„Mehr Gleichheit ist besser für alle“

Heute, Mittwoch, 29. September, 19 Uhr habe ich Wiener Kreisky-Forum Richard Wilkinson zu Gast, den Co-Autor des Buches „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften besser für alle sind“. Im Folgenden die Langfassung eines Interviews, das ich für den aktuellen „Falter“ mit Wilkinson führte.

 

Selbst der wirtschaftliberale „Economist“ verbeugte sich in Respekt, in Deutschland gab es begeisterte Rezensionen von „FAZ“ bis „taz“, nachdem das Buch: „Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ erschienen ist. Richard Wilkinson und Kate Picket, zwei Ungleichheitsforscher und Mediziner, haben es geschrieben. Die Autoren haben klare politische Haltungen – sie wollen egalitärere Gesellschaften. Aber vor allem die beeindruckende Datenmengen, die die aufgearbeitet haben, erklären, warum ihr Buch derart einschlug: An Hand von vielen hunderten Datensätzen der OECD, der WHO, aber auch der US-Bevölkerungsstatistik belegen sie, dass Gesellschaften besser funktionieren, wenn sie einen geringeren Grad an sozialer Ungleichheit aufweisen. Und die Fakten sind so eindeutig, dass Gegenargumentieren praktisch nicht mehr möglich ist. Kommenden Mittwoch, 29. September, präsentiert Richard Wilkinson seine Forschungsergebnisse und Reformvorschläge im Bruno-Kreisky-Forum in Wien.

Sie behaupten in ihrem Buch, soziale Ungleichheit ist nahezu an allen gesellschaftlichen Problemen schuld. Wie kommen Sie darauf?

Wilkinson: Nicht für alle Probleme, natürlich. Aber viele Probleme haben soziale Einflüsse. Viele häufen sich am unteren Ende der sozialen Leiter. Und viele Probleme sind in ungleicheren Gesellschaften viel weiter verbreitet.

Wenn man Ihre Datensätze durchsieht, dann ist praktisch jedes gesellschaftliche Problem von Ungleichheit verschärft…

Wilkinson: Es zeigt sich nahezu bei jedem Problem eine deutliche Korrelation, außer bei zweien: Selbstmord und Nikotinsucht. Bei diesen beiden Dingen gibt es keine erkennbaren Zusammenhänge mit dem Grad an Gleichheit oder Ungleichheit. Aber ansonsten sind die Daten eindeutig: Je größer die Unterschiede zwischen arm und reich, umso schlechter funktioniert die Gesellschaft. Ob es um Kriminalität, Gewalt, Fettleibigkeit, Teenagerschwangerschaften, Lebenserwartung oder Gesundheit geht, überall schneiden gleichere Gesellschaften besser ab als ungleichere.

Man würde aber doch auch annehmen, dass zunächst einmal reiche Gesellschaften einfach besser funktionieren als arme Gesellschaften.

Wilkinson: Das stimmt auch, soweit wir sehr reiche mit sehr armen Gesellschaften vergleichen. Aber wenn wir die reichen und die einigermaßen reichen Gesellschaften hernehmen, dann sehen wir, dass das allgemeine Glücksempfinden, die Lebenszufriedenheit, das Bildungsniveau, die Gefahr, ausgeraubt oder ermordet oder psychisch krank zu werden, wesentlich vom Grad der Gleichheit oder Ungleichheit abhängt, aber kaum vom Reichtumsniveau. Ein bisschen BIP-Zuwachs bringt keine Verbesserungen, ein bisschen mehr an Gleichheit aber sehr wohl.

Waren Sie von der Signifikanz ihrer Daten überrascht?

Wilkinson: Nun, ich habe mich seit 30 Jahren mit dem Zusammenhang von Gesundheit und sozialen Verhältnissen beschäftigt, also war ich nicht so sehr überrascht. Was mich schon überrascht hat, war die Konsistenz des Musters. Wir wären schon davon ausgegangen, dass man im allgemeinen eine Korrelation zwischen den Problemen, die eine Gesellschaft hat, und dem Grad an Ungleichheit erkennen kann, aber dass man sie praktisch immer und überall so deutlich sieht, war dann schon überraschend.

In ungleicheren Gesellschaften sind auch die Reichen unglücklicher und kränker als ihre „Kollegen“ in eher egalitären Gesellschaften. Das ist doch das eigentlich erstaunliche – dass also alle etwas von mehr Gleichheit haben, nicht nur die Ärmeren.

