Solche „Wirtschaftskompetenz“ werden wir uns bald nicht mehr leisten können…

Rede zur Eröffnung des Hainfeld-Konventes der SPÖ-Niederösterreich, 14. Oktober 2011

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Dieser Hainfeld-Konvent erinnert daran, dass hier vor mehr als 120 Jahren die österreichische Sozialdemokratie gegründet wurde, wobei das nur halb stimmt natürlich. Die verschiedenen Stränge der sozialdemokratischen Bewegung, die es ja vorher schon gab, wurden hier vereinigt zu jener sozialdemokratischen Partei, die seither unglaublich viel erreicht hat. 
Bedenken wir, wie das war, vor 120 Jahren. Monarchie, ständische Ordnung, in der klar war, wer oben ist und wer unten ist. Ein Kapitalismus entwickelte sich, ein Räuberkapitalismus, der Massen einfacher Leute in die Städte spülte, wo sie schufteten, für Suppe und ein Stück Brot und ein Dach über dem Kopf, wenn sie nicht eingepfercht waren in Massenquartiere, verlaust, stinkig, ohne große Lebenschancen.

Es ist unglaublich viel erreicht worden in den vergangenen 120 Jahren. Demokratie, mehr und mehr Freiheitsrechte wurden durchgesetzt, aber die einfachen Leute haben auch mehr und mehr an Lebenschancen erhalten, auch ihren Anteil am Wohlstand, vielleicht nicht immer einen fairen, aber einen Anteil am Wohlstand, sie haben Bildungschancen erhalten, sie konnten aufsteigen in einen breiten Mittelstand. 
Und, seien wir ehrlich und genau: Natürlich war das nicht nur das Werk der Sozialdemokraten. Es waren auch andere sozialreformerische Gruppen, Parteien und Bewegungen daran beteiligt, ja, mehr noch, es war der moderne Kapitalismus selbst, der diese Entwicklung begünstigt hat: Denn ein entwickelter Kapitalismus braucht die Kaufkraft eines breiten Mittelstandes, weil er von der Konsumentennachfrage im Schwung gehalten wird, und er braucht auch gut ausgebildte Arbeitskräfte, Techniker, Kreative, Finanzexperten, Spezialisten aller Art. 
Kurzum: Mithilfe dessen, was man gelegentlich auch den Zug der Zeit nennen konnte, haben Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen diesen Kapitalismus zu einem anderen Kapitalismus gemacht, einen, in dem sich leben lässt, in dem sich Ungerechtigkeiten in Grenzen halten, der den Jungen Bildung, den Arbeitern ein anständiges Leben, den Alten Würde und allen zusammen ein gutes, ja, auch spannendes Leben ermöglichte. Und sie hat den Kapitalismus, den Instabilen, Krisenanfälligen, auch stabiler gemacht damit. 
Aber wenn ich sage: Mit Hilfe des „Zugs der Zeit“, dann heißt das nicht, dass das eine objektive, unausweichliche Entwicklung war, und es heißt auch nicht, dass es damit automatisch so weiter geht.  
Ja, liebe Freundinnen und Freunde, und da bin ich schon in unserer Gegenwart, in unserer Gegenwart des Jahres 2011, des Herbstes 2011, des Oktobers 2011, zweiten Oktoberwoche des Jahres 2011. Ich sag das deshalb so theatralisch, weil es geht wirklich um diesen Moment, um diesen historischen Moment, um diese Tage gerade: Heute, morgen, Montag, vielleicht den Montag nächster Woche – kurzum, wir sind in entscheidenden Augenblicken, in brandgefährlichen Tagen. 
Wieder einmal, so wie Ende der zwanziger Jahre, als das globale Finanzsystem kollabierte und der Kapitalismus in eine lange, schwere Depression stürzte, stehen unsere Gemeinwesen wieder auf des Messers Schneide. Und da kommt es jetzt sehr darauf an, das Richtige zu machen, denn wenn man hier noch weiter Fehler macht, dann kann alles zusammen brechen und dann sitzen wir morgen hier in den rauchenden Ruinen mit einem kollabierten Finanzsystem, aber auch wenn es nicht so schlimm kommt, wenn man die Dinge falsch anpackt, dann stecken wir in einer lang anhaltenden Depression, in Jahren schlechter Zeiten und unser Wohlstand schrumpft, und schrumpfen des Wohlstandes, das heißt nicht nur, dass viele Leute weniger Geld am Konto haben und viele ihre Jobs verlieren, und viele nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen, sondern das heißt auch, dass unsere Kinder weniger Chancen haben, dass noch viel mehr keine Jobs bekommen nach Schule und Ausbildung, oder dass sie schlechte Jobs bekommen, sodass sie aus ihren Talenten nichts machen können, dass sie unter ihren Möglichkeiten bleiben, und dass sie keine Familien gründen können, und wenn sie unter ihren Möglichkeiten bleiben, dann ist das eine Schande und eine Verschwendung von Lebenschancen, für jeden Einzelnen, aber für alle diese Einzelnen zusammen, für uns alle, für unser Gemeinwesen, bedeutet das auch, das wir alle unter unseren Möglichkeiten bleiben – das heißt, dass wir alle zusammen ärmer sind und ärmer sein würden, als wir sein müssten. 
