Ein Crash mit Anlauf! Wie eine falsche Wirtschaftsideologie die Marktwirtschaft ins Desaster stürzte

Das Manuskript des ersten Abends meiner Vortragsreihe „Erklär‘ mir die Finanzkrise“ an der VHS-Ottakring. 
Es war, für mich jedenfalls, ein toller Abend gestern in der VHS Ottakring. Rund 150 Leute im grandiosen Weinberger-Saal in historischen VHS. Alles mit viel Patina. Also, mir hat es sehr viel Spaß gemacht. Nächsten Mittwoch, 19. September, geht es dann weiter mit dem Thema: Brennt bald unser Haus ab? Warum die Europäische Union zum Zentrum der Krise geworden ist. Ich hoffe, es wird wieder so voll und es gibt wieder so konzentrierte Atmosphäre. Bis nächsten Mittwoch, hoffentlich!

Ich möchte Sie ganz herzlich zu dieser Vortragsreihe begrüßen, und ich möchte auch den Wiener Volkshochschulen und der VHS-Ottakring danken, meinen Freunden Ilkim Erdost und Mario Rieder, die mit mir die Idee zu dieser Vortragsreihe ausgebrütet haben. Ich halte ja häufiger Vorträge, reise herum, und mache Lesungen. Aber das ist auch für mich etwas Besonderes. Erstens, natürlich, weil es eine Vortragsreihe ist, und man bei fünf Abenden somit auch die Möglichkeit hat, ein paar Dinge umfassender darzustellen. 
Für mich ist das aber auch deshalb etwas Besonderes, weil die Idee der Volkshochschule etwas sehr Unterstützenswertes ist. Bildung, kritisches Denken, intensive Beschäftigung mit einem Thema, aber für „normale“ Leute, also für ein breites Spektrum aus der Bevölkerung, nicht nur für das akademische Milieu wie an den Universitäten. Für Leute, die Fachleute sind, aber auch für Leute, die keine Fachleute sind, die Laien sind, die vielleicht wenig Fachwissen mitbringen, aber eines natürlich schon: Waches Interesse für die Welt und für eine Fragestellung. 
Das ist für einen Vortragenden eine Herausforderung, und eine tolle Herausforderung: Man muss die Dinge so darstellen, dass sie jeder interessierte Laie verstehen kann, auch wenn man nicht im Jargon der Fachwissenschaft kennt. Man muss die Dinge einfach darstellen, aber ohne sie ungebührlich zu vereinfachen. Und das ist eine große Aufgabe, der sich heute, meiner Meinung nach, viel zu wenige Menschen stellen. Wichtige Debatten, nicht nur in der Ökonomie, auch der Philosophie, auch über politische Fragen, werden heute viel zu oft in der Sprache von Geheimwissenschaften geführt, die Menschen ausschließen. Und Volkshochschule will nicht ausschließen, sondern einschließen. 
Und der zweite Grund, warum ich mit viel Demut und auch mit ein bisschen Lampenfieber an diese Vortragsreihe herangehe, ist natürlich der spezielle Ort. Die VHS-Ottakring, in der schon vor neunzig Jahren große, sozial engagierte Denker wie etwa Max Adler das betrieben haben, was man in jenen Tagen „Volksbildung“ nannte. „Wissen ist Macht“, lautete damals der Slogan. Das hatte ja auch ein politisches Pathos: dass es ein Beitrag zu einer gerechteren, demokratischeren Welt ist, wenn man breiten Bevölkerungsschichten, nicht nur den Privilegierten auf der Universität, Wissen vermittelt, sie ausstattet mit der Ressource Bildung. Dass das für die Menschen gut ist, die davon profitieren, aber dass das auch für uns alle gut ist. Weil wir dann alle in Gesellschaften leben, die besser funktionieren. Und ich fühle mich diesem Geist verbunden, in vieler Hinsicht, intellektuell, politisch, aber auch emotional. 

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Ich möchte Ihnen im Laufe dieser Vortragsreihe erklären, und ich möchte Ihnen ein paar Bausteine vermitteln, die es ihnen gestatten, besser zu verstehen, wie Wirtschaft funktioniert. Aber natürlich vor allem: Ich möchte beschreiben, wie es zu dieser Finanzkrise kommen konnte, in der wir seit vier Jahren stecken, wer uns das eingebrockt hat, welche Wirtschaftspolitik uns das eingebrockt hat. Ich möchte auch versuchen zu erklären, was seit Ausbruch der Finanzkrise geschehen ist und getan wurde, warum wir zwar nicht in eine total fürchterliche globale Krise gestürzt sind – wobei das relativ ist, Griechen, Spanier, Iren, Isländer sind in eine ganz fürchterliche Krise gestürzt -, aber im Rest der Welt beschränkt es sich – NOCH – auf schwächeres Wachstum, steigende Arbeitslosenraten, gemäßigte Wohlstandsverluste, und chronische wirtschaftliche Unsicherheit. Millionen Menschen leiden darunter, Leute können ihre Kredite nicht mehr bezahlen, sie verlieren ihre Häuser, sie verlieren ihre Jobs, junge Leute finden kaum mehr gute Stellen, all das ist schlimm genug, aber es hätte noch schlimmer kommen können – und es kann auch noch schlimmer kommen. 
Und viele Leute fragen sich eben: Was passiert da eigentlich? Was kommt da auf uns zu? Was ist da eigentlich richtig, und was ist da falsch? Banken kollabieren lassen? Oder doch Banken retten? Aber wieso ist für die Geld da, aber für die einfachen Leute ist kein Geld da? Und sollen wir Staaten vor dem Bankrott retten? Aber sind die nicht selber schuld? Und wenn sie nicht nur selber schuld sind, wer ist dann noch schuld? Und welche Alternativen gibt es? 
Viele viele Menschen stellen sich diese und ähnliche Fragen. Es gibt eine ungeheure Unsicherheit und damit auch ein ungeheures Bedürfnis, über solche Fragen nachzudenken und über sie zu diskutieren. Und das will ich im Zuge dieser Vortragsreihe tun. Mit ihnen gemeinsam. 
Ich will damit auch so etwas wie eine Übersetzungsarbeit leisten, von der Fachwissenschaft in eine Sprache, die für interessierte Laien verständlich ist. Das ist an sich schon eine ganz wichtige Herausforderung, ist es aber in ökonomischen Fragen noch viel mehr. Weil etwa der Journalismus, dessen Aufgabe das ja auch wäre, gerade in Wirtschaftsfragen diese Aufgabe sträflich vernachlässigt hat, bis auf ein paar wenige ruhmenswerte Ausnahmen. Aber in aller Regel stellt sich der Wirtschaftsjournalismus kritischer, makroökonomisch fundierter Berichterstattung nicht mehr, sondern betreibt Verlautbarungsjournalismus für einzelne Unternehmen, Servicejournalismus („Wo lege ich mein Geld am besten an“), und so ein Zeug. Und nicht selten wurde er selbst zum Erfüllungsgehilfen neoliberaler Ideologie. 
