Aufreizende Vertrotteltheit

Das System Kurz: Gigantomanisches Selbstbild des Anführers, der Führerkult der Günstlinge und kriminelle Energie der gesamten Bande.

Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz, Oktober 2021

Manche Leute haben Pech beim Denken. Christoph Ploß, der Hamburger CDU-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete, pries gerade im ARD-Fernsehen Sebastian Kurz und seine ÖVP als leuchtendes Vorbild für die Union an. Richtung „rohe Bürgerlichkeit“ habe es zu gehen. Pech für Ploß, dass Sebastian Kurz‘ Herrschaft nun wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Die nächsten Tage wird er kaum mehr überstehen.

Mittwoch wurden wir mit der Schlagzeile vom Frühstück hochgeschreckt, dass gerade Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale stattfänden. Klar, wir Ösistaner*innen heben bei solchen Nachrichten gerade noch die Augenbrauen. Ein gewisser Gewöhnungseffekt lässt sich nicht leugnen.

Mittlerweile ist Sebastian Kurz in einigen unterschiedlichen – aber miteinander verbundenen – Verfahren als Beschuldigter geführt, die Delikte, deretwegen gegen ihn ermittelt wird, reichen von falscher Zeugenaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nun auch über Beihilfe zur Bestechlichkeit bis zur Untreue. Für die „Zerstörung der ÖVP“ braucht es bei uns keinen Rezo, das erledigt schon Sebastian Kurz selbst. Der hat auch die Haare schön.

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Anfang September wurde Kurz viele Stunden lang von einem Richter einvernommen, in diesem Verfahren wird von vielen mit einem baldigen Strafbefehl, also einer Anklage gerechnet.

Seit Wochen trommelt die Volkspartei, früher zumindest als rechtstreue Staatspartei bekannt, gegen die Justiz. Ganz im Stile von Silvio Berlusconi oder Donald Trump werden Staatsanwälte als Angehörige „roter Netzwerke“ diskreditiert, in weiser Voraussicht oder weniger weiser Vorinformiertheit wurde schon am Tag vor der jüngsten Hausdurchsuchung eine Pressekonferenz des zuständigen Parteiapparatschiks abgehalten, um die „linken Zellen“ in der Justiz aufzudecken. Gerade dass sie nicht „Zecken“ geschrieben haben.

Die Ermittlungsbehörden sollen nicht nur diskreditiert werden, sondern die unabhängige Justiz soll aus der symbolischen Position des neutralen Wächters in die Position der „Opposition“ umgruppiert werden, sodass etwa Durchsuchungsbeschlüsse, Strafbefehle oder gar Gerichtsurteile zu „Meinungen“ werden, die zwar (noch) nicht verboten, aber nicht groß von Relevanz seien.

Die staatsanwaltlichen Recherchen zeichnen ein buntes Großpanorama mafiösen Politikmachens. Es geht um Freunderlwirtschaft, Posten gegen Spenden, geschobene Bestellungen für staatsnahe Spitzenämter, illegale Parteienfinanzierung, die Veruntreuung öffentlicher Gelder für parteiliche Zwecke bis hin zum Kauf gewogener Berichterstattung durch die in Österreich endemische „Inseratenkorruption“ („für Inseratengeld gibt’s mediale Lobhudelei“) und neuerdings sogar um frisierte Umfragen, die mit Ministeriumsgeld bezahlt worden sein sollen.

Gigantomanisches Selbstbild, Selbstverliebtheit des Anführers, Führerkult der Günstlinge und die kriminelle Energie der gesamten Bande haben ein Ausmaß angenommen, das nicht einmal die härtesten Kritiker von Kurz angenommen hätten. Die Chatprotokolle, die bis gestern Nachmittag durchsickerten, lassen einem mit offenen Mund zurück.

Der nun hoch wahrscheinliche völlige Zusammenbruch des Systems Kurz ist einer skurrilen Form der „Digitalisierungsoffensive“ geschuldet: Die Beteiligten haben sich in aufreizender Vertrotteltheit und euphorischer Aufgeblasenheit so detailliert via Whatsapp und SMS abgesprochen, dass sie sich selbst ans Messer geliefert haben. Die Gigantomanie mag dazu sicher noch beigetragen haben, denn die geht gerne mit der Illusion der Unverwundbarkeit und damit auch mit mangelnder Vorsicht einher.

Sollte in der CDU noch jemand ernsthaft daran denken, dieses „Erfolgsmodell“ zu kopieren – lascht et. Konservative Parteien, die politisch nach ultrarechts marschieren, landen sehr schnell bei der Camorra-Moral, dass alles geht, dass keine Regeln gelten, kein Gesetz mehr und auch kein Anstand. Es gibt keinen sauberen, es gibt keinen rechtsstaatlichen, es gibt keinen demokratischen Rechtspopulismus. Man kriegt immer das gesamte, stinkende Paket.

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