Der letzte Optimist der europäischen Sozialdemokratie

Nachdem mich Freimut Duve vor fast zwanzig Jahren den „jüngsten Altachtundsechziger Deutschlands“ genannt hat, stellte mich SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel vorgestern bei der Sommeruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung als „letzter Optimist der europäischen Sozialdemokratie“ vor. Naja, ein bisserl Ironie war da in beiden Fällen schon dabei, glücklicherweise, denn beides sind ja doch Komplimente, über die man sich nicht rundweg freuen kann. 


Anyway, die Ebert-Stiftung hatte mich ja auch eingeladen, ihre Sommeruniversität mit einem Vortrag zum Thema: „Nur Optimisten können die Welt verbessern“, zu eröffnen. Nachlesen kann man ihn hier:

Liebe Freundinnen und Freunde, 
ich danke der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Einladung, hier diesen Eröffnungsvortrag Ihrer Sommeruniversität halten zu dürfen, noch dazu in solch hochkarätiger Umgebung. Und mit dem Thema, das Sie mir aufgetragen haben, haben Sie mir ja eine Aufgabe gestellt: „Nur Optimisten können die Welt verbessern“. Das ist ja zunächst einmal nur eine Behauptung, aber es ist auch eine von diesen eigentümlichen performativen Aussagen: Es wird hier eine Aussage getroffen über den Optimismus, aber sie ist selbst schon eine optimistische Aussage. Sie ist ein Plädoyer, aber eines, das selbst darauf abzielt, für Schwung zu sorgen. 
Nun ist ja Optimismus ein Gefühl. Viele würden sogar sagen, der Optimismus ist ein sehr persönliches Gefühl. Mal sind wir eher frohgemut und zuversichtlich, mal sind wir eher deprimiert und pessimistisch. Man könnte noch weiter gehen und sagen: Optimismus ist auch so etwas wie eine personale Charaktereigenschaft, ein Wesenszug. Der eine oder die eine ist, von ihrem oder seinem Wesen her, ein eher optimistischer Mensch, der andere, oder die andere, ein ewig unglücklicher Pessimist. Wir alle kennen ja solche Leute, über die wir sagen: Ach, die ist eine Frohnatur. Ach, der ist ein Miesepeter und Nörgler. 
Aber Optimismus ist gewissermaßen auch ein öffentliches Gefühl, eine politisch relevante Emotion. 
Übrigens, erlauben Sie mir diese kurze Abschweifung, auch eine wirtschaftlich relevante. 
Das Auf und Ab von Konjunktur und Krise ist selbst nicht unwesentlich von Gefühlen bestimmt, wie wir seit John Maynard Keynes wissen. Wenn die Wirtschaft brummt und die Menschen annehmen, dass es stets weiter bergauf geht, dann wächst die Zuversicht, das Vertrauen. Die Bürger kaufen ein, die Investoren investieren, worauf die Wirtschaft noch mehr brummt. Der Aufschwung ist ein von Gefühlen getriebener Aufschwung. Im Abschwung ist es genau umgekehrt. Die Krise gebiert Krisengefühl, was die Krise wieder verschärft. „Hat der Verfall einmal eingesetzt, ist er nur sehr schwer zu stoppen“, konstatierte Keynes, weshalb er auch im Radio den Aufruf absetzte: „Darum, ihr patriotischen Hausfrauen, brecht gleich morgen früh auf und geht zu den wundervollen Ausverkäufen, die überall angezeigt sind.“
Man kann noch weiter gehen: Dass in einer kapitalistischen Marktwirtschaft überhaupt etwas produziert wird, verdanken wir Frohnaturen von überbordendem Optimismus, das war jedenfalls die Ansicht des großen Ökonomen Joseph Schumpeter, der gleichzeitig die allerschönsten Hymnen auf die „Unternehmer-Mentalität“ gesungen hat. Der Unternehmer, so Schumpeter, ist ein „Neuerer“. „Zuversichtlich außerhalb der vertrauten Fahrrinne zu navigieren und Widerstand zu überwinden, verlangt Fähigkeiten, die nur in einem kleinen Teil der Bevölkerung vorhanden sind“, schreibt Schumpeter in seinem späten, populären Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“. Die Unternehmerpersönlichkeit, so kann man das salopp zusammenfassen, ist also ein wenig auch ein optimistischer Narr, der überall Chancen wittert, wo die meisten anderen nur Widrigkeiten sehen. 
