Wahlkampf im Badezimmer

Barack Obamas genialer Kampagnenplaner David Plouffe hat die Insidergeschichte des Wahlkampfes geschrieben. Jetzt zieht er als Nothelfer ins Weiße Haus ein. Falter, 7. April 2010

 

 

 

Er hat die professionellste Wahlkampagne aller Zeiten orchestriert: David Plouffe, der Manager von Barack Obamas Präsidentschaftswahlkampf. Aber während sich die meisten anderen seiner Mitstreiter darauf vorbereiteten, nach dem Wahlsieg wichtige Funktionen in der Regierung und im Weißen Haus zu übernehmen, sagte Plouffe noch in der Wahlnacht „Goodbye“. Im Morgengrauen setzte er sich ins Taxi und flog heim zu seiner Familie.

 

Schließlich hatte er sein kleines Kind ein Jahr lang praktisch nicht gesehen und seine Frau sollte nur zwei Tage nach dem Wahlsieg ihr zweites Baby zur Welt bringen. Plouffe wollte nicht beim Weltlenken mitmachen, sondern mit seinen Kindern sein.

 

Jetzt, ein Jahr nach Obamas Einzug ins Weiße Haus, kommt Plouffe zurück. Als Spezialberater des Präsidenten soll er helfen, den etwas außer Tritt geratenen Obama wieder in die Spur zu bringen. Plouffe ist die ideale Ergänzung Obamas: Ein Mechaniker der Macht, fast eine Art Nerd – einer, der nichts dem Zufall überlässt. Ein detailverliebter Zahlenhengst, dem nichts entgeht. Plouffe hätte den Senatssitz von Massachusetts wohl nicht verloren gehen lassen.

 

In der einjährigen Auszeit, die er sich gegönnt hat, hat Plouffe ein Buch über die Wahlkampagne geschrieben: „The Audacity to Win“ („Die Verwegenheit, zu gewinnen“), die „Geschichte und die Lektionen von Barack Obamas historischem Sieg“. Es ist die Geschichte eines unwahrscheinlichen Triumphes. Schließlich ist Obama als absoluter Außenseiter gestartet – und seine Rivalin Hillary Clinton als haushohe Favoritin.

 

Während die New Yorker Senatorin die geölte „Clinton-Machine“ – mitsamt deren legendären Finanzkraft – zur Verfügung hatte, stampften Obama und seine beiden Spitzenmanager Plouffe und David Axelrod aus dem Nichts ihre Kampagne aus dem Boden. Das liest sich streckenweise richtig lustig. So lebte Plouffe mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung in Chicago, als der Wahlkampf auf Touren kam. Wenn er spätnachts von daheim aus noch telefonisch Strategiedebatten mit Obama zu führen hatte, musste er sich ins enge Badezimmer zurückziehen – der einzige Raum, in dem er laut sprechen konnte, ohne seine Familie zu wecken: „Wenn Sie jemals vorhaben, einen Präsidentschaftswahlkampf zu führen, ziehen sie vorher in eine Wohnung mit einem Arbeitszimmer um.“

 

Überhaupt war da eine lustige Truppe am Werke. David Axelrod, der Mann, der sich die Botschaften, die Argumentationslinien ausdachte, der Mann mit dem Instinkt dafür, wie man progressive Politik mehrheitsfähig machen kann, erweist sich im Alltag als ziemlich lebensuntüchtig. Seine Blackberrys überschüttet er regelmäßig mit dem Frühstückskaffe und macht sie so funktionsuntauglich, und überall vergisst er seinen Computer. „Die Telefone, Blackbarrys und die andere Ausrüstung, die David in den Jahren, seit ich ihn kenne, verloren hat, würden locker die Ladefläche eine Pick-Up-Trucks füllen.“

 

Während Axelrod für die Botschaften zuständig ist, ist Plouffe als Kampagnenmanager dafür verantwortlich, die Kräfte so zu verteilen, dass am Ende der Kandidat eine Mehrheit hat. Plouffe hat einen Plan und eine Zahl im Kopf: am Ende der Vorwahlen muss Obama die Mehrheit der demokratischen Delegierten hinter sich haben, und am Ende des November-Wahltages muss er 270 Wahlmänner gewonnen haben. Das ist es, worum sein Denken eineinhalb Jahre kreist. Und das komplizierte Wahlsystem der USA verlangt, dass ein Kandidat nicht nur die Menschen begeistert und für sich einnimmt – das ist zwar auch wichtig, aber es ist nur die halbe Miete. Wer an den falschen Stellen wahlkämpft, der gewinnt womöglich mehr Staaten (oder Wahldistrikte) als die Konkurrenz, hat aber am Ende doch weniger Stimmen.

 

Plouffe kannte alle Staaten, alle Distrikte, hatte ihre soziale und demographische Zusammensetzung im Kopf, wusste, in welchen Staaten der Gewinner alle Delegierten gewinnt, in welchen er nur die relative Mehrheit absahnt (tatsächlich haben die US-Bundesstaaten unterschiedliche Wahlsysteme). Kurzum: Er wusste, in Distrikt X leben viele Schwarze und junge Menschen, in dem kann Obama durch die Steigerung der Wahlbeteiligung die Mehrheit erlangen – in Distrikt Y wiederum ist das unwahrscheinlicher. Wenn Distrikt X alle Delegierte an den Gewinner vergibt, Distrikt Y aber nur die relative Mehrheit, dann hat Plouffe alle Kraft in Distrikt X investiert. Immer wieder entdeckt er, dass Obama mehr Delegierte gewinnen kann, wenn er in kleinen Staaten siegt, als Clinton, wenn sie die großen, vorgeblich wichtigen Staaten für sich entscheidet. So hängte Obama Clinton schon in den ersten Monaten der Vorwahlsaison in Delegiertenstimmen ab, obwohl sie prestigeträchtige Bundesstaaten für sich gewinnen konnte. „Ihr könnt mich einen Nerd nennen“, schreibt er, aber für ihn war in diesen Monaten die komplizierte Mathematik, „sexy stuff“. Clinton lief in der Vorwahlsaison in Plouffes Falle, und die Strategie des republikanischen Kandidaten John McCain wirkt in der Rückschau völlig erratisch.

 

Wahlkampf in den USA heißt deshalb auch nicht Wahlkampf in den gesamten USA. Der volle Einsatz konzentriert sich auf die Bundesstaaten, die über Sieg und Niederlage entscheiden. „Der Großteil des Landes wurde nicht wirklich Zeuge des Wahlkampfes. Wirklich gekämpft wurde nur in sechzehn Staaten.“

 

Zwischen all den faszinierenden, wenn auch sehr technischen Details einer professionellen Wahlkampagne bietet Plouffes Buch auch manche Einsicht in den Charakter Barack Obamas. So war er nach einigen Monaten Wahlkampagne richtig down und antriebslos – und erst seine Vorwahlsiege gaben ihm wieder Energie. Gelegentlich ließ er die Dinge schleifen, war auch richtig schlecht. Aber dann fand er wieder zu seiner Form zurück.

 

Womöglich schafft, was dem Kandidaten Obama gelang, ja auch der Präsident Obama.

 

David Plouffe: The Audacity to Win. The Inside Story and Lessons of Barack Obama’s Historic Victory. Vicing, 2009. 17,95 Euro

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