Kommt bald die Marxistenverfolgung?

Man kann über die schrulligen Ideen der ÖVP lachen. Aber es sind Ideen von Verfassungsfeinden und von Gegnern von Liberalität und Freiheit.

Zackzack, Juni 2023

Über die schrulligen Träume der Wiener ÖVP von einer Marxistenverfolgung haben wir natürlich ausreichend gelacht. Längst wissen wir, oder glauben wir zu wissen, worum es der Partei geht: Möglichst skurrile, schräge Forderungen verbreiten, um irgendwie Schlagzeilen zu produzieren. Irgendwas mit Marx, um vom Murx in der Bundesregierung abzulenken. Es ist dieser übliche Unernst, der mit dem Rechtsdrift einher geht und der von der einstmals betulichen konservativen Partei Besitz ergriffen hat. Rechtspirouetten und Vertrottelung gehen Hand in Hand wie Laurel und Hardy.

Ohne Zweifel ist Lachen immer gut. Doch die Sache ist zu ernst, um sich auf das Schenkelklopfen zu beschränken.

Falls Sie es im Detail nicht mitbekommen haben: Die ÖVP-Wien fordert einen Marxismus-Check für alle Formen von Förderungen durch die Stadt Wien. Wer also als Sozialarbeiter für ein Projekt Geld bekommt, müsste also einen Marx-Check bestehen – oder, je nachdem, wie man es nimmt: bei der Marx-Prüfung durchfallen –, ebenso jede Theatermacherin oder jeder Lyriker, der um eine Förderung ansucht. Man könnte dann gleich Bertolt Brechts Stücke wieder verbieten. Auch Elfriede Jelineks Arbeiten sollten einem Bann unterworfen werden. Milo Rau, gerade zum Intendanten der Wiener Festwochen bestellt, müsste wohl umgehend wieder mit Schimpf aus der Stadt gejagt werden.

Dass es so nicht kommt, ist alleine der Tatsache geschuldet, dass ÖVP und FPÖ in Wien nichts zu sagen haben.

Was, wenn sich Marxisten tarnen?

Aber denken wir die skurrilen Konzeptionen dennoch einmal konsequent weiter. Genauere Pläne für die Ausgestaltung etwaiger Marxismus-Tribunale wurden zwar nicht präsentiert, doch da nicht ausgeschlossen werden kann, dass schlaue, ausreichend verschlagene Marxisten sich im Extremfall verstellen und ihr Marxisteln verbergen könnten, braucht es natürlich irgendwelche (Ver-)Hearings, bei denen Verdächtigen auf den Zahn gefühlt wird. Dabei könnten historische Best-Practice-Beispiele zur Anwendung kommen, etwa die der Heiligen Inquisition oder Joseph McCarthys legendäre „Ausschüsse für Un-Amerikanische Umtriebe“.

Nun ist Karl Marx natürlich ein Gigant der Geistesgeschichte und etwa aus dem Philosophiestudium nicht völlig zu verbannen. Hoch verdächtig ist aber zweifellos, wer Marx-Sätze zitiert, wie etwa das Postulat, dass „alle Verhältnisse umzuwerfen (seien), in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.

Klingt zwar irgendwie eher humanistisch statt bolschewistisch, aber die Humanität ist im Grunde ja auch verboten, jedenfalls dort, wo sie echt gebraucht würde, also etwa im Mittelmeer, bei Frontex oder der Küstenwache, wo man ganz unmarxistisch eine Politik des Ertrinkenlassens praktiziert.

Die Gefahr der Verharmlosung

Wie gesagt: Man sollte es beim Gelächter über die türkise Deppenpropaganda nicht belassen. Nationen gleiten in rechtem Autoritarismus ab, und ein treuer Begleiter dieses Vorganges ist die Unterschätzung und Verharmlosung der Autoritären. Man ist an rote Linien in unserer Gesellschaft gewohnt – etwa an die Achtung der Kunst-, der Wissenschafts-, der Meinungsfreiheit –, und hält die roten Linien deswegen für unüberschreitbar. Bis sie dann jemand überschreitet, eine lange Nase dreht und dem geschockten und überraschten Publikum ein „Ätsch“ zuruft.

Weil man die Wortmeldungen nicht wirklich ernst nimmt, behandelt man sie auch als eine Art von politischer Satire und nicht als den Skandal, den sie darstellen.