Aber kehren wir zurück zur Bedeutung des Optimismus in der Politik, und ich will mich hier nicht lange mit der Politik im allgemeinen aufhalten, sondern mit progressiver Politik, denn hier sind wir bei der Sommeruniversität einer progressiven Parteiakademie, ja, wahrscheinlich kann man sogar sagen: Bei einer progressiven Kaderschmiede. 
Für den klassischen Konservativismus jedenfalls ist Optimismus keine fruchtbare Kategorie. Natürlich konnten auch Konservative optimistische Menschen sein, im Einzelfall, aber ganz grundsätzlich hatte der klassische Konservativismus ein pessimistisches Weltbild. Er war getragen von einer skeptischen Anthropologie, dass man bei einem Tier, dass aus so krummen Holz ist, wie der Mensch, immer auf der Hut sein muss und dass man, wenn einmal Institutionen funktionieren und sich einigermaßen bewährt haben, die eher bewahren muss, denn was weiß man, was man anrichten könnte, mit Veränderungen, was weiß man, ob gutgemeinte Verbesserungen nicht eine Büchse der Pandora öffnen sodass die niedrigen Instinkte dieses sündhaften Wesens sich dann Bahn brechen… also, besser nichts ändern. Die Ideenwelt des klassischen Konservativismus ist also überhaupt nicht erklärbar ohne dieses skeptische, zutiefst pessimistische Weltbild. 
Die Progressiven dagegen hatten immer eine optimistischere Sicht der Dinge. Wenn sie etwas in der Welt kritikwürdig fanden, dann hätten sie nicht gesagt, die Ungerechtigkeiten oder die kritikwürdige Seite der Institutionen oder was auch immer seien Folge davon, dass das mit dem Mängelwesen „Mensch“ einfach nicht besser ginge, sie haben den Menschen zugetraut, eine bessere, ja, eine optimale Welt zu bauen, und immer die Mangelhaftigkeit der Institutionen dafür verantwortlich gemacht – und nicht die Unvollkommenheit des Menschen -, wenn die ideale Welt mit der realen Welt nicht in Übereinstimmung war. 
Aber lassen Sie uns kurz innehalten. Kann man denn wirklich behaupten, dass die Progressiven grundsätzlich optimistischer, zukunftsfroher waren? Schließlich sind die Progressiven gleichzeitig auch die chronisch Unzufriedenen, die, die immer irgendetwas verbessern und verändern wollen, was ja gleichzeitig voraussetzt, dass ihnen nichts passt in dieser Welt, die sie in ihrer jeweiligen Gegenwart vorfinden. Und da ist ja auch etwas dran, und wenn eine solche politische Mentalität zur personalen Mentalität wird, dann wird das zu einer Art Grenzgang. Also, ich weiß nicht, ob ich das in ausreichender politologischer Wissenschaftlichkeit formuliere, es ist da eher meine Intuition und Lebenserfahrung, die mir sagt: die progressive Mentalität ist immer auch in Gefahr, miesepetrig zu werden, zu einem ewigen Lamento: Dass alles schlecht ist, alles immer schlechter wird, die Menschen geknechtet sind, den billigsten Mysterien aufsitzen, der Kirche, oder heutzutage den Boulevardmedien, dass der Feind übermächtig ist und überhaupt… dass alles ganz furchtbar ist. 
