Der Ungustl soll in der Zelle dunsten!

Kartnig, Strasser & Co.: Der Delinquent als Feind, an dem Rache zu üben ist.

Vier
Meldungen aus den vergangenen Tagen. Fall Eins: Ein 14jähriger
Islamismus-Fan fliegt auf und wird sofort in Untersuchungshaft genommen.
Klar scheint zu sein: Das Burli wollte den Westbahnhof sprengen. Unklar
ist: Was genau unter „wollte“ zu verstehen ist. Hatte er bloß den
Wunsch und war unvorsichtig genug, ihn zu äußern? Hatte er im Internet
recherchiert, wie man einen Sprengsatz baut? Hatte er sich vielleicht
sogar schon bei Chemiefirmen erkundigt, und ist deshalb aufgeflogen?
Alles was die Polizei bisher rausrückte: Einzelteile zum Bau des
Sprengsatzes hatte er noch keine. Alles, was er hatte, war also offenbar
eine blöde Idee, und alles was er allenfalls getan hatte, waren ein
paar Klicks in Richtung Umsetzung. Bei aller vernünftiger Vorsicht:
Blöde Ideen zu haben ist – jedenfalls im rechtsstaatlichen Sinne – kein
Verbrechen. Schon gar nicht bei 14jährigen, bei denen „blöde Ideen“
durchaus etwas Altersadäquates haben. Der Junge ist mittlerweile aus der U-Haft entlassen.

Fall Zwei: Ernst Strasser wird verurteilt und muss seine Haft antreten. Alle freuen sich.



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Fall Drei: Ex-Fußballmanager Hannes Kartnig muss eine Gefängnisstrafe absitzen, durfte das aber bisher mit Fußfessel in Hausarrest. Wie jeder Gefangene in der Zelle kann auch der Fußfesselträger Freigang beantragen. Das hat Kartnig gemacht und genehmigt bekommen. Im Rahmen seines Freiganges war er in der Oper und ein andernmal nach eigenen Angaben bei seinem Anwalt und hinterher schön essen. Alles erlaubt. Doch der öffentliche Aufschrei darüber brachte Kartnig jetzt wieder ins Gefängnis.

Fall Vier: Langzeitstudien ergaben, dass heute jeder dritte deutsche Jurastudent für die Wiedereinführung der Todesstrafe ist. Immer mehr können sich auch für die Folter erwärmen. Die Tatsache, dass die „lebenslängliche Haftstrafe“ im Regelfall nach 20 Jahren Haft endet, hielten 1979 bloß 6,7 Prozent aller angehenden Juristen für zu milde, heute denkt schon jeder Dritte so.

Wir leben in einem Straf- und Racheklima, wenn jemand in den Bau muss, bricht sich auftrumpfende Freude Bahn. Wem eine solche Haltung fremd ist, der steht auf verlorenem Posten. Selbst wer grundsätzlich vorgibt, für moderne rechtsstaatliche Prinzipien einzutreten, weiß im Einzelfall gute Gründe, warum es schon „den Richtigen“ erwischt. Erwischt es „den Richtigen“, dann werden nämlich Prinzipien gerne über Bord geworfen.

Ich gestehe: Ich kann mich sogar über die – wahrscheinliche – Inhaftierung von Ernst Strasser nicht freuen. Ich finde, jemand der eine Straftat begeht, sollte als Ersttäter in aller Regel nicht mit Gefängnis bestraft werden. Gefängnis macht aus halbschlechten Menschen üblicherweise keine guten Menschen, sondern schlechtere. Ihre „erzieherische Wirkung“ ist endenwollend. Niemand hat etwas davon.

Der Einwand, dass dies doch das Signal sende, jeder habe ein Verbrechen frei und deshalb die abschreckende Wirkung verfehle, ist absurd: Peinliche und langwierige Prozesse, Bewährungsstrafen, Geldstrafen und – gerade bei prominenten Tätern – die Vernichtung der bürgerlichen Existenz haben wohl für’s erste abschreckende Wirkung genug. Dem präventiven (und generalpräventiven) Aspekt des Strafrechts ist damit Genüge getan.

