Am Krankenbett der SPÖ

Online und Offline organisieren sich „SPÖ-Linke“ und kritische Sozialdemokraten, die das Rad herumreißen wollen. Kann daraus etwas werden? Datum, Februar 2010

 

 

Die Linke in der SPÖ wird immer mächtiger. Schon 1.145 Mitglieder hat die Facebookgruppe, die sich für einen Neustart in der SPÖ stark macht. Nun, Ausweis für besondere Schlagkraft ist das natürlich keiner. Der Digital Native tritt schon mal täglich drei Gruppen bei, und schaut dann nie wieder vorbei. Dass die Gruppe vom Rudi Fussi gegründet wurde, von dem böse Zungen sagen, das einzige Verlässliche an ihm sei die Wichtigtuerei, ansonsten wäre er sehr sprunghaft, macht die Sache nicht erfolgversprechender. Dass er gerade eben den Job als Kommuniaktionschef eines Heuschrecken-Fonds übernommen hat, trägt zur Glaubwürdigkeit auch nichts bei. Aber immerhin geistert Ex-Sozialminister Erwin Buchinger als Gesicht der neuen SP-Linken durch die Medien. Und täglich entstehen neue Gruppen, in sozialen Netzwerken, aber auch offline.

 

Kann daraus etwas werden?

 

Ja, natürlich kann etwas daraus werden. Die österreichische Sozialdemokratie schlingert konzeptlos dahin. Mit der apparatschikhaften Selbstgewissheit ist es vorbei, seitdem die Partei bei Wahlen regelmäßig nahe der 20-Prozent-Marke aufschlägt. Die dominierende Stimmung auf allen Parteiebenen ist: leise Panik, eine gewisse Orientierungslosigkeit, keine Ahnung, wie man aus der Sackgasse herauskommt. Kurzum: Krisenbewusstsein.

 

Wer glaubt, die SPÖ-Politiker leben in ihrem Paralleluniversum und bekommen gar nicht mit, dass sie gerade drauf und dran sind, an die Wand zu fahren, der liegt ziemlich falsch. So ist es nicht. Oder höchstens bei ein paar Apparatschiks mit unheilbarem Tunnelblick.

 

Wenn man sich umhört, sei es in den verschlossenen Zirkeln der Spitzenfunktionäre, sei es bei Veranstaltungen, bei denen die Parteibasis zu Wort kommt, sei es auf Landesparteitagen oder in Sektionen, dann wird man schnell feststellen: Kaum jemand ist der Meinung, dass die Partei allzu viel richtig macht. Im Gegenteil: die allermeisten sind der Meinung, dass die Partei so ziemlich alles falsch macht. Mit einem Schuss Sarkasmus könnte man glatt formulieren: 99 Prozent der Sozialdemokraten sind der Meinung, dass die Sozialdemokratie praktisch alles falsch macht. Und dann gibt es noch eine Handvoll andere, die diese Meinung – berufsbedingt – nicht teilen (dürfen): der Bundeskanzler, die Parteigeschäftsführer und noch zwei, drei andere. So zieht sich durch die meisten Zusammentreffen ein keppelnder Grundton. Das, was Alfred Gusenbauer einmal das „übliche Gesudere“ genannt hat.

 

Das ist natürlich zunächst mal nichts als ein Indiz dafür, dass es der Sozialdemokratie verdammt schlecht geht. Und das, was man so landläufig „Gesudere“ nennt, also das übellaunige Gejammer, aus dem dann meist ja doch nichts folgt, ist auch durch die Tatsache charakterisiert, dass die Jammerer finden, es laufe alles falsch, aber oft nicht so genau wissen, wie die Dinge richtig gemacht werden könnten. Zudem haben die Suderer einfach nicht das Gefühl, dass ihre Kritik auf irgendeine Weise produktiv sein könnte. Sie sind, und sei es bloß unbewusst, ohnehin überzeugt, dass eine im Alltagsgeschäft vor sich hinwerkelnde und dilettierende Parteiführung, tut, was sie will, und nicht einmal zuhört. Dass die sich höchstens gestört fühlt von Kritik, und dass die ohnehin allergisch auf jede Eigeninitiative von Parteimitglieder reagieren würde. Das erst verleiht dem Gesudere ja diesen charakteristischen, larmoyanten Grundton.