Ein Crash mit Anlauf! Habe ich diese erste Vortragseinheit genannt. „Wie eine falsche Wirtschaftsideologie die Marktwirtschaft ins Desaster stürzte“. 
Und da kann man natürlich die Frage stellen: Wieso Wirtschaftsideologie? 
Hat Ideologie nicht etwas mit Worten allein zu tun? Mit Gedanken, die sich Menschen machen, mit Phantasien, die sich irgendwelche weltfremden Ideologen ausdenken? 
Und wie sollen diese Ideologien einen derartigen Einfluss auf die Wirtschaft haben? Ich mein, könnte man sagen, auf die Philosophie vielleicht, da geht es doch immer nur um Worte, oder auf die Politik, da geht’s um den Streit um den Kaiser seinen Bart manchmal, aber in der Wirtschaft? Nirgendwo geht es doch so sehr um harte Fakten und Zahlenkolonnen, um Euros und Dollars, also ums kalte Kalkulieren und ums Geld. 
In der Wirtschaft sind doch auch meistens sehr pragmatisch gesonnene Menschen am Werk, die sich als Männer der Tat ansehen. Unternehmer etwa. Die sind doch eigentlich total unideologisch. Wer ein Geschäft aufmacht, um etwa, sagen wir, den Menschen Haarschampoo anzudrehen, der interessiert sich doch nicht für Ideologie, oft hat er sogar so etwas wie leise Verachtung für die Buchstabenhengste in den Studierstuben. Der interessiert sich dafür, dass er billig zukauft, billig produziert, und einen möglichst hohen Preis beim Kunden rausschlägt, damit ihm, nachdem er seine Lieferanten bezahlt, der Bank die Kreditzinsen überwiesen und seinen Angestellten ihren Gehalt bezahlt hat, noch einen ausreichenden Profit für sich hat. 
John Maynard Keynes, der bedeutendste Ökonom des 20. Jhdt. Im bedeutensten Buch letzte Seite: 
„…die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen, und zwar sowohl wenn sie recht als wenn sie unrecht haben, sind viel mächtiger als man üblicherweise annimmt. Im Grunde wird die Welt kaum von etwas anderem regiert. Praktische Männer der Tat, die von sich glauben, dass sie frei von allen intellektuellen Einflüssen sind, sind sehr oft die Sklaven irgendeines lange verstorbenen Ökonomen.“
Praktische Männer, die sich selbst für bar aller intellektuellen Einflüsse halten, sind gewöhnlich die Sklaven eines verblichenen Ökonomen. 
Ideen haben also ihre Wirksamkeit, und das auf verschiedenen Wegen. Natürlich ist es nie so, dass sich irgendjemand die Welt in seinem stillen Kämmerlein ausdenken kann, und dann wird die Welt nach seinen Ideen gebastelt. So funktioniert das nur in Wolkenkuckucksheim und nicht einmal dort. Aber Ideen haben auf andere Weise Einfluss. 
Nehmen wir nur „die Wirtschaft“. Die funktioniert zu einem bestimmen Zeitpunkt auf eine gewisse Weise, und sagen wir einmal, völlig unabhängig davon, welche Theorien Ökonomen darüber aufstellen. 
Das ist jetzt natürlich eine etwas vereinfachte Annahme, denn vielleicht funktioniert sie ja auf eine gewisse Weise, weil früher einmal Ökonomen irgendwelche Ideen in die Welt gesetzt haben, und Politiker, die von diesen Ideen beeinflusst waren, haben dann Regeln und Institutionen geschaffen, die diesen Ideen angemessen waren. Aber diese Vereinfachung sei mir hier gestattet. 
Nehmen wir die Wirtschaft. Die „funktioniert“, was natürlich bedeutet: Manches funktioniert, manches funktioniert nicht so gut, manches besser, manches ganz schlecht. 
In dieser Wirtschaft gibt es Ungleichheit. Es gibt Arbeitslosigkeit. Es gibt Wirtschaftswachstum. Es gibt Innovation. Also, es funktioniert ganz gut, aber es könnte besser funktionieren. 
Und jetzt stellen wir uns Ökonomen vor, die versuchen zu beweisen, dass diese Wirtschaft deshalb nicht ganz so optimal funktioniert, weil sie 
a) zu sehr vom Staat dominiert wird, und damit die Marktkräfte nicht richtig funktionieren können. 
Oder 
b) einen anderen Ökonomen, der im Gegenteil behauptet, dass diese Wirtschaft nicht so gut funktioniert, weil die Marktkräfte zu sehr wirken. Weil Märkte zwar ihre guten Seiten haben, aber auch Probleme produzieren, aus sich heraus. 
Stellen wir uns vor, die Ideen des Ökonomen A setzen sich durch – Was heißt das?
DURCHSETZEN
Think Tanks, Lobbys, Gewerkschaften, Parteien, Medien, Politik, Gesetzgebung…
Dann werden womöglich in einem allmählichen Prozess institutionelle Veränderungen durchgeführt, die weniger staatliche Regulation vorsehen und mehr freies Spiel der Märkte. 
Setzt sich Ökonom B durch werden die institutionellen Veränderungen in eine andere Richtung gehen. 
Auf diese Weise haben Ideen, Ideologien Auswirkungen auf den realen Lauf der Welt, auf die Fakten. Selbst in der Welt der Ökonomie. 
Ich kann und will hier nicht die gesamte Geschichte der kapitalistischen Marktwirtschaften des Westens, also vor allem Europas und Amerikas, ausbreiten, deswegen will ich hier nur in einen absoluten Schnelldurchlauf an einen Punkt gelangen, von dem aus ich die Geschichte der vergangenen dreißig Jahre detaillierter betrachte. Verweise und Rückblicke auf frühere Epochen und frühere Debatten unter Ökonomen werden dann später schon folgen. Also, absoluter Schnelldurchlauf: Wir standen schon einmal, Ende der zwanziger, Anfang der Dreißiger Jahre vor einem Beinahe-Kollaps der kapitalistischen Marktwirtschaften, mit Bankenkrach, wirtschaftlichem Einbruch, einer lang andauernden Großen Depression und damit verbunden, sicher nicht allein daraus resultierend, aber doch ganz wesentlich damit verbunden, dem Aufstieg von Nazis, anderer autoritärer Regimes und Zweiten Weltkrieg. 
Es war gerade der bereits erwähnte große Ökonom John Maynard Keynes, der gezeigt hat, dass man die Marktwirtschaft in so einer Phase nicht sich selbst überlassen darf, – also DEN MÄRKTEN – weil die Krise dann in einer Katastrophe endet, und dass man sie auch sonst nicht sich selbst überlassen darf, weil ansonsten solche Krisen immer wiederkehren werden. Er hat auch gezeigt, dass man die großen Vorteile von Marktwirtschaften nur sicherstellen wird können, wenn man sich ihren Nachteilen annimmt: Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Instabilität, Arbeitslosigkeit. 