Deregulierung, die Wende hin von einem „sozialen“ zu einem radikalen Markt-Kapitalismus, zu einem The-Winner-Takes-It-All-Kapitalismus, diese gesamten Entwicklungen der vergangenen zwanzig, dreißig Jahre, sie haben nicht nur das Leben vieler Menschen schwerer gemacht, sie haben nicht nur dazu geführt, dass die große Mehrheit der Menschen von den Wohlstandszuwächsen nur wenig abbekommen haben und sich die obersten eins, zwei, drei Prozent die großen Stücke des Kuchens gekrallt haben, nein, diese Entwicklung hat die Marktwirtschaft als ganzes instabiler gemacht. Das muss man einmal klar sagen: Die Neoliberalen und Neokonservativen sind uns ja immer großkotzig gekommen, dass sie soviel von Wirtschaft verstehen, und wir Linken oder Sozis, wir wissen ja nicht wie man wirtschaftet, wir seien höchstens Experten fürs Verteilen. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, wohin haben sie uns denn geführt, mit ihrer tollen Wirtschaftskompetenz? An die Wand gefahren haben sie die Marktwirtschaft mit ihrer Wirtschaftskompetenz. 
Mit ihrer Freunderlwirtschaftskompetenz. Ihrer Kompetenz, sich in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Und wir haben ja in Österreich da unsere eignen Unschuldsvermutunslämmer, unserer eigenen Plünderer. Aber im Vergleich mit dem, was sich da im Globalen abgespielt hat, sind das natürlich Lehrbuben. 
Im Globalen hat da eine ganze neue Raubritterkaste die Gemeinwesen ausgeplündert. Nur so, als Detail: 
Nehmen wir nur Goldman-Sachs. Goldman-Sachs, das ist die Bank, die ihren Kunden strukturierte Hypothekenpapiere angedreht hat, und auf der ganzen Welt dieses Risiko verstreut hat. Und während sie ihren Kunden gesagt hat, dass das super Papiere sind, hat sie still und heimlich Unmengen von Kreditausfallsversicherungen auf genau diese Papier gekauft. Also, sie hat damit begonnen, diese Papiere, von denen sie wusste, die sind Schrott, auch noch in den Keller zu wetten, um durch deren Ausfall noch ein zweites Mal zu verdienen. So, und was würde man normalerweise erwarten, was mit einem solchen Unternehmen geschieht? Dass es als kriminelle Vereinigung verboten wird, nicht wahr? Und wer sitzt im Gefängnis von denen? Wer wurde vor Gericht gestellt? Niemand. Es ist eigentlich unglaublich. 
Ich möchte Ihnen nur einen kleinen Artikel vorlesen, aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, also wahrlich kein klassenkämpferisches Soziblatt, da wird ein Personalberater zitiert, der vor allem für die Finanzbranche arbeitet. Der will natürlich nur anonym zitiert werden. 
„Nie würde er das öffentlich sagen, schließlich finanziert ihm die Branche sein angenehmes Leben. Aber er wundere sich, fährt der Personalberater fort, dass die Aktionäre der Banken es sich gefallen lassen, wie sich eine Kaste ihres Vermögens bemächtigt: „Oder kennen Sie einen glücklichen Bank-Aktionär?“ Wer sein gesamtes Erspartes vor zehn Jahren in Bank-Aktion gesteckt hat, ist heute ziemlich verarmt. Von gescheiterten und geschassten Top-Bankern wird derlei weniger berichtet.“
Wir stehen also in einer der gefährlichsten Momente, vielleicht dem gefährlichsten Moment für die Welt seit fünfzig Jahren und da kann man in die eine Richtung gehen oder in die andere Richtung gehen. Man kann die Dinge richtig machen, oder man kann sie falsch machen. Und das wird ganz elementare Konsequenzen haben. 
Und deshalb will ich Ihnen hier einmal versuchen systematisch darzulegen, wie wir so weit gekommen sind, was jetzt zu tun ist und was eine sozialdemokratische Antwort wäre, die das jetzt aktuell notwendige tut, aber die vor allem auch langfristig versucht, unsere Gesellschaften wieder auf einen guten Weg zu bringen. Was Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert heißen sollte. 
Und da kann ich natürlich darüber reden, was die anderen alles falsch machen, was sie mies machen, wie sie uns in eine Sackgasse manövriert haben. Und darüber muss ja geredet werden: Über die neokonservativen und neoliberalen „Weniger Staat-Mehr Privat“-Fanatiker, die uns seit Jahr und Tag eingeredet haben, dass man den Sozialstaat verschlanken mu
ss, dass man Arbeitnehmerrechte abbauen muss, wenn man eine brummende Wirtschaft haben will. Die uns eingeredet haben, dass die Marktwirtschaft dann am besten funktioniert, wenn man möglichst wenige Regeln hat und wenn die gesamte Gesellschaft, ja am besten alle Gesellschaften auf diesem Globus dem harten Wind der freien Marktkonkurrenz ausgesetzt sind. 
Die uns mit dem schönen, kaltherzigen Satz kamen: Wenn jeder nur an sich denkt, dann ist an jeden gedacht. 
Ein Satz, der meint, wenn alle nur ihrem Eigennutz nachrennen, dann ist das der beste Weg, um eine Volkswirtschaft reicher und reicher zu machen und dann haben am Ende alle am meisten davon. 
