Ein bescheidener Vorschlag zur Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen

Kurz und Blümel haben weder Plan noch Konzept. Also wird es an der Opposition liegen müssen, funktionierende Maßnahmen zur Rettung von Unternehmen und Beschäftigten zu entwickeln. Ein 9-Punkte-Plan.

Ein Foto machte dieser Woche in den sozialen Medien die Runde: die Regierung im Kreis ihrer wirtschaftspolitischen Berater, allesamt Männer übrigens. Die Chefs der Wirtschaftsforschungsinstitute, also WIFO, IHS etc. Durchaus patente Ökonomen. Flankiert von neoliberalen Ideologen, wie Franz Schellhorn und dem Kremser Wirtschaftsprofessor Gottfried Haber, der immer gefragt ist, wenn die ÖVP irgendwo einen Posten mit jemanden zu besetzen hat, der nicht von der Parteilinie abweichen soll.

Man starrte dieses Bild an und es wurde einem Angst und Bang.

Während sich der deutsche Finanzminister Olaf Scholz mit den geballten ökonomischen Kapazitäten seines Landes und darüber hinaus umgibt und einen Stab auch unorthodoxer Denker zusammen stellt, die in einer nie dagewesenen Krise über nie dagewesene Maßnahmen nachdenken, wird die österreichische Regierung von  Schmalspurideologen umkreist. Dabei hätte gerade sie profunde Expertise nötig, macht der Finanzminister ja den Eindruck, dass das einzige Stück wirtschaftstheoretischer Fachliteratur, mit dem er sich je auseinander gesetzt hat, sein eigener Kontoauszug ist.

Das Konto hatte er, wie er einmal als besondere Qualifikation für seinen Beruf anführte, noch nie überzogen.

In solch einer Krise brauchst du die höchste makroökonomische Expertise am Tisch. Aber dazu auch noch ein paar mutige Denker, die Out-of-The-Box-Ideen ausbrüten, da bei Geschehnissen, die noch nie da waren der gängige Instrumentenkasten nicht ausreicht. Ich muss hier immer an Franklin D. Roosevelt denken, der im Zweiten Weltkrieg die amerikanische Wirtschaft auf Kriegswirtschaft umstellen musste und sich dann Leute wie John K. Galbraith holte, der geniale planwirtschaftliche Elemente entwickelte, weil in einer Ausnahmesituation der Markt sowieso noch weniger „regelt“ als er sonst regelt.

Von der Regierung ist aber, das kann man jetzt schon sagen, nichts zu erwarten. Das hat sie schon in den vergangenen Wochen gezeigt, in denen sie erst vollmundige Phrasen in die Welt sprach („Koste es was es wolle“), und in der Realität dann bürokratische Pläne und Härtefonds etablierte, die für niemanden funktionieren. Das bedroht österreichische Firmen und deren Beschäftigte in ihrer Existenz, und die Gefahr einer Insolvenzwelle wird von Tag zu Tag größer.

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Also lasst uns versuchen, selbst einige Pläne zu skizzieren, wie das Land durch diese ökonomische Krise gebracht werden könnte.

1. Drei Phasen: Wirtschaftsrettung, Konjunkturbelebung und die Rechnung für die Krisenkosten.

Dazu muss man verstehen, dass diese Krise drei Phasen haben wird: Die erste Phase ist die, in der der gesamte Wirtschaftskreislauf noch an „lebenserhaltenden Instrumenten“ hängt. Wirtschaftspolitik muss in dieser Phase Institutionen und Instrumente entwickeln, die alle Wirtschaftsakteure – Firmen, Beschäftigte, Konsumenten – so schützt, dass sie nach dieser Phase noch vorhanden sind, und nicht bankrott. „Koste es was es wolle“ darf hier durchaus wörtlich verstanden werden, wie ein ganz einfaches Gedankenexperiment zeigt.

Stellen wir uns vor, die Instrumente werden so geschnitzt, dass wir nach dieser Phase zwar einen Staatsschuldenstand von 85 Prozent des BIP haben, aber auch zehntausend Firmen weniger und 200.000 Arbeitsplätze weniger. Diese Firmen kommen dann nie wieder zurück, die Arbeitsplätze auch nicht. Künftige Einkünfte, die diese Firmen gehabt hätten, fehlen dann, auch die künftigen Einkünfte ihrer Beschäftigten. Das selbe gilt für die Steuereinnahmen, die der Staat auf Grund dieser Firmen und ihrer Beschäftigten im nächsten, übernächsten und überübernächsten Jahr lukriert – die gibt es dann nicht. Der Staat hat dann längerfristig niedrigere Einnahmen, und zugleich höhere Ausgaben, etwa durch die Arbeitslosenversicherung.