Wilkinson: Es brauchte eine Zeit, bis wir die Gründe dafür verstanden haben. Es ist mittlerweile unbestreitbar, dass die Konkurrenz um den sozialen Status auf allen Treppen der sozialen Leiter gespürt wird und dass sie in Gesellschaften mit einem hohen Grad an Ungleichheit einfach härter ist. Hier sind auch die Leute an der Spitze der Gesellschaft stark von Ehrgeiz getrieben und sie selbst zahlen ebenfalls einen sehr großen Preis. Außerdem ist der Zusammenhalt in der Gesellschaft schlechter, der allgemeine Grad an Vertrauen zu anderen, und auch das wirkt sich auf alle Bürger negativ aus. Mehr Gleichheit ist also besser für alle.

Der Wert der sozialen Gleichheit ist sehr aus der Mode geraten. Wenn jemand nur ein bisschen mehr Gleichheit herstellen will, heißt es gleich: Oh Gott, das ist ja Kommunismus! Kann man wirklich die Menschen für mehr Gleichheit begeistern?

Wilkinson: Nun, es hat sich seit dem Crash der Finanzmärkte viel verändert. Schließlich weiß man ja auch, dass wichtige Krisenursachen in der Ungleichheit und den damit verbundenen Ungleichgewichten begründet sind, ganz ähnlich wie das schon in der Krise Ende der zwanziger Jahre der Fall war. Aber die Frage ist natürlich, wie will man mehr Gleichheit herstellen? Wir würden mehr Wirtschaftdemokratie vorschlagen, damit der Status der einfachen Bürger verbessert wird, mehr Genossenhaften etc. Also, das hat mit kommunistischer Staatskontrolle und Gängelung nichts zu tun.

Nichtsdestoweniger würden auch heute noch viele Ökonomen sagen, dass wir Ungleichheiten akzeptieren müssen, wenn wir eine brummende Ökonomie wollen – dass wir also mehr Gleichheit nur herstellen können, wenn wir Wachstum opfern.

Wilkinson: Wenn wir uns alle Datensätze ansehen, gibt es keine Hinweise dafür, dass Ungleichheit gut für Wachstum ist, aber es gibt einige dafür, dass mehr Gleichheit besser für Wachstum ist. Es gibt so etwas wie Transaktionskosten der Ungleichheit, in gleicheren Gesellschaften ist es einfacher, Geschäfte zu machen, es gibt zufriedenere und qualifiziertere Arbeitnehmer. Ungleichheit hat Kosten, die auf Gesellschaften lasten und ihre ökonomische Funktionstüchtigkeit einschränken. Es gibt US-Bundesstaaten, in denen mehr Geld für Gefängnisse als für höhere Bildung ausgegeben wird. Je höher die Ungleichheit, umso geringer die soziale Mobilität, also die Möglichkeit, aufzusteigen – die Gesellschaften verschwenden unglaublich viel an Talenten.

Was sind die Gründe dafür, dass das Ausmaß der Ungleichheit in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren gestiegen ist?

Wilkinson: Viele Leute würden den technologischen und sozialen Wandel oder die Globalisierung dafür verantwortlich machen. Paul Krugman, der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger, vertritt die Auffassung, dass diese Veränderungen die Zunahme der Ungleichheit nicht wirklich erklären können. Er sieht Primär die Ursache bei der Politik. Thatcherismus und Reaganismus sind dafür verantwortlich. Gewerkschaften wurden geschwächt, die Arbeitsgesetzgebung, die Steuergesetzgebung wurden in eine bestimmte Richtung verändert, sodass die Einkommendifferenzen wieder dramatisch anstiegen.

Hat nicht der technologische Wandel, der dazu führte, dass große Fabriken durch viele kleine Firmen ersetzt wurden, dazu geführt, dass etwa Gewerkschaften an Macht einbüßten?

Wilkinson: Das kommt sicherlich noch hinzu.

Manche Kritiker Ihres Buches geben zu bedenken, dass die Kultur der Gleichheit auch deshalb unter Druck geraten ist, weil unsere Gesellschaften vielfältiger wurden, etwa durch Migration, aber nicht nur. Und dass man nicht beides zugleich haben kann – Diversität und Gleichheit.

