Einer unserer größten Helden: Vaclav Havel ist tot.

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Vaclav Havel ist tot. Einer der vielleicht größten Helden unserer Generation, also eigentlich, der um eine Generation älteren Generation. Aber er war doch einer, dem man nah genug war generational, dass der Altersunterschied nicht so auffiel. 75 Jahre ist er alt geworden. Knast und Zigaretten haben sich ihm schon lange auf die Lunge geschlagen gehabt. An den Spätfolgen ist er jetzt gestorben. 

Der kleine Mann war nicht nur einer, zu dem man immer mit Respekt hochschaute, auch ganz persönlich verdanke ich ihm ein paar der bewegendsten Momente meines Lebens. Und ich hatte das Glück, auch in einem der wohl bewegendsten Augenblicke seines Lebens mit dabei zu sein – in dem Augenblick nämlich, als er 1989 vom Sieg der sanftenen Revolution unterrichtet wurde, deren Sprachrohr er war, deren wichtigste Zentralfigur er war. In diesem FS Misik 1989 habe ich darüber berichtet:

So habe ich diese Tage für den „Falter“ zusammengefasst. 
Der Taxichauffeur klopfte sich unentwegt auf die Oberschenkel. „Haben verstanden? Kommunist kaputt“, lachte er. Ich hatte natürlich kein Wort verstanden von dem, was da eben im Autoradio lief. Aber dass der Kommunismus kaputt ist, das hatte ich vorher schon gewusst. Es war nämlich gerade Generalstreik in Prag, aber der war nur mehr eine symbolische zweistündige Arbeitsniederlegung. Eigentlich hätte er die Altstalinisten der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei final in die Knie zwingen sollen, aber das war jetzt nicht mehr notwendig.
 
Die hatten vorgezogen, schon vorher abzudanken.
 
Jetzt stand der Taxifahrer im Stau und hupte laut. Generalstreik hieß natürlich auch, dass die Taxifahrer anhielten, wo immer sie gerade waren – und so den Verkehr lahm legten.
 
Ich war da gerade zehn Tage in Prag gewesen – zehn Tage, die als „Velvet Revolution“, als „samtene Revolution“ in die Geschichte eingehen sollten.
 
Es begann mit der Niederschlagung einer Studentendemonstration in Prag am 17. November 89. Die Sonderpolizisten hatten brutal auf die Demonstranten eingedroschen, und es hatte sich das Gerücht verbreitet, ein Student Namens Martin Smid sei getötet worden. Der war zwar bei bester Gesundheit, aber den Volkszorn hat es dennoch entfacht. Abend für Abend strömten ab da Menschen auf dem Wenzelsplatz zusammen und täglich wurden es mehr. Bald schon waren jeden Abend hunderttausend versammelt.
 
Am unteren Ende des Wenzelsplatzes, dort wo er in die Narodni übergeht, hatten die Umstürzler Quartier bezogen. Im Theater „Laterna Magica“, dessen Keller immer hoffnungslos überfüllt waren. Die Dissidenten um Vaclav Havel, Jiri Dienstbier, Vaclav Maly, saßen hier, ungekämmt, mit dunklen Ringen unter den Augen und bleichen Gesichtern. Zum Schlafen kamen sie in diesen Tagen nie und sie waren hoffnungslos überkommuniziert. Andauernd stellten junge Journalisten wie ich Fragen von der Art: „Herr Havel, was sind ihre wichtigsten politischen Forderungen“ oder „Herr Havel, wie wird es weiter gehen?“ Havel reagiert nicht immer freundlich. Ich kann ihn verstehen.
 
Eine der Fragen, die damals alle beschäftigte, war: Wird Alexander Dubcek, der legendäre KP-Chef des „Prager Frühlings“ des Jahres 1968 auch zu den Demonstranten am Wenzelsplatz sprechen? Wird er sich gewissermaßen an die Spitze der Revolution stellen? Täglich die Gerüchte: Dubcek kommt! Und dann kam er doch nicht.
 
Havel und seine Mitstreiter sprachen jeden Abend vom Balkon der Tageszeitung „Svobodne Slovo“ zu den Demonstranten. Die riefen im Gegenzug „Es lebe Havel“ oder schwenkten einfach ihre Schlüssel. Das sollte heißen: Apparatschiks, gebt die Schlüssel her. An einem dieser Abende ging ich einmal, etwas zu schnell, in Richtung Toilette. Und dabei habe ich beinahe einen alten, schmächtigen Mann niedergerannt. Im selben Moment stürzten sich auf uns gefühlte hundert Fotografen. Da fiel mir erst auf: Der, mit dem ich da beinahe zusammen prallte, war Alexander Dubcek. Da wusste ich, jetzt ist er da, der Dubcek.
 