Und jetzt stellen wir uns vor, man legt die Instrumente so an, dass der Staatsschuldenstand zwar 95 Prozent des BIP beträgt, aber die Firmen und ihre Beschäftigten gerettet werden. Unsere Volkswirtschaft wäre dann in den kommenden Jahren leistungsfähiger, die Steuereinnahmen wären höher, die Ausgaben niedriger. Die Menschen hätten einen Job und damit positivere Zukunftsaussichten und sogar der künftige Schuldenabbau würde einfacher gehen.

Variante Zwei wäre selbstredend sehr viel günstiger – schon in mittlerer, erst recht in längerer Frist.

Deswegen: Jede Existenz retten.

Die Phase der „Notrettung“ ist also Phase eins, in der man keine Fehler machen darf. Phase zwei folgt auf diese, wenn die Pandemie dann einmal besiegt ist, bei uns und unseren wesentlichen Handelspartnern. Erst dann können die klassischen Stimulierungsmaßnahmen greifen, um die Wirtschaft „anzukurbeln“ – staatliche Investitionen, Investitionen in Infrastruktur und neue Technologien, Stimulierung des Konsums, sei es durch Steuererleichterungen für kleine Einkommen, sei es durch Helikoptergeld („Corona-Tausender für Alle“, was auch immer), und viele andere Maßnahmen.

Die Dritte Phase wäre dann jene, in die wir eintreten, wenn all diese Maßnahmen gewirkt haben und wir wieder in einer echten Phase „neuer Normalität“ sind (oder beim Status Quo Ante). Dann geht es um die Verteilung der Krisenkosten und den langsamen Abbau der Staatsschulden.

2. Masseninsolvenzen und Arbeitslosigkeit vermeiden.

Die Regierung hat jetzt schon kriminell viel Zeit verspielt. Zwei Monate hat man verstreichen lassen, ohne wirksame Maßnahmenpakete zu schnüren.

Um die jetzt drohende Insolvenzwelle zu verhindern müsste die Regierung den EPUs, den kleinen- und den mittleren Unternehmen (die alle viel zu klein sind, um – wie die AUA – direkt mit der Regierung über Staatshilfen verhandeln zu können), zunächst einmal völlig unbürokratisch ihren Umsatzausfall ersetzen. Das ginge ganz einfach: Die Finanzämter kennen die Umsätze der Firmen aus dem Jahre 2019 (außer bei den wenigen, die seither erst neu gegründet wurden). Die Behörden wissen auch ziemlich genau, welche Branchen seit März praktisch überhaupt keine Umsätze gemacht haben – kleine Geschäfte, alle Veranstalter, jedes Theater, jedes Wirtshaus, jedes Hotel, Fluglinien, die Bahn etc. Sie können auch einigermaßen klar abschätzen, welche Branchen nur mehr die Hälfte ihrer Umsätze gemacht haben. All diesen Unternehmen könnte man geradezu mit einem Mausklick all ihre Umsatzausfälle ersetzen. Bei der nächsten Steuererklärung wird sowieso erkennbar, wer zuviel bekam – da kann man die überschüssigen Gelder dann wieder einsammeln.

Damit würden schon sehr viele Unternehmen und deren Beschäftigten von Insolvenz und Arbeitslosigkeit geschützt werden.

3. Unternehmen entschulden, dafür Anteile für den Staat

Jene Unternehmen, die dennoch wegen der Corona-Maßnahmen und dem Einbruch des Konsums in die Pleite schlittern, helfen längerfristig auch die Liquiditätshilfen nicht, die die Regierung versprochen hat. Denn was ist mit dem schönen Wort „Liquidität“ gemeint? Einfach Kredite, die die Unternehmen bekommen, um ihre weiter laufenden Kosten zu decken – ohne Einnahmen. Aber wie sollen Unternehmen, die sowieso knapp kalkulieren, diese Kredite je zurück zahlen?

