Kommerzialisierung, garniert mit Zensur (und vice versa) – zur Lage der Pressefreiheit

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Folgende Rede hielt ich vergangene Woche in der tollen Ausstellung „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ von Peter Sandbichler in der Innsbrucker „Galerie im Taxispalais“: 
Wenn ich mir die Arbeiten, die Peter Sandbichler hier präsentiert ansehe, und wenn ich mir über den Titel Gedanken mache, den er für diese Ausstellung gewählt hat: „Wahrheit ist die Erfinder eines Lügners“, dann steht natürlich sofort die Frage im Raum, ja, buchstäblich steht sie im Raum, der Künstler hat sie hineingestellt, als Installationen oder Skulpturen, also sie steht da im Raum, die Frage: Ob es Wahrheit überhaupt geben könne. Nein, eigentlich steht nicht die Frage im Raum, die Antwort steht im Raum: Wahrheit gibt es nicht. Oder besser: Wirklichkeit. Wirklichkeit, jedenfalls die über unseren engsten Rahmen des sinnlich Wahrnehmbaren hinaus. Meinetwegen, wenn ich in den Fluss falle und der ist kalt, dann ist für mich die Aussage: dieser Fluss ist kalt und er ist nass, schon wahr. Aber selbst in diesem Fall ist die Wirklichkeit, so wie wir sie wahrnehmen, eingefärbt von Gewohnheiten. Denn da fällt mir dieser kluge Satz ein, den ich einmal in einem Buch gelesen habe: 
„Wenn man die Fische fragt, wie es am Meeresgrund aussieht, vergessen sie wahrscheinlich zu erwähnen, dass es dort nass ist.“ Also, nur für den, der in den Fluss fällt, ist er nass und kalt, natürlich aber nicht für den, der dort immer lebt. 

Noch fragwürdiger ist natürlich die Wirklichkeit, die wir nicht aus unmittelbarer Erfahrung kennen, sondern medial vermittelt. Hat das Ereignis, über das berichtet wird, überhaupt stattgefunden? Wenn es stattgefunden hat, hat es so stattgefunden, wie es berichtet wird? Hat es, wenn man aus anderer Perspektive als der Berichterstatter blickt, vielleicht anders stattgefunden? Hat es, in einer medial vermittelten Welt, in der das Ereignis die Bestätigung durch die mediale Verarbeitung bedarf, gar erst stattgefunden, weil darüber berichtet wird? Wurde es vielleicht gar ins Geschehen gesetzt mit Blick auf spätere Berichterstattung? Ist es wirklich, weil es ein Ereignis ist, über das berichtet wurde, während ein Ereignis, das vielleicht genauso stattgefunden hat, über das aber nicht berichtet wird, jene Wahrnehmungsschwelle, die es erst zu einem wirklichen Ereignis macht, nicht überschreitet? Und da die Wirklichkeit ja nicht aus einem Ereignis besteht, sondern aus einer Fülle von Ereignissen, die wir erst in der Summe „unsere Wirklichkeit“ nennen, müssen wir da nicht sagen, dass die Wirklichkeit durch Medien einfach produziert ist, dass einem völlig zufälligen Auswahlverfahren unterliegt, was am Ende als kanonische Wirklichkeit erscheint? Sie verstehen schon, an dieser Stelle drängt sich auf, die bekannte Formel von der „medialen Konstruktion von Wirklichkeit“ zu verwenden. Eine Formel die etwas aussagt, die aussagt, dass die Wirklichkeit konstruiert ist, aber die auch darüber hinaus etwas aussagt, dass der nämlich, der diese Formel verwendet, ein belesener Kerl ist, dass man dem nichts vormachen kann, dass der ein bewusster Medienkonsument ist, nicht so ein blöder Dumpfi, der für bare Münze nimmt, was man ihm vorsetzt. 
