Entwicklungshilfe für die FPÖ

Die Innenministerin lässt abschieben. Der Koalitionspartner verfällt in Schockstarre und der Kardinal verliert sein Gesicht. Für „Die Zeit“ vom 31. Juli 2013
                                                                                                        Foto: Michel Reimon

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Sollte es Taktik gewesen sein, was natürlich ein Maß an Intelligenz voraussetzen würde, das man den Akteuren im Innenministerium schwer zutraut, dann war sie jedenfalls nicht schlecht: Am heißesten Tag des Jahres werden acht der vornehmlich aus Pakistan stammenden Asylbewerber festgenommen. Etwaige Unterstützer befinden sich im Urlaub oder im Freibad, mit großem Widerstand ist also nicht zu rechnen; der Kardinal, offizieller Quartiergeber, ist weit weg in Brasilien. Wenn man vorhat, die heikle Angelegenheit auf die harte Tour zu beenden, dann ist das der günstigste Zeitpunkt. Im Handstreich werden die ehemaligen Votivpark- und -kirchenbesetzer zum Flughafen und anschließend außer Landes gebracht. Der zivile Widerstand ist zu schwach um die Außerlandesschaffung der Asylwerber zu verhindern. 

Nach der Eskalation sind immer noch knapp 40 der großteils jungen Männer in der Servitenkirche im 9. Bezirk untergebracht. Ihre Verzweiflung ist am Peak. Für sie fühlt es sich so an: Wie die Mäuse werden sie einer nach dem anderen wohl weggefangen und außer Landes gebracht werden. 
Warten, Löcher in die Luft starren, ohne Hoffnung und ohne Herr über das eigene Schicksal zu sein – für viele der Flüchtlinge ist das teilweise seit Jahren der Betriebsmodus. Als sie im November von Traiskirchen nach Wien zogen, waren sie für ein paar Wochen von der Euphorie der Verzweifelten gepackt, die sich Gehör verschaffen statt bloße passive Objekte der Migrationsbürokratie zu sein; und die dann schnell merkten, dass es nichts bringt; dass sie mit einer Politik konfrontiert sind, die sich wegduckt und auf Zeit spielt. Sie übersiedeln in die Votivkirche, verbringen harte Monate in der Kälte, treten zweimal in einen Hungerstreik. Als sie dann die Besetzung abbrechen und ins Servitenkloster umziehen, sind die meisten von ihnen schon demoralisiert, hoffen aber doch noch irgendwie, dass sie im neuen Quartier eine Chance haben auf ein Leben hier in Europa. Doch die Monate ziehen ins Land. Sie sitzen im Keller im Servitenkloster, haben nichts zu tun. Unsicherheit und Tatenlosigkeit machen sie depressiv. 
Sie wurden schnell zu Experten für europäische Politik im allgemeinen und österreichische Politik im besonderen. Dass die EU-Regeln zur möglichst restriktiven Beamtshandlung von Flüchtlingen selbst dann nicht schnell geändert werden könnten, wenn das irgendjemand Relevanter wollen würde, haben sie schnell begriffen; ebenso, dass das Superwahljahr 2013 mit vier Landtagswahlen und einer Nationalratswahl in Österreich der denkbar schlechteste Moment für humanitäre Lösungen ist. 
Von der Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist Entgegenkommen nicht zu erwarten, sagte man ihnen, denn sie muss ja die rechte Flanke der ÖVP abdecken. Die Sozialdemokratie mag zwar, wie gewohnt, insgeheim solidarisch, vor allem aber sehr darauf bedacht sein, dass das möglichst keiner merkt. Denn schließlich wolle ja niemand der Strache-FPÖ ein Wahlkampfthema liefern. Immerhin, der Bundespräsident schrieb einen freundlichen Brief, ließ aber keinen Zweifel daran, dass, was immer er sich persönlich wünschen mag, der Innenministerin schnurzegal sei. Allein auf den Kardinal konnte man noch hoffen. Schließlich hat er die Männer ins Servitenkloster eingeladen und Vermittlung versprochen. Damit wurde er auch zu einem Kardinal, der ein Gesicht zu verlieren hat. 
Dass er selbst nicht damit gerechnet hat, von der Christenpartei ÖVP derart vorgeführt zu werden, zeigte die geharnischte Reaktion, die Christoph Schönborn noch aus Brasilien über den Ozean funkte. Im Innenministerium beruft man sich auf normale Verwaltungsabläufe: Die Abgeschobenen hätten zwei negative Asylbescheide und die Einreisezertifikate der pakistanischen Behörden seien eben gerade jetzt eingetroffen. Als routinierter Österreicher glaubt man freilich nicht an bürokratische Zufälle. Eher schon daran, dass sich die ÖVP-Innenministerin sieben Wochen vor der Wahl als harte Law-&-Order-Frau profilieren will. Kurzum: Dass da Strategie dahinter steckt, und zwar, da die Intelligenz dann doch nur für Taktik reicht, eine saublöde. Schon im letzten Wien-Wahlkampf sollte die Abschiebung zweier kosovarischer Zwillinge als Wahlkampfturbo wirken. Die Sache ging bekanntlich nach hinten los. Wer mit dem „Ausländer“-Thema spielt, schenkt nur der FPÖ ein Wahlkampfthema. „Entwicklungshilfe à la Mikl-Leitner“ nennt das sogar der Innenpolitik-Chef der „Kronen-Zeitung“. So darf man die Reaktionen (oder Nicht-Reaktionen) der Sozialdemokraten jetzt auch als Zustand der Schockstarre beschreiben: Darf das denn wahr sein, dass die ÖVP den Freiheitlichen, die in diesem Wahlkampf bisher wie abgemeldet schienen, mit der Abschiebung der Pakistanis ein solches Geschenk bereitet? 
Feiges Wegducken, bösartige Taktierei und Schielen auf das, was man die Volksstimmung wähnt, bestimmen das Geschehen in der Politik. Und die Menschen, um die es bei all dem geht? Na, die haben eben Pech gehabt. 
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