Richard Wilkinson im Kreisky-Forum


foto wilkinson.JPGEin wunderbarer Abend
war das gestern mit Richard Wilkinson im Kreisky-Forum. „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“, das Buch, das er gemeinsam mit Kate Pickett geschrieben hat, ist ja regelrecht eingeschlagen. An Hand hunderter Datensätze – der UNO, der OECD, der WHO, der amerikanischen Bevölkerungsstatistik – haben die beiden nicht nur nachgewiesen, dass Gesellschaften mit einer eher gleicheren Einkommensverteilung viel weniger Probleme haben als Gesellschaften mit ungleicheren Einkommensverteilungen, sondern dass es sogar den Reicheren in egalitären Gesellschaften besser geht. Kurzum: Dass alle, nicht nur die Armen, einen Preis für grobe Ungleichheiten bezahlen.

Wilkinson illustrierte das gestern mit beeindruckenden Charts, etwa jener, die die Kindersterblichkeit in Schweden mit der in den USA verglich. Sogar im Segment der reichsten zehn Prozent ist die Kindersterblichkeit in Schweden unter jener der USA. Sogar im Segment der rechsten zehn Prozent sind die Leseleistungen in Schweden über jenen der USA. Soziale Mobilität, Kriminalitätsrate, Lebenserwartung, Teenagerschwangerschaften, Fettleibigkeit, allgemeine Lebenszufriedenheit – welchen Parameter immer man heranzieht, überall schneiden egalitäre Gesellschaften besser ab. Eine unglaubliche Menge an Daten und Zusammenfassungen ihrer Thesen, an Videos und Podcasts findet sich auf der Homepage des von Wilkinson und Pickett gegründeten „Equality Trusts“.

Politiker progressiver Parteien überall auf der Welt verschlingen das Buch geradezu. Erst vorgestern sagte Ed Miliband bei seiner Antrittsrede (hier) als New-Labour-Chef, in der er sich scharf vom Blairismus abgrenzte: „The Gap between the rich and the poor doesnt only harm the poor, it harms us all.“ Miliband musste gar nicht hinzusagen, auf wen dieser Satz referenziert – seine Zuhörer wussten, dass der neue Labour-Chef sich dabei auf die bahnbrechenden Arbeiten Wilkinsons und Picketts bezieht. In Deutschland diskutieren SPD-nahe Think Tanks wie das Progressive Zentrum ebenso intensiv die Implikationen der Studie wie die Heinrich-Böll-Stiftung, die Parteiakademie der Grünen. Und Mona Sahlin, die Vorsitzende der schwedischen Sozialdemokraten, antwortete unlängst auf die Frage, was denn ihre „Ideologie“ sei: „Jämlikhetsanden“. Ich kann nicht schwedisch, und weiß nicht, was das genau heißt. Ist aber auch nicht nötig: Das Wort ist schlicht der Titel der schwedischen Ausgabe von „Gleichheit ist Glück“.

Bytheway: Natürlich war gestern im Kreisky-Forum nicht ein einziger Politiker hiesiger progressiver Parteien. Offen gesagt: Das kann es auch nur in Österreich geben. Manchen Leuten ist einfach nicht mehr zu helfen.

Später dann beim Heurigen ums Eck sagte Wilkinson einen bemerkenswerten Satz:

 „Das Erstaunlichste an unserem Buch ist, dass es nicht schon vor zehn, fünfzehn Jahren jemand geschrieben hat.“

Denn die Daten waren schon da in ausreichender Menge vorhanden. Man musste sie nur auswerten und sich ansehen, in welchem Verhältnis sie zum Grad der Ungleichheitsverteilung in einer Gesellschaft stehen.

In meinem Buch „Anleitung zur Weltverbesserung“, das kommende Woche erscheint, widme ich den Ergebnissen Wilkinsons und Picketts sowie der zeitgenössischen „Glücksforschung“ übrigens ein eigenes Kapitel. Hier ein paar Takte daraus:

Erst seit den jüngsten spektakulären Erhebungen der modernen „Glücksforschung“ ist der Wert der Gleichheit wieder rehabilitiert. Diese „Happiness Studies“ haben in den vergangenen Jahren einige Fortschritte gemacht. Erstens, weil die avancierte Gehirnforschung nachweisen kann, welche Arten von Stress, Belastungen oder Kränkungen „unglücklich“ machen (und auf welche Weise das geschieht), und umgekehrt, was Menschen „glücklich“ macht – und was genau dann im Gehirn geschieht. Zweitens verfügen die Sozialwissenschaften mittlerweile über sehr aussagekräftige langfristige Datensätze zum „subjektiven Wohlbefinden“ in einzelnen Gesellschaften – und über die Veränderungen dieses Wohlbefindens über die Zeit; und drittens sammeln internationale Institutionen wie die UNO, die Weltbank oder die WHO sehr detaillierte Statistiken über wichtige Lebensqualitäts-Parameter wie Gesundheit, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Häufigkeit psychischer Erkrankungen, Gewaltkriminalität usw. All diese drei Stränge der „Happiness Studies“ brachten ein eindeutiges Ergebnis: In egalitäreren Gesellschaften sind die Menschen glücklicher. Es lebt sich in ihnen besser. Sie funktionieren besser und sind in beinahe jeder Hinsicht erfolgreicher als Gesellschaften mit einem hohen Grad an Ungleichheit.

