Die Funktion des panierten Schweins im Klassenkampf: Es ist der kleine Luxus der einfachen Leute. Und wird gerade zum exemplarischen Essen „der Normalen“ aufgebaut. Versehen mit der Aufreger-Botschaft: Lasst Euch das nicht von elitären Weltverbesserern weg nehmen. Eine Skurrilität, aber eine Interessante.
Als die SPÖ seinerzeit den Bundesgeschäftsführer Max Lercher durch Thomas Drozda ersetzte, maulte eine steirische Landtagsabgeordnete, „Thomas du bist ein Bobo“, und dass der Fremdsprachen kann und Shakespeare-Stücke kennt und, das war gewissermaßen der Subtext, dass ihn das von den normalen Leuten trennt. Schon wieder so ein Abgehobener, war gewissermaßen die Botschaft. Wir könnten das den belanglosen innerparteilichen Böswilligkeiten zurechnen, aber es gibt natürlich etwas, was an dieser Debatte interessant ist, und sie ist, wenn wir vom kleinlichen austriakischen Anlass mal absehen, ja in Wirklichkeit eine internationale Debatte. Wir haben sie in Österreich genauso wie in Deutschland, wir haben sie in Frankreich so wie in den USA.
Sie wabert durch die intellektuellen Magazine zwischen Hudson und Spree, sie beschäftigt die amerikanischen Demokraten genauso wie Labour, die Grünen oder die deutschen Sozialdemokraten. Und Didier Eribon hat darüber ein ganzes Buch geschrieben, das jeder auf seine Weise interpretiert, aber das auch irgendwie genau davon handelt.
Wie gewinnt man die „einfachen Leute“ wieder? Sind die verschiedenen Spielarten der Linken nicht selbst schuld, dass sie sich von diesen entfremdet haben. Die Sozialdemokraten, weil sie Mittelschicht und Etabliertenparteien geworden sind. Gilt für die US-Demokraten genauso. Die unabhängigen Linken, die Grünen, weil sie sich so viel um Antirassismus, Antidiskriminierung, um irgendwelche Rechte irgendwelcher Minderheiten scheren (Stichwort: Identitätspolitik), aber nicht um die Sorgen der normalen Leute. Der Einheimischen, der Arbeiter, der Familien, die nicht schwul, schwarz oder Immigranten sind. Nicht um die normalen Probleme von normalen Leuten. Sie haben sich vom Lebensstil der unteren Klassen entfremdet, aber auch von den Inhalten, ihren Forderungen, der gesamten Politik her, lautet der Vorwurf. Das was für die wichtig ist, Jobs, Arbeitsplatzsicherheit, billige Wohnungen, Aufstiegschancen, da haben sie doch nichts anzubieten als Sonntagsreden. Und die sind nicht glaubwürdig. Die Sonntagsreden sind nicht glaubwürdig, die Protagonisten sind nicht glaubwürdig. Ja, im Extremfall lautet der Vorwurf sogar: Diese urbanen progressiven Mittelschichten würden die kulturell nicht so avanvierten Unterschichten sogar verachten.
Der Klassiker gewissermaßen: Deswegen hat Clinton gegen Trump verloren. So zirka der Vorwurf. Und die Forderung: Man muss sich wieder der Arbeiterklasse zuwenden, den Arbeitern.
Selbst bei so bizarren Themen wie beim „Schnitzel“ spielt all das hinein – gewiss eine Sommerlochdebatte, dass wir uns in Österreich das Schnitzel nicht nehmen lassen, weder von Muslimen noch von Vegetariern und auch nicht von Klimaschützern. Und während sich FPÖ und ÖVP schon als Schnitzelparteien positionierten („Verteidiger unseres abendländischen Lebensstils“), wollte die SPÖ nicht abseits stehen und das ganze noch als verteilungspolitisches Thema neu beleuchten: das Schnitzel darf kein Luxus werden. Aber beide, die identitätspolitische als auch die verteilungspolitische, sind pervertierte Formen eines Oben-Unten-Diskurses. Die verteilungspolitische Botschaft: das Geld muss reichen für’s tägliche Schnitzel (oder zumindest zwei bis drei Mal die Woche). Die identitätspolitische Botschaft: die „einfachen Leute“, die „Normalen“, lassen sich ihre Alltagskultur nicht von liberalen Eliten vorschreiben. Und die linken Schnitzelideologen sagen dann: zurück zum Schnitzel heißt zurück zum Proletariat. Und wenn sie ganz proletkultig drauf sind, essen sie ab jetzt drei mal täglich Schnitzel. Es ist absurd. Aber es steckt auch ein weniger absurder Kern in all dem.
