„Das große Beginnergefühl“ – ab Mai im Suhrkamp-Verlag

40 Jahre habe ich an diesem Buch gearbeitet. Ich bin schon sehr gespannt, wie es Euch gefällt.

Vorankündigung: Im Mai 2022 erscheint mein Buch „Das Große Beginnergefühl“, ein Parforceritt durch 200 Jahre moderner Kunst. Es beschreibt, wie radikale Kunst, revolutionäre Ideen und Politik und der „Zeitgeist“ aufeinander einwirken.

Wenn alles nach Plan läuft, ist mein neues Buch „Das große Beginnergefühl. Moderne, Zeitgeist, Revolution“ ab spätestens 16. Mai 2022 in jeder Buchhandlung zu haben. Es beschreibt, wie  in den vergangenen 200 Jahren revolutionäre Ideen, Stilrevolutionen in der Kunst, ästhetische Avantgarden und radikale Politik wechselseitig aufeinander einwirkten. Das Buch ist in den letzten zwei Jahren entstanden, aber – dies als persönliche Anmerkung – irgendwie auch das Ergebnis von mehr als 40 Jahren Lektüre und wacher Zeitgenossenschaft.

Hier also schon einmal die Vorankündigung des Buches. Über Besprechungen, Kritik, Jubel und Verrisse freue ich mich. Rezensionsexemplare bzw. Druckfahnen sind über den Suhrkamp-Verlag zu erhalten. Für Buchpräsentationen, Talks, Debatten stehe ich zur Verfügung.

Damit Ihr Euch einen ersten kleinen Überblick über das Buch verschaffen könnt, hier das „geleakte“ Inhaltverzeichnis: 

Einleitung: Kunst und Revolution. Eine etwas andere Geschichte der Moderne. 

I. Wie das Geld in die Literatur kommt: Honoré de Balzac liefert revolutionäre Zeitkritik – irgendwie, ohne es zu wollen. 

II. Ein neues Lied, ein besseres Lied! Heinrich Heine und die Erfindung der radikalen politischen Publizistik

III. Der Hass auf den Bourgeois: Gustave Flaubert und die antibürgerliche Ästhetik

IV. Das Ideal der Intensität: Vitalismus, Geschwindigkeit, nichts auslassen – die Romantizismen der Moderne

V. Der Heroismus des modernen Lebens: Charles Baudelaire und die Poesie der großstädtischen Existenzweise

VI. »Man muss ganz und gar modern sein«: Mallarmé, Verlaine, Rimbaud und eine Dichtung, die den Worten die Initiative überlässt

VII. Hofräte der Revolution: Vom Ideengestöber des Fin-de-Siècle zum revolutionären Reformismus des Roten Wien

VIII. Leben in der Abstraktion: Picasso, der Kubismus und der Funktionalismus klarer, geometrischer Formen in der Architektur

IX. Kunst und Anti-Kunst: Marcel Duchamp und der Geist des Avantgardismus

X. Profane Erleuchtung: Bertolt Brecht und ein Theater, das die Realität so darstellen will, »dass sie meisterbar wird«

XI. Die Zerbrechlichkeit der Lebenden: Alberto Giacometti schafft fragile Gestalten und einen verstörenden Blick auf die menschliche Existenz

XII. Die schnellen Jahre: André Breton trifft Trotzki in Mexiko, Jackson Pollock malt auf den Innenwänden seines Geistes, und Patti Smith singt

XIII. Heroismus des Sehens: Susan Sontag, eine Ikone der Intensität

XIV. Die jugendliche Kraft zur Empörung: Die sprachkomischen Litaneien der Elfriede Jelinek

XV. All Art is Propaganda: Von René Pollesch Diskursgewitter zum »globalen Realismus« von Milo Rau

VXI. Pessimismus ist konterrevolutionär: Gegenwartskunst oder: Auch gebrannte Kinder können Feuer legen

Und hier noch ein paar Takte, die die Fragestellungen umkreisen – neben den detaillierten Darstellungen einzelner Künstler*innen und historischen Epochen von der Frühmoderne bis zur Gegenwartskunst.

Nun sind es selten Parteien oder auch politische Bewegungen alleine, die einen Zeitgeist schaffen. Es ist die Kunst und die Kultur, es sind die gesellschaftlichen Diskurse, das System der Medien, es ist der Wandel in der Alltagskultur, aber auch in den Ideenwelten. Vieles davon geschieht einfach „irgendwie“, als Summe von Kraftfeldern, die niemand steuern kann, manches auch durch ideologische Anstrengungen, die sich über viele Jahre ziehen. Das, was wir gewohnheitsmäßig den Zeitgeist nennen, ist nicht zufällig schwer fassbar, es ist eher eine Atmosphäre, oder gar eine Summe von Atmosphären, die aufeinander einwirken.