Ich könnte nun auch ein paar Gedanken anfügen, warum diese Wahrheit von der medialen Konstruktion von Wirklichkeit ebenso wahr ist, wie sie banal ist. Sie ist sehr wahr. Sie ist, weil wir sie alle kennen, auch ein bisschen banal mittlerweile, und sie ist vor allem, wenn man sie ins besserwisserische zuspitzt, wenn man sie in aller Radikalität zuspitzt, dann ist sie auch ein bisschen falsch. Es ist wie mit vielen klugen Thesen; Wenn man sie zu sehr mit der Axt zurecht schlägt, dann kann man sich leicht in den Finger schreiben. 
Weil, wenn jede Wahrheit konstruiert ist, wenn es schlichtweg keine Differenz mehr gibt zwischen Wirklichkeit und Konstruktion, was unterscheidet dann den Tatsachenbericht von der Fiktion? Was die Lüge vom akkuraten Bericht? Was die nackte, böse Propaganda von dem Versuch der Wahrheitsgemäßheit? Bloß die üble Absicht? Was die „Süddeutsche Zeitung“ von der „Bild-Zeitung“, was die „New York Times“ von „Fox-News“? Vor allem, wenn wir die These bis zu ihrer Karikatur zuspitzen, hat sich dann nicht mein Thema dieses Abends erledigt? „Pressefreiheit“ – was kann das denn noch für ein Begriff sein, wenn das seriöse so erfunden ist wie der Trash vom Boulevard? 
„Kommerzialisierung, garniert mit Zensur (und vice versa) – zur Lage der Pressefreiheit“, habe ich meinen heutigen Vortrag genannt und ich möchte mich kreisförmig, mit ein paar Loops meinem Thema annähern.
Nichts wird so allgemein genutzt wie Medien. Schon der Satz, dass doch jeder Medien nutze, trifft die Sache nur oberflächlich. Die Menschen nützen Medien ja nicht nur, sie leben in ihnen. Sie stehen auf, und drehen das Radio an. Sie werfen vielleicht den Computer an und überfliegen ihre Lieblingsstartseite. Sie schmieren sich die Semmeln und haben ein Auge auf das Frühstücksfernsehen. Sie trotten verschlafen zur U-Bahn und nehmen die Gratiszeitung aus dem Selbstbedienungskarton. Die Sachbearbeiter im Magistrat reichen sich die Zeitung weiter, zwischen Frühstück und Gabelfrühstück hat sie das ganze Büro durch. Was sie denken, haben sie aus Medien. Wie sie sich anziehen wollen, das wissen sie aus Medien. Wer sie sein wollen, das haben sie aus Medien. Wer sie nicht sein wollen, das markieren sie mit Medien. Du RTL? Ich Arte! Du Krone? Ich Standard! Ihr Leben ist medial modelliert. 
Sie haben ein Bild von sich, von einem Leben, wie sie es führen wollen, von einem Lebensstil meinetwegen, der der ihre ist. Aber was sie wollen, das kommt bei einem sozialen Tier wie dem Menschen natürlich nicht aus dem Inneren, die Vorstellungen sind selbst sozial fabriziert, sie sind auch von Geschichte gemacht und eingefärbt von den Vorstellungen, die andere Menschen haben oder andere Menschen vor ihnen hatten, also, kurzum, auch medial produziert. 
Sie nutzen Medien? Nein, benützen tut man Kartoffelschäler und den Elektrorasierer. Das nutzen von Medien geht über das bloße benützen bei weitem hinaus, so weit, dass der Begriff der Medien-Nutzung selbst schon halb falsch ist. Die Medien benützen den Benutzer mindesten so sehr, wie der Benützer sie. 
Und ich habe mich oft schon gefragt, nein, eigentlich ist das anders, die Frage springt mich gelegentlich überraschend an: Wie wenig Begriff kann man eigentlich von dem haben, was das Leben so massiv prägt? Nehmen wir nur einen x-beliebigen Normalbürger. Der sagt ganz unbedacht den Satz: „Das ist in der Zeitung gestanden…“, was er als selbstverständliche Gewähr für den Realitätsgehalt der Meldung nimmt. Ganz problemlos kann derselbe Bürger aber ein paar Minuten später verächtlich sagen: „Was die wieder zusammenlügen…“, womit das Faktumvertrauen wieder massiv dementiert ist. 