Diese Unternehmen werden durch staatliche Beihilfen gerettet werden müssen. Aber es wäre besonders dumm, diese Unternehmen jetzt in die Insolvenz schlittern zu lassen um sie hinterher mühsam mit Eigenkapital-Zuschüssen wieder aus der Insolvenz zu holen. Man sollte sofort staatliche Beteiligungsstrukturen aufbauen. Der Staat stellt den Unternehmen Geld zur Verfügung, dafür erhält er – als stiller Gesellschafter, zumindest bei den mittleren Unternehmen –, Anteile an der Firma. „Debt-to-Equity“, nennt man das in der Fachsprache. Man tilgt die Schulden und bekommt dafür Anteile.

Der Staat ist dann genauso Miteigentümer beim Mittelbetrieb mit 200 Beschäftigten, der Brautkleider herstellt, wie bei der AUA, bei der zehntausende Jobs am Spiel stehen.

Natürlich haben die meisten Firmenbesitzer nicht gerne den Staat als Mit-Gesellschafter. Daher muss es realistische Pläne geben, den Staat wieder auszuzahlen, wenn man das will – realistisch heißt dann wohl, dass der Staat sein Geld nicht zur Gänze zurück erhält.

4. Staatsanteile in einen „Sovereign Wealth Fund“ bündeln.

Diese Beteiligungen des Staates wären dann Vermögen des Staates. Diese Vermögenswerte sollten in einen „Staatsfond“ gebündelt werden.

All das ist nicht einmal Raketenwissenschaft, bei der man irgendein Rad neu erfinden müsste: Solche Staatsfonds, in der Fachsprache „Sovereign Wealth Fund“ genannt, gibt es hunderte, viele Staaten haben so etwas, und diese Staatsfonds sind wichtige Akteure auf den internationalen Kapitalmärkten. Diese „Souvereign Wealth Funds“ können ihr Vermögen auch auf internationalen Märkten anlegen und so ein Return of Investment erzielen, aber auch andere strategische Ziele verfolgen (etwa investieren in den Klimaschutz, was auch immer…).

Eine Task-Force der klügsten Köpfe, die von der Regierung zusammen getrommelt werden müsste, könnte sicherlich noch dutzende andere kreative Ideen entwickeln. Aber das Ziel muss klar sein: Am Ende der „Phase eins“ – also der Phase, in der große Teile des Wirtschaftslebens an „lebenserhaltenden Instrumenten“ hängen – dürfen die volkswirtschaftlichen Kapazitäten tunlichst nicht unter den Kapazitäten hängen, mit denen wir in diese Krise hinein gegangen sind. Oder, gemeinverständlicher formuliert: Es dürfen nicht zehn, zwanzig Prozent der Unternehmen in den Bankrott getrieben worden sein.

5. Unseren Partnern in Europa helfen – im Eigeninteresse

Wir müssen in dieser Situation aber zugleich „groß denken“ – und groß denken heißt, global und vor allem auch europäisch denken. Wir sind im globalen Zeitalter und in dem hat man eher weniger globale „Konkurrenten“, sondern vielmehr „Kooperationspartner“. Wir sind international verflochten, und andere Staaten sind unserer Handelspartner. Sie liefern wichtige Güter und Vorprodukte für unsere Produktion, und sie kaufen unsere Güter, die wir exportieren. Nichts ist schlechter für uns, als wenn es unseren Nachbarn schlecht geht. Ihr Gedeihen ist unser Gedeihen. Und das gilt vor allem für die Europäische Union.