Aber selbst, wenn das stimmen würde: Würde man gerne in einer solchen Gesellschaft leben wollen, in der jeder nur an sich denkt, und beim anderen nur daran, wie er ihn am besten übervorteilen kann? Nein, natürlich nicht, liebe Freundinnen und Freunde, kein Mensch kann in so einer Gesellschaft leben wollen. 
Aber es stimmt ja nicht einmal!
Diese wirtschaftspolitische Doktrin war ja dominant in den vergangenen Jahrzehnten, so dominant, dass gelegentlich auch manche Sozialdemokraten ihr Fähnchen in den Wind gehängt haben. Aber was hat uns diese Doktrin denn eingebracht? Diese Doktrin hat uns die schwerste Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren eingebrockt, sie hat einen brandgefährlichen Infarkt auf den Finanzmärkten ausgelöst, zunächst einmal im Herbst 2008. Ja, sagen wir es in brutaler Offenheit: die ungeregelte, freie Marktwirtschaft auf den Finanzmärkten hat, als Ergebnis, das marktwirtschaftliche kapitalistische System selber an den Rand des Kollaps gebracht. Die Anhänger der Doktrin, dass alles der freien Konkurrenz der Marktkräfte unterworfen werden soll, dass jeder ungehindert seinem Eigennutz folgen können soll, die Anhänger dieser Doktrin, sie haben ihn beinahe kaputt gemacht, den Kapitalismus, ihren geliebten Kapitalismus. 
Weil, der wär‘ kaputt gegangen, wenn die Staaten und die Regierungen ihn nicht gerettet hätten. Weil die Regierungen, die geschmähten Regierungen, von denen man vorher gesagt hat, sie sollen sich aber bitte schön aus dem Wirtschaftsleben raushalten, die mussten plötzlich die Banken retten. Und die anderen Finanzinstitutionen, die Investmentbanken, die Hedgefonds, die Versicherungen. 
Sie alle wären zusammengekracht, in einem großen Dominoeffekt, kein einziges wäre übrig geblieben, wenn die Regierungen sie nicht gerettet hätten. 
Das ist schon nicht unkomisch. Weil es gibt ja so manche Linke, auch in den Sozialdemokratischen Parteien gibt’s da ein paar, die würden ihn insgeheim am liebsten weghaben den Kapitalismus. Aber seien wir uns ehrlich, ihn wirklich kaputtmachen, das würden sich die wenigsten von denen trauen. Also, es waren nicht die scharfen linken Kapitalismuskritiker, die ihn beinahe kaputt gemacht haben den Kapitalismus, die Banker waren es, das sind total verwegene, tollkühne Leute, die haben ihn wirklich fast kaputt gemacht. 
Unabsichtlich natürlich. Ist halt eine Trottelpartie. Ist ganz lustig, weil, in diesen Kreisen gibt’s doch diesen Satz, der ist dort sehr populär, weil sie damit ihre Phantasiegehälter rechtfertigen. Der lautet: „If you pay peanuts, you get monkeys“. Frei übersetzt: Wenn man wenig bezahlt, kriegt man nur Idioten. „If you pay peanuts, you get monkeys“. Ich sag jetzt immer: „If you pay boni, you get monkeys too.“ „Wenn man Boni bezahlt, kriegt man auch nur Idioten“. 
Die Staaten, die Regierungen haben ihn gerettet. Indem sie den Banken und anderen Finanzinstitutionen ihre Schulden abgenommen haben, indem sie sie gerettet haben und indem sie die zusammenbrechende Konjunktur stabilisiert haben. Aus diesen beiden Gründen – und weil das Steueraufkommen in der schwächelnden Wirtschaft ebenfalls eingebrochen ist -, haben die Staaten, die Regierungen nun die Schulden am Hals. Sie haben sie den Banken abgenommen und jetzt haben die Regierungen die Schulden am Hals. Der Witz ist aber: In einer Kreislaufökonomie wie der kapitalistischen Marktwirtschaft sind die Schulden, die der Staat am Hals hat, weil er die Banken gerettet hat, aber plötzlich wieder ein Problem der Banken. Denn was passiert denn, wenn sich ein Staat verschuldet? Er verkauft Schuldscheine, Staatsanleihen. Und wer hat die denn? Die Banken, Investoren, andere Finanzinstitutionen. Und die haben die zu einem bestimmten Wert in ihren Büchern. Wenn dieser Wert aber verfällt, weil es Zweifel daran gibt, ob die Staaten überhaupt noch ihre Schulden zurückzahlen können, dann wird daraus wieder eine Bankenkrise. Also: Aus der Bankenkrise wurde eine Staatsschuldenkrise und aus der Staatsschuldenkrise die nächste Bankenkrise. Und an diesem Punkt stehen wir jetzt. 
Und an diesem Punkt muss man die Defizite und die Schulden der Staaten so reduzieren, dass man die Wirtschaft nicht weiter abwürgt, man muss aber auch die Finanzinstitutionen retten, denn eine Wirtschaft ohne Finanzinstitutionen, die wollen wir uns gar nicht vorstellen. Und was die Rettung der Finanzinstitutionen angeht, da müssen wir deren systemische Funktion retten, aber wir müssen nicht, nein, wir dürfen nicht die Boni der Banker retten und die Investitionen der Investoren, die jahrelang gut verdient haben, und die sich ihr Investment bisher vom Steuerzahler retten haben lassen. Und das kann also nur heißen, wenn wir die Banken weiter retten, dann muss es für das Geld der Steuerzahler auch Anteile an der Bank geben für das Gemeinwesen, also für den Staat. Eine Bank, die pleite ginge, und vom Staat gerettet werden muss, ist dann eine verstaatlichte Bank! Punkt! Basta! Und dann müssen die Regierungen, die die Banken retten, ihnen die Spielregeln diktieren. Und da muss dann auch Schluss sein mit den Phantasiegehältern und diesen Boni in den Banken. 
