Was ist heute noch subversiv?

„Sei kreativ, mach nicht mit, unterminiere das Hergebrachte.“ Diese Forderung kann man heute schon in Stellenanzeigen lesen. Schlechte Zeiten für die Subversion. Ein Beitrag für die Zeitschrift „Earnest & Algernon“.

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In seinem Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ lässt der österreichische Regisseur Hans Weingartner einen seiner Protagonisten sagen: „Was früher subversiv war, kannst du heute im Laden kaufen.“ Subversivität ist, so gesehen, eine große Selbsttäuschung. Das eigensinnige Subjekt glaubt, etwas Widerständiges zu tun, und tappt doch immer wieder nur in die Falle der Systemstabilisierung und Affirmation. Führe dem kapitalistischen System rebellische Energien zu – und es verwandelt sie in einen Trend, mit dem sich gute Geschäfte machen lassen. Widerstands-Communities werden in Lifestyle-Communities verwandelt, provokante Kunst in den Dernier Crie und das Nietenarmband der Punks gibt es vierzig Jahre später bei H&M zu kaufen. Und all das vollzieht sich zudem in immer rasanterem Rhythmus. Jahrzehnte braucht es nicht mehr: Was heute die Subkultur rockt, ist in der nächsten Saison schon auf den Brettern der großen Staatstheater. Oder anders gesagt: Hochkultur ist die Subkultur von gestern, die erfolgreich geworden ist. 
All das gilt natürlich zunächst und vor allem für dieses Kraftfeld aus Konsumkultur, Kunst und Gegenkultur. Blicken wir einen Augenblick zurück, in eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung, also ordentlich sortiert, in der also Konformismus und Nonkonformismus klar unterscheidbar waren. 
Gegen diese Unfreiheit, die Konventionen, den gesellschaftlichen Druck von Spießertum und des bloßen Üblichen, des bloßen „das macht man eben so“, des „das gehört sich so“, rebellierten Bohemiens, Halbstarke, Hippies, Aussteiger, Punks. Man hatte da so ein Bild im Kopf: Das der uniformierten, formatierten Gesellschaft der Ähnlichen, die in Reihenhäusern wohnen, Mama hat Lockenwickler auf den Kopf, Papa ist sehr darauf bedacht, dass die Nachbarn nicht schief schauen, und alle haben die gleichen Gardinen vor den Fenstern. Dagegen war man. Und irgendwie verstanden sich alle diese Bewegungen und Subkulturen als links oder progressiv, und sei es nur halbbewusst, und die, die das bewusster taten, die legten sich eine Theorie zurecht. Dass der Kapitalismus die Welt gleichförmig mache, dass er den Menschen ihre Kreativität und den Dingen ihre Authentizität austreibe. Dass also Hippies und Alternativkultur oder Gegenkultur so etwas wie Freiheitsrevolten und antikapitalistische Revolten zugleich seien. Diese Kritik hatte bestimmt für einige Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung Wichtiges und Richtiges zu sagen, war zugleich aber immer auch ein wenig ein kulturpessimistisches linkes Vorurteil, das deshalb paradoxe Trugschlüsse nach sich zog. Etwa den Glauben, mit der Etablierung einer alternativen Gegenkultur würde den Homogenisierungstendenzen des Kapitalismus Widerstand geleistet – während in der Realität die Gegenkulturen von Hippies bis Punk dem Konsumkapitalismus nur neue Energien zuführten. Man fühlte sich dissident, war aber auch nur eine Marktnische und Zielgruppe. Deshalb ist, wie die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew Potter schrieben, die gegenkulturelle Politik „in den letzten vierzig Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des Konsumkapitalismus gewesen“. Schließlich seien es die Nonkonformisten, nicht die Konformisten, „die an der Konsumschraube drehen“, denn: „Wenn die Konsumenten bloß Konformisten wären, dann würden sie sich allesamt das gleiche kaufen und damit glücklich und zufrieden sein.“ Es ist dieses Paradoxon, das den Philosophen Peter Sloterdijk zu dem Aperçu veranlasste: „Alle Wege der ’68er führen in den Supermarkt.