Echte Männer verhandeln nicht

Der Rote Faden, die Kolumne aus der taz, 8.3.2014
„Sanktionen müssen her! Aber ganz schnell! Putin muss merken, dass er einen Preis zu bezahlen hat! Dass ihn seine Aktionen zu einem Paria machen!“ So quillt es aus den Kommentarspalten der Zeitungen, so dröhnt es aus Postingforen und sozialen Netzwerken. Ganz unabhängig von der Frage, wie man die Situation in der Ukraine und das russische Vorgehen auf der Krim beurteilen mag, macht sich ganz generell gerade wieder etwas bemerkbar, was man in den vergangenen Jahren schon häufiger sah: Ein regelrechter Hass auf die Diplomatie, eine Verachtung gegenüber dem Verhandeln. 
Diplomatie, das mühsame Vermitteln zwischen unterschiedlichen Interessen, der beharrliche Versuch, Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen, das Vermögen, sich auch in die Gegenseite hineinzuversetzen – all das steht in einem denkbar schlechten Licht. Wer auf Diplomatie setzt, dem fehlt es offenbar an Entschiedenheit, an Entschlusskraft, wird insinuiert. Der hat „keine Eier“. Der Diplomat hat den Hautgout des Warmduschers. Das Gegenbild zum schwächlichen Diplomaten ist das der Härte, der Entschiedenheit. In der Machtarena sei Diplomatie eine unrealistische Illusion, während die eigentliche Münze Brutalität sei. Internationale Politik wird mit Männlichkeitsattributen belegt: Macht kommt eben nur aus Gewehrläufen. Echte Männer langen hin. Reden ist was für Schwächlinge. Ein Machozug schleicht sich ein. 
Oft ist das geradezu bizarr: Wer dann nur andeutet, man müsse versuchen, auch die andere Seite zu verstehen (in dem Fall beispielsweise: Was treibt Putin? Was sind die Sensibilitäten der Russen?), der, so wird insinuiert, stünde mit einem Bein schon im unmoralischen Appeasement. Die Fähigkeit, die Motive des Anderen verstehen zu können und die Situation realistisch zu beurteilen, wird da plötzlich nicht mehr als Klugheit, sondern als verwerfliche Untugend gesehen.
Welch abstruse Blüten das treibt, sieht man an der heute beliebten Deutung der Situation. EU-Europa sei schwach, wird gesagt, während Putin kühl seine Interessen verfolgt und die USA eine klare Linie haben. Dabei ist die Wirklichkeit doch eher so: Putin hat sich total verkalkuliert, hat die Ukraine als mehr oder weniger befreundeten Staat verloren, und versucht jetzt noch zu stören und die Krim für sich zu retten; das US-Außenpolitik-Establishment bellt derweil irgendwelche Kraftmeiereien über den Atlantik, die völlig irrelevant sind. Die einzigen, die in der gegenwärtigen Krise etwas zuwege gebracht haben, waren die EU-Außenpolitiker, etwa durch die Mission von Steinmeier & Co. Aber die sind halt nicht so cool. 
Gewalt fasziniert und Reden ist was für Memmen und doofe Hippies. Der Zufall wollte es, dass ich vergangene Woche in Graz über „Die Linke und die Gewalt“ diskutieren musste. Der Anlass: In Wien hatte es vor ein paar Wochen bei einer Anti-FPÖ-Demo Randale gegeben, was hierzulande eher selten vorkommt. Eine Gelegenheit, mal wieder über die Gewaltfaszination in der Linken zu diskutieren, also die ganze Themenpalette: der Militante als Zulanger, als „echter“ Linker, gegenüber dem faden Latschdemonstranten als Weichei; der Street-Fighter als  Kultfigur; der „Schwarze Block“ mit seiner Bildsprache von geschlossenen Reihen, Uniformität und militärischer Formation; die Frage, was Gewalt und Militanz mit einem selber macht. Offenbar muss jede Linken-Generation diese Fragen aufs Neue diskutieren. 
Nun gut, als Autor soll es mir recht sein: Einfach verdientes Geld, wenn man das, was man schon hundert Mal gesagt hat, noch ein hunderterstes Mal sagen kann und es immer noch jemanden gibt, für den es neu ist. Ich musste da an einen Blogpost eines Kollegen und Freundes von mir denken, des grünen Europapolitikers Michel Reimon der unlängst schrieb: 
„Ich bin 42. Und ich entwickle eine unangenehme Angewohnheit: Ich spreche aus Erfahrung. Wenn mir jemand einen banalen Text über Privatisierungen an die Pinnwand postet, antworte ich: „Oh bitte, lass mich mit dem Kindergartenliberalismus in Ruhe, da hab ich ein Buch darüber geschrieben.“ Stimmt auch. Genau genommen drei Bücher. … Oder wenn jemand jegliche differenzierte Debatte über Gewalt bei Demonstrationen hysterisch ablehnt und mich auf die Seite der staatlichen Repression stellen will, … da denk ich dann: Kindchen, ich bin in Genua halbblind vom Tränengas in der Tiefgarage eingekesselt gesessen, als das Blut von Carlo Guliani darüber in den Pflastersteinen versickert ist. Was willst du mir über Demos erzählen? … Erfahrung ist etwas Wunderbares. Ich fürchte nur, ich bin an einem gefährlichen Punkt: Immer öfter urteile einfach aus Erfahrung heraus und denke nicht mehr grundlegend darüber nach, weil ich ja eh schon 1000x nachgedacht habe.“
Ich find ja, dass es nicht ganz so schlimm ist. Ja, die Dinge wiederholen sich. Aber doch immer irgendwie anders. 

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