Jenseits von Ibiza

Österreichs Rechtskoalition hat sich selbst zerstört. Die bisherige Opposition hatte bisher gegen die Politik der Niedertracht kein Mittel gefunden. Aber jetzt haben SPÖ, Grüne & Co. plötzlich eine Chance – auch gegen Sebastian Kurz.

Die Zeit, 22. Mai 2019

Wenn man es halb hochtrabend, halb ironisch formulieren will: Nicht der Antifaschismus hat den Faschismus besiegt, der Faschismus hat sich mal wieder selbst besiegt. Oder, mit weniger Augenzwinkern: die Rechts-Ultrarechtskoalition in Wien hat sich selbst in die Luft gesprengt, aber nicht, weil ihre gesellschaftliche Hegemonie auf irgendeine Weise unter Druck geraten ist. Im Gegenteil: Sie regierte intern stabil bis zu der fatalen Kettenreaktion, die die Veröffentlichung der Ibiza-Tapes in Gang setzte, hatte hohe Zustimmungsraten und mit Sebastian Kurz eine Frontfigur, die hohe Popularität hat. Aber wichtiger noch: das populistische Dauerfeuer und die xenophoben Kampagnen in Permanenz haben ihre Thematiken dominant gemacht. Und daran hat sich nicht grundsätzlich etwas geändert, nur weil diese Regierung nun in einem Skandalstrudel untergeht.

Bloß: Warum ist Österreichs Linke so schwach, warum konnte sie dem bisher nicht viel entgegensetzen – und könnte sich das jetzt ändern?

Grundsätzlich hat das keine anderen Gründe als in vielen Ländern: die klassischen Linksparteien haben an Glaubwürdigkeit verloren, sie haben sich von ihrem Kernklientel entfremdet, es gibt zugleich ein zunehmende Wut derer, die sich nicht mehr wahrgenommen fühlen, aber auch eine innerliche, politische und personelle Sklerotisierung der traditionellen demokratischen Linksparteien. Das betrifft natürlich vor allem die Sozialdemokraten, wie beinahe überall von Deutschland, Frankreich bis Italien.

An speziellen Gründen kommt hinzu: Sebastian Kurz hat sich zunächst als frisches Gesicht, als Person der Erneuerung inszeniert, und dann auch noch der FPÖ ihre Programmatik gestohlen. Aber indem er ihr ihre Thematik gestohlen hat, hat er ihre Ideologie dominant gemacht, und indem er sie in die Regierung holte und sogar in einen Überbietungswettbewerb geriet, wer nun der schlimmere, fiesere populistische Finger ist, trug er zu einer zunehmenden Radikalisierung der politischen Diskurse bei. Das Migrationsthema wurde zum allein bestimmenden Thema.

Nicht vergessen werden soll freilich auch: die Wende zum Autoritären, das Ziel der Koalitionäre, Österreich zu einer Art Orban-Country zu machen, hat bis vergangenem Freitag auch zur Verbreitung eines Klimas der Angst beigetragen, das abweichende Stimmen leiser werden, wenn nicht sogar verstummen ließ.

Demgegenüber war die Mitte-Links-Opposition in einem arg zerzausten Zustand. Gegen dieses populistische Dauerfeuer fand sie wenig Gegenstrategien, zumal auch die Sozialdemokratie in der Migrationsfrage immer wieder gespalten ist, zwischen jenen, die eher eine weltoffene, menschenrechtlich orientierte Haltung bevorzugen und jenen, die den ausländerfeindlichen Grundstimmungen ein wenig nachgeben wollen. Hinzu kommt: nach personellen Turbulenzen auf Bundesebene und auch in wichtigen Landesorganisationen hat die Partei erst langsam wieder zu Handlungsfähigkeit zurück gefunden. Die neue Parteivorsitzende und Oppositionsführerin Pamela Randi-Wagner ist erst seit ein paar Monaten im Amt und wirkt auf die meisten Menschen im Augenblick noch nicht wie selbstverständlich als die „nächste Kanzlerin im Wartestand“. Wenn man in Österreich an einen Kanzler denkt, dann fast automatisch an Sebastian Kurz.

Die Grünen wiederum hatten sich vor den letzten Wahlen sowieso in einem internen Chaos zerlegt und sind aus dem Nationalrat geflogen, seitdem gibt es links von den Sozialdemokraten nur mehr eine Mini-Fraktion der „Liste Jetzt“, einem Grünen-Spaltprodukt, das vom Landzeitparlamentarier Peter Pilz ins Leben gerufen wurde.

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Das ist die Ausgangsposition zu Beginn eines Wahlkampfes, der nun knapp vier Monate dauern wird und die Oppositionsparteien überrascht hat – denn auf eine solche Kernschmelze der Regierung hätte bisher niemand gewettet. Wird also die rechte Hegemonie aufrecht bleiben und Sebastian Kurz einfach die Wähler der FPÖ gewinnen und dann – mit einem anderen Partner – als Kanzler weiter regieren? Bleibt der Opposition, die am falschen Fuß erwischt wurde, kaum mehr übrig, als dabei zuzusehen? Das freilich ist auch keineswegs fix.

Gewiss, grundlegende, langfristige Trends wird man nicht in vier Monaten umkehren können, das betrifft die rechte Hegemonie in wichtigen gesellschaftlichen Grundfragen, genauso wie das Glaubwürdigkeitsdefizit von lahm gewordenen Linksparteien.