“ Dass der Kapitalismus die Welt eintöniger mache, und, im Umkehrschluss, die kreativen Energien, die die Welt bunter machen, subversiv seien, ist jedenfalls ein sehr fragwürdiges Postulat, eine jener Überzeugungen, die bestenfalls wahr und falsch zugleich sind. Das ließe sich schon an der Basiseinheit des kapitalistischen Wirtschaftens ersehen, der Ware nämlich: die lässt sich schließlich, wie wir alle wissen, dann am besten verkaufen, wenn sie sich von anderen Waren unterscheidet – und nicht, wenn sie gleich wie alle anderen Waren ist. Selbst sachlich ununterscheidbare Waren müssen unterscheidbar gehalten werden, ein Imperativ, der Werbe- und Marketingagenturen und Brandingexperten ein schönes, fixes Einkommen garantiert. Heute darf jeder sein Ding machen, ja, es wird sogar von ihm gefordert, und jeder darf anders sein als der andere, soll seinen persönlichen Stil entwickeln, der ihn von anderen unterscheidet und mit kleinen Peer-Groups ihm Ähnlicher im Gegenzug verbindet, zu sogenannten Lebensstil-Gemeinschaften, die auch nichts anderes sind als Marktnischen und Zielgruppen. So ist es heute verdammt schwierig geworden, unkonventionell zu sein, weil unkonventionell ist doch jeder auf seine Art und das Freiheitsgefühl, das so entsteht, na, mit dem können mächtige ökonomische Gruppen aber prima leben.

An den Orten, an denen auf raffiniertere Weise über „Systemkritik“ nachgedacht wird, ist deshalb schon vor einigen Jahren die Frage nach den Möglichkeiten von Subversion das große Thema geworden – auch wenn es im leise melancholischen, selbstreflexiv ironischen Ton abgehandelt wird. Je nach Anlass ist man entweder der Meinung Slavoj Zizeks, dass in der Postmoderne „der Exzess der Überschreitung seine Schockwirkung“ verliert und völlig integriert wird, oder man ist im Gegensatz dazu der anderen Meinung Slavoj Zizeks, dass es nämlich keineswegs so ist, „dass der Kapitalismus die endlose Fähigkeit besäße, alle Sonderwünsche zu integrieren und ihnen die subversive Spitze zu nehmen“. 
Aber wollen wir etwas systematischer an die Sache herangehen, nicht zuletzt deswegen, weil Subversion ja ein schillernder, überdeterminierter, aber deshalb auch unpräziser Begriff ist, der nur scheinbar immer das selbe meint, aber doch auf den unterschiedlichen Feldern etwas anderen bedeutet: 
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Der Saboteur, der während eines Streiks in einem Telekommunikationsunternehmen die Leitungen lahmlegt, ist auf andere, eminentere Weise subversiv als der Polit-Aktivist, der eine Straßenblockade organisiert, und der wieder auf völlig andere Weise als der Theaterprovokateur, der das Bürgertum schockt oder der Punk, der sich eine Sicherheitsnadel durch die Wange rammt. Ist, wer eine theatralische Attac-Straßenaktion macht, schon subversiv? Ist es ein Hausbesetzer? Und was wird mit den Hausbesetzern, die subversive Kulturinstitutionen wie die Rote Flora in Hamburg etablieren, wenn zwanzig Jahre später das Vibrierende der Gegenkultur wichtiger Bestandteil angesagter Stadtquartiere geworden ist, damit aber nicht mehr das große Andere der Kommerzkultur, sondern ein Element der kapitalistischen Immobilienentwicklung ist? Simpel gesagt: Wenn die Rebellion nur der erste Schritt in Richtung Gentrifizierung ist?
Überhaupt: Ist irgendeine Art von unbestimmtem „Dagegensein“ schon subversiv? 
Zum Kernverständnis von Subversität gehört jedenfalls dazu, dass man nicht nur innerhalb einer bestehenden Ordnung eine positive Alternative entwickeln will, oder der Ordnung den Rücken zukehrt und ihr ein „ich scheiß auf Dich“ zuruft, sondern dass diese Ordnung als solche unterspült und untergraben werden soll. Subversion ist schon etwas anderes als bloße „Opposition“ oder sich „verweigern“. Zu den Vorstellungsreihen, die das Wort Subversivität evoziert, gehören Begriffe wie „Auflösung“, „Zersetzung“ untrennbar dazu, und das sind übrigens wohl nicht zufällig Begriffe, die der militärischen Terminologie entnommen sind. 