Der Umstand, dass das Leben der meisten Menschen massiv von Medien beeinflusst ist, kontrastiert erstaunlich mit dem Sachverhalt, dass die allermeisten Menschen überhaupt keine Ahnung über das innere Funktionieren von Medien haben. Natürlich fällt mir das vielleicht nur besonders auf, weil ich als, ha, Medienmensch davon mehr Ahnung habe als über das innere Funktionieren von Bäckereien, Banken oder Ministerialbürokratien. Womöglich stehen die meisten Menschen den Medien nur mit dem gleichen Unverständnis gegenüber, wie ich den Bäckereien und Ministerialbürokratien. Kann ja sein. Wobei auch dann, so glaube ich, mehr Fehlurteile über Medien kursieren als Fehlurteile über Bäckereien – weil, über Bäckereien macht man sich so im Alltag ja keine Gedanken. Ist ja den meisten Leuten egal, wie Bäckereien funktionieren. 
Nun wollen wir einmal ein paar Dinge vorausschicken. Medienunfreiheit, der Kampf um elementare Pressefreiheit – das ist etwas, um das andere kämpfen müssen. Nicht wir. Es gibt Länder, wo Reporter erschossen werden, investigative Journalisten in den Kerker wandern. Wo man für einen Leitartikel, der es mit dem Präsidenten aufnimmt, seine Existenz riskiert. Sofern es überhaupt Zeitungen gibt, in denen Leitartikel theoretisch erscheinen könnten, für die man die Existenz verlieren könnte. Aber diese Länder sind weit weg. 
Bei uns gibt es Medienfreiheit. Zensur findet nicht statt. Aber wenn man diese beiden Sätze so schreibt, würden wohl schon die meisten Menschen aufjaulen. Medienfreiheit? Bei uns? Zensur ist doch alltäglich! Nur viel subtiler! Schau doch rein in die Zeitungen! Überall die gleiche Meinung. Überall ein Medienkonzern, der wiederum mit irgendwelchen Parteien verbandelt ist, oder eine Landesregierung, die wiederum mit irgendwelchen Medien verbandelt ist, sodass von Medienfreiheit doch keine Rede sein kann. Oder das Kapital, das sich seine Zeitungen hält. 
Und das ist nicht falsch, aber auch nicht richtig. Ich frage mich, was das bedeutet, dass über ein solch elementares Thema lauter Urteile kursieren, die irgendwie richtig und irgendwie falsch zugleich sind. Das heißt ja zunächst, dass wir überhaupt keinen klaren Begriff davon haben, worum es eigentlich geht. 
Aber was genau ist daran falsch? Die allermeisten Menschen, denen ich begegne, glau
ben, dass Medien mit dem, worüber sie berichten – ja: mit jeder kleinen Meldung – eine Strategie verfolgen. Sie glauben, dass es da eine Strategie eines Eigentümers gibt, die vom Herausgeber oder der Chefredaktion exekutiert wird, und vom emsigen Redakteurinnen und Redakteuren dann in jeden Einspalter einfiltriert wird. Aber das stimmt natürlich so für praktisch kein Medium, für’s Qualitätsblatt nicht, für’s Schundblatt auch nicht. Denen kann man dann erzählen, dass Redakteure durchaus eigensinnige Leute sind, die sich nichts diktieren lassen – oder jedenfalls nicht auf so simple Weise. Aber schon das stimmt ja auch nicht. Weil ihnen in der Regel gar niemand etwas diktiert. Was ja auch dazu führt, dass hochgradig erratisch ist, was in der Zeitung steht. Redakteure haben Geschmäcker und interessieren sich für jenes mehr, für jenes weniger. Zehn Redakteure interessieren sich für zehn Dinge – meinetwegen für zwanzig. Was sie nicht interessiert, findet nicht statt. Man könnte sagen: Redakteure sind auch Menschen. Was ein Teil der Wahrheit ist. Aber wieder nur ein Teil. 
