Wertekonservativismus? Werteprogessismus!

Ein Feuilleton im Deutschlandsradio-Kultur, 2. Dezember 2009

Angenommen, in einer Fernsehtalkshow sagt jemand mit großer rhetorischer Geste, dass „Werte“ ganz wichtig und der „Werteverfall“ ganz grauenhaft seien, dann kann man sich darauf verlassen, dass es sich bei dem, der da spricht entweder um jemanden vom ultrakonservativen Narrensaum handelt, oder um jemanden vom Schlage Eva Herrmann, oder um den Verfassungsrichter Udo di Fabio, zumindest aber um einen Priester oder Prälaten. Und man kann mit fast ebensolcher Sicherheit voraussetzen, dass jemand, der sich selbst eher als progressiven Menschen sieht, das Wort „Werte“ nicht allzu gerne und allzu oft in dem Mund nimmt.

 

„Werte“ werden im saloppen Sprachgebrauch beinahe automatisch mit „konservativen Werten“ gleichgesetzt. „Wertekonservativismus“ ist ein gebräuchlicher Begriff, von einem „Werteprogressismus“ oder „Werteprogressivismus“ hat noch nie jemand gehört, es fällt einem schon schwer, das Wort überhaupt auszusprechen.

 

Wird im besinnlichen Ton eine „Renaissance der Werte“ herbeigesehnt, oder in einem eher alarmistischen Ton der „Verfall der Werte“ beklagt, dann entstehen wie von selbst Assoziationsreihen im Kopf. Wer von „Werten“ spricht hält meist die traditionelle Familie hoch und ein hergebrachtes Frauenbild. Sehr oft kommt dann schnell die Rede auf „maskulinisierte Emanzen“, auf die Werte des „christlichen Europa“ und wie von selbst fügt sich dann, beispielsweise, die Ablehnung der Homo-Ehe ein, weil die ja die Verbindlichkeit der Ehe zwischen Mann und Frau relativiere. „Relativismus“, „Werterelativismus“ – die Lieblingsvokabel von Papst Benedikt XVI. -, machte in den vergangenen Jahren regelrecht Karriere. Dabei behauptet die These vom Werterelativismus nicht einmal ein Wachstum der Unmoral, sondern nur einen Verlust allgemein verbindlicher Werte. Diese These behauptet zunächst ja nicht mehr als: die einen haben diese, die anderen haben jene Werte, und es gibt keine Instanz mehr, die eine Hierarchie an Werten gewissermaßen verordnen könnte. Dennoch ist das Wort auch eine Schmähvokabel, denn sie insinuiert gleichzeitig: Die Moral von uns ist moralisch, die Moral der anderen ist relativ.

 

Eher progressive Menschen reagieren auf all das Werteklimbim mit einem Abwehrreflex. Für sie hat der Begriff selbst den Geruch des Pfäffischen, Illiberalen und moralisch Aggressiven – weil er eben seit jeher von Leuten benützt wird, die anderen Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben. Manche wiederum würden vielleicht anführen, sie wollten ja die Gesellschaft verbessern und nicht den Lebenswandel der Menschen verändern, indem sie ihnen mit Moralvorschriften kommen. Wieder andere bilden sich viel auf ihren „Realismus“ ein und „Werte“ oder „Ideale“ klingen verdammt nach phantastischer Schwärmerei. Wenn progressive Menschen ihr Ideal einer sozial gerechten Gesellschaft oder das Ideal der Gleichheit begründen wollen, dann eben nicht als „Ideal“, dann führen sie sehr gerne an, dass „Gerechtigkeit“ nützlich ist. Dass alle Menschen zum Fortschritt einer Gesellschaft beitragen, wenn alle Menschen aus ihrem Leben etwas machen können, dass grobe Ungleichheiten zu Konflikten führen, was wiederum immense gesellschaftliche Folgekosten hat und dass sich die Menschen ganz generell mehr engagieren, wenn sie sich fair behandelt fühlen.