Es gibt von Walter Benjamin, diesem seltsamen Marxisten – einen der seltsamsten Marxisten, den diese an Seltsamkeiten nicht arme Bewegung hervorgebracht hat, hat ihn einmal Hannah Arendt genannt -, also von diesem seltsamen Marxisten Benjamin gibt es eine ebenso eigentümliche Bemerkung, die mich seit vielen, vielen Jahren fasziniert. Die lautet: 
„Nur der Einverstandene hat Chancen, die Welt zu ändern“.
„Nur der Einverstandene hat Chancen, die Welt zu ändern“. Damit war gewiss nicht gemeint, dass nur jener, der ohnehin alles prima findet in der Welt, in der Lage ist, Änderungen zu bewirken – das wäre ja absurd, denn weshalb sollte ein solcherart Zufriedener überhaupt etwas ändern wollen? Der Einverstandene, das ist für Benjamin jemand mit positivem Weltbezug, einer, der das Großartige und auch die Chancen sieht, selbst wenn er Kritikwürdiges kritisiert. Der Einverstandene ist also ein Optimist und, auch wenn er kritisiert, eben kein bloßer Nörgler, sondern, im Gegensatz zu diesem, ein zupackender Änderer. Benjamins enger Freund Bertolt Brecht, der über diese Gedankengänge in engem Austausch mit ihm stand, hat einmal gemeint: Nicht an das gute Alte, sondern an das schlechte Neue gelte es sich zu halten. 
Nun gibt es natürlich ein offenkundiges Problem: Die Positionen, die ich hier präsentiere, stammen aus der Zeit, in der die Idee des Fortschritts noch intakt war. In der man in linken Kreisen, und das trifft für Sozialdemokraten ebenso zu wie für linke Liberale oder radikale Kommunisten, also in der man überzeugt war, dass wir grundsätzlich, geradezu historisch
notwendig einem Prozess stetiger Verbesserung beiwohnen: politischen Fortschritten, Fortschritten zu mehr Demokratie, ökonomischen Fortschritten, technologischem Fortschritt, kulturellem Fortschritt, stetigen Modernisierungsprozessen. Und dass, auch wenn es da mal zwei Schritte vor und einen zurück gehen kann, diese Fortschritte doch auch nicht einfach nebeneinander laufen, sondern einen gemeinsamen Takt haben. Dass HEUTE besser als GESTERN ist, und MORGEN besser als HEUTE sein wird. Die Zeit selbst war von Fortschrittsgeist durchdrungen und somit ist es fast auch selbstverständlich gewesen, dass man sehr wohl mit seiner Zeit eins sein kann, seine Zeit positiv bejahen kann, als auch vieles an ihr kritisieren kann, weil morgen soll es ja noch besser sein. Und History is on our side…
Und diese Idee des Fortschritts ist natürlich, aus verschiedenen Gründen, etwas blass geworden, sodass es ein bisschen schwieriger geworden ist, progressiv zu sein. Die demokratische Linke, und ich fasse diesen Begriff möglichst breit, so dass da durchaus die europäisch-kontinentalen Sozialdemokraten oder die amerikanischen Demokraten, die Grünen aber auch andere Linksparteien darunterpassen, die haben heute schon ein kompliziertes Verhältnis zum gesellschaftlichen Fortschritt. 
Um das zu illustrieren sei hier kurz an die vorangegangene gesellschaftliche Konfiguration erinnert – an die große Reformära, die Ende der siebziger Jahre, Anfang der Achtziger Jahre mehr oder weniger zu Ende ging. Sie in Deutschland verbinden diese, der Einfachheit halber, gerne mit dem Namen Willy Brandt, wir in Österreich mit Bruno Kreisky, ein weiterer wichtiger Name, den wir damit verbinden, ist der des schwedischen Premierministers Olof Palme. 
