Die Glamouröse

Susan Sontag, bis heute strahlendes Role-Model einer Intellektuellen, würde dieser Tage 90 Jahre alt. Anna-Lisa Dieter widmet ihr packende hundert Seiten.

Falter, Jänner 2023

Susan Sontag, das ist so eine, an der kann man sich sowieso nicht sattlesen. Neunzig Jahre würde die amerikanische Autorin und Intellektuelle dieser Tage. Aus diesem Anlass brachte die Münchener Literaturwissenschaftlerin Anna-Lisa Dieter in der 100-Seiten-Reihe des Reclam-Verlags einen schmalen biografischen Essay heraus. Dabei gelingt es ihr, wie die „Süddeutsche“ bewundernd anmerkte, auf „knappsten Raum eine echte Essenz von Sontags Werk zu präsentieren“. Tatsächlich, es ist eine fesselnde Lektüre, die sowohl Einsteiger ins Sontag-Fantum begeistern kann und auch Sachkundige und alte Fahrensleute dieses Metiers mit Freude erfüllt.

Susan Sontag ist ja eine Role-Model für die unabhängige, literarisch operierende Intellektuelle, die sich für die gesamte Welt interessiert. Und besonders war und ist sie bis heute ein solches Vorbild für Frauen und queere Personen. Aber sie ist zugleich auch ein Fall für sich. Werk und Person, das lässt sich in Sontags Fall noch viel weniger trennen, als es sich sonst nicht trennen lässt.

„Ich will mit vielen Leuten schlafen. Ich gedenke nicht, mich von meinem Verstand dominieren zu lassen“, notierte sie einmal. Sexuelle Beziehungen und Begegnungen – „mit vielen Leuten“ –, da ging es wahrscheinlich nicht primär um Sex und Geilheit, sondern darum, möglichst viele Menschen intensiv kennen zu lernen. Ohnehin ist kaum ein Begriff so zentral bei Sontag wie der der „Intensität“. Sie setzte sich aus, gierte nach Intensität, erfand sich stets neu, und dabei hatte sie auch eine skurrile pedantische Note. „In der Zeit, die in diesem Notizbuch wiedergegeben wird, werde ich wiedergeboren“, notierte sie in das Tagebuch, das sie seit ihrem 14. Lebensjahr führte. Die Kunst, sie diente ihr auch zum „Entwurf der Person, die sie sein will“ (Dieter). Sontag führte Listen, der Bücher, die sie lesen müsse, von Kinofilmen, von allem. Das hatte etwas rührend Streberhaftes.

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1933 in New York als Susan Lee Rosenblat geboren (Sontag, den Namen, bekam sie vom zweiten Mann der Mutter), besuchte sie als Teenagerin Thomas Mann in Kalifornien. Susan war so etwas wie ein kindliches Genie, heiratete noch als Teenie ihren Universitäts-Dozenten, wurde Mutter – und brach danach nach Europa auf, wo sie in Paris in die Boheme und Avantgarde geriet. Hier trifft sie auch die Entscheidung, „ihren Mann und die universitäre Welt zu verlassen, und von nun an ein ungebundenes und unabhängiges Leben als Schriftstellerin und freie Intellektuelle zu führen.“ Sie schreibt brillante Essays, die sie berühmt machten, wie „Gegen Interpretation“ oder „Anmerkungen zu Camp“, sie schreibt über Filme, Popmusik, Malerei, über Roland Barthes, Canetti oder Fotografie, publiziert in den angesagten Intellektuellen-Magazinen aber auch in der Vogue und Harpers Bazar. Sie wird mit Glamour umgeben und verfolgt eine Strategie der Prominenz. Sie saugt Ideen und Gesten auf. Sie schläft mit Jasper Johns, Robert Kennedy und Annie Leibowitz (letztere wird ihre Langzeit-Liebe bis zu ihrem Tod). Die großen Liebesleidenschaften gehörten Frauen. „Tumultös“, waren ihre Beziehungen, schreibt Dieter, und weiter: Sontags Maxime in der schriftstellerischen Arbeit und im Lebensvollzug war, der „Imperativ, sich für alles zu interessieren“. Einen Text schreiben, spannenden Menschen begegnen, eine Ausstellung besuchen, zwei Kinofilme, dann noch zwei Vernissagen und ein Konzert – das war so ein typischer Sontag-Tag. Sie ist auch Repräsentantin eines Lebensgefühls und so etwas wie ein It-Girl von Theorie und Kunst. Dreimal im Leben erkrankt sie an Krebs, zwei mal besiegt sie ihn, indem sie die härteste, brutalste Therapie wählt.

Kaum genesen, interessierte sie sich schon nicht mehr für ihre Gesundheit, sondern „nahm ihre früheren Gewohnheiten wieder auf, schlief wenig, aß unregelmäßig und rauchte viele Zigaretten am Tag…“

Ihre Texte waren tiefgehende Studien, wie etwa über Walter Benjamin, sehr oft aber auch frühe Erkundung von Zeit- und Trends, wie etwa die Anmerkungen über Camp. Aber indem sie sich auf ihre Zeit einließ, war sie mehr als nur die Protokollführerin von Zeit, Geist und Zeitgeist – sie hat diese auch mitgeprägt. Sie begeisterte sich für Kino und Populärkultur, als noch die meisten Großdenker über den billigen Schund die Nase rümpften. Wenn sie Witterung aufnahm, hakte sie apodiktische Sätze in die Tasten, war sie sehr meinungsstark. Diese Meinungen hatten stets etwas äußerst Interessantes an sich, selbst dann, wenn sie falsch lag.

Anna-Lisa Dieter: Susan Sontag. Reclam-Verlag 2022. 102 Seiten. 10,29 Euro.

Wiedergelesen:

Kunst und Antikunst

Unter den vielen elektrisierenden Essaybänden von Susan Sontag ist dieser vielleicht der packendste – „Kunst und Antikunst – 24 literarische Analysen“. Was für ein weites Feld die Autorin in diesen „Fallstudien zur Ästhetik“ durchschreitet, von der Frage des „Stils“ über Pornografie, Katastrophenfantasien der Science Fiction bis hin zu damals neuen Kunstformen wie dem Happening. Godard ist eine Studie gewidmet, Sartre eine andere, ein famoser Aufsatz knöpft sich Camus vor, dazu gibt es Untersuchungen über die „neue Erlebnisweise“. Sontag analysierte die spannendsten Tendenzen der Zeit schon, bevor die überhaupt allgemein wahrnehmbar waren – und nicht so „irgendwie“, sondern immer mit Schärfe und Präzision. In diesem Band finden sich auch die beiden wohl berühmtesten Texte Susan Sontags: In „Gegen Interpretation“ wendet sie sich gegen eine intellektualisierende, verkopfte Kunstkritik. Manchmal könne Interpretation befreien, oft aber werde sie stickig und reaktionär. Sontag nennt die Interpretation „die Rache des Intellekts an der Kunst“, und fügt hinzu: „Mehr noch. Sie ist die Rache des Intellekts an der Welt. Interpretieren heißt die Welt arm und leer machen – um eine Schattenwelt der ‚Bedeutungen’ zu errichten.“ Sontag feiert eine „Erotik der Kunst“. In „Anmerkungen zu Camp“ seziert sie die in vor allem schwulen, queeren Szenen aufkommende Freude an Kitsch und Schund, die augenzwinkernde Freude am Trivialen. Der Text ist bis heute legendär und natürlich Pflichtlektüre für Song-Contest-Fans!

Susan Sontag: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. Fischer Verlag, 1982. 384 Seiten. 24,67.- Euro.

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