Gefährlich wird es, wenn das bürgerliche Zentrum Richtung extremer Rechter kippt. Der erste, dilettantische Versuch wurde zum Rohrkrepierer. Deshalb ist das ein Festtag für die pluralistische Demokratie.
taz, 8. Februar 2020
Es ist ein bisschen gespenstisch, aber auch ein bisschen skurril: da schauen Millionen Serien-Afficionados gerade die neuen Staffeln von „Babylon Berlin“, die die Zuseher an die Wende der Zwanziger- zu den Dreißigerjahren zurückversetzen. Nationalkonservative Pseudo-Eliten bedienen sich der Nazi-Partei und ihrer Straßenbanden im Kampf gegen Sozialisten und Kommunisten. Mögen sie sich konservativ, nationalliberal oder monarchistisch nennen: im Zweifel opfern sie die pluralistische Demokratie, um sich der verhassten Sozis und der Republik zu entledigen. Derweil, nicht im Fernsehen und nicht in der History-Soap, sondern ganz in Echtzeit im Landtag in Erfurt: es entfaltet sich ein Drama, dessen psychopolitische Hintergründe nicht sehr viel anders sind.
Doch der „Tabubruch“ von Thüringen brauchte keine 24 Stunden, um von der Farce zum Fiasko für die zu werden, die ihn sich ausgedacht haben. Ist das nun ein Skandal und eine Schande? Oder vielleicht doch eher ein Grund zum feiern?
Beides natürlich, wenngleich mit Schlagseite zu letzterem. Einerseits haben erstmals Parteien des sogenannten bürgerlichen Zentrums, die sich selbst so gerne als „Mitte“ sehen, einen zynischen Pakt mit dem Rechtsextremisten geschlossen, andererseits sind die klaren Reaktionen darauf eher ein Hinweis, dass mit dem Einreißen einer Brandmauer gegenüber der extremen Rechten so bald nicht zu rechnen ist: schnell schon zeigten sich hohe FDP-Leute ebenso empört wie die Spitzen der Bundes-CDU. Von Angela Merkel abwärts machten alle klar, dass die gerissene Packelei der Landes-Union nicht toleriert werden würde, auch der CSU-Chef und Bayern-Ministerpräsident Markus Söder sagte in schnörkelloser Klarheit, dass man sich von Nazis nicht wählen lässt.
Sollten die Gambler Thomas Kemmerich, Mike Mohring, Christian Linder, aber auch Sozi-Hasser wie Wolfgang Kubicki und andere, die von „bürgerlichen Mehrheiten“ unter Einschluss der AfD träumen, gedacht haben, sie wären Cleverles, die mit ihrer Trickserei durchkommen – so haben sie sich offensichtlich heftig getäuscht. Der harte Wind blies ihnen derart ins Gesicht, dass sie schnell umkippten. Ganz offensichtlich sind sie alle nicht die hellsten Kerzen auf der Torte und haben vergessen, ein paar Züge nach vorne zu denken und hatten keinen Plan, wie sie mit der von ihnen geschaffenen Lage umgehen sollten. Kubicki freute sich zunächst, dann ruderte er zurück. Christian Lindner, in einer ersten Stellungnahme noch verschwurbelt, musste dann verzweifelt versuchen, aus der Nummer heraus zu kommen.
Die Landes-FDP stellte 24 Stunden den Ministerpräsidenten und muss jetzt Neuwahlen beantragen, bei denen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit schnurstracks aus den Landtag fliegen würde.
Ganz smarter Deal.
Die chaotische Kernschmelze des ersten deutschen Rechtspakts ist so gesehen natürlich eine gute Nachricht. Nicht nur für den Augenblick, sondern auch über diesen hinaus: die Möchtegerntrickser haben sich allesamt dermaßen selbst beschädigt, dass Nachahmer für nächste Zeit eher nicht ermutigt sein werden. Man vergleiche das nur mit jenen Ländern, in denen das bürgerliche Zentrum – mal schnell, mal allmählich – nach rechts gerückt ist, die Agenda des rechten Extremismus übernahm und mit den radikalen Nationalisten regierte, ob das jetzt Österreich ist, Italien, oder, auf wieder andere Weise Ungarn oder Polen.
In Österreich, beispielsweise, hat ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel schon im Jahr 2000 mit der ultrarechten FPÖ eine Regierung gebildet. Damals gab es einen Aufschrei, europaweite Sanktionen und Massenproteste, aber die Konservativen hielten dem Sturm stand. Sie normalisierten die Allianz mit jenen Ultrarechten, die sie kurz davor noch als „außerhalb des Verfassungsbogens“ sahen. Nach 2015 nahm Sebastian Kurz Kurs darauf, ihm es gleich zu tun. Er übernahm weite Teile der Programmatik der extremen Rechten, kopierte ihre Rhetorik, etablierte eine Herrschaft der Niedertracht mitsamt rhetorischen Überbietungswettbewerb mit den Rechten – und am Ende bildete er mit ihnen eine Regierung. Regierungsallianzen mit extremen Rechten wurden zur Normalität umdefiniert, und all jene, die darin einen demokratiepolitischen Skandal sahen zu „Hysterikern“. Nur durch Glück – Stichwort „Ibiza“ – flog die Koalition aus der Kurve.