Wohlfahrtsstaatliche Reformen, so war man überzeugt, würden in Kombination mit stabiler Prosperität, zu mehr materieller Gleichheit führen und allen Menschen ein Leben in Wohlstand sichern. Jeder würde die Möglichkeit haben, aus seinem Leben etwas zu machen. Ökonomisches Wachstum und technologischer Fortschritt würden sich somit auch in gesellschaftlichen Fortschritt übersetzen. Gleichzeitig machten diese Mitte-Links-Regierungen gewissermaßen auch „die Fenster“ auf. Bildung für alle. Alte Zöpfe sollten abgeschnitten werden, Autoritäten wurden hinterfragt, hierarchische Ordnungen durchwehte ein Geist des Egalitarismus. Es herrschte ein Grundton des Optimismus vor: dass die Gesellschaften, dank progressiver Reformpolitik, bessere Gesellschaften werden würden. Nicht von heute auf morgen, aber in der Perspektive von zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren. Dass es den Kindern besser gehen würde als den Eltern. Dass ein noch höheres Maß an Gerechtigkeit und sozialer Gleichheit realisiert würde, dass es gelingen würde, eklatanten Mangel und eklatante Chancenarmut auszumerzen und auch ein höheres Maß an demokratischer Partizipation herbeizuführen. 
Dass also der technologische Fortschritt und der „objektive“ gesellschaftliche Wandel, der, der sich hinter den Rücken der Akteure, oft ohne oder zumindest ohne klar zurechenbares willentliches Zutun vollzieht, dem gesellschaftlichen Fortschritt zuarbeiten würde. Fortschritt, das ist ja so ein Wort, das unterkomplex ist, unpräzise. Da kann man ja Innovation darunter verstehen, oder einfach Wandel oder aber Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen. Nur, damals war man eben, wie gesagt, noch so instinktiv sicher, dass das synchron verlaufen würde, oder vielleicht anders gesagt: dass es möglich ist, diese drei Fortschritte zu synchronisieren durch gute Politik. 
Natürlich, man fragte auch damals gelegentlich in nachdenklichen Runden, ob es nicht möglich sei, dass die Rasanz des Fortschritts die Menschen überfordern könnte. Aber seither, seit dem Ende dieser Konfiguration, ist noch etwas Dramatischeres geschehen: Die drei Fortschritte gerieten aus dem Takt. Wirtschaftliche und technologische Innovation, den objektiven Wandel, die gab es weiter, aber die Verbesserung der Lebensbedingungen hielt damit plötzlich nicht mehr automatisch Schritt, oft war das Gegenteil der Fall. 
Für viele Menschen verschlechterte sich die Wohlfahrt, die Ungleichheitsschere ging auf, der Konkurrenzkampf wurde härter, ach, ich brauche Ihnen das alles nicht zu erzählen. Sie wissen das alles, sie kennen alle Statistiken über die Ungleichheitsentwicklung von Einkommen und Vermögen, sie kennen die Erhebungen über die wachsenden subjektiven Ungerechtigkeitsempfindungen der Bürger, von den wieder zunehmenden Armutsgefährdungen ganz zu schweigen. Ich möchte mich darauf konzentrieren, was das bei den Politikern der Mitte-Links-Parteien, aber auch bei den Bürgern auslöste meiner Meinung nach. 
Ich denke, ich trete niemandem zu nahe hier, wenn ich das so formuliere: Bei den Politikern der Mitte-Links-Parteien und ihren Anhängern verdichtete sich das – vielleicht oft auch nur instinktive Gefühl -, der erreichte Grad an Wohlfahrtsstaatlichkeit sei das Beste, was zu erreichen sei; viel mehr, als es zu verteidigen, könne man im Grunde nicht tun. Dass es morgen besser sein würde als heute, das war jetzt plötzlich nicht mehr so klar. Dass es die Kinder besser haben könnten als die Eltern wirkte keineswegs selbstverständlich. Auch die Begriffe wandelten sich. Der Begriff des „Fortschritts“ verengte sich auf technologischen Fortschritt und wirtschaftliche Dynamik. 
