Am Sprung zur Hegemonie

Gegen faule Südländer und Pleitegriechen: Der Rechtspopulismus monopolisiert den Protest gegen Belastungen in den reicheren Ländern Europas. taz, 29. Mai 2011

Mit beinahe 20 Prozent ziehen die rechtspopulistischen „Wahren Finnen“ ins Parlament in Helsinki ein, zuvor haben schon die „Schwedendemokraten“ im Nachbarland den Einzug in den Reichstag geschafft. In Österreich liegt die rechtsradikale „Freiheitliche Partei“ von Heinz-Christian Strache in manchen Umfragen mit 29 Prozent der Stimmen bereits an erster Stelle im Parteienranking und in Frankreich gilt als durchaus möglich, dass die neue Parteiführerin des „Front National“, Marine Le Pen, wie vor knapp zehn Jahren schon ihr Vater Jean-Marie Le Pen, in die Stichwahl um die Präsidentschaft einzieht. Und auch in Ländern, in denen das populistische Ressentiment nicht politisch repräsentiert ist, wie in Deutschland, können Bestsellerautoren in Gemeinschaft mit Boulevard- und Krawallmedien die Stimmung prägen: gegen Ausländer, gegen „die Politiker“, gegen die faulen Südländer, die „uns“ auf der Tasche liegen. 

Es spricht viel dafür, dass wir gerade Zeugen der zweiten Etappe des Aufstiegs des Populismus sind. 

In der ersten Etappe etabliert sich der Populismus als radikale Opposition, formuliert eine Minderheitenposition und positioniert sich als jene Kraft, die von der etablierten Politik und den etablierten Medien angefeindet wird. In der zweiten Etappe erweitert er seine Kreise, er verbindet sich auch mit Teilen des „gutbürgerlichen Milieus“ und wird in manchen politischen Fragen hegemonial. Wir sind in nicht wenigen europäischen Ländern jetzt in dieser zweiten Etappe. 

Um das zu verstehen muss man erstens begreifen, wie Populismus funktioniert und zweitens, was sich in den vergangenen Monaten verändert hat. 

In der ersten Etappe verdankt der Rechtspopulismus seinen Aufstieg recht simpler Ausländerfeindlichkeit. Aber schon in dieser Phase wird das xenophobe Ressentiment eingebettet in einen spezifisch populistischen Argumentationsmodus, der ein Setting etabliert: Wir da unten, ihr da oben. Etwa von der Art: „Wir haben ja die Probleme mit den Ausländern, wir leben ja mit denen zusammen, unsere Kinder gehen ja in Kindergärten, wo alle Ahmed und Aysche heißen, aber die wohnen ja in anderen Wohnvierteln. Die Politiker und die liberalen Eliten reden von Multikulturalität und Integration, sie schwingen schöne Reden oder reden um den heißen Brei herum, aber wenn mal jemand die Wahrheit sagt, dann wird ihm das Wort verboten. Wir, die einfachen Leute, dürfen nicht einmal mehr sagen, wie es wirklich ist.“

Also: Die Politik leugnet die Probleme. Die Politik ist überhaupt nicht mehr in der Lage, die Probleme zu lösen – hier dockt der Populismus an einen Verdruss über „etablierte Politik“ an, der weit über die Kreise des für Populismus anfälligen Milieus hinausgeht. 

Populistische Parteiführer und Boulevardzeitungen schwingen sich zu den Fürsprechern der „einfachen Leute“ auf, die ansonsten nicht zu Wort kämen. Man muss, wenn man den Aufstieg des Populismus verstehen will, begreifen, dass nicht Xenophobie alleine dafür verantwortlich ist, sondern eben ein spezifisch populistischer Modus, in den die Xenophobie eingefügt wird. Wesentlich dafür, dass es dem Populismus gelungen ist, breitere Kreise zu ziehen, war die Transformation von „Ausländerfeindlichkeit“ in „Islamfeindlichkeit“. Während Ausländerfeindlichkeit in breiten (bildungs-)bürgerlichen und christlichen Milieus tabuisiert war, wurde dieses Tabu brüchig, sobald es sich islamkritisch bemäntelte. Plötzlich konnte man sogar im Namen der Aufklärung ausländerfeindlich sein. 

