsstress, der Konsumwahn, die ostentative Besinnlichkeit und die Besäufnisse bei den Punschständen – sind ja nur Nebenaspekte. Das moralinsaure Gesudere über die „Kommerzialisierung“ des Besinnungfestes ist ja fast noch weniger auszuhalten als die beklagte Kommerzialisierung selbst. Und die eigentliche Herausforderung kommt ohnehin dann, wenn alle Geschenke besorgt sind: Wenn man wieder das Kind zu sein hat, das man war und – manchmal sogar zeitgleich – eine Mama oder einen Papa darstellen soll, die man nie sein wollte. In dem Moment der Bescherung, der innerhalb weniger Augenblicke völlig überspannte, reizüberflutete Kinder produziert. Und man einsehen muss: Es gibt keine richtige Feierlichkeit beim falschen Fest.

4 Gedanken zu „Die Horrorparty“

  1. Weihnacht
    da vater schreit „prost,
    daßd‘ gurgel net rost'“
    dem töchterl wird schlecht
    auf ins gefecht
    de mamsch schleppt si o
    de oma am klo
    da fernseher rennt
    de nochspeis‘ vabrennt
    da bua streit‘ mit’n opa
    er wü zum kompjudda
    de oma de reert
    weus‘ gornix mehr hört
    da hund zaht am strick
    des kind is zu dick
    da opa im chat
    des hendl is z’fett
    da schwoger is do
    da haumster krotzt o
    draußt hupt da verkehr
    es weihnachtet sehr
    © hp

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