 

Wenn aber der Leidensdruck groß genug ist, dann gibt es auch Möglichkeiten der Veränderung. Das ist schwer zu beschreiben und mehr so ein Eindruck. Aber es gibt doch eine Reihe von Indizien: dass auch im führenden Funktionärskader der SPÖ plötzlich einer Kritik zugehört wird, die früher ignoriert worden wäre. Dass Kritiker eingeladen werden, ihre Kritik auch zu formulieren. Dass Vorschläge nicht mehr einfach so vom Tisch gewischt werden. Und dass sich Leute, die früher nur fruchtlos vor sich hin gejammert hätten, zusammentun und sagen: Gut, lasst es uns besser machen. Früher ließen sich die jungen Leute in der Partei noch einschüchtern oder in ihre Nische als weltfremde, idealistische Spinner abdrängen und haben sich in diese Rolle auch eingefügt. Es sind jetzt, sicher erst mal nur da und dort, Hinweise zu erkennen, dass sie das nicht mehr tun.

 

Es gibt hier schleichende Veränderungen, die aber eigentlich leicht verständlich sind. Früher war das Setting so: Es gab eine bestimmte politische Linie der Parteiführung und dann gab es innerparteiliche Kritiker, die eine andere Linie favorisiert hätten, von der Parteiführung aber minorisiert wurden. Da aber heute eine politische Linie der Parteiführung gar nicht mehr recht erkennbar ist, sondern nur mehr so etwas wie ein erratisches Herumgezucke, verändert sich das Setting.

 

So starteten die Jusos gerade einen programmatischen Diskursprozess unter dem Titel „Denkfabriken“, in dem sie Konzepte für eine zeitgemäße Sozialdemokratie erarbeiten wollen – explizit gemeinsam mit „älteren“ Sozialdemokraten. Sie überschreiten also die traditionelle Juso-Nische. In Oberösterreich wurde nach dem Wahldebakel vom Herbst ein breiter Diskussionsprozess unter dem Titel „morgen.rot“ gestartet, in dem die gesamte Partei involviert sein soll und in dem moderne, ambitionierte junge Sozialdemokraten den Takt angeben. All das sind ein paar Indizien dafür, dass die Phase der Suderei in eine produktivere Phase übergeht.

 

Wobei die Catch-Phrasen „SPÖ-Linke“ oder „Linksruck“ womöglich eine falsche Fährte legen. Schließlich ist es ja nicht einmal so, dass die Sozialdemokratie heute für eine zu rechte Politik „steht“ und die Kritiker wollen, dass sie für eine linkere Politik „stehen“ würde. Das Problem ist doch vielmehr, dass überhaupt nicht mehr erkennbar ist, wofür sie steht. Dass sie nicht mehr zu artikulieren versteht, wofür sie steht. Nun kann man natürlich der Meinung sein, eine an humanitären Grundsätzen, vor allem aber an den praktischen Notwendigkeiten orientierte Immigrations- und Integrationspolitik wäre „linker“ im Vergleich zu der gegenwärtigen, die aus Angst vor den Hetzparolen der FPÖ das xenophobe Geschäft besorgt (oder von Frau Fekter besorgen lässt). Man kann auch der Meinung sein, dass eine Steuerpolitik, die auch Vermögen-, Vermögenszuwächse, Kapitalerträge, Finanzmarkttransaktionen besteuert und Solidarabgaben für hohe Arbeitseinkommen über – beispielweise – 120.000 Euro pro Jahr anpeilt, eine „linkere“ Politik wäre als die gegenwärtige, die solche Vorschläge aus Angst vor bösen Schlagzeilen der „Kronen Zeitung“ schon im frühen Diskussionsstadium abwürgt. Oder dass eine Umweltpolitik, die das Großrisiko „Klimawandel“ ernst nimmt, „linker“ wäre als die gegenwärtige Kopf-in-den-Sand-Politik. Aber das Kategoriensystem Links-Rechts ist in all diesen Fragen nicht wirklich punktgenau. Eher geht es um die Differenz zwischen einer vernünftigen, zeitgemäßen und einigermaßen zukunftstauglichen progressiven Politik und der gegenwärtigen Nicht-Politik.