Denn dass man auch gelegentlich, vielleicht sogar jede Woche Fleisch am Tisch hat, das war früher für die einfachen Leute ein Zeichen dafür, dass man auch etwas abbekommt vom Reichtum – ja, Zeichen von Fortschritt, dass es jedes Jahr besser wird. Insofern ist das Schnitzel ja tatsächlich auch ein Teil der realen Arbeiterklassenkultur geworden. Das wird man sich nicht gerne nehmen lassen, schon gar nicht von Tofu-Essern, die sich als etwas Besseres vorkommen. Und das Geld ist ohnehin knapp. Also, es so verteuern, dass sich nur mehr Reiche Fleisch kaufen können – das hieße also, Retour ins 19. Jahrhundert. Danke schön, will niemand.
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Was man natürlich auch dazu sagen könnte: Schnitzel wird sowieso zum Luxus, wenn schon die Miete fünfzig Prozent des Haushaltseinkommens verschlingt. Aber mit diese Frage beschäftigen sich FPÖ und ÖVP nicht so gerne, denn von den Immobilienmafiosis bekommen sie ja einen erheblichen Teil ihrer Parteispenden.
Das Schnitzel wird zum Luxus, wenn schon die Miete fünfzig Prozent des Haushaltseinkommens verschlingt. Vielleicht sollten sich unsere Abendlandverteidiger einmal dieser Frage zuwenden, statt dauernd populistischen Müll rausposaunen.
Zurück zum Proletariat also? Das ist natürlich alles so irgendwie richtig, man kann dagegen auch genug einwenden, aber genug ist auf jeden Fall bedenkenswert. Es ist wie immer grob und holzschnitzartig, aber natürlich nicht gänzlich falsch. Und Klassenfragen werden als Lebensstilfragen verhandelt, statt als Kämpfe um Mindestlöhne und Sozialleistungen. Die selben, die den einfachen Leuten die Notstandshilfe nehmen wollten, verteidigen jetzt deren Recht auf Schnitzel.
Aber zurück. Bei all dem kursiert dann zugleich, so implizit, manchmal ein wenig ausgesprochen, oft überhaupt nicht ausgesprochen, so eine Karikatur vom Proletariat. Es gibt da fast einen neuen Proletkult. Nun muss man hier eine Einschränkung machen: Die einen sagen Wendung hin zur Arbeiterklasse, andere wieder zum „kleinen Mann“, wieder andere reden von den „einfachen Leuten“, oder den „normalen Leuten“, oder manchmal wird einfach von den Abgehängten gesprochen. Bei uns jedenfalls. In den USA ist das etwas anders, weil da der Begriff „Working Class“ signifikant breiter ist als bei uns der Begriff „Arbeiterklasse“. Bei uns ist Arbeiterklasse der Industriearbeiter, der Bauarbeiter, der Arbeiter beim Installateur.
In den USA meint man dann eher die gesamte Work Force, vom Blue Collar Worker in der Industrie, bis zur kleinen Angestellten, von der Krankenschwester im Spital bis zur Lehrerin und sogar den prekär Beschäftigten, die nur paar Stunden in der Woche bezahlt arbeiten. Also so vom Sprachgebrauch her. In den USA gehört das zur Working Class, bei uns ja eher nicht. In den USA denkt man, wenn man von Working Class spricht, eher an 60 Prozent der Leute, bei uns eher an 20 Prozent wenn man Arbeiterklasse sagt.
Aber auch in den USA benützt man Begriffe, die dann das ganze noch weiter fassen, etwa, „the regular Guys“. Also, alle die so irgendwie normal sind, sich nicht als was Besseres vorkommen, und die auch einen normalen Lebensstil haben, nicht den „oh Kunst“, „oh Kreativität“, „oh irgendwas“ Lebensstil von Innenstädtern. Die, die Bier trinken, nicht Latte Macchiatto.
Was ich daran etwas fragwürdig finde, ist, dass damit schnell so eine Karikatur jener Leute einher geht, um die es da angeblich geht. Wie stellt sich denn der, der die Rückkehr, die Wende hin zum imaginären Arbeiter anmahnt, diese Leute vor? Dass die nur im breiten Dialekt reden, und das überhaupt nicht leiden können, wenn jemand hochdeutsch daher redet. Dass da noch die alte Machokultur herrscht, Mann Stahlarbeiter, Frau in der Küche. Ein Männlichkeitskult auch. Dass die alle im Gemeindebau wohnen und Trainingsanzüge anhaben. Dass man die „abholen“ muss, ein Wort, das ich hasse übrigens, und am besten von der Wohnzimmercouch, wo die, Bier in der rechten, Chippackung in der linken Hand, im Trashfernsehen Trottelsendungen schauen.