Wer auch nur daran denkt, Gesinnungen, die einem nicht passen, durch irgendwelche Kommissionen ermitteln zu lassen, und unliebsame Theorien und Gesellschaftsanalysen von Gesetzes wegen schlechter zu stellen, ist jenseits des Verfassungsbogens. Er oder sie positioniert sich natürlich selbst außerhalb des Terrains der Grund- und Freiheitsrechte, auf die wir uns für ein demokratisches Gemeinwesen geeinigt haben. Sagen wir es in aller Klarheit: Mit dieser Forderung ist die ÖVP endgültig im Lager der Verfassungsfeinde angekommen. Das Skurrile dabei: Sie ist ganz erstaunt und etwas beleidigt, wenn man sie auf diese offenkundige Tatsache hinweist.

Verfassungsfreindliche ÖVP

Eigentlich müsste sie vom Staatsschutz beobachtet werden – wäre sie nicht sowieso der liebevollen Zuwendung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgesetzt.

Was ihnen nicht passt, soll verboten werden – das ist das Leitprinzip des rechten Autoritarismus. Mache sich da bloß niemand etwas vor. In Niederösterreich sollen Dorfwirtshäuser in Gemeinden, in denen es keine Infrastruktur mehr gibt, gefördert werden – aber nur, wenn sie sich um lokale Küche verdient machen. Pizza und Lasagne sind verboten, wenn man in den Genuss von Anschubfinanzierung kommen will. Auch das Gendern wird jetzt verboten, der * Stern verbannt aus der Kommunikation. Man muss kein Fan von Glottischlägen sein, man kann manche Verrenkungen von sprachlicher Achtsamkeit durchaus für überzogen halten, nur ist das gar nicht der Punkt. Dass man jetzt mit Verboten beginnt, Leuten vorzuschreiben, wie sie zu formulieren oder zu sprechen haben, zeigt: Kaum haben sie die Möglichkeit dazu, wird mit autoritären Diktaten regiert. Udo Landbauer, die Landeshauptfrau-Stellvertreterin, die partout so nicht heißen mag, trifft seine Verfügungen.

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Angriffe auf die Kunstfreiheit nehmen zu

Peter Laudenbach, der Kunstkritiker der „Süddeutschen Zeitung“, hat über hundert rechte Angriffe auf die Kunstfreiheit in Deutschland dokumentiert (Peter Laudenbach: Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit. Wagenbach Verlag, Berlin, 2023). Von Einschüchterungskampagnen, Demonstrationen vor Theatern, Mobilisierung von Hetzmeuten vor Galerien, bis zu gerichtlichen Klagen, Parlamentsanträgen auf Förderungsstop und zu Entlassungsforderungen reicht das Instrumentarium aus dem Werkzeugkasten der Freiheitsfeinde.

Schon in den Bereich des Ulkigen fällt, dass die Ultrarechten und Krawallkonservativen ja gerne von einer „linksgrünversifften“ Verbotskultur, einem gutmenschlichen Meinungsterror und einer Cancel-Culture schwadronieren, aber selbst die allerersten sind, wenn es um die Anprangerung und das Verbot Andersdenkender geht. Dass es unbestritten auch Entgleisungen einer progressiven Cancel-Culture gibt, die zwar weniger mit Verboten, als mit überschießender moralischer Desavouierung, Bloßstellung und auch Verleumdung operiert, macht die Sache ja nicht besser.

Feinde der Freiheit

Theater beispielsweise, die auf ein diverseres Ensemble setzen und politische Stoffe entwickeln werden von den rechten Schreihälsen als „Gesinnungstheater“ gebrandmarkt, denen die Gelder zu streichen sind. Es beginnt mit kleinen Versuchen, ersten Schritten und endet dann in einem Kahlschlag avantgardistischer und kritischer Kunst – wie (nicht nur) in Orbans Ungarn zu beobachten ist. Das Gift des Autoritarismus wird in kleinen Dosen verabreicht, doch die Dosis wird kontinuierlich gesteigert. Wer über Gesinnungstribunale und Kunstzensur auch nur nachdenkt, ist nicht bloß ein schrulliger Provokateur, sondern ein Feind von Freiheit, Verfassung, der liberalen Grundrechte und der Demokratie.

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