Schocktherapie

Nur mit gemäßigten Aktionen kann man Mehrheiten gewinnen, wird den Klimaschützern vorgehalten. Aber so einfach ist das nicht.

Meine Schlagloch-Kolumne aus der taz vom Dezember

Wann die „Gegenwartskunst“ begann, ist umstritten. Gerne wird der „abstrakte Expressionismus“ als Endpunkt der klassischen Moderne markiert und der Beginn der „Gegenwartskunst“ mit dem Jahr 1954, als Jasper Johns mit „Flag“ einen Alltagsgegenstand umformte – die US-Flagge eben. Es war ein erstes Wetterleuchten dessen, was später „Pop-Art“ genannt wurde. Manche würden wiederum als erste Ikonen der „Gegenwartskunst“ die Suppendosen-Bilder von Andy Warhol nennen, die einen Konsumgegenstand reproduzierten, den jeder kannte. Jüngst haben Klimaschützer ein van-Gogh-Bild mit Suppe überschüttet, und der Liebhaber subversiver Selbstreferenzialität in mir hätte natürlich ersehnt, dass Campbell-Suppe über Warholls Campbell-Siebdrucke geschüttet worden wäre. Nun, man kann nicht alles haben. Dass die radikalen Protestaktionen der Klimaaktivisten nicht nur auf Kunst abzielen, sondern auch Stilmittel avantgardistischer Provokation zitieren (vielleicht nicht einmal bewusst), ist ja vielfach bemerkt worden, von der Anti-Kunst des Dadaismus bis über die Schüttbilder von Nitsch, die Übermalungen von Arnulf Rainer oder die Schock-Strategien der Aktionskunst. „All Art ist Propaganda“, bemerkte schon George Orwell und so ist auch jede Zerstörung von Kunst zugleich Kunst und Propaganda. Oder so irgendwie.

Natürlich kann man gegen die Attacken gegen Kunstwerke einiges einwenden, obwohl natürlich nicht Kunstwerke zerstört werden, sondern bisher vor allem Glasscheiben beschmutzt oder beschädigt wurden, hinter denen sich die Kunstwerke befinden. Ein Einwand wäre: Sie zwingen Museen, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen, was nicht nur Geld kostet, das ohnehin knapp ist, sondern Museen zu Hochsicherheitsinstitutionen machen kann, und das macht die Welt bestimmt nicht besser. Auch ist bei Protestaktionen zweifellos empfehlenswert, dass die konkrete Aktion des zivilen Ungehorsams in einem nachvollziehbaren Verhältnis zur Botschaft steht. Man besetzt, wenn man gegen Panzerlieferungen protestiert, ja auch eher Panzerfabriken und nicht die Wohnung von Herrn und Frau Maier. „Was kann ein Klimt-Bild für den Klimakollaps?“, die Frage drängt sich ja nicht nur irgendwelchen Spießern auf, die sowieso keine Protestaktionen gut finden würden, also auch nicht, wenn man sich im Morgenverkehr an seinen SUV anklebt. Wenigstens so eine Spur einer kausalen Assoziationskette kann sicherlich nicht schaden.

Revolution ja, aber schmutzig soll nichts werden.

„Extremisten“ und gar „Klimaterroristen“, werden die Aktivisten gescholten, aber das ist natürlich Unfug. Die Aktionen sind nicht extremistisch, aber sie sind, wie das ein Aktivist nannte, sicherlich „drastisch“. Das Problem an drastischen Aktionen dieser Art ist, dass sie Mehrheiten abschrecken und womöglich sogar jene gegen die Anliegen der Engagierten aufbringen, die diesen Anliegen eigentlich mit Sympathie gegenüberstehen.

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Aber die eigentlich interessante Streitfrage ist: Sollen Bewegungen, die eine Gesellschaft radikal, also auf akzentuierte Weise verändern wollen, eher Aktionen setzen, die von Mehrheiten sofort unterstützt werden können? Oder ist es erfolgversprechender, auf drastische Weise vorzugehen, um einerseits Mehrheiten zu schockieren und andererseits entschlossene Minoritäten zu aktivieren? Auf diese Schlüsselfrage gibt es keine ganz leichte Antwort, gerade wenn man die Lehren der Geschichte berücksichtigt. Engagierte Minderheiten können Gesellschaften oft besser verändern als Warmduscher, die immer die Zustimmung von allen Seiten ersehnen.

Bringen wir bisschen Systematik rein: Zunächst einmal kann man natürlich zu bedenken geben, dass die freundliche Art des Aktivismus, wie sie bisher „Fridays for Future“ setzte und etwa Greta Thunberg zu einer globalen Celebrity machte, viel freundlichen Zuspruch und Solidarität erntete, aber nicht die erwünschten Erfolge hatte, nämlich die entschlossene Öko-Wende. Nur ist mit dem Einwand noch nicht gesagt, dass ein radikaleres Vorgehen erfolgreicher gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre es noch „erfolgloser“ gewesen, wenn man unter „Erfolg“ klare, messbare Konsequenzen versteht.

Die Gefahr bei radikalen Aktionen ist nicht nur die der „Kriminalisierung“ des Protestes, sondern vor allem die Isolation der Engagierten. Die Gefahr bei des moderaten Engagiertseins ist allerdings, dass man wegen des Wunsches, anschlussfähig an Mehrheiten zu bleiben, die gesellschaftsverändernden Forderungen und Programmatiken so weit weichspült, dass am Ende nichts von ihnen übrigbleibt. Oder im schlimmsten Falle, dass man sich an eine imaginierte Mehrheit so anschmiegt, dass man unfähig wird, diese Mehrheit in die eigene Richtung zu verschieben.

Das ist nicht trivial, wie man andauernd vorgeführt bekommt. Die harte Rechte hat quer über den Globus die Politik und die Diskurse in den vergangenen Jahren massiv verändert, und zwar nicht, indem sie „gemäßigt“ oder „vernünftig“ vorging, sondern durch den Extremismus und das tägliche Gift der Verrohung, mit dem sie ganze Gesellschaften kontaminiert hat. Trump, Meloni & Co. haben ja nicht Erfolg, weil sie sich sanft und schmeichelweich geben, sondern indem sie rabiat und aggressiv agieren, während die Gegenseite eher defensiv und „vernünftig“ ist.

Diese Tatsache nährt den Verdacht, dass nicht nur „rabiates“ Vorgehen Gefahr läuft, in Isolation zu enden, sondern dass umgekehrt auch zu vernünftiges Vorgehen einer Gefahr ausgesetzt ist, der nämlich, defensiv und wirkungslos zu bleiben.

Faktum ist, es waren in der Geschichte immer radikale Minderheiten, die Veränderungsprozesse in Gang brachten, indem sie ein Thema auf die Agenda setzten und Gruppen entschlossener Engagierter bildeten, die die Veränderungen in Gang brachten. Noch radikalere Teile dieser Engagierten haben immer „übertrieben“, also breite Teile der Gesellschaft geschockt. Und Moderate wiederum haben danach Mehrheiten gewonnen, die akzentuierten Forderungen in Kompromisse übersetzt, die die Welt im besten Falle weiterbrachten.

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