Wilkinson: Ich möchte nicht abstreiten, dass mehr Diversität oft dazu führt, dass die Menschen unwillig werden, sich etwa für ein generöseres Wohlfahrtssystem einzusetzen. Aber das ist nicht notwendig so. Schweden hat den selben Anteil an Bürgern, die außerhalb des Landes geboren wurden, wie die USA und dennoch gibt es in Schweden einen viel höheren Grad an Gleichheit als in den USA. Diversität mag also einen kleinen Beitrag zu den Ursachen von Ungleichheit leisten, aber es ist nur ein kleiner Teil.

Es gibt Sozialphilosophen, die entschieden sagen würden, dass es nicht darauf ankommt, wie jemandes Leben in materieller Hinsicht im Vergleich zum Leben anderer aussieht – sondern ob er ein gutes Leben führt, vorausgesetzt er hat eine ausreichende Basis an materiellen Ressourcen. Ist das also ganz falsch?

Wilkinson: Ja, absolut. Mittlerweile sehen sogar Ökonomen die große Bedeutung von Relativitäten. Ob sich Menschen beispielsweise fair behandelt fühlen ist nur relativ zu anderen zu beurteilen – und sie beurteilen danach. Und das beeinflusst auch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten. Menschen sind nun einmal soziale Wesen. Die primäre Beziehung hat der Mensch nicht zu sich und seinen Gütern, sondern zu anderen Menschen. Das Fatale an der Ungleichheit ist darum auch, was sie mit sozialen Beziehungen macht. Das war der Fehler, den Blair und seine Leute in der Sozialdemokratie gemacht haben, dass sie gedacht haben, wenn Menschen nur einigermaßen materiell abgesichert sind, wenn sie ein Dach über den Kopf haben und etwas Wohlstand, dann spielt Ungleichheit keine Rolle mehr. Aber sie haben vollständig die sozialpsychologischen Verheerungen übersehen, die Ungleichheit nach sich zieht.

Was können wir also tun, damit mehr Gleichheit entsteht?

Wilkinson: Es ist schon einmal viel damit getan, wenn wir ein Bewusstsein über die Kosten der Ungleichheit schaffen. Es gibt mehrere Wege, mehr Gleichheit herzustellen. Über Arbeitsgesetzgebung, über die Steuergesetzgebung, was auch immer. Wenn wir uns die eher egalitären Gesellschaften ansehen, wie etwa Japan oder Schweden, dann sehen wir, dass es unterschiedliche Wege gibt: In Japan sind die Einkommensdifferenzen grundsätzlich nicht sehr groß, in Schweden wird die Differenz bei den Primäreinkommen durch das Steuer- und Sozialsystem wieder ausgeglichen. Es ist letztlich egal, auf welche Weise man zu einer egalitären Kultur kommt. Aber mehr Gleichheit ist auch für viele andere Politikbereiche von Bedeutung. Nehmen wir nur den Kampf gegen den Klimawandel. Mehr Gleichheit macht es einfacher, nachhaltiger zu wirtschaften. Einerseits ist der Konsumismus für viele Verschwendungen verantwortlich und dieser ist wesentlich getrieben von der Statuskonkurrenz. Außerdem funktioniert in egalitären Gesellschaften das Gemeinwesen besser, es gibt ein höheres Maß an wechselseitigem Vertrauen – und das ist die Voraussetzung für große politische Kurswechsel, weil Menschen dann leichter mit Gemeinschaftsgeist öffentliche Ziele verfolgen. In einer eher ungleicheren Gesellschaft verfolgen die Menschen eher ihre eigenen, egoistischen Ziele – in gewissem Sinne bleibt ihnen ja nichts anderes übrig.

Die Ressonanz auf ihr Buch war gewaltig. Hat Sie das überrascht? Viele progressive Politiker greifen nach ihrem Buch als könnten sie darin die „nächste große Idee“ finden…

Wilkinson: Nun, die Veränderung der politischen Grundhaltungen hat mit dem Finanzcrash begonnen. Die Ressonanz auf unser Buch ist sicher ein Symptom dafür, dass sich zumindest das Meinungsklima ändert. Es war schon erstaunlich – im britischen Wahlkampf hat sich sogar der konservative Premierminister positiv auf uns bezogen, die Sozialdemokraten sowieso. In den ersten 18 Monaten nach Erscheinen des Buches wurden Kate, meine Co-Autorin, und ich zu 350 Vorträgen eingeladen.

Richard Wilkinson: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Mittwoch, 29. September, 19 Uhr, Kreisky-Forum, Armbrustergasse 15 – 1190 Wien

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