Politiker in aller Welt haben, teilweise instinktiv und unabhängig von Keynes, teilweise auch in direkter Folge seiner Lehre, daraus ihre Konsequenzen gezogen: als erster der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt mit seinem New Deal, ziemlich zeitgleich auch skandinavische Regierungen, vor allem die schwedische Regierung, bald danach die britische Regierung, und dann auf unterschiedliche Weise fast alle Nachkriegsregierungen Westeuropas. Das Ergebnis war, dass die chronischen Ungleichheiten – der Vermögen, Einkommen (ERKLÄREN) – sich nach und nach etwas reduzierten, das wichtige Sektoren der Ökonomie reguliert blieben (teilweise verstaatlicht) oder strenger staatlicher Aufsicht unterstanden – vor allem die Finanzindustrie. Wir hatten Jahrzehnte von Prosperität und praktisch keine nennenswerten Finanzkrisen. So kamen wir bis in die siebziger Jahre. 
Ich will jetzt keineswegs behaupten, dass das ein goldenes Zeitalter oder gar das Paradies war, aber manche der schrecklichen Zustände des Kapitalismus, der Jahrhundertwende, der Zwanzigerjahre, konnten damals überwunden werden. Der Wohlstand verbreiterte sich, es herrschte Vollbeschäftigung, einfache Leute konnten auch plötzlich ein Stück vom Kuchen ab haben – und die Reichen wurden nicht einmal sonderlich ärmer. Gegen Ende dieser Periode traten dann zwar neue Probleme auf, spürbare ökonomische Einbrüche, beginnend in den USA, Inflationsraten von bis zu 10 Prozent, aber alles in allem war es eine Periode wachsenden Wohlstands, wachsender sozialer Sicherheit und mit nur geringen ökonomischen Instabilitäten. 
Und was wurde uns seither gesagt, von Ökonomen, aber auch von Politikern? Dass wir die Märkte zu sehr eingeschränkt haben. Dass der Staat zu viel regelt und die Märkte zu sehr behindert. Dass man deregulieren muss. Dass wir den wirtschaftlichen Erfolg nicht ausreichend hochschätzen. Dass wir auch zu sehr auf Umverteilung bedacht genommen haben, statt dass wir akzeptieren, dass halt in einer freien Marktwirtschaft die einen reich werden und die anderen weniger Glück haben. 
All das hat man uns gesagt. Aber man hat uns ja das nicht einfach gepredigt, sondern vor allem gesagt: Wenn wir das ändern, werden wir bessere ökonomische Ergebnisse haben. Wenn wir privatisieren, wird es mehr Konkurrenz geben und wir werden bessere und billigere Güter haben. 
Wenn wir die Arbeitsmärkte liberalisieren, werden wir weniger Arbeitslosigkeit haben. 
Wenn wir die Lohnfindung flexibilisieren – was natürlich auch heißt: Niedriglohnsegmente zulassen – werden wir im internationalen Wettbewerb besser bestehen. 
Wenn wir Ungleichheiten akzeptieren, werden wir um Austausch eine brummende Ökonomie haben. 
Und wenn wir die Finanzmärkte, die Kapitalmärkte liberalisieren, wird das Kapital dorthin fließen, wo es am besten eingesetzt sein wird – man nannte das die „effektive Allokation des Kapitals“ – dann werden wir optimalere Wirtschaftsergebnisse erzielen und insgesamt auch mehr ökonomische Stabilität haben. 
Wachstumsrate vorher der Weltwirtschaft: 4,8 Prozent. Seither 3,2 Prozent. Der Weltwirtschaft – also China, Indien eingeschlossen. 
All das und noch viel mehr hat man gesagt, und nach und nach hat man innerhalb der Volkswirtschaften und dann auch im globalen, internationalen Arrangement Reformen um Reformen – Das Wort Reformen! – durchgeführt, die in diese Richtung gingen. Aber das Ergebnis war nicht immer so, wie man uns gesagt hat – oft sehr viel anders. Und in den nächsten Minuten will ich beschreiben, warum das so war. 
Dass Märkte effizient funktionieren und dass ökonomische Ergebnisse umso besser sind, je mehr man den Märkten anvertraut, ist ja das grundlegende Axiom dieser Ökonomie. Auf Märkten suchen alle Menschen ihren Eigennutz, sie folgen also ihrem egoistischen Eigeninteresse, aber im Zusammenspiel werden sie das allerbeste herausbringen. Das ist eigentlich nicht nur eine ökonomische Lehre, sondern eigentlich eine Art Morallehre: dass viele Menschen, die alle nur auf der Mikroebene ihren egoistischen Eigennutz verfolgen – also etwas tun, was moralisch eigentlich verwerflich ist -, etwas moralisch erstrebenswertes schaffen: Prosperität, den optimal möglichen Wohlstandszuwachs. 
Und Märkte funktionieren auch effizient, sagt uns diese Ökonomie, und sie tendieren zum Gleichgewicht. Ja, Gleichgewicht. Diese Ökonomie ist insofern auch eine versöhnliche Wissenschaft. Es gibt vielleicht „Ungleichgewicht“ – aber die Marktkräfte führen dann automatisch zum „Gleichgewicht“ – Gleichgewicht klingt ja auch schön, da ist alles schön im Lot, da fühlt man sich gut, besser jedenfalls als wenn man auf einem Bein schief dasteht und droht, umzukippen. Also, bitte beachten sie das, das es da immer auch um die BEGRIFFE geht, mit denen diese Ökonomie operiert. Scheinbar neutrale Begriffe, mit ideologischer Schlagseite. Aber gut, das ist nur ein Seitenaspekt.  
Denn diese Ökonomie hat ja auch nicht so unrecht. Bestimmte Märkte tendieren ja tatsächlich zu einem Gleichgewicht. Stellen wir uns den Schuhmarkt und den Markt für, sagen wir, Hosen vor. 
Übrigens, das ist schon ein sehr schönes Beispiel dafür, wie die Ökonomie ihre Theorien entwickelt. Indem man Beispiele entwickelt, Modelle, die sehr lehrreich sein können, aber so in der Wirklichkeit nicht vorkommen. Denn es kommt natürlich in der Wirklichkeit nicht vor, dass es irgendwo nur den Schuhmarkt und den Hosenmarkt gibt und sonst nichts eine Rolle spielt. Es spielen hunderte Dinge eine Rolle: Alle Gütermärkte zusammen, 

welche Arbeitskräfte es gibt, ob die gut ausgebildet sind oder nicht, 
ob es eine ausgebaute Finanzbranche gibt, ob Banken den Firmen Kredite geben, oder den Konsumenten, 
ob jemand in Schuhfirmen investieren will, oder ob es Finanzinvestitionen gibt, die möglicherweise mehr rentieren. 
Ökonomen entwickeln immer Modelle, aus denen sie möglichst viele Aspekte der Wirklichkeit eliminieren, um so dann an möglichst einfachen Beispielen wie im Laboratorium ihre Modelle durchrechnen zu können, so wie ein Naturwissenschaftler im Labor seine Experimente macht. 
Daran ist gar nichts falsch, ich will das hier jetzt gar nicht kritisieren, aber man sollte doch bedenken: Man sollte diese Modelle dann nicht mit der Wirklichkeit verwechseln, die deutlich komplexer ist, als diese Modelle. 