In Europa haben wir noch ein weiteres Problem: Nämlich, dass die Regierungen keinen Einfluss mehr auf die Währung haben. Wenn sich die USA verschulden, tun sie das in eigener Währung, und wenn die Schulden drückend werden, können sie immer noch die Notenpresse anwerfen. Japan detto. Weil die Investoren das wissen, wissen sie, dass diese Staaten nie bankrott gehen können. Im schlimmsten Fall kriegen sie ihr Geld durch Inflation entwertet zurück, aber sie kriegen es zurück. Ein bisserl Entwertung ist schlecht, aber Totalverlust durch Bankrott ist natürlich viel schlechter. 
Und wir in Europa haben mit dem Euro einen Fehler gemacht. Es war kein Fehler, dass wir ihn eingeführt haben. Aber wir haben ihn falsch konstruiert. Weil er für die einzelnen Regierungen Eigenwährung und Fremdwährung zugleich ist. Eigenwährung, weil es unsere Währung ist. Aber Fremdwährung, weil die einzelnen Regierungen und auch die einzelnen Nationalen Notenbanken keinen Einfluss mehr auf die Geldpolitik haben. Und das hat ein fatales Resultat: Staaten können bankrott gehen. Staatsanleihen sind kein sicheres Investment. Staatsanleihen von Euro-Staaten sind ein riskanteres Investment als etwa britische oder japanische oder amerikanische Staatsanleihen, obwohl diese Staaten viel höhere Schuldenstände haben als viele Euro-Länder. Und deshalb müssen Euro-Länder plötzlich exorbitante Zinsen zahlen, Zinsen, die sie erwürgen. Und es kann sein, dass wir eine Pleite von Griechenland und möglicherweise Irland oder Portugal nicht mehr abwenden können, dass die einen Schuldenschnitt machen müssen. Aber danach müssen wir die Euro-Zone neu konstruieren. So dass die EZB klarmacht, dass sie ab nun jedem Euroland im Notfall unbegrenzte Liquidität garantiert, wie das die FED etwa in den USA tut. Sodass die Finanzmärkte nicht mehr gegen einzelne Länder spekulieren können in der Eurozone. 
Ich weiß, an dies
er Stelle bin ich sehr technisch geworden und ökonomisch ins Detail gegangen, aber das sind wichtige Fragen, lebenswichtige Fragen für uns alle in der Zukunft. Und es ist wichtig, dass wir das verstehen, dass das alle von uns verstehen, auch die, die sich mit Wirtschaft nicht so auskennen. Weil das sind Lebensfragen, um die es gerade in diesen Tagen geht, und da können wir nicht sagen, da kennen wir uns nicht aus, das überlassen wir den Experten. Ja, das Kleingedruckte können wir den Experten schon überlassen, aber die wichtigen Grundsatzfragen, die muss man schon verstehen in einer Demokratie. 
Und für all diese Dinge, die wir jetzt unmittelbar und in den nächsten Monaten und Jahren tun müssen brauchen wir Geld, aber die Staaten können sich nicht weiter verschulden, ja, sie müssen die Schulden eher reduzieren. Aber wir werden diese Schulden nicht mit radikalen Sparkursen reduzieren können. Denn damit würgen wir die Wirtschaft ab, und das würde den einfachen, normalen Bürgern unglaubliche, unfaire Lasten aufbürden, den normalen Bürger, die ja nicht schuld sind an dem, was passiert ist, und die ja nicht profitiert haben von diesem außer Rand und Band geratenen Finanzkapitalismus. Das wäre also hochgradig ungerecht. Aber es wäre nicht nur ungerecht, es würde auch gar nicht funktionieren. Denn wenn wir unsere Volkswirtschaften kaputt sparen, dann haben wir alle weniger Einnahmen, auch die Staaten hätten weniger Steuereinnahmen und wie sollten sie dann die Schulden zurückzahlen? Also, wir würden ächzen unter dem brutalen Sparkurs, und die Schulden würden trotzdem nicht sinken, das wäre sinnlos. 
Und deshalb sind Vermögenssteuern nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern sie sind ökonomisch einfach alternativlos. Es ist die einzige Möglichkeit, mit Vermögenssteuern und höheren Einkommenssteuern für die Reichsten, Geld aufzutreiben um die Schulden zu reduzieren, und zwar auf eine Weise, die die Wirtschaft nicht abwürgt. Es gibt dazu einfach keine Alternative. Wer sich jetzt hinstellt und sagt, das ist Enteignung, die armen Reichen, das ist Neid, man will denen etwas wegnehmen, der versteht einfach von Wirtschaft nichts. Der kann nicht rechnen. Die ÖVP, die Finanzministerin, die sagt: Das sind Klassenkampfparolen. Aber es geht nicht um Klassenkampf. Es geht nicht um Klassenkampf, sondern um Mathematik. Wer verhindert, dass die Vermögenden einen höheren Anteil leisten, der wird keine ausgeglichenen Budgets und keinen Schuldenabbau hinkriegen, so einfach ist das. 