(…)

In Gesellschaften mit groben Ungleichheiten sind die Menschen im Durchschnitt unglücklicher – wobei natürlich die Reichen glücklicher als die Armen sind. So bezeichnen sich 45 Prozent der reichsten US-Amerikaner als „sehr glücklich“, wohingegen im ärmsten Viertel nur 33 Prozent das von sich behaupten. Zu den erstaunlichsten Sachverhalten zählt aber der Umstand, dass in Gesellschaften mit starken Einkommensdiskrepanzen die Menschen nicht nur im Durchschnitt unglücklicher sind, sondern auch in jedem einzelnen Einkommenssegment. Also: In Gesellschaften, die schroff in reich und arm gespalten sind, sind die Reichsten keineswegs besonders glücklich, im Gegenteil. Sie sind in aller Regel unglücklicher als ihre „Kollegen“ in egalitäreren Gesellschaften. Warum das so ist, lässt sich nur erahnen oder interpretieren. „Statusunterschiede werden umso wichtiger, je größer die materielle Ungleichheit ist“, schreiben die beiden Sozialforscher Richard Wilkinson und Kate Pickett. Sie haben Berge von Datensätze aus etwa 200 ganz unterschiedlichen Erhebungen für ihre Untersuchung ausgewertet und kamen zu den Befund: „Die Analysen deuten darauf hin, dass auch die reichsten Gruppen einen Gewinn von mehr Gleichheit haben.“  Vor allem aus drei Gründen: Erstens macht die verschärfte Statuskonkurrenz vor den Wohlhabenden nicht halt – auch sie müssen fürchten, dass einer noch reicher ist oder noch mehr Prestige hat als sie. Die Mühe, die man hat, oben zu bleiben, ist auch für sie größer – und der Stress, den das verursacht, ist in antiegalitären Gesellschaften viel stärker als in egalitären. Zweitens trägt Ungleichheit zu einer Verschlechterung der sozialen Beziehungen in einer Gesellschaft bei. Die Bürger begegnen sich feindseliger, man muss stets auf der Hut sein, von anderen überholt zu werden – das macht allen Bürgern das Leben schwerer. Und drittens funktionieren in Gesellschaften, die durch tiefe soziale Gräben zerrissen sind, viele Institutionen einfach schlechter – was auch wiederum für alle negative Auswirkungen hat. Kurzum: Der Egoismus ist sogar für die Egoisten unkomfortabel.

(…)

Statusangst macht die Menschen krank. Und die Statusunterlegenen leiden massiv. Das allgemeine Gesundheitsniveau und die Lebenserwartung hängen heute in entwickelten Ländern nicht so sehr vom Reichtum der Gesellschaft als Ganzes ab, sondern von der Verteilung des Reichtums. In ungleichen Gesellschaften stirbt man früher. Und am frühesten sterben die, die in der gesellschaftlichen Pyramide ganz unten stehen. „Wo immer wir in der Hierarchie stehen: Die über uns sind gesünder, die unter uns sind kränker.“