Aber zurück zum Markt für Schuhe und Hosen. Solche Märkte funktionieren tatsächlich so „effizient“, wie uns das diese neoklassische Ökonomie erklärt. Stellen wir uns vor, ein Schuhfabrikant produziert Schuhe und ein Schuhladen hat sie in seinem Geschäft. Und nebenan ist ein anderer Schuhladen, mit anderen Schuhen. Und jetzt stellen wir uns vor, die Konsumenten gehen an diesem ersten Schuhladen vorbei, gucken rein, probieren ein paar Modelle, und gehen dann weiter, und kaufen sich die Schuhe bei der Konkurrenz. 
Da hat dann, wenn das lange genug geschieht, der Ladenbesitzer Eins ein paar Informationen. Hauptinformation: Keiner will seine Treter. Sie sind möglicherweise zu teuer. Oder auch zu hässlich. Er weiß dann, er muss mit dem Preis runter oder hübscheres Schuhwerk produzieren. Oder er wird die Produktion drosseln. Oder alles von den dreien. 
Möglicherweise werden ja auch generell weniger Schuhe nachgefragt, auch der Konkurrent kriegt nicht alle los. Dann haben alle beiden eine Information: Dass offenbar nicht so viele Schuhe gebraucht werden. Sie werden insgesamt die Schuhproduktion drosseln. Und Schuhproduktion hat ja auch ihre Kosten. Jetzt, nicht nur in Geld. 
Sondern auch Arbeitskräfte sind in der Schuhproduktion, Kapital ist in den Maschinen, Rohstoffe werden verbraucht. Das sind ja alles knappe Ressourcen. Das wäre ja Verschwendung, wenn diese knappen Ressourcen in die Produktion von Schuhen gingen, die keiner braucht – oder jedenfalls nicht in der Menge und in diesem Aussehen. 
Vielleicht brauchen die Menschen ja mehr Hosen, dann sind diese knappen Ressourcen wie Arbeitkraft, Kapital und Rohstoffe in der Hosenproduktion womöglich besser eingesetzt. Der Markt wird dann zu einem neuen Gleichgewicht tendieren: Weniger Schuhe, mehr Hosen. Der Markt hat effizient funktioniert. Wir alle sind reicher, als wenn unsere knappen Ressourcen in eine Branche geflossen wäre, wo wir gar nicht so viel brauchen. 
Das ist jetzt ein sehr simples Modell, zugegeben, aber es stecken erstens einmal schon sehr viele der Begriffe in diesem Modell, die für marktfreundliche Ökonomen eine wichtige Rolle spielen, und zweitens ist es tatsächlich so, dass viele Gütermärkte so funktionieren. 
Diese Begriffe, die hier schon eine Rolle spielen, und die in der Ökonomie zentral sind, lauten: 
Nachfrage. 
Angebot. 
Effiziente Allokation von Ressourcen. 
Von Kapital, von Rohstoffen, von Arbeitskräften. 
Information. 
Transparenz und informierte Marktteilnehmer. 
Das sind alles wichtige Begriffe in der Ökonomie. Lassen Sie mich nur ein paar dieser Begriffe noch durchbuchstabieren. Unser Beispiel funktioniert ja nur, wenn wir Konsumenten haben, die vollständig informiert sind. Die wissen, wo es Schuhgeschäfte gibt, die die Modelle vergleichen können, die die Preise vergleichen können, und die dann die für sie, für ihre Präferenzen beste Wahl treffen. 
Nun ist das natürlich schon auf der Mariahilferstraße schwer, alle Informationen über Schuhpreise und Schuhmodelle zusammenzutragen, und die Frage von Preis und Aussehen ist noch einigermaßen leicht zu klären, schwieriger wird es dann schon bei Qualität. Also, daran sieht man, wenn es schon bei einem so simplen Markt wie dem Schuhmarkt schwierig ist, vollständige Transparenz auf der Mariahilferstraße herzustellen, wie schwierig ist das dann erst auf anderen Märkten. Aber gut, das ist nicht das Hauptproblem: ausreichende Transparenz, ausreichende Information kriegen wir schon hin, jedenfalls beim Schuhkauf in der Großstadt. 
In dieser Preisbildung am Markt gehen also eine Vielzahl an Informationen ein, und vielleicht sollte man noch ein paar Sätze zum Begriff Information sagen: Information meint in diesem Zusammenhang nicht nur das, was der Laie im Alltagsgespräch unter Information versteht – also Wissen oder Nachrichten, die man aus der Zeitung oder dem Fernsehen oder dem Warenkatalog erfährt oder im Gespräch mit dem Kumpel aufschnappt. 
Das auch, aber noch einiges mehr: Eine unendliche Menge und Abfolge von Impulsen. Wenn ein Passant eben beim Geschäft Eins vorbeigeht, die Schuhe betrachtet, und dann zum nächsten Laden geht, und das viele Passanten so machen, so hat der Schuhhändler am Ende ganz viel Information, ohne mit jemanden geredet zu haben. Jeder Nichtkaufakt, vor allem aber jeder Kaufakt, den ein Mensch setzt, ist ein Informationsimpuls: Wer morgens aufsteht und beim Billa seine Schokocroissants kauft, der gibt die Information, dass ihm das Ding schmeckt, ausreichend billig erscheint oder jedenfalls so gut schmeckt, dass er den Preis akzeptiert, wenn er dann noch Milch kauft, sendet er möglicherweise die Information, dass die aber schon teuer ist, aber er keine Wahl hat, weil Milch braucht man ja, und wenn er am Nachmittag eine Lebensversicherung abschließt und dann noch ins Kino geht und dies und das tut – andauernd sendet er einen Informationsimpuls. Das alles zusammen ist das, was Ökonomen unter „Informationen“ verstehen. 
Auf „perfekten Märkten“, sagen die Ökonomen, herrscht vollständige und symmetrische Information. Symmetrische Information heißt: Die Kunden haben alle nötigen Informationen. Die Verkäufer haben alle nötigen Informationen. Die Kunden wissen, was Schuhe kosten. Der Ladenbesitzer weiß, dass der Schuhverkäufer nebenan mehr verkauft. Ausreichend Information, um den Schuhmarkt ins Gleichgewicht zu bringen. 
Oder den Hosenmarkt. 
Oder den Kartoffelmarkt. 
Oder den Markt für Zahnstocher. 
Das Problem ist also nicht, dass unsere marktfundamentalistischen Ökonomen sich hier „perfekte Märkte“ mit „vollständiger symmetrischer Information“ konstruieren – wobei auch das schon fragwürdig ist, weil „Perfektion“ schon so seine Sache ist, das tut so, als wären Störungen hier überhaupt nicht möglich und wenn dann nur durch äußere Faktoren, wenn etwa der Staat interveniert oder starke Gewerkschaften zu hohe Löhne durchsetzen oder was auch immer. 