Medien dienen zur Verbreitung von Information, aber sie dienen auch zum Entertainment. Zeitungsherausgeber haben womöglich politische Loyalitäten, aber sie haben auch kommerzielle Interessen. Journalisten wiederum haben auch ihre politischen Meinungen, aber auch ein Interesse an Meinungspluralismus, und zwar nicht nur quer über die Medienlandschaft hinweg, sondern auch an Pluralismus in ihren eigenen Medien. Weil, sie wollen schreiben dürfen, was sie möchten, das setzt aber voraus, dass ihre Kolleginnen auch schreiben dürfen, was sie möchten. Wie formatieren sich aber diese verschiedenen Vektoren zum Produkt „Zeitung“? Sie können Meinungspluralismus begünstigen. Aus guten und schlechten Gründen. Über die guten, die heroischen, will ich hier keine Worte verlieren. Die schlechten sind: Es gibt auch kommerzielle Interessen am Pluralismus. Weil Meinungsmonokultur fad ist, Streit aber auch einen Entertainmentcharakter hat, forcieren manche Chefredakteure sogar Meinungen, die quer zur Blattlinie liegen. Nichts ist aufregender als die abweichende Meinung, und nichts knallt mehr als eine skandalöse Abweichung. Auch das ist eine Realität. 
Aber ist die normierte Abweichung nicht nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt? Der normale Redakteur weiß, wie weit er abweichen darf. Nirgends stehen Verbotstafeln, aber doch weht so etwas wie ein Geist, und sei es bloß der Zeitgeist, der die ungeschriebenen Regeln diktiert.
Und doch ist auch das nur das halbe Lied. Gibt es nicht so etwas wie den Pluralismus im Rahmen des Erlaubten? Nein, nicht dass es Meinungen gäbe, die zu Äußern verboten wäre (außer in Spezialfällen, etwa, wenn sie gegen das Verbotsgesetz verstoßen oder wenn es sich auf Loblieder auf den Sex mit Kindern handeln würde). Aber es gibt doch so etwas wie einen Korridor der erlaubten Meinungen, sagen wir: von rechtskonservativ bis sehr gemäßigt linksliberal, innerhalb dem die „ernstzunehmenden“ Urteile verortet sind. Dieser Korridor wird enger. Wer sich außerhalb dieses Korridors positioniert, kann einen hübschen Haufen Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ja, er wird es womöglich sogar zu einer großen Nummer im Medienbusiness bringen, aber wird immer so mit einem Bein eine Lachnummer sein. Man wird ihn Quergeist nennen, oder Spinner. Er darf seine Meinung frei äußern, auf dem Platz, den ihm die Gatekeeper zuweisen. Aber als Gatekeeper hat man sich notwendigerweise innerhalb des Korridors zu bewegen. 
All dies sind paradoxe Bewegungen. Einerseits gibt es kaum eine Meinung, und sei sie noch so abstrus, die nicht geäußert würde. Ja, je bizarrer eine Meinung, umso mehr wird sie via Talkshows und Coverstorys in die Welt hinausposaunt, weil der „Aufreger“ ja für Aufmerksamkeit sorgt, und sich Aufmerksamkeit in Quote und Auflage und somit in kommerziellen Erfolg übersetzt. Aber gleichzeitig gibt es feine, unsichtbare, aber stets zu beachtende Linien, innerhalb derer sich die „ernsthaften“ Positionen bewegen. Ist es womöglich so, dass dieser Korridor sogar enger wird?
Ich weiß nicht, ob das die Meinungs- und Pressefreiheit beschränkt; ich habe meine Schwierigkeiten mit dem Pathos des Freiheitskampfes, wenn eh jeder alles sagen kann, ohne dass ihn jemand behelligt. Aber all das ist Teil der Wahrheit von Freiheit und Beschränkung in unserer Welt, in unserer Zeit. Und es gibt wohl noch ein paar andere Teile der Wahrheit. Und es ist, wie die Briten sagen würden, puzzling, wie schwer es offenbar ist, all diese Teile zu einem konzisen Bild zusammen zu fügen. 
„Kommerzialisierung, garniert mit Zensur (und vice versa) – zur Lage der Pressefreiheit“, das ist mein Thema heute. Habe ich mich zu sehr in die Details verloren? 