Natürlich ist ein Zeitgeist nicht voluntaristisch veränderbar.

Die frühen Arbeiterbewegungen haben sich nicht nur für höhere Löhne und mehr Arbeiterrechte eingesetzt, sie haben auch Arbeiterbildungsvereine gegründet. Sie waren auch personell eng verbunden mit der künstlerischen Boheme und Avantgarde ihrer Zeit. Die Kritik am Kapitalismus, wie sie die Marxisten übten, war verbunden mit einer antibourgeoisen Ästhetik in der Kunst, denken wir nur an Charles Baudelaire oder Gustave Flaubert, der bestimmt kein Linker war, aber die konservative Bürgerwelt mit einer Gehässigkeit kritisierte, wie kaum jemand anders. Ähnliches gilt für die großen Gesellschaftspanorama von Balzac, von dem Marx und Engels viel lernten für ihre soziale Großtheorie. Heinrich Heine war sowieso beides, Literat und linke Kämpfernatur. Auch die revolutionär-reformerischen Leistungen des „Roten Wien“ wären nicht denkbar gewesen ohne die geistig-kulturellen Grundlagen, die die Kunst- und Kulturbewegungen des Wiener Fin de Siecle gelegt hatten, von Sigmund Freund über den Architekten Adolf Loos oder Künstler wie Gustav Mahler. Mahler, der große Modernist, machte sogar Wahlkampf für den legendären Anführer der österreichischen Sozialisten, Victor Adler.

Die avancierten, radikalen Künste waren von einer Leidenschaft für das Neue erfüllt und bekämpften das Alte, und schufen neue Darstellungsweisen und auch neue Seh- und Wahrnehmungsformen. Eine Revolution jagte die andere, von den Impressionisten über die Fauves bis zu Picasso und die Kubisten und dann den Konstruktivismus und die gänzliche Abstraktion. Die Künste wirkten aber auch auf den Alltag ein, ganz direkt: die Ästhetik klarer geometrischer Formen beeinflusste die Architektur, das Bauhaus-Bewegung und den kommunalen sozialistischen Wohnungsbau, etwa im Roten Wien. Der Individualismus mit seinem Paradigma von Kreativität war über weite Strecken der Geschichte eng verbunden mit der Gleichheitsidee der Sozialisten und der Forderung nach Freiheit, denn die Grundidee war, dass alle Menschen die gleiche Chance haben sollen, ihre Talente in Freiheit zu entwickeln, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Kritik an toten Konventionen und Konformismus, aber auch an den Entfremdungserfahrungen des modernen Lebens waren stets tief verankert in der linken Kulturgeschichte. Das „Leben“ selbst war eine Schlüsselvokabel, im Sinne eines reicheren, erfüllteren Lebens.

Künstler wie Bert Brecht versuchten direkt politisch wirksam zu sein, die Wirklichkeit so darzustellen, dass ihre Veränderbarkeit deutlich wird. Mit der verstaubten Vergangenheit muss aufgeräumt werden, man braucht die „Tabula Rasa“, sagte Brecht, das große „Beginnergefühl“.

Bei weitem nicht alle prägenden Künstler und Künstlerinnen der Moderne waren »links«, aber die Moderne ist eine in ihrem Inneren »linke« Angelegenheit, ihre Geschichte eine »linke Geschichte«, mag sie heute auch nicht selten als eher weichgespülte liberale Modernisierungsgeschichte erzählt werden, als interessante Story vom allmählichen Formenwandel. Das ist eine Warmduscher-Geschichte, die der Moderne ihren Stachel raubt, ihre Radikalität im Nachhinein bändigt, die diese Geschichte verbiegt, umschreibt, retuschiert. Als wäre Dada immer schon auf das Twitter-Meme zugelaufen, der Surrealismus auf die Late-Night-Show-Unterhaltung im Fernsehen, der Kubismus auf die Designer-Capitalist-Society und das Bauhaus auf Schöner Wohnen. In einem gewissen Sinne ist dieser Liberalismus heute der eigentliche Gegner, weil er alle Energie aussaugt, jeden rebellischen Elan erschlaffen lässt.

Heines Publizistik ließ noch Fürstenthrone erzittern, auch die antibourgeoise Ästhetik mit ihrer beißenden Zeitkritik provozierte Widerstand, das epatér les bourgeois von Baudelaire bis zu den Surrealisten sowieso, und in den großen Kämpfen des 20. Jahrhunderts standen viele Künstler klar auf einer Seite und konnten eine Wirkung entfalten.

 

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