Das Problem ist aber nicht, dass sie beweisen, wie Gütermärkte ins Gleichgewicht gelangen, sondern dass sie alle Märkte wie Kartoffelmärkte behandeln und dass sie glauben, dass eine ganze Gesellschaft und Volkswirtschaft wie ein Kartoffelmarkt zu organisieren ist. 
Aber es gibt eine ganze Reihe von Märkten, die ganz anders funktionieren, die eigentlich gar nicht wie „Märkte“ funktionieren, die man aber dennoch als „Märkte“ bezeichnet, was an sich schon eine Art
von Irreführung ist. Und in der Kreislaufökonomie einer ganzen Volkswirtschaft, können gerade dann Störungen eintreten, wenn man sie zu stark an dem Marktmodell orientiert. 
Was heißt das jetzt? 
Zum Ersten: Wir haben gesehen, dass wir uns schon vorstellen können, dass der Schuh- und Hosenmarkt und viele andere Gütermärkte so funktionieren, wie der Kartoffelmarkt von den Bauern am Samstag in der Kleinstadt. 
Aber es gibt natürlich ein paar Märkte, für die das nicht gilt. Der „Arbeitsmarkt“ etwa. Der ist, wie die Ökonomen sagen würden, ein extrem „unelastischer“ Markt. Denn was passiert auf Märkten, wenn es ein Überangebot an einer Ware gibt? Sie verschwindet vom Markt und wird von einer anderen ersetzt, oder ihr Preis sinkt, oder das Angebot wird reduziert, bis es im Gleichgewicht mit der Nachfrage ist. 
Das ist natürlich am Arbeitsmarkt nicht so leicht möglich. Das Angebot ist sehr schwer zu reduzieren, wenn es ein Überangebot, also Arbeitslosigkeit gibt: Massenselbstmord wäre natürlich eine Option, aber keine Gute, da Menschen ja unvernünftigerweise an ihrem Leben hängen. Außerdem haben Menschen Gefühle, ein entscheidender Nachteil, verglichen mit Kartoffeln oder iPhones. Wenn man ihr Einkommen reduziert, selbst dann, wenn sie davon immer noch leben können, werden sie vielleicht schlechter Laune und arbeiten schlechter, engagieren sich weniger in der Firma. Also, den Arbeitsmarkt kann man nicht wie den Kartoffelmarkt organisieren. 
Ein anderer solcher Markt ist auch der für das Gesundheitswesen. Wenn Leute krank werden, sind sie meistens keine besonders rationalen Marktteilnehmer, die das Angebot auswählen können. Erstens sind die Dinge meist viel zu komplex und schwer zu verstehen, zweitens haben sie Panik, dass sie sterben können. Außerdem würde es auch unserem ethischen Empfinden widersprechen, wenn wir das Gesundheitssystem nach Marktgesichtspunkten organisieren. 
Und ein weiterer Markt, der keineswegs wie ein Markt funktioniert, ist der Kapitalmarkt, aber auch, bis zu einem gewissen Grad wenigstens, der Markt für Immobilien, jedenfalls sofern man ihn als Markt nicht für Wohnraum, sondern für langlebige Vermögensanlage ansieht. Auch hier funktioniert manches anders, als auf den oben beschriebenen Märkten. Aber dazu komme ich noch, darüber möchte ich abschließend in dieser Lektion sprechen, weil hier ist der Hauptgrund für unsere ökonomischen Probleme zu suchen. 
Davor möchte ich noch etwas dazu sagen, warum man eine ganze Volkswirtschaft nicht wie einen Kartoffelmarkt organisieren kann. Denn wir leben in einer komplexen Ökonomie, in der Unternehmer Waren produzieren und investieren, in der Bürger Einkommen einnehmen und diese für Konsum ausgeben oder sparen, in der Wirtschaftssubjekte sparen oder Geld als Kredit aufnehmen und in der gleichzeitig die Waren, die pro Periode produziert werden, durch die Einkommen, die pro Periode eingenommen werden, konsumiert werden sollen. 
Und wenn wir jetzt einmal den Staat weglassen, dann ist das doch so: Es gibt in dieser Ökonomie Einnahmen – das sind Unternehmenseinnahmen, Gehaltseinkommen, und es gibt Ausgaben, also im wesentlichen Konsumausgaben und Investitionsausgaben. Das große Problem einer solchen Ökonomie ist dann zunächst die Unsicherheit. Wenn ein Unternehmen investiert und seine Produktion ausweitet oder überhaupt mit der Produktion beginnt, kann es sich natürlich nie sicher sein, dass es seine Güter auch los wird. 
Da die Wirtschaft allerdings auch in den meisten Zeiten expandiert – „Wachstum“ -, gibt es ein durchaus optimistisches Wirtschaftsklima. Unternehmen investieren, weil sie sich denken, das wird schon. Außerdem, denken sie sich, wir sind so super, selbst wenn es allgemein schlechter läuft, wir werden das schon schaffen mit unserer brillanten Idee. Wenn sich aber das Wirtschaftsklima verdunkelt, also Unternehmen annehmen, in der nächsten Periode wird das vielleicht nicht ganz so optimal, dann werden sie zunächst einmal ihre Investitionen zurückfahren. 
Die Ausgaben von Unternehmen für Investitionen sind aber zugleich die Einnahmen anderer Unternehmen – derjenigen, die Investitionsgüter produzieren -, und damit auch die Einnahmen der dort Beschäftigten. Da die dort Beschäftigten dann ihrerseits Güter kaufen, oder eben nicht mehr kaufen, wenn sie weniger Geld in der Tasche haben – Arbeitslos sind – werden auch in den anderen Branchen die Einnahmen einbrechen und die gesamte Wirtschaft trudelt in eine Flaute. Hier setzt dann eine Abwärtsspirale ein, wenn nicht irgendjemand etwas unternimmt – der Staat. 
Aber nicht nur in der Krise ist die ausfallende Konsumnachfrage normaler Konsumenten ein Problem. Sie kann auch in Zeiten eines gemächlichen Wachstums ein Problem sein. Und zwar, wenn Ungleichheit herrscht oder zunimmt. Wenn Ungleichheit zunimmt, das heißt, wenn die Gehaltsungleichheit, Einkommensungleichheit und Vermögensungleichheit zunimmt, dann halten wir das möglicherweise für ungerecht. Also, die meisten Leute halten das für ungerecht, aber es gibt auch welche, die das für gerecht halten. 
Die Zahlen für Österreich: 
Oberste zehn Prozent rund 68 Prozent aller Vermögen. 
Oberstes 1 Prozent hat knapp 34 Prozent
Entwicklung der Verteilung der lohnsteuerpflichtigen Einkommen
1. Quintil: 1976 4,8 Prozent 2008 2,1 Prozent
2. 12,7—– 9,4
3. 18,3—- 17,0
4. 24,0—- 24,4
5. 40,2 —- 47,1 
Aber es hat auch, von der Frage abgesehen, ob es gerecht ist, oder ungerecht, seine Auswirkungen. Und ich würde sagen, vor allem negative. Andere würden vielleicht sagen, es gibt positive Auswirkungen. Die positiven Auswirkungen: Wenn die Ungleichheiten wachsen, wenn manche viel verdienen, manche wenig, dann ist das ein Zeichen dafür, dass es sich richtig auszahlt, wenn man sich anstrengt. Dann werden sich mehr Leute anstrengen, und die Wirtschaft wird brummen. Das sagen die, die positive Auswirkungen ausmachen. Das ist eine Behauptung. Man kann eigentlich keinerlei empirische Befunde dafür finden. Denn, dann müsste ja die Wirtschaft wachsen, wenn die Ungleichheit zunimmt. Aber praktisch immer wächst sie langsamer, wenn die Ungleichheiten zunehmen. 