Der ist ein Scharlatan. Und solche Scharlatanerie können wir uns buchstäblich nicht mehr leisten. 
Das sind die unmittelbar notwendigen Dinge. Aber wir müssen über diese hinaus uns auch überlegen, wo wir hinwollen mit unseren Gesellschaften in den nächsten zehn, zwanzig Jahren. Und, ja, da sollen wir uns es nicht leicht machen: Wir können es uns natürlich leicht machen und schimpfen auf die Neoliberalen, auf die Plünderer, auf die ÖVP, die alles verhindert. Aber ich will da Bruno Kreisky zitieren, der hat einmal etwas sehr Wichtiges gesagt: Sie wissen sehr genau, liebe Freunde, hat er gesagt, dass man, wenn es mal für eine politische Bewegung nicht ganz so gut läuft wie sie sich das erhoffen würde, „und wenn man die Ursachen dafür ergründen will, dass man das nicht mit dem Gefühl tun darf, dass alle anderen schuld sind nur man selber ist nicht schuld.“ Das Beste ist in diesem Fall, hat er gesagt, „die Schuld bei sich selber einmal zu suchen.“
Und… Schuld ist natürlich ein großes Wort. … Aber wenn ich Sie, oder Sie, oder sozialdemokratische Politiker in Wien oder Berlin oder sonst wo fragen würde: Was sind genau die sozialdemokratischen Ideen, wie unsere Gesellschaft in zehn, fünfzehn Jahren aussehen sollen? Und zwar nicht, dass ich frage nach irgendwelchen phantastischen Utopien, aber auch nicht danach, was sie glauben, wie sich der technologische und gesellschaftliche Wandel von selbst vollziehen wird bis dahin, sondern wenn ich frage: Was glaubt ihr, könnt ihr in dieser mittelfristigen Zeit von zehn, fünfzehn, meinetwegen zwanzig Jahren verbessern in Euren Gesellschaften, und was wollt ihr verbessern, und wie kommen wir dazu – würde ich so fragen, dann würde, so glaube ich, nicht sehr viel kommen. 
In den vergangenen Jahren jedenfalls war’s überall eher so, dass dann sozialdemokratische Spitzenpolitiker gesagt hätten: Wir haben eine neoliberale Dominanz, wir müssen die Angriffe auf den Sozialstaat abwehren, wir müssen Deregulierungen oder die schlimmsten Privatisierungen verhindern … oder schauen, dass der Strache nicht zu stark wird. 
Kurzum, wenn ich das mal in die Botschaft an die Wähler übersetzen darf, wäre diese Botschaft gewesen: Wählt’s uns, damit es nicht schlechter wird. Oder gar: Wählt’s uns, weil mit uns wird es langsamer schlechter. 
Und, liebe Freundinnen und Freunde, natürlich gibt es in unseren westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten vieles, was wert ist, verteidigt zu werden. Aber verteidigen ist kein ausreichendes Programm. Verteidigen allen führt auch zu politischen Kleinmut. Und mit Verteidigen einer Realität, die ihre guten Seiten hat, aber von der viele Leute auch wissen, dass sie weit davon entfernt ist, optimal zu sein, mit Verteidigen allen kann man die Menschen auch nicht begeistern. 
Also, was wären solche sozialdemokratischen Ziele für die nächsten zwanzig Jahre? 
Natürlich, gerade an einem Ort wie Hainfeld muss man das auch einräumen und unterstreichen, wir leben in einer Gesellschaft in der viele Menschen einen Wohlstand erreicht haben, den sich unsere Großelterngeneration nicht ausmalen hätte können, wir leben in einer Gesellschaft, in der die meisten nicht Angst haben müssen, morgen unter die Räder zu kommen und in der mehr Menschen denn je ihre Lebensziele und Träume zu verwirklichen suchen können. 
Aber trotzdem sind die Chancen weit davon entfernt, fair verteilt zu sein. 
Ich habe Euch ein paar Zahlen mitgebracht. Ich möchte Euch die einmal vorlesen. Die ersten Daten stammen aus dem Sozialbericht der österreichischen Bundesregierung: 473,4 Milliarden Euro, soviel betragen Finanzvermögen in Österreich, davon sind 439 Milliarden im Eigentum privater Haushalte. Das ist eine Zahl mit 12 Stellen und neun Nullen. Aber diese Vermögen sind grob ungleich verteilt: 
„Über zwei Drittel der österreichischen Haushalte besitzen kein nennenswertes Geldvermögen“, 
resümieren die Forscher, während
„die obersten 10 Prozent einen Anteil von 54 Prozent am gesamten Geldvermögen auf sich vereinigen.“
Noch ärger ist das bei den Immobilienvermögen. Von dem haben die obersten Top-10 61 Prozent. Während 41 Prozent der privaten Haushalte überhaupt kein Immobilienvermögen besitzen. 
Um das noch etwas anschaulicher zu machen: Man stelle sich zehn Österreicherinnen und Österreicher vor und 100 schöne Häuser. Der erste, der zweite, der dritte, der vierte besitzen kein einziges dieser Häuser. Der fünfte besitzt zwei, sechste besitzt fünf, der siebte acht, der achte zehn, der neunte besitzt 14 Häuser. Und den großen Rest, nämlich 61 Häuser, krallt sich der zehnte ganz alleine. 