 

Die Krankheit, an der die Sozialdemokratie laboriert, hat eine Reihe von Symptomen. Ihre Repräsentanten sind nicht mehr in der Lage, mit den Bürgern auf klare, glaubwürdige Weise zu kommunizieren. Sie ist personell ausgedünnt, wer Biss hat und etwas will im Leben, der tut sich die Ochsentour durch die sozialdemokratischen Institutionen nicht mehr an. Wer sich für etwas engagieren will, tut das in NGOs, in der Caritas oder sonst wo, aber nicht in einem lähmenden Tanker wie der SPÖ, wo jeder Mensch mit einem Gewissen sich dreimal pro Woche verbiegen muss. Die allermeisten ihrer führenden Repräsentanten sind kaum fähig, die ökonomischen Vorzüge einer sozial gerechteren Wirtschaftspolitik überzeugend zu argumentieren. Seit mehreren Generationen kommt die Personalpolitik der Sozialdemokratie einer Negativauslese gefährlich nahe. Führungspersönlichkeiten, die Wahlen gewinnen und Menschen begeistern können, sind rar. Der Wunsch vieler Bürger, im demokratischen Prozess mitmachen zu können, wird krass ignoriert – nicht einmal die normalen Parteimitglieder haben ein wirkliches Mitspracherecht, eine Öffnung der Partei zu neuen Partizipationsmöglichkeiten, zu einer Mitmach-Demokratie wird abgeblockt, was die Politikverdrossenheit weiter fördert. Aber wäre ein Politikwechsel, der all das korrigiert, wirklich ein „Linksruck“? Ist mehr Demokratie, mehr Mitmach-Demokratie, ist eine überzeugender Politik, ist eine Kommunikation in einer normalen Sprache, ist eine Personalpolitik, die versucht, die Besten für die Politik zu gewinnen, wirklich prononciert „links“? Ist mehr Professionalität „links“? Eine Sozialdemokratie, die auf der Höhe der Zeit sein will, braucht einen Ruck in die Mitte der Gesellschaft mindestens so sehr wie einen Ruck nach Links.

 

Vor etwas mehr als zehn Jahren lieferten Gerhard Schröder und die deutsche Sozialdemokratie mit dem Wort von der „Neuen Mitte“ eine Catchphrase. Die wurde nicht zuletzt so verstanden, dass die Sozialdemokratie jetzt „in die Mitte“ rückt, also relativ nach „rechts“. Das Falsche an dem Konzept war nicht die Idee, die gesellschaftliche Mitte, den Mainstream repräsentieren zu wollen, sondern die Phantasie, dass der Mainstream an einem fixen Platz zu finden ist, auf den man sich gewissermaßen zubewegen müsse. Eine erfolgreiche Sozialdemokratie muss dagegen versuchen, insofern eine tatsächlich „Neue Mitte“ zu schaffen, als sie die Mitte selbst „nach links“ bewegt. Aber dafür muss sie nicht notwendigerweise selbst nach links rücken, sie muss vor allem als Sozialdemokratie Glaubwürdigkeit gewinnen. Umgekehrt ist es in Österreich ja so, dass nicht zuletzt des Unvermögens der Sozialdemokraten wegen die gesellschaftliche Mitte seit Jahren nach rechts rückt.

 

Die Mitte nach Links rücken – Dafür braucht die Sozialdemokratie heute primär: Eine neue Sprache, ein neues Verständnis dafür, wie man gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt (sicher nicht durch Trickserei, Taktiererei und plumpes Spindoctorentum). Und neue Leute.

 

Man kann jetzt natürlich der Meinung sein: Es ist nicht sehr realistisch, dass das gelingt. Es ist sehr schwer, einer grauen Partei Farbe zu verleihen. Es ist nahezu unmöglich, einen Parteiapparat auf eine neue Spur zu setzen, wenn er seit Jahren auf einen tief ausgetreten Pfad dahinstapft. All das ist schon wahr.

 

Aber es gibt gerade jetzt sehr viele Leute, die der Meinung sind, das Rad müsse herumgerissen werden. Und heute können sich diese Leute über soziale Netzwerke und das Web 2.0 auch Gehör verschaffen, und was noch wichtiger ist, sie können sich mit Ihresgleichen stabil vernetzen. Das schafft auch für Parteien und innerparteiliche Diskurse eine neue Realität. Milieus, die früher schnell zerfasert wären, sind heute mobilisierungsfähig.

 

Von vorneherein zu sagen, „da wird eh nichts draus“, das wäre jedenfalls, ja, wie soll man das formulieren? – zutiefst österreichisch.

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