Unter Bayern

Dumme Gesetze, noch dümmer exekutiert: Wie die bayrische Polizei mit arglosen Leuten umgeht, die Flüchtlingen helfen.

taz, Oktober 2015

Eine seltsame unbekannte Nummer die da auf dem Handydisplay aufscheint. „Hallo, ich bin’s, Joachim*). Ich wollte mit Dir reden, weil es ist folgendes: Ich bin gerade zwei Tage in Bayern in Untersuchungshaft gesessen.“ – „Was bist Du????“, brülle ich ins Telefon. Jetzt ist auch klar, warum Joachim ein neues Handy hat. Sein Altes wurde, wie bei allen Verbrechern, von der Polizei einbehalten. Die Daten da drauf sind ja jetzt Beweismaterial. Wie die von dem USB-Stick, den er in der Jogginghose hatte. Joachim ist eines Verbrechens angeklagt: Der Schleuserei. Strafmaß bis zu fünf Jahren.

Joachim ist so ziemlich jene Person, die man sich am wenigsten als Verbrecher vorstellt. Joachim ist Senior Fellow an einem großen Wiener Think Tank, Fachgebiet zwischen Kulturwissenschaften, Politik, Kunstfeld, ansonsten macht er ganz gern chillig Partys und spielt mit viel Freude Fußball. Das heißt natürlich nicht, dass er faul und antriebslos wäre: Vor ein paar Wochen fuhr er spontan einen Tag nach Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze, um da mit anderen Helfern aus der Zivilgesellschaft die Flüchtlingsbetreuung in einem provisorischen Lager aufzubauen: Wasser, Zelte, Essen, Medikamente, all das, was der ungarische Staat vernachlässigte.

blogwertAm Wochenende vom 12./13. September hat Joachim auch Party gemacht. Und sich daher am Montag einmal ausruhen müssen. Als dann abends über Facebook die Frage die Runde machte, ob jemand Refugees vom Hauptbahnhof in Wien an die deutsche Grenze bringen könnte, dachte sich Joachim: Sinnvoller Ausklang für einen vertrödelten Tag. „Es sind fünf Leute, eine Frau und vier Männer, jung, Mittzwanziger allesamt, schätze ich“, schreibt Joachim in seinem Gedächtnisprotokoll. „Mit dabei auch eine kleine, süße Katze… Sie wollten sie nicht zurück lassen. Ich finde das schon mal super und sympathisch…“

Sie besprechen, dass er sie zur deutschen Grenze bringt. Damit ersparen sie sich eine zusätzliche mühselige Nacht des Wartens auf den nächsten jener Sonderzüge, die seit Tagen die Flüchtlinge von Wien nach Deutschland bringen. Er wird sie zur Grenze bringen, dort gehen sie dann zur deutschen Polizei und lassen sich registrieren. Joachim würde sie wohl auch fahren, wenn er den Eindruck hätte, das wäre illegal. Aber in diesem Moment erscheint ihm das nicht wie eine große klandestine Heroentat, er tut ja eigentlich das gleiche wie jeder Zugsführer der Staatsbahn. Das ist ja jetzt nicht mehr als Chauffieren. Viel unspektakulärer als die Fluchthilfe, die zur selben Zeit hunderte Österreicher und Österreicherinnen etwa in Ungarn leisten, die wissen, dass sie – zumindest dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend – eine Straftat begehen.

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Überall Staus, sagt der Verkehrsfunk. So wählt Joachim die Brücke bei Schärding, dort war er schon einmal. „Als wir etwa 200 Meter vor der Grenze sind“, erzählt er, „winkt uns ein Polizist mit einer roten Ampelleuchte zu. Ich werde langsamer, halte an… ‚Kennen sie diese Leute?“ fragt er und zeigt auf Joachims Passagiere. „Nicht besonders gut, es sind jedenfalls sehr nette Leute“, sagt Joachim.

Nach dem Hinweis, dass er sie von einem Wiener Bahnhof hierher gefahren hätte, sagt der Polizist – Joachim erscheint er „keineswegs unsympathisch“ -, dass das aber leider eine Straftat sei. Der Polizist insinuiert, dass ihm das selbst etwas peinlich wäre, sagt aber doch „ich muss sie daher jetzt über ihre Rechte aufklären“.

Von Protokoll ist die Rede, dass er die österreichische Botschaft anrufen könne, einen Anwalt verständigen, dass das eben so lästige Formalakte seien. Joachim beruhigt seine Fahrgäste, die man von ihm schon getrennt hat, ruft ihnen zu, keine Sorge, „dont worry“. Der Polizist sagt, er darf nicht mehr mit denen reden.

Plötzlich heißt es auch, er darf nicht mehr telefonieren. Dann: Handy abgeben. Autoschlüssel abgeben. Warten. „Nach 10 Minuten kommt ein Kleinbus mit zwei jungen Polizisten. Die Vernehmung könne man nicht hier machen, sagt der eine. Der andere packt mich unter dem rechten Oberarm und schubst mich an.“ Arme auf den Wagen, Beine breit, abtasten. „Mir werden Handschellen angelegt. Ich sage: Ist das jetzt echt notwendig? Einer: Wir wissen ja nicht, mit wem wir es zu tun haben.“ Er wird, genauso wie seine Passagiere, nach Passau chauffiert.