Die jetzige Situation ist langfristig äußerst gefährlich und zwar wegen einem Umstand, der bisher zu wenig beleuchtet worden ist. Jene Länder, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind, sind zugleich jene Länder, die auch schon von der Finanz- und Austeritätskrise nach 2009 wie von einer Keule getroffen wurden. Dagegen sind jene Länder relativ handlungsfähig, die vorher schon besser da standen. Und nun nehmen wir einmal an, was sehr realistisch ist, dass starke Länder wie Deutschland und Österreich vergleichsweise gut in der Lage sind, ihre Unternehmen zu retten, während Länder wie Italien und Spanien dafür eher schlecht gerüstet sind. Dann haben wir viel mehr Pleitewellen in Italien und Spanien und eher weniger in Österreich und Deutschland. Es ist leicht zu begreifen, dass dies die ohnehin schon vorhandenen Ungleichgewichte in der Europäischen Union noch verstärkt. Die deutschen und österreichischen Unternehmen würden die Märkte übernehmen, aus denen andere Firmen verschwinden. Das wäre aber nur eine kurzfristige Freude für die heimische Wirtschaft. Wir müssen die Spaltungen innerhalb des europäischen Marktes reduzieren, nicht auch noch verschärfen. Es kommt aber noch eines hinzu: Es würden in Italien und anderen Ländern ja auch Unternehmen verschwinden, die wichtige Zulieferbetriebe für unsere Unternehmen sind. Diese können nicht so leicht ersetzt werden und deren Pleite würde damit auch die Leistungsfähigkeit unserer Firmen untergraben.

Auch deshalb müssen europäische Instrumente entwickelt werden, die jene Staaten stützen, deren Regierungen über begrenztere Mittel verfügen. Europäische Mittel müssen direkt in diese Länder fließen. Der Europäische Stabilitätsmechanimus muss direkt Hilfen an diese Länder vergeben, ohne die restriktiven Zwangsmaßnahmen, wie sie in der Finanzkrise verhängt wurden (Stichwort: Troika, die als Kommandeure in die Hauptstädte einfallen). Die Europäische Zentralbank muss massiv Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen für Kredite niedrig zu halten. Letztendlich muss die direkte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank auf irgendeine Weise möglich werden.

6. Instrumente für Phase zwei: Konjunkturprogramme

Der Instrumentenkasten des klassischen Keynesianismus, worunter man üblicherweise die Stimulierung der öffentlichen und privaten Nachfrage versteht, kann erst in dieser Phase wirksam werden. Zugegeben, das ist eine etwas unpräzise Keynesianismus-Definition, da sich John Maynard Keynes ja auch viele Gedanken über die Stabilisierung einer instabilen Ökonomie und damit über das Set an Institutionen machte, die dafür nötig sind – in diesem Sinne ist natürlich schon die jetzige Phase 1 ein „keynesianischer Moment“. Aber der „klassische“ Moment kommt erst.

Und da sollten wir keine Illusionen haben.

Gelegentlich hört man die Redewendung von der „Krise als Chance“. Eigentlich hört man diese Redewendung immer, wenn es irgendeine Krise gibt. Wahrscheinlich, weil sich die Menschen im Falle eines Unglücks gerne einreden, dass es für irgendetwas gut sein müsse. Aber meistens ist eine Krise für viele Menschen einfach eine üble Sache – ohne viele positive Seiten.

In der gegenwärtigen Krise wollen wohl alle Menschen zunächst einmal „zurück zur Normalität“. Zum gesellschaftlichen Alltag, aber auch zu ihrer ganz privaten Normalität. Ohne Existenzangst, ohne Kurzarbeit, ohne Arbeitslosigkeit. Und auch was den Staat und unsere Wirtschaft betrifft, wird der Druck ganz stark sein, die „alte Normalität“ wiederherzustellen. Man wird versuchen, die Firmen wieder auf die Beine zu bringen, die es vorher schon gab, und mit Konjunkturprogrammen die Industrien wieder zum Laufen zu bringen, die einfach da sind und in denen es viele Arbeitsplätze zu retten gibt – von der AUA über den Flughafen bis zur Autoindustrie und den Halligalli-Tourismus. Weil es einfacher ist, vorhandene Arbeitsplätze zu retten als neue zu schaffen.

Es kommt noch etwas hinzu: Stimulierung hat einen Time-Lag, der Time-Lag ist aber nicht in allen Branchen gleich. Ganz simpel gesagt: Will ich mit staatlichen Subventionen von Konsumenten den Autoverkauf stimulieren, dann geht das schnell. Will ich einen Kreisverkehr in die Landschaft bauen, den keiner braucht, geht das auch schnell. Will ich dagegen die thermische Sanierung von Wohnhäusern ankurbeln, dann dauert das. Die Hausbesitzer beginnen zu planen, die Architekten entwickeln Konzepte, bis der erste Arbeiter am Gerüst steht, braucht es ein Jahr. Will ich dagegen eine ganz neue Firma in ganz neuen Branchen zu etablieren helfen, braucht das viele Jahre. Selbst wenn ein findiger Unternehmer innerhalb weniger Monaten Zukunftstechnologien entwickelt und ein Geschäftskonzept schreibt, braucht es heute oft ein, zwei Jahre bis alle Bescheide von der Baubehörde und sonstigen Institutionen zusammen sind. All das führt dazu, dass Regierungen einen Anreiz haben, in die schon vorhandene Normalität zu investieren, oder wenn man so will: in die Wirtschaft „von gestern“, nicht in die „von morgen“. Denn sie wollen ja schnelle Ergebnisse. Nicht Jahre der Massenarbeitslosigkeit.