Die Begriffsgeschichte politischer Subversivität ist jedenfalls seit vielen Jahrzehnten schon geprägt von einem stetigen Abarbeiten an dem Umstand, dass, was wie Subversität erscheint, immer auch in neue Verhärtungen und Konformismen umschlagen kann. Vor hundert Jahren hätte man noch jeden Arbeiter, der sich in einer „proletarischen Organisation“ engagiert, als Subversiven bezeichnet. Der Gewerkschafter, der eine Gegenmacht im Betrieb aufbaut, der Aktivist, der sich in einer „proletarischen Kampfpartei“ engagiert, wäre wie selbstverständlich als Subversiver durchgegangen. Bloß zeigte sich, dass all diese Institutionen selbst dazu neigen, ihre Mitglieder zu disziplinieren, dass die Organisationen, wenn sie an Bedeutung gewinnen, auch selbst zu Agenturen der Anpassung und des Kompromisses mit den Verhältnissen werden können. Demgegenüber wurde ein Konzept „proletarischer Subversion“ entwickelt, das sich gerade dadurch auszeichnen sollte, den Eigensinn der Subjekte gegen die Homogenisierung des Apparates hochzuhalten. Dieser Sinn von „echter“ Subversivität wurde von so unterschiedlichen Geistesströmungen wie den „Situationisten“ oder den italienischen Theoretikern der „Arbeiterautonomie“ hochgehalten. 
Viel Strahlkraft in die „Arbeiterklasse“ hinein hatten diese Theorien nicht (sieht man von ein paar kurzen historischen Augenblicken nach 1968ff ab), dafür umso mehr in die Theorie- und Kunstcommunities. An die waren diese Theorien auch besonders leicht anschlussfähig. Der „Schock“, der „andere Blick“ durch radikale Intervention und theatralische Protestformen, all das ist etwas, wofür die Kunst immer ein helles Sensorium hat, und der „Eigensinn“ des widerständigen Subjektes ist etwas, was mit dem Idealtypus des Künstlersubjektes durchaus leicht in Übereinstimmung zu bringen ist – zumal in einer Epoche, die den Individualismus zu einem Element ihrer Leitideologie macht. 
Aber hier sind wir schon an dem Punkt, an dem der Kurzschluss vorprogrammiert ist: Denn was wird denn aus der Subversion, wenn eines ihrer Hauptmotive im breiten Strom des Zeitgeistes schwimmt? Wenn Autonomie als Individualismus selbst von den Hochglanzmagazinen propagiert wird? Wenn, was als andere, alternative Lebensform erscheint, auch nicht so viel anders ist als die allgemein als erstrebenswert betrachtete Lebensform der „individuellen Selbstverwirklung“? 
Die Figur des originellen, provozierenden und rebellischen Künstlers, der sich vielleicht sogar aus der Gesellschaft, zumindest aber aus dem Mainstream absentiert, sich womöglich sogar aufopfert, ganz gewiss jedenfalls nicht von berechnendem Materialismus angetrieben ist, diese Figur als Idealtypus lappt ja schon seit dem 19. Jahrhundert in die späteren Epochen und im Grunde bis in unsere Gegenwart. Nur hat die Dichotomie, diese Figur der „konformistischen und spießbürgerlichen Bourgeoisie (entgegenzustellen), ausgedient“, wie das der französische Denker Pierre-Michel Menger formulierte. Fantasie, Kreativität, Improvisationskunst, ja, auch Anarchie, alles Charakteristika der Künstlerkompetenz, die man früher als Antipoden zum Krämergeist der Geschäftswelt betrachtet hätte, sind im neoliberalen Kapitalismus zu Tugenden geworden, die man vom kleinsten Angestellten und prekärsten Zuarbeiter erwartet. Schon vor zwanzig Jahren konnte man in Stellenanzeigen von Spezialmaschinenherstellern Sätze wie diese lesen: „Wir erwarten eine positive Unruhe in Form von neuen Gedanken und Wegen sowie Spaß an dieser mehr auf Kooperation angelegten Aufgabe“.  