Was heißt Kommerzialisierung? Zunächst, dass Medien heute ein kommerzielles Produkt sind. Beinahe ausschließlich, jedenfalls jene Medien, die ein einigermaßen breites Publikum erreichen. Das war, einerseits, schon immer so. Aber der Verleger, der eine Zeitung herausbrachte, war doch in erster Linie Verleger, er hatte in aller Regel ein publizistisches Interesse, und darüber hinaus noch ein ökonomisches, aber wenn er keine Verluste schrieb, wenn sich sein eingesetztes Kapital vielleicht sogar noch mit drei Prozent verzinste, eine Prise mehr als am Sparbuch, dann war er damit auch schon zufrieden. Heute ist es erstens aus verschiedensten Gründen deutlich schwieriger, ein Medienunternehmen einigermaßen profitabel zu führen wenn man ordentlichen Journalismus betreiben will, andererseits geben sich die großen Medienkonzerne und -mogulerien, wenn es ihnen denn möglich ist, keineswegs mit ihren drei Prozent zufrieden. 
Ein österreichischer Chefredakteur erzählte mir jüngst, man habe wieder die Consulter im Hause, weil die Konzernspitze meine, im Vorjahr habe der Verlag 20 Millionen Profit gemacht, na, dann sollte es doch heuer kein Problem sein, 22 Millionen zu machen. Müssen halt nur ein paar teure Leute gefeuert werden, schon klettert die Rendite von 12 auf 14 Prozent hoch. Man will Renditen, wie Herr Ackermann bei der Deutschen Bank. Das kann man schaffen, wenn man möglichst viel Platz mit möglichst wenig Journalisten füllt. So sehen sie auch aus die Zeitungen aus diesem Haus. 
Die Meinungsfreiheit schränkt das nicht ein. Im Gegenteil. Nicht nur niedrige Produktionskosten sichern die Rendite, sondern viele Leser, weil sich viele Leser wieder in viele Inserate übersetzen. Natürlich, Meinungen, die viele Leser abstoßen können, werden vielleicht nicht toleriert, aber, ich bitte Sie, was ist schon eine abstoßende Meinung? Nein, es werden durchaus auch bizarre Meinungen gewünscht, kontroverse, der Skandalkommentar, das Aufreger-Interview. Ich bitte Sie, in der Sache interessiert doch einem Chefredakteur nicht die Meinung des Kommentators, der darf durchaus das Gegenteil von jener Meinung sein, die der Chefredakteur in seinem letzten Leitartikel geäußert hat, eine Meinung übrigens, die selbst nicht notwendigerweise die tatsächliche Meinung des Chefredakteurs darstellen muss, sie müssen sich den durchschnittlichen Chefredakteur eher als Schauspieler vorstellen, der heute diesen, morgen jenen Text spricht, bloß dass er sich das Skript selber schreibt. Nein, Krawall muss sein, Entertainment muss sein, Krach muss sein, damit der Leser ein bisschen Unterhaltung hat bei all dem Für und Wider der Meinungen. Natürlich dürfen die Meinungen den Leser nicht überfordern, insofern, als sie nicht allzu komplex sein, nicht zu schwer zu verstehen sein sollen, man soll sie schnell konsumieren können, ein schneller Happen zwischendurch. 
Also, ich sehe keine Einschränkung der Meinungsfreiheit in unserer Medienwelt, zunächst, aber ich sehe eine irritierende Bedeutungslosigkeit der Meinungen. Das Meine
n selbst wird zu einer beliebigen Handlung, die weniger seriösen oder intellektuellen Gesetzen, als den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie folgt, der sich die Medien mehr und mehr anverwandeln. Und dem kommt auch der gewissenhafteste Meinungshaber nicht aus, er wird gefressen von der Eigengesetzlichkeit des Mediums, das auch nur ein Geschäftsfeld ist, und insofern ist tatsächlich wahr: „The Media is the Message!“ Es zählt, at the End of the day: Wieviel Quote bringt Deine Meinung? 
Und doch haben viele Menschen den Eindruck: Es stünde doch in jeder Zeitung dasselbe. Da herrsche ein Meinungskartell. 
