Professor fürs Wutbürgerliche

Bernd Lucke, Makroökonom mit Pennäleraura, will mit seiner Anti-Euro-Partei in den Bundestag. Wird er der deutsche Haider? Der Freitag, 20. März 2013
Als ich in den neunziger Jahren als österreichischer Journalist in Berlin lebte, war ich praktisch im Wochenrhythmus mit Fragen folgender Art konfrontiert: Wer wird der deutsche Haider? Wann kommt der deutsche Haider? Und wer wird das? Österreichische Magazine wünschten sich von mir die Suche nach dem deutschen Haider, und deutsche Zeitungen, die mir als Österreicher offenbar eine quasi nationalkulturelle Expertise für Fragen des Rechtspopulismus zuschrieben, schickten mich aus, die Augen offen zu halten. Ich gestehe, dass mich das Thema nach ein paar Runden langweilte. 
Denn wir haben viele „deutsche Haider“ den Kopf rausstrecken und dann wieder untergehen gesehen. Manfred Brunner mit seinem „Bund freier Bürger“, dann noch einen FDP-Mann aus dem Taunus, dessen Name längst in Vergessenheit geraten ist und auch noch Alexander von Stahl, immerhin seinerzeit Generalbundesanwalt. Irgendwann einmal kam die Hamburger Stattpartei in die Bürgerschaft, flog aber bald wieder raus und dann polterte irgendwann Richter Gnadenlos Roland Schill durchs Bild und schaffte es sogar in die Hamburger Landesregierung. Heute weiß man nicht mehr viel von ihm, die letzte Nachricht, die wir von Schill hatten, war, dass er irgendwo in Südamerika rumhockt und kokst. 
So – und jetzt also Bernd Lucke. Der 50jährige Volkswirt mit der Aura eines langsam verwitternden Pennälers ist also der neueste Kandidat für die Rolle des deutschen Haiders; für die Rolle dessen, der allen Anti-Establishment-Ressentiments eine Gesicht und eine Stimme gibt. Gründer und Sprecher der „Alternative für Deutschland“ ist er, eines Zusammenschlusses konservativer Wutbürger, die derzeit vor allem die Ablehnung des Euros eint. Noch ist die Plattform eine klassische „Single-Issue“-Bewegung: Auflösung der Eurozone. Kein deutsches Geld für Pleitestaaten. Punkt, that’s it. 

Immerhin, 1400 Leute, vor allem ältere Männer, sind jüngst zu einer Art Parteigründungs-Preview nach Oberursel in den Taunus gekommen. Lucke, der als Makroökonomie-Professor in Hamburg wirkt und auch schon einmal einem „Sachverständigenbeirat für die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR“ angehört hat, tut alles, um seiner Partei einen Anstrich der Grundvernünftigkeit zu geben. „Die Italiener sind nicht mehr wettbewerbsfähig, weil wir kein System flexibler Wechselkurse mehr haben“, sagt er und hält eine kleine Vorlesung in Makroökonomie, erklärt dass eine gemeinsame Währung derart unterschiedlicher Volkswirtschaften nicht funktionieren könne. Das klingt nüchtern, gar nicht wütend und keineswegs besonders rechts. Ja, es ist nicht einmal völlig falsch. Falsch ist allenfalls die Annahme, dass die Abschaffung des Euro die einzige Möglichkeit ist, das zu korrigieren.  
„Ich glaube, die Menschen haben ein ganz gutes Bauchgefühl für Fehlentwicklungen. Die spüren, dass die Europa-Politik in die falsche Richtung geht. Aber die etablierten Parteien sind auf diesem Ohr völlig taub“, sagt Lucke. 25 Prozent der Bürger, so glaubt der Wut-Professor aus Umfragen herauslesen zu können, wären für eine Partei wie die seine potentiell gewinnbar. Zumindest der Sprung über die 5-Prozent-Hürde bei den Bundestagswahlen im Herbst müsste so doch locker zu schaffen sein, ist er sich sicher. 
Nun, man soll das keineswegs ausschließen. Aber die grassierende Wut und das Ressentiment und der Ärger über das Establishment lassen sich nicht so leicht in Parteiform gießen. Wer so eine Partei aus der Taufe hebt, der zieht erst einmal alle Spinner und Narren dieser Republik an – und ist dann zunächst weitgehend mit internen Grabenkämpfen beschäftigt. Wenn Rechthaber, die „die Politiker“ für dumm und Verbrecher halten, erst einmal in einem Parteivorstand sitzen, dann werden sie sehr schnell zu Rechthabern, die alle ihre Co-Vorständler für dumm und Verbrecher halten. 
Dass dieses Spinnerhafte in Kreisen männlicher deutscher Professoren nahe oder jenseits der Rentenaltersgrenze unterdurchschnittlich ausgeprägt sei, auf diese Annahme sollte man nicht allzu viel setzen. Kurzum: Allzu hohe Einsätze sollte man nicht darauf verwetten, dass Luckes Partei tatsächlich in den nächsten Bundestag einzieht. 
Jetzt schon ist die Partei um Lucke und eine Handvoll prominenter Unterstützer – darunter Hans-Olaf Henkel, Ex-CDU-Mann Alexander Gauland und Ex-FAZ-Redakteur Konrad Adam – vor allem damit beschäftigt, den Zustrom meschuggener Rechtsradikaler zu stoppen. Ein Parteivorstandsmitglied, das via Internet kundtat, ein obskures „Multi-Kulti-Gen“ führe zu „Mutationen und damit zu Krankheiten, die vorher bei Reinrassigkeit nicht vorhanden waren“, musste gerade zurücktreten. Es wird nicht die letzte Peinlichkeit gewesen sein. 
Die Stimmung für eine solche Partei wäre da. Dass sie einen Erfolg in die Scheune fährt, ist damit noch lange nicht gesagt. Aber immerhin – unmöglich ist es nicht. Paradoxerweise könnte der „Alternative für Deutschland“ gerade der Umstand nützen, dass bis zu den Bundestagswahlen nicht mehr allzu viel Zeit ist. Ein Auftaktkongress, schnell mal eine Wahlliste zusammen gebastelt, plus die übertriebene Medienaufmerksamkeit, die das Neue stets begleitet, könnte für einen Einzug in den Bundestag reichen – und die Zeit knapp genug bemessen sein, sodass sich die Partei erst nach der Wahl zerlegt. 
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