Klar auch, die Sozialdemokratie ist, wie sie ist: Einerseits die mit Abstand stärkste Oppositionspartei mit immerhin rund 27 Prozent Wählerzuspruch in den Umfragen (etwas, wovon die deutsche SPD ja beispielsweise nur träumen kann), zuletzt aber auch ohne großes Selbstbewußtsein, bestimmt von einer Apparatschikkultur und von politischer Routine, also zum Hang zum Taktieren statt zu klaren, überzeugenden Ansagen und Bildern, die begeistern können. In den letzten Monaten hat sie sich, was naheliegend war, auch primär als Gegnerin der Regierung definiert, das heißt, sie „steht“ eher gegen etwas, als dass sie „für etwas steht“. Die Grünen, die jetzt wieder in Umfragen im Aufwind sind, haben gleich auch noch ein zusätzliches Problem: Ihr Parteichef ist gerade Spitzenkandidat für die Europawahlen und fällt damit als Spitzenkandidat für die Nationalratswahlen aus. Man weiß also nicht einmal, mit wem die Grünen in den Nationalratswahlkampf ziehen können.

Und dennoch gibt es durchaus die Möglichkeit, dass die Mitte-Links-Parteien im Herbst deutlich besser abschneiden könnten, als das die üblichen „Talking-Heads“ aus den Fernsehdiskussionssendungen glauben.

Die FPÖ hat sich als Regierungspartei, wenn nicht ein großes Wunder geschieht, völlig erledigt. Die Kurz-Strache-Regierung ist nicht nur gescheitert, sie ist in einem epochalen Chaos unter gegangen. Die Trümmer, die jetzt umher fliegen, können ganz schnell auch den Kanzler beschädigen, der bisher den strahlenden Sonnyboy gegeben hat. Er hat ja nicht nur diese Spießgesellen in die Regierungsämter gehievt und ihnen sogar das Innenministerium ausgeliefert, er hat auch das Klima durch seine eigenen Perfidien, durch Dirty-Campaigning und den tiefen Griff in die populistische Trickkiste derart vergiftet, dass sich eigentlich die Frage stellt, mit wem er noch regieren könnte – selbst wenn er einen Wahlsieg einfährt. Die Brücken zur FPÖ sind abgebrannt, die Gesprächsfäden zur bisherigen Opposition hat er über Jahre zerstört. Er steht vor den Trümmern seiner Fehleinschätzungen. Er hat sich als Machtgambler und Pokerspieler gezeigt, dem sein Kartenhaus zusammen gebrochen ist. Er steht jetzt ohne Mehrheit da und kann im Grunde jederzeit durch einen Misstrauensantrag aus dem Kanzleramt gefegt werden.

Möglich, dass Letzteres sogar schon kommende Woche geschieht. Aber selbst wenn er im Amt bleibt, steht er jetzt als Machtpolitiker da, der für seinen erstrebten Totalumbau des Landes Österreich an eine rechtsextreme Folottenpartie ausgeliefert hat. Es ist eine seltsame Bildverschiebung im Gange. Kurz verdankt seinem Aufstieg dem Image, jung, Figur der Erneuerung zu sein, derjenige, der mit der „alten Politik“ gebrochen hat. Aber mit einem Mal ist er der eigentliche Repräsentant dieses Alten, der Politik des Hinterzimmergemauschles, der Prinzipien- und Grundsatzlosigkeit, der Kuhhändel, bei denen es nur um Macht, Einfluss und Geld geht und vor allem darum, ein Amt zu erlangen und es auch zu behalten.

Genau das öffnet aber auch Chancen für die Sozialdemokraten, Grüne und die rechtsliberalen Neos. Dass die sozialdemokratische Anführerin Pamela Rendi-Wagner jung, sympathisch, normal und ein bisschen unerfahren ist, könnte plötzlich zu ihrem Vorteil ausschlagen. Wenn die FPÖ im Skandalstrudel unter geht, tritt das Migrationsthema in den Hintergrund und Thematiken wie „saubere Hände“ und „Anstand in die Politik“ treten in den Vordergrund – optimal für eine Person, die der Partei, der sie vorsteht, erst vor zwei Jahren beigetreten ist. Zugleich wird Kurz es schwer genug haben, sein Minderheitenkabinett – sofern er die nächste Woche politisch übersteht – über die nächsten Monate zu bringen. Er wird alle Hände voll zu tun haben, und es werden noch genug Granaten neben ihm einschlagen – schließlich wird jetzt das System FPÖ aufgerollt, und damit auch das Gebaren dieser „Ibiza-Koalition“, die jetzt zu Ende gegangen ist.

In vier Monaten kann viel passieren. Und für eine Mitte-Links-Mehrheit braucht es schließlich nicht viel mehr, als dass die Sozialdemokraten bei den Wahlen 31 Prozent erhalten, und die Grünen und die liberalkonservativen Neos jeweils knapp zehn Prozent. Gar so ausgeschlossen ist das nicht. Noch halten das manche im Land für eine unrealistische Phantasie. Aber erinnern wir uns: Noch vergangenen Freitag, 17.59 Uhr, war es eine viel unrealistischere Phantasie, dass die Kurz-Strache-Regierung innerhalb von nicht mehr als 26 Stunden krachend kollabieren könnte.

Wie Sebastian Kurz diesen Wahlkampf gestalten wird wollen, ist klar. Seine Botschaft: „Ich oder das Chaos.“ Der junge Zauberlehrling, der jetzt innerhalb von knapp 24 Monaten zwei Regierungen gesprengt hat (im jüngsten Falle: sprengen musste), läuft freilich Gefahr, dass sich die Meinung durchsetzen könnte: Er ist das Chaos.

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