Natürlich, dieser Eindruck wird auch geschürt, von interessierter Seite. In den letzten Jahren haben vor allem die rechtspopulistischen Hetzer eine regelrechte Kunstform daraus gemacht, via alle Medienkanäle hinauszuposaunen, ihre Meinung würde von der „politischen Correctness“ der Mainstream-Medien, wie sie das nennen, unterdrückt. Morgens beklagen sie es in der Krone, abends in der TV-Talkshow. Es ist eigentlich zum Schreien komisch. Da kann einer, wie beispielsweise Thilo Sarrazin, ein Buch schreiben, das vom Spiegel mit einem Vorabdruck in den Markt gedrückt, von der Bild-Zeitung mit einer Kampagne begleitet wird, von der „Zeit“ mit einem großen Interview geadelt wird, das sich millionenfach verkauft, er sitzt wochenlang in jeder Talk-Show und in jeder dieser Talksshows beklagt er, dass ein Mainstream-Medienkartell ihn mundtot zu machen versucht. 
Dabei kann man nicht mal mit der Fernbedienung in der Hand und hektischen Wegzappen Sarrazin mundtot machen. Wie der Hase und der Igel ist das mit dem und seinesgleichen: Flieht man vor ihnen aus dem einen Kanal, sitzen sie am anderen schon fett in ihren Sesseln und quasseln munter drauflos.
Und wenn grad einmal er nicht in einer dieser Talkshows sitzt, dann mindestens ein oder zwei der Gesinnungsgenossen aus dem Kreise der „politisch Unkorrekten“, der, selbst wenn er nicht mehr als drei Wörter zusammenhängend zu formulieren vermag, das eine mit Sicherheit hinbringt: Zu beklagen, dass ein Mainstream-Medienkartell seine Meinungsfreiheit einschränken will. 
Da sollte man doch eigentlich sagen: Geht’s noch?
Aber vielleicht ist das nur das perverse, neurotische Symptom eines realen Problems, eines Sachverhalts, der zwar nicht so stimmt, wie ihn diese Narren behaupten, aber an dem doch irgendetwas wahr ist. 
Denn womöglich sind diese Narren, wie ein, zwei andere abweichende Meinungen auch, die Clowns des Betriebs, aber jenseits derer wird, wie ich schon gesagt habe, der Korridor enger. Und hier erleben wir zwar auch Meinungsunterschiede, aber doch eher Spielarten derselben Meinung. Ein bisschen linksliberal da, ein bisschen rechtsliberal dort. Aber virulenter, lebendiger Meinungsstreit um abweichende Ideen? Wer abweicht von dem Korridor, der ist der Quergeist, liebenswert vielleicht, aber sicherlich ein bisschen skurril. Es braucht nicht mehr zensuriert zu werden, auf ostentative, repressive Weise, aber vielleicht ist es doch so etwas wie eine subtile Zensur, eine sehr sehr subtile, wenn bestimmte Meinungen, Perspektiven, Ideen als respektabel, andere von vornherein als bestenfalls unterhaltsame Clownerien abgetan werden, die man eigentlich nicht ernst zu nehmen bräuchte, oder als altmodisches Retro-Abweichlertum oder was auch immer. Es ist dies natürlich ein ähnliches Phänomen wie in der Politik mit ihrem Drang zur Mitte, zum großen Konsens, wo dann politische Programmatiken zur Auswahl stehen, die sich in etwa so unterscheiden wie Coke von Pepsi, ja, so dass manche schon von Wahlen ohne Wahlmöglichkeit sprechen. 
Und was hat da das Primat? Die politische Entpolitisierung, die mit dem Konsens über den belanglosen Mittelweg einhergeht, oder die Angleichung der Medien? Keines von beiden oder beides zugleich, wie der belesene Rezipient der These von der medialen Konstruktion der Wirklichkeit weiß. Nicht die politische Realität determiniert die mediale, aber auch die mediale determiniert nicht die politische. Es ist ein Feld, auf das viele Vektoren einwirken. Es ist ein Feld ohne Dominante. 

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