In den vergangenen Wochen und Monaten kam aber noch etwas hinzu, was die Sache nun wirklich gefährlich macht: der antieuropäische Affekt im Zusammenhang mit den Rettungsschirmen für die südeuropäischen Ländern und Irland. Anti-EU-Ressentiment („die abgehobenen Eurokraten“) war immer schon ein Element des Rechtspopulismus, aber sicher nicht das Wichtigste. Das änderte sich in den vergangenen Monaten. 

‚Wir müssen für die faulen Griechen, Spanier, Portugiesen bezahlen‘ – so trommeln die Populisten. Es ist ein Thema, das zieht, und es gibt Grund für die Annahme, dass die überwiegende Mehrheit der Bürger die Auffassungen der Populisten teilt. Und es ist vor allem nicht leicht erkennbar, wie man dieser Argumentation den Wind aus den Segeln nehmen soll. 

Denn viele der Gegenargumente müssen volkswirtschaftliche, globale Zusammenhänge ins Treffen führen, die ausgesprochen kompliziert sind. Dass erstens die Griechen, Spanier und Portugiesen nicht „über ihre Verhältnisse“ gelebt haben, sondern dass ihre Probleme mit den wirtschaftlichen Ungleichgewichten der Euro-Zone zusammen hängen; dass zweitens die Staatsschuldenkrise eine Folge der Finanzkrise ist, und die haben nicht die Staaten, sondern die Finanzinstitutionen verursacht; dass man drittens die Banken retten musste, was zwar nicht gerecht ist, aber wozu es keine vernünftige Alternative gegeben hat; und viertens dass auch die Rettungsschirme für Griechen & Co. ja keine Griechenrettungsprogramme, sondern in Wirklichkeit Bankenrettungsprogramme seien – also Programme zur Rettung jener deutschen, französischen und sonstiger Anleger, die griechische Staatsanleihen halten. 

Und selbst wenn man mit dieser Argumentation, mit viel Mühe, durchkäme, würden dann die Rechtspopulisten sofort erwidern: „Na bitte, ist ja noch schöner, der fleißige kleine Mann muss mit seinen Steuern faule Griechen und reiche Anleger und böse Banker retten.“ Deswegen klingen rechtspopulistische Redner heute in einem Moment wie chauvinistische Nationalisten, und im nächsten wie etwas simple linke Sozialkritiker. 

Gegen dieses populistische Narrativ haben linke und liberale und christdemokratische Politiker noch kein Mittel gefunden, keine überzeugende Geschichte, die sie dem entgegen setzen können. Man muss das in seinem ganzen Ernst begreifen: schon die „Ausländer“- und „Islamdebatte“ war Wasser auf den Mühlen der Populisten, aber hier gab es immer eine Gegenposition, einen Meinungsstreit, auch ein Gleichgewicht der Argumente. Aber das ist, was die Debatte um die Krisenkosten im Euroraum betrifft, bisher nicht der Fall. Es besteht die riesige Gefahr, dass der Rechtspopulismus den Protest gegen Belastungen in den reicheren Ländern Europas monopolisiert. 

Man sollte sich schleunigst etwas einfallen lassen. 

Sonst wird aus dem „Friedensprojekt“ Europäische Union eine übel gelaunte Gemeinschaft, in der alle wechselseitig aufeinander einkeifen. Die Schwierigkeiten, die auch Folge einer falsch aufgesetzten Währungsunion sind, können nicht durch weniger, sondern nur durch mehr Europa gelöst werden. Wie so oft werfen die Populisten schon ein paar richtige Fragen auf, aber sie geben wie stets die falsche Antwort. Kleinstaaterei ist keine Lösung.  

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