Ich glaube, es war der selbe Abend noch, da gaben Havel und Dubcek in der „Laterna Magica“ eine Pressekonferenz. Sie sprachen darüber, ob nun der „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ eine zweite Chance erhalte – ja, so phantastische Gedanken hatte man damals tatsächlich -, da unterbrach sie ein Mann und flüsterte Havel etwas ins Ohr. Der holte kurz Luft und sagte dann, ganz langsam: „Das tschechoslowakische Fernsehen hat gerade vermeldet, dass das Präsidium des Zentralkommitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei geschlossen zurückgetreten ist.“
 
Alle sprangen auf. Journalisten und Umstürzler waren jetzt nicht mehr auseinander zu halten. Wie oft im Leben hat man die Gelegenheit, dabei zu sein, wenn Revolutionäre vom Sieg ihrer Revolution unterrichtet werden?
 
Der Sprecher des Parteipräsidiums hatte für den späteren Abend dann noch eine Pressekonferenz angesetzt, und zwar im Hotel Intercontinental. Die Pressekonferenz verschob sich allerdings von Stunde zu Stunde nach hinten, was ein ereignisloses Warten nach sich zog. Glücklicherweise hatten einige Kollegen ihre Zimmer in diesem Hotel, sodass ich mit ein paar anderen ihre Zimmerbars plünderte. Als dann die Pressekonferenz um vier Uhr morgens tatsächlich begann, war ich nicht mehr sehr nüchtern. Nachdem der Parteisprecher dann auch noch dachte, uns nach Stunden des Wartens mit belanglosen Ausflüchten abspeisen zu können, meldete ich mich zu Wort und stellte eine Frage. Wahrscheinlich war es nicht direkt keine Frage. Angesichts meines Zustandes dürfte sie ein bisschen in Richtung Brandrede gelappt haben, ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Jedenfalls nickte mir nächsten Tag jeder Tscheche sehr aufmunternd zu, und ich dachte mir, die sind aber freundlich heute. Bis der Liftboy sagte: „Tolle Rede!“ Da begriff ich erst, dass die Pressekonferenz live im TV übertragen worden war und sie, da es sich ja schließlich um den wichtigsten Tag in der tschechischen Nachkriegsgeschichte handelte, nahezu von jedem Bürger verfolgt wurde – trotz der späten Sendezeit.
 
Meine Tante Eva war jedenfalls sehr stolz auf mich. Die ist keine wirkliche Tante sondern die Nichte meiner aus Prag stammenden Großmutter. Also so eine Art Großtante. Von der hatte ich Tage vorher einen Zettel in meinem Hotelbrieffach, auf dem stand. „Robert, Du komme mich doch besuchen. Bin jeden Tag in Geschäft. Außer am Montag. Da bin ich in Generalstreik in Wenzelsplatz.“
Ich bin Havel nach diesen elektrisierenden Tagen noch ein paar Mal wieder begegnet. Ein, zwei Jahre später etwa fuhr ich mit dem damaligen Parlamentspräsidenten Heinz Fischer nach Prag, der einen offiziellen Termin mit Havel hatte, der damals der erste Präsident der demokratischen Tschechoslowakei war. Nach dem Treffen der beiden habe ich Havel „gebeten“ – exakt: fast genötigt – mir noch ein kurzes Interview zu geben. Ich kann mich noch erinnern, dass das dem Heinz Fischer ein ganz klein wenig peinlich war, wie undiplomatisch ich
Havel überfallen hatte. Was ich ihn gefragt habe, was er antwortete… das weiß ich nicht mehr so genau. Überhaupt habe ich von Havel mehr den rauen Bass seiner Stimme im Ohr, dieses tiefe rauchige tschechisch, das in diesen zehn Tagen der sanftenen Revolution abend für abend über den Wenzelsplatz schallte. 
Diese Stimme, die die Kommunistische Partei in diesen Tagen buchstäblich aus dem Amt redete. 
Ich werde diesen Klang nie vergessen. 
Dass Havel jetzt nicht mehr lebt ist todtraurig. 

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