Der Begriff „Reform“, der in der vorausgegangenen Reformära identisch war mit gesellschaftlichen Veränderungen in Richtung mehr Gleichheit, mehr sozialer Sicherheit, mehr Wohlstand und mehr an Lebenschancen für alle, veränderte nach und nach seinen Inhalt. Oft wurde nun der Abbau sozialstaatlicher Regulierungen und der Abbau von Sicherheiten mit dem Begriff „Reform“ charakterisiert. Simpel gesagt: Während früher den Bürgern klar war, dass eine Reform ihre Lebensbedingungen verbessern würde, so war das nunmehr nicht mehr klar. Oft war das Gegenteil der Fall: War von einer „Reform“ die Rede, konnten die einfachen Leute meist davon ausgehen, dass ihnen irgendjemand etwas wegnehmen wollte. 
All das veränderte die Politik der Mitte-Links-Parteien und damit auch ihre Wahrnehmung durch das Elektorat. Die einen sagten sinngemäß: Ja, wir sind auch für diese wirtschaftsliberalen Reformen – „Reformen“ -, aber wir achten im Gegensatz zu unseren Konkurrenten wenigstens darauf, dass es auch ein bisschen fair zugeht. Im Rahmen unserer Möglichkeiten. Soll heißen: In sehr begrenztem Maße. 
Oder sie warfen sich in die Verteidigungspose und sagten: Besser machen geht nimmer, aber wir verteidigen wenigstens das Erreichte. Oft lief das darauf hinaus, zu sagen: Wählt’s uns, mit uns wird’s langsamer schlechter. 
Gemeinsam ist beiden Rhetoriken, die natürlich in der Wirklichkeit in den schönsten Mischungsverhältnissen auftreten, dass eine Idee progressiver Gesellschaftsverbesserung nirgendwo mehr erkennbar ist. Aber damit riss auch ein Faden, der die Bürger mit demokratischer Politik verbindet. Es mag ja ehrenwert sein, wenn man sagt, wegen der Globalisierung, wegen der demographischen Realitäten, wegen der Funktionslogik komplexer Gesellschaften, wegen was auch immer, habe die Politik die Fähigkeiten verloren, langfristig und konzeptionell eine Gesellschaft zu verbessern. 
Aber man braucht sich dann nicht wundern, wenn sich die Bürger von der Politik abwenden. 
Und es mag ebenso oder vielleicht noch ehrenwerter sein, das Bestehende zu verteidigen, wenn man es als verteidigenswert empfindet, aber man wird Schwierigkeiten haben, die Menschen für eine solche Politik zu begeistern. Weil das Bestehende auch seine Mängel aufweist, die man sehr genau kennt. Weil das Bestehende, und sei es bloß durch den Wande
l, der objektiv, also „irgendwie“ geschieht, seine Funktionstüchtigkeit verlieren kann. Weil das Bestehende doch immer auch das Gewohnte und damit das Langweilige ist. Es liegt nicht in der Natur des Menschen, sich für das Bestehende zu begeistern. Höchstens, sich an das Bestehende zu klammern, wenn die Veränderungen unheimlich werden und mit Veränderung eher Verschlechterung als Verbesserung verbunden wird. Dann entsteht ein eigentümlicher Konservativismus, ein Konservativismus der Verunsicherung und Angst. 