Aber gerade weil der Druck, so schnell wie möglich zur „alten Normalität“ zurück zu finden, so stark sein wird, muss man sich jetzt schon Gedanken machen, wo wir wenigstens ein bisschen hin steuern wollen, vor allem wenn es uns in Phase eins gelingt, Masseninsolvenzen zu verhindern. Gerade dann müssen die Konjunkturmaßnahmen so geschnitzt werden, dass sie in der Gesamtheit die Volkswirtschaft in eine neue Richtung bringen.

Also: Mit neuen Technologien ausrüsten (Investition in Digitalisierung), in Klimaschutz investieren, Unternehmen bei der Forschung und Entwicklung und bei der Umrüstung ihrer Produktionsanlagen unterstützen. Alleine der Umstieg der Autoproduktion von Verbrennungsmotoren auf E-Mobilität wird zig-tausend Arbeitsplätze in Frage stellen, da E-Motoren viel weniger Teile haben als Verbrennungsmotoren. Wer braucht noch eine Zylinderkopfdichtung oder einen Auspuff im Jahr 2030? Die Antwort auf diese eine, kleine, simple Anmerkung stellt wahrscheinlich 50.000 Arbeitsplätze in Frage.

7. Unser Reichtum: Eine Infrastruktur, die allen nützt

Aber dabei sollte es nicht getan sein. Denn wenn wir etwas in dieser Krise gelernt haben, dann dass die öffentliche Infrastruktur, dass die ganz normalen Tätigkeiten der Blutkreislauf sind, der unsere Wirtschaft und unseren Alltag am Laufen halten. Es sind die öffentlichen Dienste, vom Gaswerk bis zur Telekominfrastruktur und dem Gesundheitssystem, die die Säulen unserer Wirtschaft tragen. Und auch viele andere systemrelevante Tätigkeiten sind nicht High-Tech oder sonstwie „21st Century“, sondern recht unspektakuläre Tätigkeiten, wie Logistik, Supermärkte, Kassierinnen, Krankenpflege.

Dass „die Wirtschaft“ der privatwirtschaftlich organisierte Teil der Ökonomie sei, die, in der Innovation stattfindet, in der der Stachel der Konkurrenz zur Wohlstandsmehrung führt, das würden zwar die meisten Menschen so spontan annehmen – ist aber, wenn man es recht betrachtet, Unfug. Denn es sind zu einem ganz erheblichen Teil die öffentlichen Infrastrukturen, die die Wirtschaft tragen, oder kurz und knapp gesagt: die erst ermöglichen, dass im privatwirtschaftlichen Sektor und in den „innovativen“ Branchen überhaupt irgendetwas Sinnvolles zuwege gebracht werden kann. Eine Studiengruppe europäischer Ökonominnen und Ökonomen hat das in einer fantastischen Arbeit festgestellt, die jüngst im „Suhrkamp“-Verlag unter dem Titel „Ökonomie des Alltagslebens“ erschienen ist. Und viele dieser staatlich organisierten Infrastrukturen sind gewissermaßen unserer „alltäglicher Kommunismus“, ohne den der Kapitalismus gar nicht existieren könnte. „Fundamentalökonomie“ nennen das die Verfasser, welche „die soziale Infrastruktur für ein sicheres und zivilisiertes Leben“ bereit stellt.

Wie sehr hat sie diese Krise, die wir gerade durchmachen, bestätigt!

