Misiks Musikmenü: „Narrow“, die neue LP von Soap & Skin

Alle heiligen Zeiten gibt’s hier ja einen Musiktip. Diesen könnte ich mir fast sparen. Soap & Skin, die vergangenen Freitag in der Arena ihre neue LP präsentierte, ist ja ohnehin in aller Munde. Spiegel-Online feiert den Song „Vater“ als „vielleicht jetzt schon größten Song des Jahres“. Also, Geheimtip ist das keiner mehr. Aber trotzdem: Hört da rein. Kauft das Album dieser jungen Künstlerin, die vielleicht jetzt schon eine der größten Künstlerinnen unseres Landes ist. Dem „Falter“ hat sie gerade ein Interview gegeben, in dem sie den schönen Satz sagt: „Es fällt mir grundsätzlich schwer, einen Sinn in etwas zu sehen, das mir leichtfällt.“ (Hier das Interview) Und hier zu Soap & Skins Homepage. 

Ich finde das großartige neue Album auch deshalb schön, weil es eine Bestätigung ist. Als Anja Plaschg vor drei Jahren ihre erste Platte rausbrachte, wurde sie ja als Wunderkind gefeiert, war Projektionsfläche vielerlei Romantizismen. Und die Intensität, die sich auch ein bisschen aus pubertärer Verzweiflung speiste, muss man erst einmal ins Erwachsenenleben retten. Und das ist ihr gelungen. Das ist jetzt nicht mehr die Musik eines genialen Kindes.
Hier noch mal der Text meiner FS-Misik-Folge, die ich vor drei Jahren schrieb, als sie „Lovetune for Vacuum“ rausbrachte. 
Es ist zappendunkel. Menschentrauben stehen dicht an dicht, so dicht, dass gelegentlich die eine oder andere wegen Sauerstoffmangels umfällt. Ganz vorne im Scheinwerferkegel. Ein Klavier. Ein Computer darauf. Eine junge Frau. Zerzauste schwarze Haare. Schwarze Kleider. In dem Licht schaut die Haut noch blasser aus als normal. Und die Augen fiebrig, wie Kohle im weißen Gesicht. So ist das immer, wenn Soap & Skin auftritt, so wird das auch am Freitag sein, wenn die junge Frau in Wien ihr Debütalbum vorstellt. Das, auf das die Welt gewartet hat. Die Welt gewartet, die Formulierung ist höchstens eine Prise übertrieben. Seit zwei Jahren schon, da war sie noch 16, wird Anja Plaschg alias Soap & Skin als das „nächste große Ding“ gehyped. „Österreichs Next Wunderkind“ hat die taz sie genannt. Dieser Tage prangt sie am Cover des Falter, aber auch vom Kultur-Spiegel. Titelzeile: „Die Sphinx“.  
Großartig sind die Lieder, die sie singt. Aber über die will ich hier jetzt gar nicht reden. Kaufen Sie sich das Album und hören Sie sich die selber an – soviel Werbung kann ich besten Gewissens machen. Was mich fasziniert, ist das, was sie auslöst. Beim Publikum. Als ich sie das erste Mal live sah, war da dieses Magische zwischen Ihr und dem Publikum geradezu körperlich spürbar. Man ist nicht nur gekommen, um Musik zu hören. Man ist gekommen, um etwas zu erleben. Es geht da auch um Zeugenschaft: Dabei gewesen zu sein, als etwas begonnen hat. Irgendwie so muss es gewesen sein, als die junge Patti Smith ihre ersten Auftritte hatte. Beginnergefühl. Wille zur Modernität. In gewissem Sinn ist das Publikum der Star. Denn unabhängig davon, ob die junge Künstlerin erfüllt, was man von ihr erhofft – interessant sind die Projektionen des Publikums, das ersehnt, dass etwas Neues kommt.
Dabei geht es um eine Figur. Eine junge Frau. Um ihre Lieder. Aber auch um eine Interaktion. Und um ein kulturelles Wissen, das in eine Erwartung umschlägt. Ihre Musik hat eine extreme Intensität, aber es gibt auch ein kulturelles Skript, das Intensität erwartet. Automatisch rufen wir Metaphern und Images aus unserem kulturellen Fundus ab. Das Genialische der Jugend, die den alten Mist wegräumt, den wir Älteren nicht mehr los werden, weil wir hoffnungslos in ihn verstrickt sind. Neu Anfangen, das Privileg der Teens und Twentysomethings. Wir haben da so Bilder im Kopf, von blutjungen Zauberern. Rimbauld und so. Es gibt da, seit zweihundert Jahren mindestens, ein Pathos der Intensität. Man kann das auch ein romantisches Ideal nennen, das „Ideal der Intensität“, wie Susan Sontag das einmal nannte. 
Ein seltsames Ideal, weil das ja, wie jedes Ideal heute, belächelt wird. Wir wissen um das Romantische daran Bescheid. Wir wissen über die Flüchtigkeit der Momente Bescheid. Wir wissen, dass das alles schon mal da war. Wir sind überhaupt Bescheidwisser. Bescheidwissern sind solche Ideale natürlich peinlich. Ausrottbar sind die trotzdem nicht. „Soap & Skin hat keine Angst vor unzeitgemäßer Subjektbehauptung, vor romantischer Seelenschau, keine Angst vor plakativen Affekten und Effekten“, sagt Fritz Ostermayer im aktuellen Falter. 
Das Utopische in der Kunst kommt ohne dem nicht aus. Wie das Publikum auf Soap & Skin reagiert, ist auch ein Symptom dafür, dass es eine Sehnsucht nach diesem Zeitgefühl gibt, nach Beginnergefühl. Die Moderne war einmal eine lebenssprühende Idee. Und man konnte Teil dieser Idee sein. Heute denkt man bisweilen mit Nostalgie zurück an eine Zeit, in der man noch unironisch modern sein konnte. Aber das, die Nostalgie nach Modernität, das ist schon wieder eine von diesen verdammten Paradoxien, die das Leben verpesten. 

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