Aber welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen hat es, wenn die Ungleichheit zunimmt? Die Konsumnachfrage bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. Warum? Weil Leute, die nur mittelmäßig verdienen oder wenig verdienen, ihr Einkommen praktisch vollständig ausgeben. Ihre Einkommen fließen also in den Wirtschaftskreislauf zurück. Wenn aber ein beträchtlicher und wachsender Teil des Gesamteinkommens einer Volkswirtschaft zu jenen fließt, die ohnehin mehr Geld einnehmen, als sie brauchen, dann werden sie nur mehr einen Teil konsumieren, und einen größeren Teil sparen. Denn der dritte, oder vierte Porsche macht einfach nicht mehr gar so viel Spaß. 
Also, wenn die Ungleichheit steigt, steigen die Vermögensanlagen, weil die Reichen eine höhere Sparrate haben. „Sparen“ ist natürlich ein unpräziser Begriff. Sparen kann man auf verschiedene Weise. Man kann sein Geld auf das Sparbuch legen, man kann Wertpapiere kaufen, etwa Staatsanleihen (also dem Staat Geld leihen) oder man kann Aktien kaufen oder noch spekulativere Anlagen, oder auc
h in Immobilien investieren. Manches dieses „gesparten“ Geldes fliest dann natürlich auch wieder in die Wirtschaft zurück – wer in Immobilien investiert, der sorgt natürlich auf dafür, dass der Baumeister oder der Installateur Einnahmen hat, und wenn er sein Geld auf die Bank legt, steht es Unternehmern als Kredit zur Verfügung – theoretisch steht mehr Kredit für Investitionen zur Verfügung, wenn mehr an Finanzvermögen da ist. 
Aber nur sehr theoretisch: Denn erinnern wir uns, wir haben ja eine schwache Konsumnachfrage, weil wegen der Ungleichheit mehr Einkommen in Finanzanlagen fließt : Und warum sollte denn ein besonders tolles Investitionsklima herrschen, wenn die Konsumnachfrage unter ihrem optimalen Niveau ist? 
Also, wie komplex die Dinge auch immer sein mögen, und wenn auch die Zusammenhänge kompliziert sind, so ist doch klar: Wenn die Ungleichheit wächst, verspielt eine Volkswirtschaft mögliche Nachfrage und damit auch Wachstums- und Wohlstandspotential. Deshalb ist es für eine Volkswirtschaft auf lange Sicht nachteilig, wenn die Ungleichheit wächst, und sie wird sich umgekehrt, stabiler und prosperierender entwickeln, wenn die Einkommen gerechter verteilt sind und die Einkommenszuwächse gerechter verteilt werden. 
Deshalb ist es keineswegs ein Vorteil, wenn man die Einkommensverteilung vollständig den Märkten überlässt – wobei „Märkte“ in diesem Zusammenhang bitte in Gänsefüßchen gedacht werden soll. Denn was man hier gerne Marktkräfte nennt, ist im Grunde nur das Recht des Stärkeren. Und solche „Marktergebnisse“ können dann langfristig nachteilige Auswirkungen haben. 
Lassen Sie mich zum Schluss kommen, und kurz zusammenfassen, was ich hier bisher erörtert habe. Ich habe Ihnen gezeigt, welche Modelle von „perfekten Märkten“ sich die Mainstream-Ökonomen ausdenken, und an welchen Typen von Märkten diese Modelle modelliert sind: An simplen Gütermärkten, Schuhmärkten, Hosenmärkten, Kartoffelmärkten. Ich habe aber auch gezeigt, dass diese Märkte durchaus so effizient funktionieren, wie hier gerne dargestellt wird. Gibt es zu viel Angebot von einem Gut, sinkt der Preis, es wird weniger hergestellt, der Markt produziert ein Gleichgewicht. Ich habe auch kurz dargestellt, dass es viele Sphären der Ökonomie gibt, die man so salopp als Märkte bezeichnet, die aber nicht so funktionieren. Und ich habe auch dargestellt, dass wir die gesamte Entwicklung einer Volkswirtschaft, eines Gemeinwesens, nicht den Märkten überlassen können – oder besser, dass wir, wenn wir es tun, eben nicht das effizienteste, optimalste ökonomische Ergebnis erzielen werden. 
All das zeigt schon, dass diese Marktideologie Ideologie ist – etwas, das in einem bestimmten Bereich funktioniert, wird auf Sphären übertragen, wo es nicht funktioniert oder funktionieren kann. Wirklich fatale Auswirkung hat all das aber, wenn man es auf die Finanz- und Kapitalmärkte überträgt. 
Erinnern wir uns noch einmal an eines der Basispostulate der Effizienz-Markt-Theorie: Kapital wird dann optimal eingesetzt, wenn es sich auf möglichst freien Märkten seine Investitionsmöglichkeiten suchen, heute hierhin, morgen dahin fließen, einmal in Aktien, dann wieder in hochspekulativen strukturierten „Finanzprodukten“ angelegt werden kann. Aber gerade die Kapitalmärkte sind höchst irrationale Märkte. Mal strömen Milliarden an Dollar oder Euro in bestimmte Anlageformen, seien es Unternehmensanteile in den gerade angesagten „Emerging Markets“, seien es Immobilienzertifikate, wenn der Häusermarkt boomt, seien es Staatsanleihen, seien es komplizierte spekulative Titel. 
Nur in seltensten Fällen wird man auf Basis realwirtschaftlicher Daten mit einer vernünftigen Begründung vorhersagen können, dass eine bestimmte Geldanlage stetigen Gewinn verspricht. Eine Geldanlage lohnt auch nur, wenn ihr „Wert“ am Markt steigt. Der „Wert“ am Markt steigt aber dann, wenn morgen genügend Leute bereit sind, das Wertpapier zu einem höheren Preis zu erstehen, als ich es heute erworben habe. Also: Wenn möglichst viele Leute glauben, dass es weiter an Wert gewinnen wird. Deshalb sind die Kapitalmärkte so empfänglich für Herdentrieb, überspannte Euphorien, aber auch für Hysterie und Panik. Wenn viele zur gleichen Zeit das Gleiche kaufen, steigt das, was sie kaufen, im Wert; wenn es dagegen im Wert sinkt und alle in Panik versuchen, ihr Wertpapier loszukriegen, fällt es ins Bodenlose. 