Nun ist es so, dass diese Fundamentalökonomien nach völlig anderen Gesichtspunkten funktionieren als die Privatwirtschaft. Zunächst einmal müssen sie gar nicht unbedingt gewinnbringend arbeiten – im Notfall kann man sie durch Steuern finanzieren. Und auch wenn es angebracht ist, sie aufkommensneutral zu führen, also die Kosten durch Abgaben und Gebühren hereinzubringen, wäre es keineswegs ein Indikator für ihr gutes Funktionieren, wenn sie gewinnbringend sind. Infrastrukturnetzwerke leisten ja nur dann ihren Dienst, wenn sie für alle Menschen zu bezahlbaren Preis und bei allgemeiner Zugänglichkeit zur Verfügung stehen. Könnten sich nur die Reichen die Abwassergebühren leisten, würden die Armen das Abwasser in die Straßen kippen, Seuchen würden sich ausbreiten und es wäre eben gerade nicht der Zweck erfüllt, den ein funktionierendes Gemeinwesen mit Recht erwartet. Das heißt: Gemeinwohl und Funktionstüchtigkeit der Systeme sind miteinander verbunden. Oder, gewissermaßen: Moral und Effizienz. Wolfgang Streeck nennt das die Sektoren, „die umso mehr zum gesellschaftlichen Wohlstand beitragen, je weniger sie nach kapitalistischen Prinzipien organisiert sind und funktionieren“.

Die Autoren der Studie erinnern daran, dass diese Fundamentalökonomie „ursprünglich ein moralisches Unterfangen“ war. Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung hatten den Zweck darin, „die Gesundheit der Menschen zu gewährleisten“. Natürlich haben öffentliche Infrastrukturen, vom Bildungs- bis zum Gesundheits- und Rentensystem auch ihre ökonomisch nützliche Seite. Gerade in einer Marktwirtschaft entwickeln sie das „Humankapital“, halten es gesund, sie stabilisieren auch die Konsumnachfrage und haben damit „ökonomisch effiziente“ Auswirkungen. Aber das ist sehr selten der primäre Zweck ihrer Existenz und nie ihr alleiniger.

So gesehen ist erst ein Staat, der wegen irgendwelcher Dogmen wie der „schwarzen Null“ wichtige Infrastrukturinvestitionen unterlässt, ein „ineffizienter Staat“, nämlich einer, der wichtige Teile seiner Aufgaben nicht erfüllt.

Und es gibt noch einen weit verbreiteten Irrtum: Dass nämlich diese öffentliche Infrastruktur durch Steuereinnahmen bezahlt wird, die im privatwirtschaftlichen Sektor erwirtschaftet werden, dass sie also gewissermaßen subventioniert wird, ihren Nutzen hat, aber man sich die Mittel woanders erwirtschaften muss. Das ist aber völlig falsch. Der private und der öffentliche Sektor sind dazu viel zu eng verwoben. Gewiss, der öffentliche Sektor wird mit Steuereinnahmen finanziert. Aber die gibt er ja auch aus. Sie gehen etwa an Firmen, die medizinische Ausrüstung herstellen, an die Bauunternehmen, die Schulen bauen, oder an die Arbeitnehmer bei Bahn, Nahverkehr, Gaswerk, in der Pflege. Ein Teil fließt sofort direkt über Steuern zurück, etwa die Einkommenssteuer. Ein anderer Teil fließt in den Konsum – die Umsatzsteuern nimmt der Staat ein. Was die Beschäftigten kaufen, fließt wiederum den privaten Firmen zu (oder auch dem Staat, wenn sie öffentliche Güter nachfragen…). Das heißt: Wenn der Staat öffentliche Infrastruktur bereitstellt, ausbaut oder modernisiert dann stärkt das sowohl direkt als auch indirekt die ökonomische Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.

8. Wie wollen wir übermorgen leben?

Diese „fundamentalökonomischen Sektoren“ kann man also stärken, wenn man will – und ob man das wollen soll, das hängt sehr davon ab, was wir als Gesellschaft wichtig ansehen. Ist es uns wichtiger, lebendige, lebenswerte, grüne Stadtteile zu haben? Oder ist es uns wichtiger, einen zweiten SUV in der Garage stehen zu haben? Ist uns ein ordentliches Gesundheitssystem und eine funktionierende Pflege wichtig? Wollen wir, dass die Beschäftigten in diesen Sektoren ein gutes Einkommen haben? Oder ist es uns wichtiger, preisgünstig auf die Seychellen fliegen zu können oder dass die oberen Zehntausend bei ihren Partys nicht auf’s Geld schauen müssen?