Der Anteil der Fettleibigen ist in ungleichen Gesellschaften ebenso markant höher wie der Anteil der Inhaftierten, die Anzahl der Gewaltverbrechen ebenso wie der Anteil an unerwünschten Teenagerschwangerschaften und auch psychische Erkrankungen sind deutlich häufiger. Und obwohl die Apologeten der sozialen Ungleichheit immer behaupten, in diesen Gesellschaften herrsche ein Leistungsethos und jeder, der sich anstrengt, könne von unten nach oben kommen, ist das Gegenteil wahr. Die Bessergestellten kapseln sich ab und hindern die Unterprivilegierten am sozialen Aufstieg. Die Unterprivilegierten selbst sind durch ihre Statusunterlegenheit oft derart entmutigt, dass sie es ohnehin nicht versuchen. In Gesellschaften mit groben Ungleichheiten gibt es also nicht nur die „Ungleichheit im Ergebnis“, sondern auch massive „Chancenungleichheit“. Nicht nur, dass  beispielsweise Kinder aus unterprivilegierten Schichten oft bessere Leistungen bringen müssen als Kinder aus wohlhabenden Familien – Untersuchungen haben ergeben, dass die Kinder aus ärmeren Familien auch bei gleichen Fähigkeiten in Prüfungssituationen oft versagen – Statusunterlegenheit „kann die Leistung eines Menschen massiv mindern“ . Je ungleicher eine Gesellschaft, umso niedriger das allgemeine Bildungsniveau. Und je mehr Ungleichheit eine Gesellschaft zulässt, umso geringer die soziale Mobilität, also die Möglichkeit, die Unterprivilegiertheit hinter sich zu lassen und aufzusteigen. Allen Phantasien vom „amerikanischen Traum“ zum Trotz sind deshalb in den USA „die statistischen Chancen eines armen Amerikaners, es an die Spitze der Einkommenspyramide zu schaffen, geringer als im ‚Alten Europa'“, beklagt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz . „Die Armen bleiben arm“ (Tony Judt) . Ungleichheit hat also eine Reihe von gravierenden negativen Auswirkungen – auf die betroffenen Unterprivilegierten, aber auch auf die gesamte Gesellschaft.

Deklassiertheit, Unterprivilegiertheit, materieller Mangel, gestörte soziale Beziehungen, kulturelle Abgehängtheit, Respektlosigkeit – all das grassiert in Gesellschaften mit krassen und wachsenden Ungleichheiten. Wenn die Gewinner in solchen Gesellschaften uns glauben machen wollen, Ungleichheiten seien funktional für die Prosperität, weil sie Leistung belohnen, ignorieren sie gerne, welche Kosten sie einer Gesellschaft damit aufbürden. Wie eine Fabrik, die deshalb „konkurrenzfähig“ produziert, weil sie die Umwelt verpesstet und damit Kosten auf alle anderen überwälzt, so hat auch die Ungleichheit ihre Kosten, die die Allgemeinheit zu übernehmen hat – also auch eine Firma, die Dumpinglöhne zahlt, bürdet der Gesellschaft externalisierte Kosten auf. Wer in einer Gesellschaft mit verschärfter Statuskonkurrenz unten ist, der fühlt sich erniedrigt. Er wird verbittert. Er wird oft auch seiner gesamten Umgebung gegenüber feindselig, gibt allen die Schuld an seiner Misere. Ja, sagen wir es ganz offen: Er wird manchmal auch unsympathisch und ein böser Mensch. Aber das muss uns auch nicht wundern. Gewiss, wir kennen es aus den schönen Charles Dickens Romanen, dass die Elendsten jene sind, die das Herz am rechten Fleck haben. Aber darauf darf man sich in der wirklichen Welt nicht verlassen. In der wirklichen Welt gilt: Depraviertheit, also Abgehängtheit und Chancenlosigkeit, veredelt nicht, sie verroht. Sie macht psychisch krank, oft auch gewalttätig und lässt Menschen, die unter anderen Bedingungen ein gutes Leben führen und einen produktiven Beitrag zu einer Gesellschaft leisten könnten, absacken. Gerne wird von den satten, selbstgerechten Winnertypen ins Treffen geführt, dass in unseren westlichen Gesellschaften niemand „wirklich“ arm sei, jedenfalls müsste in westeuropäischen Sozialstaaten niemand ohne Dach über den Kopf sein und verhungern schon gar nicht; auch wer von staatlicher Hilfe lebe, müsse oft nicht einmal auf die Segnungen der modernen Kommunikationstechnologien verzichten. Wer so spricht, der übersieht, welche desaströsen Folgen die totale Abgehängtheit, chronische Unsicherheit oder auch nur eine in einer rigiden Hierarchie untergeordnete Stelle hat, selbst wenn für die materiellen Grundbedürfnisse – ohnehin mehr schlecht als recht – gesorgt ist. Wer unten ist, wird täglich gemobbt, ist Respektlosigkeit ausgesetzt, Ziel fortwährender Kränkungen, ist zum Loser gestempelt, wird zum Opfer, und das heißt auch: hat keinen Subjektstatus mehr, ist nur mehr Objekt sozialarbeiterischer Verwaltung, Statist in dem Sozialporno, der sein Leben ist. Zu den „Grundbedürfnissen“, die zu einem Leben in Würde gehören, zählen eben nicht nur die materiellen Basics wie Wasser, Essen, ein Dach über dem Kopf – sondern auch, als Bürger respektiert zu werden, als Mensch auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden. Sind viele Menschen täglichen Demütigungen ausgesetzt sind, verrotten Gesellschaften von innen.

Kurzum: Die Resultate dieser Forschungen formulieren eine Agenda für gute Politik: Sie muss alles tun, um Ungleichheiten zu reduzieren.

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