Dass die nichts lesen, sich nicht bilden, eine instinktive Abneigung gegen Akademiker und sonstige Gscheiterln haben und daher vollgestopft mit Vorurteilen seien, aber doch dann gleichzeitig das Herz am rechten Fleck haben.
Und wenn man sich diese Proletarierkarikatur ansieht, die diejenigen im Kopf haben, die die Wende zu den „einfachen Leuten“ fordern, dann dämmert einem: dass die, die die einfachen Leute so schildern, diese einfachen Leute eigentlich ziemlich verachten müssen. Also vielleicht sind es ja gar nicht die Bobos, die die Arbeiter verachten, sondern die, die die Rückkehr zu den Arbeitern predigen.
Ich mein, ich komm ja aus diesem Milieu, ich bin in ihm aufgewachsen, Opa Chemiearbeiter, Vater Techniker in der Industrie, schon den Aufstieg ins Angestelltenmilieu gemacht, aber dieses Arbeitermilieu, diese Milieus unterer Mittelschichten waren ja noch intakt. Und ich hab ja, privat wie beruflich, heute noch viel Kontakt mit diesen Milieus, aber auch vielen anderen zu tun und ich muss sagen, dass diese Karikatur doch der Realität überhaupt nicht gerecht wird.
Früher war das so: Klar hat man in diesen sozialen Gruppen die Gscheiterln, die überdrehten Künstler, also mit denen hat man nichts anfangen können, aber zugleich hat man den Doktor Kreisky verehrt, aber nicht nur den, ein ganz großer Held war da der Androsch, einer, der es aus den proletarischen Kreisen nach oben geschafft hat, das Studium und Finanzminister und „ein gscheiter Bursch“ hat man gesagt.
Und jetzt ist das lange her, weiß ich schon, aber so sehr haben sich die Leute auch wieder nicht verändert. Vor allem: „die Leute“ gibts ja nicht. Die Menschen sind unterschiedlich. Klar, sie sind auch das Produkt ihrer Umgebung und damit das Produkt der in ihrer Umgebung herrschenden Kultur. Und gerade deshalb ticken die Arbeiter in der Großfabrik, die am Band stehen in der hochtechnisierten Automobilindustrie, anders als der Bote beim Lieferservice, die Friseuse am Dorf anders als die Bürofachkraft in der Stadt. Und alle sind unterschiedlich.
Die einen wohnen im Gemeindebau, die andern im Genossenschaftsbau, wieder andere im Eigenheim am Rand kleiner Städte. Manche gehen gern zum Wirten, andere Grillen mit der Familie oder Kollegen, wieder andere machen gern Ausflüge mit den Kindern, oder bauen am Wochenende das Haus. Wieder andere lesen gern oder lieben es am Wirtshaustisch zu politisieren. Die jüngeren haben nur Disko im Kopf, oder manche nur ihr Auto. Wieder andere, für die ist der Urlaub wichtig oder auch die Kultur – zwei Mal im Jahr ins Burgtheater, das ist ein Ereignis.
Stehen im Gemeindebau und keppeln, oder garteln auf der nächst gelegenen Urban Gardening Fläche, manche reden besonders kluges Zeug, andere wieder vertrottelten Scheiß, und der Stahlarbeiter ist vielleicht ein Feminist, weil gleiche Chancen im Job und im Leben sollen die Frauen schon haben, schließlich hat der Arbeiter vielleicht nur ein Kind und das ist ein Mädchen. Na ganz schnell ist der dann Feminist. Hunderte verschiedene Charaktertypen, dutzende verschiedene soziale Kulturen. Ganz anders als die Karikatur von den „einfachen Leuten“, die gezeichnet wird. Einen Stolz haben sie, und wehe dem, der diesen Stolz verletzt.
Wenn die Leute irgendwas verbindet dann, dass sie eines nicht ausstehen können, wenn man sie von oben herab behandelt. Aber das hat wenig mit Bobo oder nicht Bobo, mit Akademiker oder nicht zu tun. Wenn einer kommt und Akademiker ist und glaubwürdig ist als einer, der sich für sie einsetzt, aber mehr noch, viel wichtiger noch glaubwürdig ist, dass er ihnen zuhört, sie ernst nimmt, Respekt für die Arbeit hat, die sie machen, und für das Leben, das sie führen, dann vertrauen sie dem; während sie jemanden, der sich ranschmeißt, der so redet, wie er sich einbildet, dass man als Prolet reden muss, der eine Show abzieht so pepponemäßig, und selbst gar nichts vorzuweisen hat, der kann‘s erst richtig schwer haben bei diesen Leuten, weil bei dem sagen sie dann, Apparatschik, Bonze, alles was er geworden ist, ist er nur durch die Politik. Führt ein gutes Leben auf unsere Kosten.