Ich will hier gar nicht eine Rangliste nahelegen, was uns wichtig sein soll und was nicht – ich will nur klar machen, dass es sich dabei immer um Güterabwägungen handelt und es sehr gut auch möglich ist, dass wir einer Versorgung mit guter öffentlichen Dienstleistungen und günstigen Wohnungen den Vorzug geben vor der Konsumtion von bestimmten Waren und privaten Erlebnissen, die wir vielleicht nicht so wichtig finden, aber auch gegenüber dem Erwerb von Immobilienbesitz. Individuell werden wir diese Fragen unterschiedlich beantworten, und auf freien Gütermärkten soll man Individuen da gar keine großen Vorschriften machen, aber der Staat selbst kommt nicht darum herum, bei solchen „Güterabwägungen“ am Ende eine Entscheidung zu treffen.

Und hier sollte die Antwort klar sein: Öffentliche Dienstleistungen, die allen zu gute kommen und für ein gutes und sicheres Leben wichtig sind, sollten hier den Vorzug bekommen. Also: Investition in Schulen, in Pflege, in digitale Versorgung, in smarte Netze, in ein fantastisches öffentliches Gesundheitssystem – und Ausbau der Beschäftigung in diesen Sektoren.

Das heißt: Wir werden in der Phase zwei, in der wir die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen, Präferenzentscheidungen treffen müssen. Und wir tun gut daran, bereits hier nach Gesichtspunkten zu entscheiden, wie wir uns ein gutes Leben für möglichst viele Menschen vorstellen – und wie wir eine Gesellschaft mit mehr Gleichheit und gerechten Lebenschancen schaffen wollen.

9. Phase drei: Rückzahlung der Krisenkosten

Wenn wir diese Krise überwunden haben werden, wird der Staatsschuldenstand in Österreich irgendwo zwischen 85 und 95 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Und das ist jetzt auch nur eine sehr vorsichtige Schätzung, denn genau weiß das natürlich niemand. Dann wird es um die Rückführung der Schulden gehen. Aber Vorsicht! Es wäre eine falsche Annahme zu glauben, dass Staaten unbedingt ihre Schulden zurück zahlen müssen. Wichtig ist es, dass die Staatsschulden verglichen mit dem BIP zurück gehen. Wenn die Wirtschaft aber in den kommenden zehn Jahren um zwanzig Prozent wächst, sinkt dieser Anteil automatisch – ohne dass nur ein Euro „zurück gezahlt“ worden wäre. Aber natürlich müssen Teile der Schulden auch zurück geführt werden.

Ein faireres Steuersystem ist aber generell notwendig, also eine Entlastung von Arbeit und dafür eine stärkere Belastung von Vermögen und Steuern auf hohe Erbschaften. Das gebietet Gerechtigkeit ganz unabhängig von jeder Krise. Und das ist auch selbst ein Beitrag zu einer besseren Gesellschaft, da ein Gemeinwesen dann besser funktioniert, wenn es nicht in groben Ungleichheiten zerrissen ist.

Dass mit Vermögens- und Erbschaftssteuern die Krisenkosten leichter bestritten werden können ist ein Nebeneffekt, aber das eigentliche Argument für gerechtere Steuersysteme ist von der Krise unabhängig.

Ein Gedanke zu „Ein bescheidener Vorschlag zur Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen“

  1. Wenn man sich die österreichische Wirtschaft vor und in der Krise ansieht, so sieht man auch, wo die meisten Ressourcen vorhanden sind, sie liegen in der Solidarität. Zu lange wurden Wirtschaft und Arbeitgeber gegeneinander ausgespielt, ein künstlicher Klassenkampf, der nur den oberen 3% nützt. Ein Ansatz, um unsere Wirtschaft zu retten, muss ein Miteinander von Wirtschaft und Arbeiterschaft sein, die auf Augenhöhe kommunizieren und so sich gegenseitig das Überleben sichern und eine Basis für eine Zukunft schaffen. Jeder Schritt muss gemeinsam gemacht werden und die Belastungen fair verteilt, genauso wie die Gewinne. Denn auch wenn Solidarität zu einer fast vergessen Tugend in unserer Gesellschaft wurde, so hat die aktuelle Krise uns gezeigt, dass wir in Österreich zusammen stehen können und wollen.

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