Auch Herr Kartnig ist mir zutiefst unsympathisch. Aber auch unsympathische Leute dürfen in die Oper gehen und ich ziehe zudem keine besondere Befriedigung daraus, dass Unsympathler bei Neonlicht in Vier-Mann-Zellen dunsten. Aufgeblasene Wichtigtuer hasse ich zwar. Ich wünsche mir wahrscheinlich sogar, dass sie straucheln. Aber sobald sie gestrauchelte aufgeblasene Wichtigtuer sind, habe ich Mitleid mit ihnen. Ich habe den Verdacht, dass es mir sogar mit Herrn Grasser so ginge, sobald er einmal verurteilt ist. Vielleicht bin ich ja eigen. Im übrigen ist das aber auch egal: Selbst wenn ich Befriedigung daraus ziehen würde, dass kriminelle Unsympathler in einer Zelle dunsten – meine persönliche Befriedigung hat nicht Zielvorgabe rechtstaatlicher Strafprinzipien zu sein.

Tatsächlich steht hinter der zeitgenössischen Freude an der Bestrafung eine Philosophie der Feindjustiz: Der Delinquent wird im allgemeinen als Feind der Gesellschaft gesehen. Strasser, der rechte Ex-Innenminister wird vielleicht auch von eher Linken als besonderer Feind gesehen, so wie ein linker Demonstrant (man darf dabei an Josef S. denken, aber auch an andere Beispiele) dann umgekehrt von eher rechts oder konservativ denkenden Leuten als Feind im besonderen angesehen wird. Ich glaube aber auch, dass es nicht die gesündeste Haltung ist, in politischen Gegnern vernichtungswürdige Feinde zu sehen. Aber wahrscheinlich bin ich damit schon wieder auf verlorenem Posten.

Meine Lebenserfahrung sagt mir, dass Menschen Fehler machen. Die Art der Fehler ist variabel. Manche machen Fehler chronisch und planvoll, sodass der Begriff „Fehler“ fast fehl am Platz ist (das trifft auf den raffinierten Steuerbetrüger zu), andere geraten als Teenager in den Sog einer extremistischen Ideologie, wieder andere machen in einer affektgeladenen Situation einen Mist, und ob die Folgen fatal oder glimpflich sind, darüber entscheidet der Zufall. Natürlich muss man sowohl Motive als auch das Gewicht der Folgen je nach Fall bewerten (wenn ich einen Pflasterstein auf einen Polizisten werfe und ihn verfehle ist das etwas anderes, als wenn ich ihn treffe und er ist tot, auch wenn sich die Umstände ansonsten nicht sonderlich unterscheiden).

Nur sollte als Richtschnur immer gelten: Jeder hat ein Recht auf einen Weg zurück, auf die berühmte zweite Chance. Das würde ja noch jeder unterschreiben. Nur heißt das auch: Jeder hat das Recht, dass man ihm auf dem Weg zurück nicht derart hohe – und unnötig hohe – Steine in den Weg legt, dass de facto das Recht auf den Weg zurück torpediert wird. Aber Menschen, die Fehler machen, sind üblicherweise keine Monster oder Bestien, sondern eben: Menschen, die Fehler machen.

Ich weiß auch, was jetzt gleich eingewandt wird: Dass solche Gedankengänge Sentimentalitäten aus einer Zeit sind, in der man noch utopisch an Strafrechtsreform, Resozialisierung, die Abschaffung von Strafe oder sogar an die gefängnislose Gesellschaft glaubte. Aber drehen wir das ganze doch einmal um: Was war so schlecht an dieser Zeit? Was war schlecht an einer Zeit, in der man auch in Gestrauchelten noch die Menschen sah, und die Zuversicht hatte, sie könnten unter neuen Umständen ein besseres Leben führen? Womöglich geht es ja nicht nur um die Institution Gefängnis und die Straftäter, sondern auch um das Publikum selbst, das die Strafe bejubelt. Also um das, was die Institution Strafe mit uns als scheinbar unbeteiligte – oder besser: beteiligte – Beobachter macht. Wollen wir Leute sein, die geifernd „Hängt ihn höher!“ schreien? Ist es wirklich das, was wir sein wollen? Oder wollen wir lieber emphatische Personen sein?

Ich fühl mich als Letztere deutlich besser.

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