Fall Teichtmeister: Störung und Verstörung

In meinem Steady-Essay von dieser Woche beschäftige ich mich mit dem Fall Teichtmeister und etwas sorgenvoll mit den massenpsychologischen Reaktionen darauf.

In den neunziger Jahren entdeckte ich die Schriften von Norbert Elias über Zivilisationsentwicklung, die allmähliche Hemmung spontaner Wunschbefriedigung, über Pazifizierung von Gesellschaften und das staatliche Gewaltmonopol und kippte in diese Lektüre hinein. Die Firnis, also die Kruste der Zivilisation ist dünn, ist eine seiner Schlüsselformulierungen. Gesetze, Habitusveränderungen, Abnahme von Gewaltneigung, all das gibt es in modernen Gesellschaften, aber es ist nur eine dünne Schicht, die uns mäßigt, darunter brodeln die primordialen Affekte. „Die Zivilisation, von der ich spreche, ist niemals beendet und immer gefährdet“, so Elias beispielsweise in seinen „Studien über die Deutschen“. So ganz im Allgemeinen sind Elias‘ gigantische historische und kultursoziologische Arbeiten heute etwas zu sehr in Vergessenheit geraten, man kann viel gewinnen, wenn man das liest und wieder liest, ich werde mir das mal wieder vornehmen.

Ich muss zugeben, dass mir die Gedanken von Elias in den vergangenen Tagen wieder häufiger in den Kopf kamen.

Österreich wird gerade von einem abstoßenden Kriminalfall und damit verbunden, von einem Kulturskandal erschüttert. Die Fakten sind wohl den meisten Leser:innen bekannt, für den kleinen Teil, die sie nicht kennen, fasse ich sie hier kurz zusammen: Vor rund eineinhalb Jahren wurde die Polizei in die Wohnung des populären Theater- und Filmschauspielers Florian Teichtmeister gerufen, seine Lebensgefährtin wurde Berichten zufolge fortgesetzt Opfer häuslicher Gewalt, und Teichtmeister war offenbar mal wieder durchgedreht. Im Zuge der Amtshandlung übergab Teichtmeister den Polizisten auch eine relativ große Menge Kokain und Datenträger mit kinderpornografischen Medien, also Fotos und wohl auch Videos (so ganz ist letzteres in der Berichterstattung nicht klar, aber es ist ja auch letztlich unerheblich, Fotos ist ja arg genug). Teichtmeister war offensichtlich seit Jahren auch schwer kokainsüchtig. Soweit aus der Berichterstattung über den Ermittlungsakt zu vernehmen ist, war Teichtmeister sofort kooperativ, übergab in einer späteren Hausdurchsuchng alle seine digitalen Datenträger (58.000 Dateien wurden gefunden, die Kindesmissbrauch in der einen oder anderen Form zeigen sollen), er war auch von Beginn an voll geständig und unterzog sich unmittelbar nach seinem Auffliegen einer Therapie, einem Drogenentzug etc. Während er gegenüber den Ermittlern gestand, log er seine Arbeitgeber und Vertragspartner aber an, also sowohl das Burgtheater, dessen fixem Ensemble er angehört, als auch Filmproduktionen, für die er temporär arbeitete. Diese Produktionen machten den Fehler, ihn weiter zu beschäftigen, oder, sofern die Dreharbeiten abgeschlossen waren, ihn weiter im Rampenlicht zu präsentieren, oder, wie sein Arbeitgeber Burgtheater, sich mit den Auskünften Teichtmeisters zufrieden zu geben, dass da nichts dran sei und er mit der Einstellung des Verfahrens rechne, schließlich habe er ja seine Daten ausgehändigt, freiwillig, welcher Konsument illegaler Kindesmissbrauchsdarstellungen täte das denn, wird er ihnen wohl eingeredet haben, in Schauspielerei ist er ja nicht schlecht. Die Direktion des Burgtheaters hat zwar formal keine Möglichkeit, in den Akt Einsicht zu nehmen, aber sie hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, zu sagen: Du gibst uns regelmäßige Einsicht in den Akt, oder Du wirst sofort dienstfrei gestellt. Hat sie aber nicht getan. Ob da Dummheit, Unfähigkeit, Blauäugigkeit, Vertrauensseligkeit oder Männergruppen-Solidarität ausschlaggebend waren, ist von außen schwer zu beurteilen, jedenfalls steht das Burgtheater jetzt wirklich doof da, und dass der Vertrag von Direktor Martin Kusej am Auslaufen ist, werden jetzt manche mit einem „Gott sei dank“ quittieren. So muss man über spektakuläre Konsequenzen nicht nachdenken, da diese Intendanz sowieso endet. Manche sagen: da hat ein Klüngel alles gewusst und geschwiegen. Manche sagen wiederum: ein Ermittlungsverfahren ist ein Ermittlungsverfahren und das braucht seine Zeit und währenddessen kann man aus medienrechtlichen Gründen nicht einfach schon berichten, da es nur für Verfahrensbeteiligte Akteneinsicht gibt (das ist in diesem Fall ja sowieso nur der Täter), kann man auch gar nicht die nötigen Fakten zusammentragen, und solange es nur ein Verfahren plus Gerüchte gibt, kann man aus arbeitsrechtlichen Gründen noch nicht einmal so einfach eine Entlassung aussprechen. Das ist so in etwa, radikal verknappt, der Faktenstand.

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