In österreichischen Schulen wird heute bereits standardmäßig – und durchaus folgerichtig – die Erstellung und Benutzung von „Schummelzetteln“ (Spickzetteln), gelehrt, also die Untergrabung der Lehrerautorität, weil längst bekannt ist, dass Widerständigkeit und Rebellischsein eine der größten Produktivkräfte überhaupt sind, da sie eigensinnige Individuen hervorbringen, die selbst in der Lage sind, für jedes Problem eine Lösung zu finden. Und gerade solche Individuen braucht man ja in Unternehmen mit flachen Hierarchien, in denen Beschäftigte nicht nur für acht Stunden täglich ihre bloße Arbeitskraft investieren, sondern all ihren Grips, ihre Emotionen, ihre Leidenschaft und Kreativität. 
Heißt
all das, dass Subversion heute überhaupt nicht mehr möglich ist? Nein, nicht unbedingt. Ohnehin gilt all das oben Gesagte nur für den paradoxen Raum entwickelter kapitalistischer Staaten des Westens, in denen kaum mehr auszumachen ist, wo der Ort der Macht ist, da in ihnen die Macht eher eine Struktur ist, in der sich verortbare Macht eben verliert, eine Struktur, die sehr geschickt darin ist, Widerstand ins Leere laufen zu lassen, ja, sich sogar nutzbar zu machen. In Gesellschaften wie Russland oder, ganz zu schweigen, wie Syrien, sieht all das schon ganz anders aus. Die Brüder Arash und Arman Riahi haben in ihrem wunderschönen Film „Everyday Rebellion“ gezeigt, wie hier kleine, kreative Aktionen schon die Macht herausfordern können. Nur ein Beispiel: Regimegegner haben hunderte Tischtennisbälle mit dem Wort „Freiheit“ beschrieben, und die dann eine abschüssige Straße vor dem Regierungspalast runterhoppeln lassen, was die Geheimpolizisten, die jedem einzelnen Ball nachliefen, gehörig ins Schwitzen brachte. 
Doch hier wie auch in unseren Breiten sind subversive Strategien heute nichts mehr, was die Subversiven allein im Geheimen aushecken, sondern letzten Endes immer subversive Kommunikationsstrategien, Eingriffe in öffentliche Diskurse oder Nicht-Diskurse, oft Bild-Strategien, kleine Steinchen, die man ins Wasser wirft, von denen man hofft, sie mögen ihre Kreise ziehen – in Social Media etwa. Subversion, von der niemand erfährt, findet nicht statt. Das Subversivste ist ohnehin, Geheimes ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren – siehe die Enthüllungen von Edward Snowden oder davor die Wikileaks-Aufdeckungen. In diesen seltensten Fällen wird die Funktionstüchtigkeit der herrschenden Ordnung als solche tangiert, in den meisten Fällen ist aber allerhöchstens zu erwarten, dass die Zustimmung zu ihr erodiert, aber nicht notwendigerweise die Funktionsfähigkeit der Institutionen. 
Gleichzeitig gilt aber natürlich auch: Wenn „Dissidenz flüchtig ist“, wie das die Berliner Theoretikerin Katja Diefenbach formulierte, und wenn der heute formulierte Widerspruch morgen schon ein Geschäft sein kann, dann macht das den Widerspruch heute nicht notwendigerweise belanglos oder unnötig, sondern lässt eher Selbstreflexion und steige Selbstbefragung als empfehlenswert erscheinen. 
Ob aber der schwammige „Subversions“-Begriff überhaupt noch taugt? Und was die langfristigen, positiven Folgen davon sind? Über all das kann man mit recht diskutieren. 
Womöglich war „Subversion“ ohnehin immer ein etwas romantischer Begriff, getragen von der Vorstellung, es könnte eine Abkürzung zur Verbesserung der Welt geben: Man unterminiert die Ordnung mit ein paar geschickten Handgriffen, und schon zerbröselt sie von selbst – ganz ohne die Mühen der Ebene des Bündnisse-schmiedens in Opposition, ganz ohne des langweiligen Kampfes um gesellschaftliche Mehrheiten. Letzteres wurde als Sache fader Reformisten angesehen, während die Subversion als die Heldentat der Revolutionäre geadelt wurde. 
Was wenn die faden Reformisten die eigentlichen Helden sind? 

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