Wenn man sich interessiert für die Leut dann kommt man drauf, das Volk gibt‘s nicht, weil die alle anders sind, jede und jeder ein eigener Mensch. Ja, sogar eine Philosophie hat jeder, im Sinne von: einer Art, wie sie die Welt sehen, das Leben sehen, was für sie das richtige Leben ausmacht. Wie die Menschen sind, und warum die Dinge so sind, wie sie sind. Manchmal vielleicht auch nur, um die Welt zu ertragen, um die Dinge, so wie sie sind, nehmen zu können. So von der Art: Es ist wie es ist. Das Leben ist nicht nur Arbeit. Aber dass sie sich ohne Arbeit nutzlos vorkämen. Das Leben ist ein Kampf. Was zählt, dass man zusammen hält. Was zählt ist, dass man kein Arschloch ist. Und das bisschen Glück im Leben. Das sind nur Bruchstücke der spontanen Lebensphilosophien, die die Leute haben. Zum Teil kommt diese Philosophie aus ihnen heraus, zum Teil ist sie die Moral ihrer Milieus. Der Gruppen, in denen sie leben.
Also hören wir auf mit den Karikaturen. Da kriegt man ein ganz falsches Bild von der Wirklichkeit. Und jene, die uns dauernd erklären wollen, wie das Volk eigentlich ist, die sind nicht selten seine größten Verächter.
Großartig!! Danke!!!
Bitte allen Sozialisten ins Parteibuch schreiben: Alfred Pfeifer, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Joseph Goldinger, Garnison
spitze artikel!! danke!
Danke. Wie immer, also fast immer, auf den Punkt gebracht, der halt kein einfärbiger, sondern vielschichtig schattiert ist. Es gibt immer 2 Seiten (mindestens), aber nur eine, auf der man/frau steht. und wenn man/frau sich des mal behirnt und no besser beherzt, und den Gesprächs/StreitpartnerInnen mit Respekt und Offenheit, in jeder Hinsicht, also auch mit Widerspruch und Selbstverständnis der eigenen Position, trifft, is eh schon viel gelungen.
Ich finde deine Ansicht sehr gut. Es ist für mich unverständlich, wie man auf die Arbeiter runterschauen kann, denn ohne Arbeiter gäbe es keine Wirtschaft. Wer würde die Arbeit machen, die die Oberen einteilen.
Das ist das Eine, das Andere ist, dass jeder Mensch etwas Besonderes hat.
Menschlichkeit, Hausverstand, Gemeinschaftssinn etc das sehe ich eher (nicht nur) in der Arbeitergesellschaft. Ich glaube, dass man endlich aufhören muss mit der Diskriminierung der Arbeiter.
Für mich passen auch diese Reden wie z.B. :“ ich war ein Arbeiterkind und habe es soweit gebracht, dass ich heute hier stehe…“ nicht, denn diese implizieren ja, dass ich als „normaler“ Arbeitet zu dumm oder zu faul war, dass ich es „hinauf“ geschafft hätte.
Aber man muss auch bedenken, dass sich für ein Ehrenamt eher ein Mensch aus der Arbeiterklasse, als einer aus der sogenannten „gehoberen Schicht“ hergibt. Der Arbeiter hatte einmal einen guten Ruf und den gilt es wieder herzustellen und das ist Aufgabe unserer Partei, der SPÖ
Das ist ein „Toller Artikel“, und auf dem Punkt gebracht.
Sehr lesenswert! Ich bin schon ganz gespannt auf deine Karrikatur der bürgerlichen oder progressiven Mittelschicht, oder der neofeudalen Oberschicht.
Ja im Grunde genommen richtig. Aber für mich zu radikal und prophetisch. Die Länge dieses Artikels und die komplexen Ausdrücke und Phrasen sind, für diejenigen die es angeht zu schwierig und weit entfernt vom Realismus.
Sehr schön. Aber wie kommt es, dass doch immer wieder Politiker Erfolg haben, die sich ‚volksnah‘ geben, sprachlich, charakterlich, die sich offen anbiedern, aber genau diese Dinge nicht tun: Zuhören, auf Probleme eingehen? Eben jene Populisten, die zwar ihren Reichtum nicht kleinreden, die aber genau diese Karikatur des ‚Büezer‘ nachäffen? Wie steht die Glaubwürdigkeit eines Trumps oder Blochers im Verhältnis zu deren Beliebtheit? Wird in dieser ebenso glorifizierenden, wie auch selbstmitleidigen Karikatur eines ‚Arbeitertums‘ nicht auch ein Bild geschaffen, mit dem sich viele identifizeren wollen?