Soll man den Neoliberalismus retten? Ein Abend mit Colin Crouch

Colin Crouch ist über die Jahre von einem regelmäßigen Gast im Bruno Kreisky Forum zu einem guten Freund geworden. Seit er vor zehn Jahren hier sein Buch „Postdemokratie“ vorstellte, schaute er alle zwei Jahre mal wieder vorbei. Gestern hatte ich ihn wieder einmal in meiner Reihe zu Gast, diesmal mit seinem neuen Büchlein „Ist der Neoliberalismus noch zu retten?“

Auf dem ersten Blick ein seltsamer Titel: Soll er denn gerettet werden? Wer ist hier der Sprecher, der eine Rettung des Neoliberalismus als irgendetwas Erstrebenswertes definiert? Aber damit fangen die Unklarheiten erst an, die Crouch nach und nach erst entwirrt. Zunächst besteht ja das Problem, dass sich heute kaum mehr jemand als „neoliberal“ definieren würde, und schon gar nicht im gängigen Sinn des Wortes. „Neoliberalismus“ kommt gewissermaßen nur als Schimpfwort vor, gebraucht von seinen Gegnern. Dennoch gibt es, so Crouch, ein paar Grundüberzeugungen, Dogmen und zentrale Glaubenssätze des Neoliberalismus.

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Dass „Staatsausgaben einschließlich der Aufwendungen für Soziales auf ein Minimum“ reduziert werden sollen, „und dass gewinnorientierte Privatunternehmen öffentliche Dienstleistungen effizienter anbieten können als Behörden“. Kurzum: „dass möglichst viele Bereiche unseres Lebens dem ökonomischen Ideal des freien Marktes unterworfen werden sollen.“ Eine Obsession mit Messbarkeit, mit Kennziffern. Für Neoliberale ist der Staat eine „extrem inkompetente Institution“, sie treten „für eine extreme Form des Kapitalismus sein“.

Hier ist Colin Crouch Input zum Nachhören:

Zugleich ist er, jedenfalls in der wirklichen Welt, eine intellektuell extrem inkonsistente Theorie. Sein Dogma lautet, dass Wettbewerbsmärkte beste Ergebnisse erzielen werden, dass der Beste sich durchsetzen werde – aber wenn der Beste sich einmal durchgesetzt hat, dann gibt es ja keinen Wettbewerb mehr. Dann dominieren ein paar große Konzerne in jeder Branche. Weil der Markt der beste Feedbackgeber ist, sind kurzfristige Marktsignale die wichtigsten Informationen über die Marktperformance – etwa auf Finanzmärkten -, woraus ein Shareholder-Value-Ideal abgeleitet wird. Aber dieses wieder etabliert einen absoluten „Short-Termism“: nicht die langfristige Strategie eines Unternehmens wird belohnt, sondern die Vierteljahresbilanz. Der Neoliberalismus postuliert einerseits, dass sich die Politik aus der Wirtschaft heraus halten soll, aber neoliberal gesinnte Wirtschaftseliten halten sich gar nicht aus der Politik heraus: sie wollen eine ihnen günstige Politik durchsetzen. Diese Paradoxie etabliert dann den nächsten Teufelskreis. Der Neoliberalismus hat als Dogma, dass Ungleichheit kein großes Problem ist. „Durch die zunehmende Ungleichheit gewinnen vermögende Kapitalisten an Macht, die sie wiederum so einzusetzen wissen, dass die Ungleichheit noch weiter wächst.“

Aber es ist diese intellektuelle Inkonsistenz, die das neoliberale System so anpassungs- und überlebensfähig gemacht hat. Es kann auf die unterschiedlichsten Lagen reagieren. Es gibt die „marktfreundlichen Neoliberalen“ und die „konzernfreundlichen Neoliberalen“. Erstere singen ihr Loblied auf die freien Wettbewerbsmärkte, letztere sind zufrieden, wenn Privatunternehmen die Wirtschaft dominieren (wenn diese Konzerne den Wettbewerb ausschalten, ist es nicht so schlimm). Marktfreundliche Neoliberale sind eher doktrinär, konzernfreundliche eher pragmatisch.

„Es ist bei denen wie in einer Familie, da ist man auch oft im Disput“, lacht Colin Crouch. Und der Titel des Buches nun? Man solle das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Neoliberalismus hat auch seine guten Seiten, seine Staatskritik, auch die Wertschätzung von Märkten, dort wo sie funktionieren. Dazu: Internationalismus, offene Grenzen, Freihandel, Migration. Womöglich auch ist der heutige individualistische Lifestyle sowohl Motor als auch Folge des Neoliberalismus.

Das große Aber: Weder auf die ökologische Krise noch auf die Instabilitäten des Kapitalismus kann der Neoliberalismus eine Antwort geben, außerdem provoziert er Gegenreaktionen wie Xenophobie und Nationalismus, und er schaufelt auch sein eigenes Grab: Ungleichheit reduziert Massenkonsum und damit auch das Wirtschaftswachstum.

Die pragmatischen Neoliberalen könnten all das einsehen, also etwa die „Konzernneoliberalen“. Womöglich, so Crouch mit einer Prise Ironie, könnten die ja Allierte der Linken werden. Aber auch da gibt es ein Problem: die Konzernneoliberalen sind ruppige Manager und Firmenchefs, also unsympathische, aber vernünftige Leute. Die Marktneoliberalen sind sympathischer, aber weltfremde Ideologen.

Noch so ein Dilemma zum Abschluss.

Ein Gedanke zu „Soll man den Neoliberalismus retten? Ein Abend mit Colin Crouch“

  1. Vielen Dank. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann hätte ich gerne eine macht- und herrschaftskritische Analyse des Phänomens.
    „Aber es ist diese intellektuelle Inkonsistenz, die das neoliberale System so anpassungs- und überlebensfähig gemacht hat.“
    Frage: Wenn ich als Bürger*in gestaltend in der Welt Einfluß nehme durch politisches Handeln, dann macht ein schwacher Staat mich schwach? Böse gesagt, Macht kann inkonsistent sein, denn es hat keine Folgen für die Macht. Eher für uns Ohnmächtige. (ZwinkerSmiley, Inkonsitstenz kann eine Frage der Perspektive sein.)

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