Normale Märkte „antizyklisch“, Kapitalmärkte „prozyklisch“
Nun müssen wir aber natürlich fragen, wieso das eigentlich die Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht. Wer Geld anlegt, ist vermögend, aber es ist ja nur Buchgeld. Er gibt das Geld nicht aus, er konsumiert es nicht. Er legt es an. Er hat 100.000 Euro im Depot. Das steigt im Wert. Er hat dann vielleicht übermorgen 150.000 Euro im Depot. Und dann verfällt der Wert – er hat dann 50.000 im Depot. Aber wieso hat das Auswirkungen auf die Realwirtschaft? Es scheint uns doch so, dass es für den Konsum und damit für die Nachfrage und damit auch für die wirtschaftlichen Aktivitäten zusammengenommen völlig irrelevant ist, ob der Herr jetzt den Eindruck hat, dass er 150.000 Euro besitzt oder 50.000 Euro. 
Dem ist aber nicht so. Die Finanzmärkte sind auf vielfältigste Weise mit der Realwirtschaft verbunden. Jemand, der 200.000 Euro an Vermögen besitzt und jährlich auch noch 50.000 Euro Einkommen hat, der wird von diesem Einkommen vielleicht alles konsumieren – er muss ja nicht mehr sparen, er ist ja eh schon reich. 
Wenn sein Vermögen plötzlich auf einen Bruchteil zusammenschrumpft, wird er wahrscheinlich seine Konsumausgaben reduzieren und seine Sparrate erhöhen. Auch ist er plötzlich von einer Stimmung wirtschaftlicher Euphorie in eine der wirtschaftlichen Verunsicherung gefallen, und da denkt er sich, besser, man legt mehr zur Seite, man weiß ja nicht, was noch kommt. 
Wenn das viele Leute gleichzeitig tun, ist das ein empfindlicher Nachfrageeinbruch. 
Und diese „reichen Leute“ sind ja nicht immer reich. Sie haben vielleicht ein Vermögen von 200.000 Euro und Schulden von 150.000 Euro und sonst ein kleines Einkommen – so wie Sie oder ich. Und dieses Vermögen von 200.000 Euro ist das Haus, in dem er wohnt. Er fühlt sich reich, weil sein Haus im Wert gestiegen ist, hat einen Kredit, den er abstottert und der mit dem Haus besichert ist. Wenn das Haus jetzt im Wert sinkt, ist er ein Hausbesitzer mit kleinem Einkommen, sein Haus ist 70.000 Euro wert, aber er hat Schulden von 150.000. Aus unserem reichen Mann ist über Nacht ein überschuldeter Mann geworden. Er wird seine Konsumausgaben sehr einschränken. 
Da sich wegen dieser vielen Rückkopplungen von Finanzmarktentwicklungen auf die Realwirtschaft – diesen beschriebenen negativen Rückkopplungen – die wirtschaftlichen Aussichten verdüstern, werden die Unternehmen nicht mehr investieren. Einkommen gehen zurück. Die ersten Arbeiter werden entlassen. Dann die nächsten. 
Möglicherweise ist auch unser Hausbesitzer darunter, der gestern noch ein scheinbar reicher Mann war – heute überschuldet, mit niedrigem Einkommen, von dem er seinen Kredit zurückzahlt. Jetzt wird er noch arbeitslos. Und das mit den Ratenzahlungen funktioniert nicht mehr. 
Möglicherweise ist er wirtschaftlich nicht sehr geschickt. Zahlt seine Kreditraten nicht, wird gepfändet, von der Bank aus dem Haus geworfen, und so weiter. Aber vielleicht ist er ja noch einigermaßen weitblickend – weiß, dass er seine Kredite bald nicht mehr bedienen kann, und denkt sich: Ich verkauf das Haus. Er wird in dieser Phase feststellen: Er ist nicht der Einzige, der auf diese Idee gek
ommen ist. Viele tausend Häuser stehen zum Verkauf, es gibt viel mehr Angebote als Leute, die Häuser kaufen wollen. Unser Mann wird sein Haus nicht loskriegen, möglicherweise. Und wenn er es loskriegt, dann nur zu einem sehr niedrigen Preis. Denn weil viele Leute gleichzeitig verkaufen wollen, weil sie das müssen! – fallen die Häuserpreise noch mehr in den Keller. 
Hinzu kommt natürlich: Wenn kaum mehr jemand Häuser kaufen will, existierende Häuser, wird natürlich schon überhaupt niemand mehr auf die Idee kommen, neue Häuser zu bauen. Baufirmen haben kein Einkommen mehr, Installateure nicht mehr usw. 
Und so wie mit den Häusern funktioniert das natürlich auch auf allen anderen Märkten für Wertanlagen – weil die Häuser, die haben zwar auch einen Nutzwert, der bleibt ja unberührt, sofern es nicht verfällt, aber es hat auch eine Funktion als Wertanlage, und um die geht es ja hier. 
Wenn die Finanzmärkte einbrechen – weil etwa die Immobilienbranche kracht, oder weil die Investorenherde so lange High-Tech-Aktien gekauft hat, bis auch der Letzte das Gefühl hat, die sind jetzt aber eigentlich überbewertet und massenhaft verkauft wird, aus welchen Gründen also immer – setzen genau solche Rückkopplungsschleifen ein, die eine Abwärtsspirale in Gang setzen. 
Aber jetzt kommt im Finanzwesen noch etwas hinzu, was wir am Beispiel unseres Hausbesitzers schon angedeutet haben, aber noch nicht ausreichend deutlich ausgeführt: Vermögen stehen ja meist auch Verbindlichkeiten gegenüber. Wenn Banken oder andere Finanzmarktakteure fette Vermögenswerte in ihren Büchern haben, dann können sie auch mehr Kredite vergeben, selber investieren. Auf der einen Seite sind Vermögen, auf der anderen sind Verbindlichkeiten und Zahlungsverpflichtungen. Die Zahlungsverpflichtungen will ich in aller Regel ja nicht aus den Vermögen bedienen, sondern aus dem Cash Flow, den Einnahmen. Wenn Sie einen Kredit aufnehmen, und sie haben ein Einkommen von 2000 Euro und ein Geldvermögen von 20.000 Euro, dann haben Sie ja normalerweise nicht vor, die Kreditraten aus ihrem Vermögen zu bezahlen, sondern aus ihrem Einkommen. Stellen wir uns aber jetzt vor, die Einnahmen der Banken gehen zurück, und es geht übrigens auch ihr Buchvermögen zurück, weil die Papiere, die sie als Aktiva in ihren Büchern haben, die verlieren ja an Wert. 
Das heißt, was passiert in einer solchen Situation? Die Bank hat weniger Vermögen. Und ihr Einkommen geht zurück. Ihre Verbindlichkeiten bleiben aber. Und irgendwann wollen ihr auch andere Banken kein neues Geld mehr leihen. Zumal es ja in einer solchen Situation allen Banken schlecht geht. Was passiert dann aber? Die Bank wird versuchen, Vermögen zu verkaufen – also Wertpapiere. Das heißt: Wertpapiere, die ohnehin schon im Wert gefallen sind, werden auf den Markt geworfen. In einer Situation, wo alle ökonomische Probleme haben, also alle diese Wertpapiere auf den Markt werfen. Was passiert dann? Na, sie verfallen noch mehr im Wert. Das Buchvermögen der einzelnen Finanzmarktakteure wird noch geringer. Dann muss noch mehr auf den Markt geworfen werden – und so weiter. Wenn man einmal so weit ist, dann ist das die berühmte Kernschmelze an den Märkten. 