Das ist etwa der Schlüssel bei allen Vermögensarten: Finanzvermögen, Immobilien, bei Anlagevermögen – also etwa Fabrikbesitz – ist es natürlich noch ärger. Die obersten zehn Prozent besitzen nahezu zwei Drittel von allem. 
Und diese Konzentration nimmt nicht ab, sie nimmt in den vergangenen zwanzig Jahren kontinuierlich zu. 
Aber das ist noch nicht das Ende vom Lied. E
s kommt natürlich noch schlimmer: Weil sich diese Ungleichverteilung materieller Güter nicht nur darin übersetzt, dass es die einen ein bisserl bequemer haben im Leben als die anderen, sie übersetzt sich ja auch in eine krasse Ungleichverteilung der Lebenschancen. 
Nehmen wir nur die Bildungschancen unserer Kinder. Was die Bildungsgerechtigkeit betrifft liegt Österreich überhaupt unter den Schlusslichtern. Das hat gerade wieder eine Studie ergeben, die im renommierten Fachmagazin „Empirica“ veröffentlicht wurde, dem „Journal of applied economics and economic policy“. Die haben folgendes herausgefunden: In Österreich erreichen 49 Prozent der Kinder aus einem Akademikerhaushalt selbst wieder einen Universitätsabschluss. Dass Kinder, deren Eltern nur einen Pflichtschulabschluss haben, einen akademischen Grad erreichen, ist praktisch ausgeschlossen. Nur drei Prozent gelingt das. Und wenn man sich die Daten ansieht, die die Arbeiterkammer veröffentlicht hat, über den Zusammenhang der Bildungschancen der Kinder mit dem Haushaltseinkommen der Eltern, dann ist das Bild frappierend eindeutig. 
Hast Du Niedrigverdiener als Eltern – geht’s ab in die Hauptschule. 
Gutverdiener als Eltern – ab ins Gymnasium. 
Also, wir haben nicht nur grobe Ungleichheiten, wir haben nicht nur weiter eine krasse Kluft zwischen materiell gut gestellten und materiell Unterprivilegierten. Sondern diese Unterprivilegiertheit vererbt sich auch noch, wer in Armut geboren ist, hat geringere Startchancen. Und für viele zu viele am untersten Ende der sozialen Stufenleiter heißt das: Sie starten als geborene Verlierer ins Leben. 
Und ich frage Euch: Ist das gerecht? Ist das die gute Gesellschaft, in der wir leben wollen? Nein, liebe Freundinnen und Freunde, natürlich nicht. 
Und jetzt sagen uns die Neoliberalen: So ist das halt in einer freien Marktwirtschaft. Da muss man Ungleichheiten im Kauf nehmen, weil sie ist nun einmal das bestfunktionierende Wirtschaftssystem, das es gibt. Und würde man daran etwas ändern wollen, macht man das System als ganzes funktionsuntüchtiger, wovon niemand etwas hätte. Und, paradoxerweise, die Vulgärmarxisten sagen was ähnliches: Die sagen, so ist das halt im Kapitalismus. Im Kapitalismus, der ist halt unfair, kann man daran nichts ändern, es sei denn, man macht ihn weg, den Kapitalismus.  
Aber das stimmt nicht. Schauen wir kurz zurück in die Geschichte. So um die vorletzte Jahrhundertwende, in den Jahren 19hundert und folgende, da haben die Liberalen auch gesagt, dieses freie Marktwirtschaftliche System funktioniert am besten, wenn man es ungehindert lässt, wenn man in Marktergebnisse nicht eingreift. Aber nach dem Krach der 30er Jahre, der in menschlichen Desastern und in Krieg und Faschismus gemündet ist, hat man überall begonnen, Wohlfahrts- und Sozialstaaten aufzubauen, oft unter Führung der Sozialdemokraten oder in den USA in den Jahren des „New Deal“ unter Führung linker Demokraten. Und anderswo, wie etwa in Schweden, hat man unter Führung der Sozialdemokraten schon früher damit begonnen. 
Und das Ergebnis war nicht nur, dass das wirtschaftliche und gesellschaftliche System fairer und gerechter geworden ist, und dass die Gesellschaften als ganzes besser funktioniert haben, weil alle eine Chance bekommen haben und jeder genug für ein anständiges Leben hatte – nein, die Wirtschaft als ganzes, das marktwirtschaftliche System als ganzes hat besser funktioniert. Wir hatten stabile Wachstumsraten und wir hatten, weil etwa die Finanzsysteme streng reguliert waren, über Jahrzehnte keine desaströsen Finanzkrisen. 
Also, es stimmt nicht, dass man da nichts verbessern kann. Und wir müssen da nicht nur in die Geschichte zurück sehen. Wir können uns auch die heutigen, real existierenden Volkswirtschaften ansehen. Da gibt es welche, in denen Vermögen, Einkommen und Lebenschancen grob ungleich verteilt sind – wie etwa die USA, Großbritannien oder Portugal. Und dann gibt es welche, wo wir einen höheren und sogar sehr hohen Grad an Gleichheit und Fairness haben – allen voran Schweden, Japan oder auch Norwegen. Also, schon das zeigt uns, dass es nicht nur eine Art gibt, Marktwirtschaften zu organisieren, sondern es gibt solche und solche. Und ich sag nicht, dass es da optimal ist, aber ich sag nur, das zeigt, es gibt nicht nur ein Modell, sondern es gibt verschiedene Wege. 