Kurzum: Die radikale Rechte kann mit populistischen Kampagnen, mit ihrer Hass-Politik und indem sie die Wut und Entfremdungsgefühle des „einfachen Volkes“ gegen „die abgehobenen Eliten“ instrumentalisiert, Wahlerfolge einfahren und auch die politische Debattenlage vergiften. Ja, sie kann auch einen so starken Block in Parlamenten stellen, dass Regierungsbildungen gegen sie schwierig werden. Aber für sich allein kann sie nicht gefährlich werden.
Gefährlich wird es erst, wenn die (neo-)konservative Rechte zu wackeln beginnt und ihr den Weg in Ämter und Staatsfunktionen ebnet.
In Thüringen wurde der erste Schritt in diese Richtung versucht – und hat zu so massiven Immun-Abwehrreaktionen geführt, dass das Experiment gescheitert ist.
Aber wieso eigentlich? Erstens: Der demokratische, antifaschistische Konsens in den demokratischen Mitte-Rechts-Parteien ist immer noch lebendig genug, sodass das Spiel mit dem Feuer nicht akzeptiert wird. Das hat schon auch etwas mit Lehren aus der Vergangenheit zu tun, mit einer demokratischen Grundübereinkunft, man könnte auch, mit einem Adorno-Wort sagen: mit „Erziehung nach Auschwitz.“
Da die große, breite Mitte zumindest im westlichen Teil Deutschlands noch mit einer klaren Immunabwehr-Reaktion Bündnisse mit dem Rechtsextremismus quittiert, gibt es, zweitens, für Parteien wie die Union oder die FPD eine ganz klare politische Arithmetik. Biedern sie sich der extremen Rechten an, etwa, um rechte Wähler zurück zu gewinnen, so werden sie in der Mitte mehr Wähler verlieren als sie an rechten Wählern gewinnen können. Die Sebastian-Kurz-Strategie – „die Rechtsextremen kopieren, um zu gewinnen“ – geht in den alten Bundesländern nicht auf. Das schönste Exempel dafür erbrachte die bayrische CSU. Sie setzte im Vorfeld der letzten Landtagswahl darauf, mit der Anti-Ausländer-Agenda der AfD zu konkurrieren. Erst als Markus Söder merkte, dass seine Partei massiv Richtung Grüne zu verlieren droht, zog er die Notbremse und gibt seither verlässlich den pragmatisch-liberalen Öko-Gutmenschen.
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Drittens: Ein wesentlicher Aspekt ist die fortwährende Spaltung der politischen Mentalitäten in Deutschland. In Westdeutschland kann sich die AfD nur als Stimme jener positionieren, die sich als chronisch ungehört ansehen. Und selbst das ist schwierig mit Figuren wie Gauland und Weidel, mit ihren Tweed-Anzügen, genagelten Schuhen und schicken Kostümen, die ja nicht gerade zum populistischen Rächer der Enterbten taugen. In den sogenannten „neuen Bundesländern“ kann sich die AfD aber als Ost-Partei darstellen, die die Verwundungen und Kränkungen der Ostdeutschen repräsentiert – gegen die „Establishment-Parteien“, die allesamt irgendwie westdeutsch seien. Das ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass die AfD im Osten eine Volkspartei ist mit rund 25 Prozent Zuspruch, während sie davon im Westen weit entfernt ist. Das führt aber zu einem strategischen Dilemma der konservativen Mitte-Rechts-Parteien CDU und FDP: Während sie im Osten glauben, sich ins rechte Fahrwasser begeben zu müssen, um nicht noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren, wäre genau das im Westen eine fatale Strategie. Das führt zu innerparteilichen Konflikten, bei denen (noch?) die gewichtigeren West- und Bundesführungen der Parteien gegen die regionalen Landesparteien im Osten gewinnen.
Dass das thüringische Experiment so schnell kollabierte, hat auch mit glücklichen Umständen zu tun. Die Höcke-AfD ist derart rechts, völkisch und irrsinnig, dass ein Pakt mit ihr noch schwerer zu argumentieren ist als anderswo; die CDU war bei der Landtagswahl der große Verlierer, die FDP kam kaum über fünf Prozent – was es unmöglich machte, auch nur irgendwie mit dem Wählerwillen zu argumentieren; dass ausgerechnet der Anführer der 5-Prozent-Partei zum Ministerpräsident gewählt werden sollte, war nur mehr eine absurde Pointe, die dem die Krone aufsetzte. Klar: Wären die Umstände einmal anders, könnte ein solches Abenteuer leicht anders ausgehen.
Dennoch ist linke Miesepeterei völlig fehl am Platz. Man hört und liest es ja schon in manchen Kommentaren, und die Social Medias sind voll mit der deprimierten Behauptung, dass der Tabubruch geschehen, damit ein Dammbruch vollzogen sei und beim nächsten Mal dann…
Eine Linke, die stets verzweifelt nach der deprimierendsten Interpretation komplexer Wirklichkeiten sucht, ist Teil des Problems. Ihr fehlt es dermaßen an Selbstbewußtsein, dass sie nicht einmal bemerkt, wenn die Demokratie einen Sieg zu feiern hat. Dass die Farce von Erfurt so schnell wie ein Kartenhaus zusammen brach ist in aller erster Linie der Tatsache zu verdanken, dass der Aufschrei laut war, dass die Stimmen, die den FDP-CDU-AfD-Coup rechtfertigten, total marginal blieben, dass faktisch alle meinungsbildenden Medien klare Kante zeigten. Die Mitte wankte eben nicht. Die liberale Demokratie erwies sich als wehrhaft.
Das ist ein Erfolg der Demokraten. Man sollte ihn würdigen, nicht klein reden.