Wenn wir die Frage der Bedeutung des Optimismus für progressive Politik also systematisch behandeln wollen, dann darf ich kurz zusammenfassen und noch einmal zuspitzen, was ich bisher gesagt habe. Erstens, dass im Rahmen progressiver Politik eine grundsätzlich optimistisches Weltbild gibt, dieses positives Weltverhältnis, wir können das eine politische Philosophie nennen, die oft auch so etwas wie eine unbewusste politische Philosophie sein kann: man ist grundsätzlich auf die Zukunft, auf Verbesserung ausgerichtet, ja, und damit auch von der grundsätzlichen Verbesserungsmöglichkeit unserer Gesellschaften überzeugt. Aber es gibt noch eine zweite Dimension: Wer sich für Verbesserungen engagiert, der will andere anspornen, mitzutun, der will vielleicht sogar die Schwachen dazu bringen, ihre Stärke zu spüren, die sie normalerweise nicht spüren. Kurzum, der will ja auch andere anstecken. Ja, er will sie vielleicht auch begeistern. 
Und jetzt frag ich sie: Wie begeisternd ist einer, der den Leuten sagt: Gott, es wird alles immer nur schlimmer! Weltverbesserung, oh Gott, da wird doch eh nichts draus! Das Bestehende – das Beste, was man erreichen kann!
Na, sehr begeisternd wird der nicht sein. Und wir wissen alle, wie oft der Typus dessen, der so spricht, in der Welt, in der realen empirischen Welt, also da draußen, gewissermaßen in freier Wildbahn vorkommt. Und wir wissen, wie verbreitet dieser Typus gerade auch in linken, progressiven Parteien und Bewegungen ist. 
Der Weltverbesserer braucht, hat Antonio Gramsci in einer legendären Wendung mal formuliert, „den Pessimismus des Verstandes und den Optimismus des Willens“. Soll in etwa heißen: Ohne Optimismus kann man überhaupt nichts in Bewegung bringen, aber blind darf der Optimist auch nicht sein, setzt er die rosarote Brille auf, dann sieht er die Welt nicht, wie sie ist. Kurzum, er muss gewissermaßen schielen: Optimist sein, weil er Energie braucht, plus einer Prise Skepsis, um nicht unrealistisch zu werden. 
Lassen Sie mich, bevor ich zum Schluss komme, kurz darauf eingehen, was ein spezifischer sozialdemokratischer, also sozialreformerischer Optimismus in der Vergangenheit war und was er in der Gegenwart sein sollte. 
Man muss sich zunächst einmal darüber im Klaren sein, was Sozialdemokratie überhaupt heißt. Es gab ja in der Geschichte nicht wenige, die die Sozialdemokratie als bloßen Mittelweg zwischen ultraliberalen Marktkapitalismus und den Kommunisten gesehen haben, aber eigentlich ohne eigenes Gesellschaftsmodell, im schlimmsten Fall als jene Art von Marxisten, denen die Eier für die Revolution gefehlt haben. Die Guten, denen halt ein bisserl der Schneid fehlt. Aber seit der Zeit des ersten Revisionismus ist Sozialdemokratie nicht irgendein Mittelweg, sondern eine eigenständige politische Idee: dass man auch innerhalb der kapitalistischen Marktwirtschaft eine gerechte Ordnung schaffen kann, die allen ein Auskommen bietet, einigermaßen egalitäre Lebenschancen herstellt, die materielle Ungleichheiten sukzessive ausgleicht, und die damit auch ökonomisch eine stabile Prosperität herstellt, und das auch mit der Etablierung von immer mehr liberalen Freiheitsrechten flankiert. Und vom alten Marxismus hatte man sich noch eine Schwundform seines Geschichtsdeterminismus bewahrt, man war weiter der Überzeugung: History is on our side.  
Und betrachten wir die Dinge einmal nüchtern, blicken wir zurück auf das lange Zwanzigste Jahrhundert, mit Wirtschaftsliberalismus, erster Globalisierung, Bankenkrach und Großer Depression, Weltkrieg und dann den keynesianisch gezähmten, wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus und den Dreißig Goldenen Jahren, den Trente Glorieuse, wie die Franzosen sagen, dann muss man konstatieren: Anders als das die Idee vom „Ende der Geschichte“ glauben macht, war nicht der liberale Kapitalismus jene Gesellschaftsphilosophie, die im Zwanzigsten Jahrhundert triumphiert hat, nein, die Sozialdemokratie ist der Sieger dieser Geschichte. 
