Wir Gewohnheitstiere

Die Welt, in der wir leben, scheint uns normal und daher unveränderbar. Aber das ist eine Falle.

Als Frankreich seinerzeit die Sklaverei abschaffte, da stellte sich schnell die Frage der „Entschädigung“. Wenn Sie, werte Leserinnen und Leser, jetzt aber vermuten würden, dass es um die Entschädigung der geschundenen, verbrecherisch ausgebeuteten Sklaven gegangen wäre, dann liegen sie gehörig falsch. Die Sklavenbesitzer verlangten und bekamen Entschädigung. Die sahen das damals als natürlich an, immerhin entging ihnen ja ein Besitz, auf den sie aus ihrer Sicht ja ein Anrecht hatten. Dass man eigentlich die Gepeinigten für das Unrecht entschädigen hätte müssen, darauf kam damals kaum jemand.

All das erscheint uns heute absurd. Aber damals erschien das irgendwie natürlich.

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Das Prinzip hat sich nicht verändert. Wir Menschen beleben unsere Gesellschaft, als wäre sie die Natur. Die Umstände, in denen wir aufwachsen, scheinen uns normal. Das ist ja auch völlig leicht nachvollziehbar. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Was gewohnt ist, das „ist halt so“, wie man gerne sagt. Nur so als Beispiel: Es scheint uns normal, dass es bei uns Arme gibt. Es scheint uns normal, dass es die ganz unten in der Gesellschaft gibt, die nicht nur wenig Geld haben, sondern auch geringe Lebenschancen. Deren Kinder die geringen Lebenschancen gleich mit erben, die schon mit Defiziten ins Volksschulleben starten. Diese Ungerechtigkeiten scheinen uns normal. Es scheint uns normal, dass die – nennen wir es einmal: mittlere Mittelschicht – rackert bis zum Umfallen, und dennoch immer von Geldsorgen geplagt ist. Es scheint uns ebenso normal, dass es eine Sphäre der Reichen und Wohlsituierten gibt, die da nicht nur weit darüber liegt, sondern metaphorisch gesprochen in einer eigenen Galaxie lebt mit ihren Yachten, Privatjets, Villen und Chalets und ihrem Bussi-Bussi-Jetset in Monaco. Es scheint uns genauso normal, dass sich die Politik in Bullshit-Trotteleien verfängt. Es scheint uns normal, dass man uns mit Emotionsthemen aufganselt und spaltet, weil wir das ja jetzt auch schon lange gewohnt sind. So sind wir gewohnt, dass die Debatten in der Migrationsfrage vergiftet sind, obwohl wir als Bürger und Bürgerinnen ja die wirkliche Welt bewohnen, in der die Menschen in aller Regel ja recht behutsam miteinander umgehen. Und wir wissen zwar mittlerweile auch alle, dass das mit der Planetenzerstörung eine ziemlich doofe Sache ist, aber es erscheint uns als normal, also unveränderlich, dass das so weiter geht.

Wie gesagt: Wir tun das aus Gewohnheit. Weil wir unserer Lebenswelt bewohnen, als wäre sie eine Natur, die die nicht zu ändern ist. „Da kann man halt nichts machen“, „das ist nun mal nicht zu ändern“, „das ist halt so“, das sind die Phrasen, die wir uns dafür zurecht gelegt haben. Bruno Kreisky hat einmal gesagt, am meisten habe er in seinem Leben diesen Satz „da kann man eben nichts ändern“ gehasst, weil man immer etwas ändern kann. Eine Gesellschaft ist keine unveränderbare Natur die von Gesetzen wie der Schwerkraft beherrscht wird, sie kann verändert werden.

Ich denke, das ist auch einer der Gründe für die Irritationen, die der Arbeitskampf der Eisenbahner auslöste: Wir können es uns gar nicht mehr vorstellen, dass Beschäftigte Reallohnzuwächse durchsetzen. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass nur die Reichen reicher werden, und die anderen bestenfalls auf Stagnation hoffen können. Aber das ist eben kein Naturgesetz.

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