Es gibt welche, in denen man die Marktverteilung und ihre Ungerechtigkeiten einfach hinnimmt – und in denen auch noch die ökonomisch Privilegierten die Möglichkeit haben, aufgrund der Macht, die mit ihrer Privilegierung einher geht, ihre Privilegien zu verteidigen, indem sie sich Politiker kaufen oder starke Lobbys organisieren oder sich einflussreiche Medien halten und in denen man zulässt, dass die ohnehin schon Reichen das Land auch noch ausplündern – und wenn man ihnen dann draufkommt, dann fragen sie aufgeregt: Was war mei Leistung? Und dann gibt es andere, wo man sehr wohl die Dynamik von Märkten nutzbringend zu mobilisieren vermag, aber nicht zulässt, dass Marktlogik und der Egoismus jede Pore des Gemeinwesens durchdringen und Folgen verursachen, die eine Gesellschaft von innen verrotten lässt. 
Es stimmt einfach nicht, und man muss das hundert und tausend mal sagen, dass eine Marktwirtschaft wirtschaftlich besser funktioniert, wenn man grobe Ungleichheiten akzeptiert. Das Gegenteil ist der Fall, und zwar aus vielerlei Gründen, und ich nenn hier nur drei: 
Wohlstand für alle stärkt die Kaufkraft und die Binnennachfrage, belebt die Wirtschaft und macht eine Volkswirtschaft unabhängiger von der Exportnachfrage. Das gilt auch in einer offenen, globalisierten Welt. 
Wenn alle Menschen in materiell sicheren Verhältnissen leben, können auch alle Menschen ihre Talente entwickeln. Mehr Menschen tragen dann zum Wohlstand bei. Menschen am Rande der Gesellschaft zu belassen, sodass ihre Möglichkeiten verkümmern, ist nicht nur ungerecht, es ist auch ineffizient. 
Unterprivilegiertheit vererbt sich. Das ist nicht nur ungerecht, sondern verschwendet das Potential von Menschen, die etwas zum Wohlstand und zur Prosperität beitragen könnten. Deswegen sind gerechtere Gesellschaften auch wirtschaftlich funktionstüchtiger als Gesellschaften, die grobe Ungleichheiten zulassen. 
Das heißt: Eine Volkswirtschaft, in der es gerecht zugeht, ist auch wirtschaftlich funktionstüchtiger. Und das ist eine Einsicht, die in den nächsten Jahrzehnten noch viel wichtiger wird aufgrund der demographischen Entwicklung. Wenn immer weniger junge Menschen im erwerbsfähigen Alter immer mehr ältere Menschen gegenüber stehen. Da kann man natürlich sagen: Unser Pensionssystem wird dann schwerer finanzierbar. Aber man kann auch sagen: Dann können wir es uns einfach nicht mehr leisten, fünf oder sieben oder zehn Prozent der jungen Menschen von jedem Jahrgang mit schlechter oder gar keiner Bildung auf den Arbeitsmarkt zu werfen. Weil dann gilt, noch viel mehr als heute schon gilt: Wir brauchen jede. Wir brauchen jeden. Und wir dürfen keinen einzigen, keine einzige zurücklassen. Und zwar …. egal ob die Heinz-Christian oder Maria oder Ali oder Aysche heißen. 
Wir dürfen keine Generation mehr verlieren. Darin sollte man alle Kraft und Energie stecken, und nicht in immer neue Ausländerschikanierungsgesetze, die man jedes Jahr verschärft. 
Und hinzu kommt, natürlich: Die Wirtschaft ist nicht alles. Fairere Gesellschaften funktionieren nicht nur wirtschaftlich besser, sie funktionieren auch sozial besser, als Gesellschaften, als ganzes. Die britischen Wissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Picket haben das in einer bahnbrechenden Studie gezeigt, in der sie alle möglichen Datensätze über alle möglichen Gesellsc
haften verglichen haben. Also: Das Bildungsniveau, den Analphabetismus, die Lebenserwartung, die allgemeine Volksgesundheit, die Kindersterblichkeit, den Anteil der Teenagerschwangerschaften, den Alkoholismus, die Lebenszufriedenheit der Bürger und ihr Vertrauen zueinander und dutzende andere Parameter, was weiß ich: den Anteil der Fettleibigen, alles, was sie finden konnten. Und sie haben dann geschaut, inwiefern steht das im Verhältnis zum Grad an Ungleichheit bzw. der Gleichheit in einer Gesellschaft. 
Und das Ergebnis, liebe Freundinnen und Freunde, ist eindeutig: Je gleicher eine Gesellschaft, umso besser funktioniert sie. Umso besser lebt es sich in ihr. Umso zufriedener die Bürger. 
Und das Erstaunlichste daran: Das gilt nicht nur für den unterprivilegierten Teil der Gesellschaft, also für jene, die von einer faireren Verteilung am meisten zu gewinnen haben – es gilt für alle. Alle haben etwas davon, wenn eine Gesellschaft besser funktioniert. Die Unfairness ist sogar für die Reichen unbequem. 
Also, um das zusammenzufassen: Gesellschaften, die nicht in grobe Ungleichheiten zerrissen sind, in denen es fair zugeht, sie funktionieren wirtschaftlich besser, aber sie sind auch als Gesellschaften lebenswerter. Ihre Institutionen funktionieren besser und ihre Bürger sind glücklicher. 