Und das, obwohl man schon früher den Sozialdemokraten gesagt hat: Mehr Gleichheit im Kapitalismus, das geht doch nicht. Gerechtigkeit im Kapitalismus, das geht doch nicht. 
Aber, es stimmt nicht, dass man nichts verbessern kann. 
Und wir müssen da nicht nur in die Geschichte zurück sehen. Wir können uns auch die heutigen, real existierenden Volkswirtschaften ansehen. Da gibt es welche, in denen Vermögen, Einkommen und Lebenschancen grob ungleich verteilt sind – wie etwa die USA, Großbritannien oder Portugal. Und dann gibt es welche, wo wir einen höheren und sogar sehr hohen Grad an Gleichheit und Fairness haben – allen voran Schweden, Japan oder auch Norwegen. Also, schon das zeigt uns, dass es nicht nur eine Art gibt, Marktwirtschaften zu organisieren, sondern es gibt solche und solche. Und ich sag nicht, dass es da optimal ist, aber ich sag nur, das zeigt, es gibt nicht nur ein Modell, sondern es gibt verschiedene Wege. 
Es gibt welche, in denen man die Marktverteilung und ihre Ungerechtigkeiten einfach hinnimmt – und in denen auch noch die ökonomisch Privilegierten die Möglichkeit haben, aufgrund der Macht, die mit ihrer Privilegierung einher geht, ihre Privilegien zu verteidigen, indem sie sich Politiker kaufen oder starke Lobbys organisieren oder sich einflussreiche Medien halten und in denen man zulässt, dass die ohnehin schon Reichen das Land auch noch ausplündern. Und dann gibt es andere, wo man sehr wohl die Dynamik von Märkten nutzbringend zu mobilisieren vermag, aber nicht zulässt, dass Marktlogik und der Egoismus jede Pore des Gemeinwesens durchdringen und Folgen verursachen, die eine Gesellschaft von innen verrotten lässt. 
Es stimmt einfach nicht, und man muss das hundert und tausend mal sagen, dass eine Marktwirtschaft wirtschaftlich besser funktioniert, wenn man grobe Ungleichheiten akzeptiert. Das Gegenteil ist der Fall, und zwar aus vielerlei Gründen, und ich nenn hier nur drei: 
Wohlstand für alle stärkt die Kaufkraft und die Binnennachfrage, belebt die Wirtschaft und macht eine Volkswirtschaft unabhängiger von der Exportnachfrage. Das gilt auch in einer offenen, globalisierten Welt. 
Wenn alle Menschen in materiell sicheren Verhältnissen leben, können auch alle Menschen ihre Talente entwickeln. Mehr Menschen tragen dann zum Wohlstand bei. Menschen am Rande der Gesellschaft zu belassen, sodass ihre Möglichkeiten verkümmern, ist nicht nur ungerecht, es ist auch ineffizient. 
Unterprivilegiertheit vererbt sich. Das ist nicht nur ungerecht, sondern verschwendet das Potential von Menschen, die etwas zum Wohlstand und zur Prosperität beitragen könnten. Deswegen sind gerechtere Gesellschaften auch wirtschaftlich funktionstüchtiger als Gesellschaften, die grobe Ungleichheiten zulassen. 
Das heißt: Eine Volkswirtschaft, in der es gerecht zugeht, ist auch wirtschaftlich funktionstüchtiger. Und das ist eine Einsicht, die in den nächsten Jahrzehnten noch viel wichtiger wird aufgrund der demographischen Entwicklung. Wenn immer weniger junge Menschen im erwerbsfähigen Alter immer mehr ältere Menschen gegenüber stehen. Da kann man natürlich sagen: Unser Pensionssystem wird dann schwerer finanzierbar. Aber man kann auch sagen: Dann k

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