Joachim bekommt ein Band um das Handgelenk. Darauf die Nummer: 0387 /15. Rein in einen Container. Nackt ausziehen. „Ich sage: Wann werde ich einvernommen.“ Der Polizist sagt: „Die Kollegen kommen spätestens um Sieben.“ Ich sage: „Ich möchte jetzt telefonieren.“ Er sagt: „Das geht nicht.“

In einer Container-Zelle trifft Joachim zwei Leute, einer davon ein Innsbrucker. „Etwa dreißig, sehr gut aussehend, mit dunklem Teint und vielen schwarzen krausen Haaren. Er wohnt in Innsbruck, sagt er, ist nach Wien gefahren, arbeiten. Und heute Nacht zurück. Auf einer Tankstelle haben ihn zwei Leute gefragt, ob er sie nach Deutschland mitnimmt. Er ist dann an der Grenze festgenommen worden.“ Der andere sagt nur: „Scheiße, scheiße, scheiße.“

Ein anderer, der schon vorher in dem Container geschlafen hatte, wird wach. „Er ist Wiener, arbeitet in München. Er ist seit gestern 21 Uhr hier, wütend darüber, dass die Vernehmung noch nicht statt gefunden hat und überhaupt, dass er hier fest gehalten werde. Er hat eine Filiale in München und muss diese spätestens um 10 Uhr aufsperren.“ Er und seine beiden Freundinnen haben ihre Fahrgäste nach Rücksprache mit der österreichischen Polizei sogar 300 Meter vor der Grenze aussteigen lassen. Die Freundinnen sitzen jetzt im Frauencontainer.

Joachim wird nach Passau gebracht. In der Zelle trifft er einen Berliner und einen Mann aus Syrien, der ebenfalls schon lange in Berlin lebt. Sie waren nach Bayern gereist, um einen Freund unter den Flüchtlingen abzuholen. Sie haben bei der Polizei nach ihm gefragt, erzählen sie. „Jetzt wurden sie eingesperrt, sie wissen nicht warum.“

Die ganze Situation erinnert langsam ein wenig an Kafka. Dann wird Joachim zur Vernehmung geholt. Der Ermittler sagt, Joachim könne seine Aussage verweigern. Die Kollegen des Ermittlers verlassen kurz den Raum. „Ich solle aufpassen. Er selbst komme ja aus Saarbrücken, sagt der Ermittler. Aber hier ist Bayern. Er sei erst zwei Tage hier, ein Wahnsinn, was hier abgeht. Ich solle aufpassen und mir überlegen, was ich zu Protokoll gebe.“ Langsam fragt sich Joachim, in welchen Irrsinn er geraten ist: Ein Polizist aus dem Saarland, der ihn vor der bayrischen Polizei warnt.

Joachim will das jetzt doch nicht ohne Anwalt über die Bühne bringen. Zurück in eine Zelle. Hier trifft er zwei Schweden, die extra nach Bayern gekommen sind, um einen Freund unter den Flüchtlingen abzuholen und jetzt in einer Zelle sitzen wie vorher Joachims Knastbrüder aus Berlin.

Ein paar Stunden später, Termin beim Haftrichter. Jetzt ist auch Joachims Anwalt da, den seine Schwester mobilisiert hat, nachdem er bei der ersten Vernehmung einen Anruf tätigen durfte. „Die Lage ist viel dramatischer als sie offensichtlich denken… Wissen Sie, worauf die Staatsanwaltschaft plädiert: Auf zwei Jahre unbedingte Haft.“

Vor dem Haftrichter sagt Joachim, dass er aus humanitären Gründen gehandelt habe. „Der Haftrichter sagt, dass er sich in diesem Fall durchringen könne, die U-Haft auf eine Kaution von 5000 Euro auszusetzen.“

In der nächsten Gefängniszelle trifft Joachim einen schwarzen Taxifahrer aus Graz. Am Bahnhof sei er mit Flüchtlingen ins Gespräch gekommen, die fragten, ob er sie nach München fahren könne, erzählt der. Er habe dann seinen Dienstgeber angerufen, ob er das tun dürfe. Dann sei er los gefahren. Der Taxometer rennt wohl immer noch.

Nach 31 Stunden kommt Joachim auf Kaution frei. Er hat ein Strafverfahren am Hals. Die ÖBB bringt weiter in Sonderzügen Flüchtlinge über die deutsche Grenze. Österreichische Helfer fahren in ihren Autos in Ungarn herum und bringen Flüchtlinge nach Wien. Am Bahnhof in München helfen Flüchtlingshelfer den Ankömmlingen. In den bunten Magazinen erschienen Artikel über das goldene Münchener Herz. Die Sicherheitskräfte klagen über Überlastung. Man wundert sich darüber weniger, wenn man weiß, womit sie ihre Zeit so vertun. Die Zeitungen melden, in bayrischen Gefängnissen säßen über 700 „Schleuser“ – und da sind diejenigen, die wie Joachim nach wenigen Tagen gegen Kaution aus der U-Haft entlassen werden, noch nicht einmal eingerechnet.

*) Name von der Redaktion verändert.

Ein Gedanke zu „Unter Bayern“

  1. Österreich ist ein sicherer Drittstaat.

    Wie überaus freundlich von Österreichern, Asylbewerber über die Grenze nach Deutschland zu bringen.

    Mit solchen Leuten soll ich Mitleid haben, weil sie jetzt zurecht ein Strafverfahren am Hals haben? Gehts eigentlich noch?

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