„Bundeskanzler, wie wär das, Herr Trittin?“

Für das „profil“ habe ich (gemeinsam mit dem Kollegen Hoffmann-Ostenhof) folgendes Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der deutschen Grünen, Jürgen Trittin, gemacht.

profil: Die deutschen Grünen stehen in den Umfragen erstaunlich gut da, Kopf an Kopf mit der SPD. Haben Sie sich schon mit der Idee angefreundet, dass sie einmal Bundeskanzler werden könnten?
Trittin: Stimmung ist Stimmung, und Stimmen sind Stimmen. Wir haben eine Umfrage, die uns bundesweit auf diesem Niveau sieht. Wir sind in den Umfragen in einem sehr guten Bereich, aber weit davon entfernt, über Kanzlerkandidaturen nachzudenken. Wir starten von einer Ausgangslage von 10,6 Prozent. Die Diskussion über Kanzlerschaft erscheint uns, bei aller Freude über die positive Stimmung für uns, denn doch etwas verfehlt.

profil: In Baden-Württemberg wird im kommenden März gewählt. Es ist nicht unrealistisch, dass die Grünen mit der SPD gemeinsam regieren könnten und als stärkere der beiden Parteien möglicherweise sogar den Ministerpräsidenten stellen.
Trittin: Das ist in Baden-Württemberg nicht auszuschließen. Es gibt eine Reihe von Umfragen, nach denen Schwarz-Gelb dort keine Mehrheit mehr hat. Das hätte gravierende bundespolitische Auswirkungen. Nach meiner Überzeugung ist ein Verlust der schwarz-gelben Mehrheit im Stammland von CDU und FDP der Anfang vom Ende der Regierung von Frau Merkel. Wir werden alles tun, dass wir das erreichen.

profil: Der Aufschwung der Grünen ist sehr erstaunlich. Sind sie so gut oder eher Verlegenheitspartei für Menschen, die gerade zwei Volksparteien nicht mehr wählen wollen?
Trittin: Zunächst wurde mit dem Ausbrechen der Finanzkrise die politische Agenda von CDU/CSU und FDP schlicht und ergreifend vom Tisch gewischt. Der Schwerpunkt Entstaatlichung und Umverteilung zugunsten von besser Verdienenden durch Steuersenkungen passt nicht mehr in die Zeit. Die Regierung setzt diese Agenda ungeachtet der Zeitläufe einfach fort. Das ist der Grund, warum die frisch gewählte Regierung in eine solche Legitimationskrise geraten ist. Dazu kommt, dass viele Themen, für welche die Grünen lange Zeit belächelt wurden, heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Was sind heute die großen innenpolitischen Fragen? Die Energiepolitik und die Migrationsthematik. In all diesen Bereichen stehen die Konzepte der Union auf der einen Seite und jene der Grünen auf der anderen. Dazwischen steht die SPD, die sich etwa bei der Integration von Migranten, bei Energie und Verkehrsfragen oft als gespalten und schwankend zeigt.

profil: Aber ist es nicht erstaunlich, dass gerade die SPD, die traditionelle Partei der demokratischen Linken, in Zeiten der Krise, da sie sich in vielen Bereichen bestätigt fühlen könnte, nach wie vor stagniert, die Grünen aber, für welche die soziale Frage nicht so sehr im Zentrum steht, im Aufwind sind?
Trittin: Wir sind vergangenes Jahr mit einem für Grüne untypisch kurzen Programm in den Wahlkampf gegangen. Es bestand aus drei Worten: eine Million Jobs. Das war die Botschaft: Grüne haben mehr zu sagen, als dass man pfleglich mit diesem Globus umgehen muss, um den nächsten Generationen eine intakte Umwelt zu überantworten. Unsere Botschaft lautet, dass aus dieser Gerechtigkeit für künftige Generationen auch eine Gerechtigkeit für die Menschen heute abgeleitet wird. Das ist auch ein Grund dafür, dass die Konzepte der Grünen heute als Alternative zum schwarz-gelben Murks wahrgenommen werden.

profil: Könnte es nicht auch sein, dass sich die Grünen umpositioniert haben? Sie stehen nicht mehr wie früher links am Rand von der SPD, sondern sind eine pragmatische Partei der Mitte, die man wählen kann, wenn man enttäuscht ist von der SPD – oder auch von der CDU.
Trittin: Die Wählerstromanalysen zeigen, dass wir nach wie vor viele neue Wähler aus der Gruppe der Nichtwähler holen – darunter viele, die einmal SPD gewählt haben. Grüne und sozialdemokratische Milieus überschneiden sich stark – aus diesen Milieus schöpfen wir auch. Was für uns nicht heißt, dass wir Wähler nicht fragen, woher sie kommen, sondern uns über neue Wähler freuen. Da sind wir in der Tat pragmatisch.

Das vollständige Interview können sie hier lesen.

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