Aber gehen wir noch einmal zurück: Haben wir nicht gehört, dass Märkte zu einem Gleichgewicht tendieren? Wenn Zuviel von etwas angeboten wird, dann sinkt der Preis, und wenn es Knappheit gibt, dann steigt der Preis. Und umgekehrt: Wenn der Preis steigt, sinkt die Nachfrage. 
Auf Finanzmärkten ist das aber umgekehrt: Wenn der Preis steigt, steigt auch die Nachfrage. Wenn der Preis eines Finanzprodukts steigt, wollen es immer mehr Leute haben, sodass der Preis immer mehr steigt. Es ist, wie wenn am Kartoffelmarkt der Bauer schreien würde: Meine Kartoffeln sind die teuersten, und ihm deshalb die Leute die Dinge aus der Hand reißen. Und noch etwas: Es ist ja nicht nur der Trend zum Teuersten, sondern das Umsatzvolumen als ganzes steigt im Boom. Wenn die Vermögenswerte in den Büchern wachsen, können die Banken mehr „Geld“ produzieren. Sie können mehr Kredite vergeben, noch mehr Wertpapiere emittieren, und so weiter. Das heißt, im Boom erweitert sich der ganze Markt. Geld kann unbegrenzt geschaffen werden. Und Geld etabliert mehr Geld, und mehr Geld etabliert noch mehr Geld. 
Wie Banken „Geld“ schaffen, werden wir in einer der kommenden Einheiten besprechen. 
Das ist aber genau das Gegenteil von normalen Märkten: Auf normalen Märkten wirkt die Gleichgewichtstendenz ja vor allem deshalb, weil mit knappen Gütern operiert wird. Geld ist aber in diesem Sinn kein knappes Gut. Im Boom ist es auf den Finanzmärkten in schier unbegrenzter Menge verfügbar. Und wenn der Boom dann zu Ende geht, dann reicht schon eine kleine Abwärtsbewegung, um eine fatale Abwärtsspirale in Gang zusetzen. 
Das heißt also, die normalen Marktkräfte, die auf Gütermärkten so etwas wie ein Gleichgewicht produzieren, funktionieren auf Finanzmärkten überhaupt nicht. Im Gegenteil, wenn man hier die Marktkräfte ungezügelt wirken lässt, wird man fatale Krisen ernten. 
Denn, beachten sie: In den Exempeln, die ich aufgeführt habe, hat noch nicht einmal irgendwer irgendjemand betrogen. Es hat auch niemand übertrieben hasardiert und hochriskant spekuliert. Jetzt stellen Sie sich vor, wenn da auch noch Betrug, Übervorteilung und Hasard dazu kommt, wie es im Finanzsystem endemisch ist, und wie es vor allem im Boom endemisch wird – weil sich die gerissensten Akteure denken, es gibt so viel Geld zu gewinnen mit ein bisschen Risiko, das geh ich ein. Und wenn es einmal funktioniert, dann lecken sie Blut. Dann endet das in einem totalen Fiasko. 
Räuberkapitalismus: Goldman-Sachs, Inside Job. 
Aber das ist nur das Sahnehäubchen! Aber auch bei normalen Funktionieren: 
Man kommt aufgrund der Tendenzen zur Selbstverstärkung auf ungeregelten oder zu wenig regulierten Finanzmärkten praktisch automatisch dazu: 
Dass wir ein Finanzsystem haben, in dem über Nacht praktisch alle Akteure schwer überschuldet sind und wie verrückt versuchen, Verbindlichkeiten abzubauen. Wenn das alle gleichzeitig machen, und das müssen dann alle gleichzeitig machen, dann kann das natürlich nicht funktionieren. Und dann können alle Banken oder die meisten kollabieren. 
Aber mit Banken ist das nun aber so, dass wir sie brauchen zum funktionieren eines Wirtschaftsystems. 
WIESO?
Und deshalb muss man sie in einer solchen Situation dann retten. Das ist einerseits unumgänglich – andererseits wissen das die Banken auch. Wenn sie einmal die Erfahrung gemacht haben – wir werden schon gerettet, dann werden sie beim nächsten Mal noch mehr Risiko eingehen möglicherweise. 
Aber auch wenn die Banken gerettet sind, bleiben sie für lange Zeit angeschlagen. Und das hat Auswirkungen auf das gesamte Wirtschaftssystem. Immer wieder treten Instabilitäten auf, immer wieder droht an einer neuen Ecke ein Zusammenbruch. Die Banken drohen zusammenzubrechen. Die Staaten müssen sie retten. Dann sind die Staaten so angeschlagen, dass bei ihnen ein Zahlungsausfall droht. Ihre Staatsanleihen will plötzlich niemand kaufen. Dann sind sie am Rande des Bankrotts. Aber man darf nicht vergessen: Diese Staatsanleihen sind auch Wertpapiere, in den Büchern von Banken, Finanzinstitutionen, Versicherungen, Fonds. Wenn die im Wert verfallen, sind deren Bilanzen wieder in Schieflage. Dann droht erst recht eine zweite Runde der Bankenkrise. Und so weiter. Wenn der Flächenbrand erst einmal einge
setzt hat, dann ist er nur mehr sehr schwer zu stoppen. 
Ich komme also zum Schluss. In dem man uns gesagt hat, dass alle Märkte „perfekte Märkte“ sind, wenn man sie nur in Ruhe ließe, hat man das gesellschaftliche und politische Klima für Deregulierung in allen Sphären der Ökonomie geschaffen. Deregulierung von Gütermärkten, von Handel, von Dienstleistungen, Flexibilisierung von Arbeitsmärkten, Deregulierung von Finanzmärkten. 
Es gibt ja so diese Zweiteilung. Die Linken sind eher skeptisch, was Märkte betrifft. Die Konservativen und Wirtschaftsliberalen sind sehr für die Märkte. Aber vielleicht ist das eine absurde Dichotomie. 
Märkte sind dort gut, wo sie nützliche Resultate zeitigen. Marktkräfte auf Gütermärkten haben nützliche Resultate. 
Auf anderen Märkten haben sie fragwürdige Resultate. 
Und auf wieder anderen Märkten, vor allem die Finanzmärkten, haben sie katastrophale Resultate. 
So also hat uns eine fatale Wirtschaftsideologie die Marktwirtschaft in ein Fiasko gestürzt. 
Auf welche Weise Finanzmärkte für Instabilität und Unsicherheit sorgen, damit will ich mich kommende Woche noch detaillierter beschäftigen, und zusätzlich – und damit zusammehängend – die Frage behandeln, warum eigentlich die Eurzone in den vergangenen Jahren zum Zentrum der Krise geworden ist. 
Ich danke Ihnen. 

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