Liebe Freundinnen und Freunde, ich komme zum Schluss. Es gibt ja Leute, manchmal auch in den eigenen Reihen, die uns einreden wollen, wegen der Globalisierung hat die Politik kaum mehr Möglichkeiten, umsteuernd in die Wirtschaft einzugreifen. Oder es gibt sogar Leute, die behaupten, die Progressiven, die demokratischen Linken, die hätten sich zu Tode gesiegt: Weil ständische Vorrechte oder die brutale Ausbeutung der Arbeiter, das gibt es heute ja nicht mehr, und dafür gibt’s ja alles, was man sich so gewünscht hat als Sozialdemokrat: Pensions- und Krankenversicherung, einen Staat, der umverteilt, anständige Arbeitszeitregelungen und was weiß ich was. Alle Ziele erreicht, keine neuen mehr in Sicht. 
Aber Leute, das stimmt nicht. 
Dass das nicht stimmt, zeigen schon die Zahlen, die ich Euch genannt habe. Aber schauen wir uns doch um, welche Probleme wir haben: die Krise der Staatsfinanzen wäre leichter lösbar, wenn man endlich einmal wieder anfangen würde, die Besitzer großer Vermögen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens fair zu beteiligen; schwache Wachstumsraten haben auch damit zu tun, dass unsere Wirtschaft unter ihren Möglichkeiten bleibt, weil die normalen Leute am Produktivitätsfortschritt nicht fair beteiligt werden, weil’s in den letzten Jahren kaum mehr nennenswerte Lohnzuwächse gibt und die Binnennachfrage stockt – und gerade deshalb ist es ermutigend, toll und unterstützenswert, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Metallindustrie sich jetzt nicht mehr einlullen und unterbuttern lassen, weshalb jeder hier die Streikbewegung unterstützen soll. 
Und wir ließen das Wachstum von Niedriglohnsegmenten zu, was nichts anderes ist als eine versteckte Subvention für unproduktive Betriebe und kein Anreiz für unsere Unternehmen, noch besser zu werden; und wir vergeuden viel zu viele Talente junger Menschen, aber auch älterer Menschen, was wiederum zu den Finanzierungsproblemen unserer Sozialsysteme beiträgt. 
Und wenn man weiß, was falsch läuft, dann weiß man im Umkehrschluss doch auch, was man besser machen müsste. Aber, natürlich, da muss man offen sagen: niemand ändert all das von heute auf morgen. Aber in zehn, fünfzehn Jahren kann man viel ändern. Nur, dafür muss man sich ehrgeizige Ziele setzen. 
Und dafür braucht man einen optimistischen Blick nach vorne. Und da bin ich wieder bei Bruno Kreisky. Der hat nicht kleinmütig gesagt, schau ma, dass ma das schlimmste verhindern. Wählts mi, dann wird’s langsamer schlechter. 
Der hat gesagt: Nachdenken, wie man die Dinge besser machen kann. 
Nachdenken, wie man eine gerechtere Gesellschaft hinkriegt, in der die Chancen gerechter verteilt sind, in der alle ihre Talente entwickeln und ihre Träume verwirklichen können. In der alle die Freiheit haben, aus ihrem Leben das Beste zu machen. Ja, Freiheit. Die Neoliberalen sagen uns ja: Freiheit, das ist primär Wirtschaftsfreiheit. Aber die Freiheit von der sie reden heißt: Viel Freiheit für die einen, wenig für die anderen. Die reden von der Optionen- und Risikogesellschaft – aber so wie sie sich das vorstellen, heißt das Optionen für die einen und Risiken für die anderen. Aber die eigentlichen Freiheitsbewegungen waren immer die progressiven politischen Kräfte, die sich für echte Freiheit und Gleichheit stark gemacht haben. 
Dieses eine ist sehr wichtig und deshalb will ich das hier noch einmal extra unterstreichen: Mehr Gerechtigkeit heißt auch mehr Freiheit, liebe Freundinnen und Freunde, echte Freiheit für möglichst alle Menschen. Denn was ist das Ziel solch progressiver Reformen, die ein Land gerechter machen? Das Ziel ist, wie das der große schwedische Sozialist Olof Palme einst ausdrückte, „die Hindernisse für die freie Entwicklung des Menschen wegzuräumen und ihm eine Chance zu geben, seine Persönlichkeit zu entwickeln“.
Also, auf zu neuen Zielen. Nur: Mit Kleinlichkeit und Kleinmütigkeit wird das nicht gehen. Mit Übellaunigkeit wird das nicht gehen. Ohne Optimismus, ohne die Zuversicht, dass es geht, ein besseres Gemeinwesen zu bauen, in dem endlich wieder das Gemeinwohl und das Wohl eines Jeden und einer Jeden im Zentrum steht, ohne diese Zuversicht, die in der Lage ist, andere anzustecken, wird das nicht gehen. 
Gesellschaften wurden nämlich nie von Miesepetern verbessert, sie werden von Optimisten verbessert. 
Wenn sich Martin Luther King ans Lincoln-Memorial gestellt hätte und da gesagt hätte: Alles ist ein Alptraum, aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wäre wohl nicht recht etwas geworden. Er hat aber nicht gesagt: Ich habe einen Alptraum. Er hat gesagt: Ich habe einen Traum. 
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