 

Dabei wären diese Menschen, die sich als Progressive sehen, natürlich sogar dann für Gerechtigkeit, wenn sie keine so eindeutigen nützlichen Folgen hätte, und wenn die Unfairness nicht unnütz, sondern nützlich wäre, würden sie ja nicht plötzlich für Unfairness plädieren. Sie sind nicht primär für die Gleichheit, weil sie nützlich ist, sondern sie sind für die Gleichheit, weil sie für die Gleichheit sind, weil sie ihrem ethischen Kompass entspricht.

 

Diese Linken, die von Werten so ungern reden, sind der Überzeugung, dass jeder aufgrund der Würde, die ihm als Mensch zusteht, einen Anspruch auf respektvolle Behandlung hat und dies selbst für Asylbewerber, Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und Obdachlose, ja auch für Alleinerzieherinnen und ihre Babys gilt.

 

Eine werteorientierte Politik? Die gibt’s. Aber wer sie sucht, sollte weniger auf die konservative Seite blicken. Viel eher findet man die links.  

3 Gedanken zu „Wertekonservativismus? Werteprogessismus!“

  1. Sie haben recht. Es gibt zuviel Wertegeplapper, gerade in der Politik. Wertvolle Werte gibt es genug, jeder sollte bei sich anfangen, daraus was zu machen. Ist ja schon schwierig genug im eigenen Umfeld (Selbsterkenntnis, Erziehung, Familie, Freundschaften,…). Befürchte nur, dass diese politischen Dogmen (links-rechts) dabei oft wie Schleiervorhänge im Weg stehen. The magic is in the mix, manches sehe ich sehr konservativ, manches sehe ich superliberal, manches „sozial-/demokratisch“, lediglich nichts sehe ich was nur den Anruch von „braun/Hetze“ hat. Jetzt empfehle mir mal einer eine Partei 😉 … Im Ernst: Sich persönlich ein paar Tugenden vorzunehmen und die zu leben, das ist ein Anfang, dem ein Zauber innewohnen kann, wenn man ehrlich zu sich ist. Empfehle dazu „inspirativ“: André Comte-Sponvillé. Und die Lektüre der Menschenrechte, werden am 10. Dezember stolze 61 Jahre alt. Das „Jubiläum“ im letzten Jahr schlug sich wertmäßig übrigens unter Wert, das Kosten-Nutzen-Rechnen geht immer schön weiter.

  2. @Ralf Tometschek „lediglich nichts sehe ich was nur den Anruch von „braun/Hetze“ hat.“
    das sagt die FPÖ auch 🙂
    und damit beim Problem angekommen…
    Die gemäßigte Rechte Österreichs (ÖVP) definiert sich immer als Mitte… also würde ich ÖVP als Wunschpartei empfehlen

  3. Man darf nicht „Werte“ an sich schon gleich als etwas gutes finden. Der Fehler, der gemacht wird, ist Form und Inhalt zu trennen – „Solidarität“ zB ist so ein (Un-)Wert. Ist das ein guter Wert? Auch wenn es heißt, dass man Kapitalisten, Bankstern usw. Solidarität zeigen sollte? So ergibt die ganze Rede von Werten keinen Sinn.
    Als ich einen Kongress von Anarchisten besuchte, war dort viel die Rede von Werten. Kropotkin schrieb Bücher über Werte. Mir kam es komisch vor – gerade weil es keine Werte gibt, bin ich Anarchist geworden, weil wenn es keine Werte gibt, kann niemand einer andern Person berechtigterweise sagen, was er tun soll oder nicht. Auch Marx wusste das und hat sich über die Moralisten zurecht immer wieder kritisch geäußert.
    Schaut man sich auch die Beispiele der Moralphilosophen an, Kant vor allem, da geht es hauptsächlich um Versprechen nicht brechen (weil Verträge sind einzuhalten) oder um das nicht stehlen, auch nicht in der Not. Es ist bürgerliche Herrenmoral. Dann lieber keine Werte.
    B. Williams hat auch schön den Zirkel aufgezeigt, andere natürlich auch. Es bringt nichts, mit Werten zu argumentieren, die nicht eh schon da sind. Und wenn sie schon da sind, wozu dann noch Werte postulieren, also sagen, was man tun soll?
    Ach, wozu Werte, wenn man sich doch eh entscheiden kann, wie man die Welt usw. gestaltet. Und wenn man es nicht kann, dann läuft eh was komplett schief.

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