„Erniedrigt und verwirrt“

Afghanistan. Im Land am Hindukusch schien der „Kampf gegen den Terror“ lange Zeit eine Erfolgsstory zu sein. Aber jetzt kommen die Taliban wieder. profil, 8. Jänner 2007

Keiner soll sagen, die Dschihadisten seien phantasielose Leute. „Die lassen sich immer was Neues einfallen“, erzählt ein deutscher Soldat. Sogar in Melonen versteckte Sprengsätze wurden bereits entdeckt – glücklicherweise rechtzeitig. Lange war davon in den Nachrichtensendungen nichts mehr zu hören. Schließlich galt das Land ja als befriedet, als Gegenmodell zum verpfuschten Einmarsch im Zweistromland. Doch plötzlich gibt es sie wieder fast täglich, die kleinen Meldungen: „Talibanangriffe im Westen des Landes“; „Britischer Soldat getötet“.

Etwas mehr als fünf Jahre ist es her, da hatte die westliche Militärallianz unter US-Führung die radikalislamischen Taliban in einem nur wenige Wochen andauernden Krieg von der Macht gefegt und auch die al-Q’aida-Kämpfer schwer aufgerieben. In weiten Teilen Afghanistans wurden die westlichen Soldaten damals tatsächlich als Befreier empfangen – das Terrorregime der Taliban mit seinen absurden, rigiden Reglementierungen, war höchst unpopulär. Unter den Tadschiken, Usbeken und Hazara im Norden ohnehin, aber auch unter den Paschtunen im Süden, denen die Taliban entstammten und die etwas mehr als 40 Prozent der Bevölkerung stellen. Auf eine Rückkehr der Taliban hätte damals niemand gewettet.

Doch nun droht Afghanistan in die Hände der Gotteskrieger zurückzufallen. Schon ist von der „Re-Talibanisierung Afghanistans“ die Rede.  Die Taliban haben sich in den paschtunischen Kerngebieten im Südwesten und Südosten reorganisiert, aus den Stammesgebieten Pakistans kommt Nachschub an jungen Kämpfern. Allein 2006 soll es bei Kämpfen rund 4000 Tote gegeben haben. Auch 190 Nato-Soldaten kamen bei Gefechten oder Anschlägen um.

Dabei ist der unsichere Süden gar nicht das Hauptoperationsgebiet der 31.000 Soldaten der Nato-Stabilisierungstruppe ISAF (International Security Assistance Force). Der Kampf gegen Taliban und al-Q’aida ist Aufgabe von rund 10.000 Elitesoldaten unter Federführung von amerikanischen Special-Forces, an der aber auch britische Kontingente und Angehörige des deutschen Spezialkommandos KSK beteiligt sind. Über Tote in diesem „geheimen Krieg“ gibt es naturgemäß nur spärliche Informationen.

Erst neuerdings ist die ISAF auch im Süden präsent – und mit massivem Widerstand konfrontiert. „Dadurch wird erst sichtbar, wie sehr sich die Taliban in den vergangenen fünf Jahren stabilisieren konnten“, sagt Wolfgang Petritsch, zur Zeit Österreichs UN-Botschafter in Genf. Eben hat der einstige EU-Kosovo-Beauftragte und UN-Verwalter Bosnien-Herzegowinas Afghanistan auf Einladung des gegenwärtigen ISAF-Kommandeurs, David Richards, besucht – er sollte seine Erfahrungen beim „State-Building“ am Balkan referieren. Freilich: Das Land am Hindukusch ist 60 Mal so groß wie der Kosovo, dafür waren in die serbische Provinz doppelt so viele Nato-Soldaten einmarschiert.

„Man hat die Verankerung der Taliban in den paschtunischen Siedlungsgebieten nicht wahrhaben wollen“, sagt Petritsch. Das war nicht der einzige Irrtum, der begangen wurde – eher war es eine Reihe von Fehlentscheidungen, die in der dramatischen Verschlechterung der Situation im vergangenen Jahr kulminierte. Die Zentralregierung ist vor allem von tadschikischen und usbekischen Warlords („Kriegsfürsten“) dominiert, die in ihren Einflussbereichen von der Regierung in Ruhe gelassen werden wollen. Präsident Hamid Karzai ist zwar ein Paschtune, aber schwach. Seine Regierung hat außerhalb von Kabul kaum etwas zu sagen. Zudem herrscht chronische Korruption – so hält Karzai die schützende Hand über seinen Bruder, einem der größten Drogenbarone des Landes. Das Ansehen Karzais ist längst in den Keller gerasselt.

Die Paschtunen – mit Abstand die größte Ethnie im Land – fühlen sich von der Regierung nicht repräsentiert, und von den ausländischen Truppen drangsaliert. Vor allem aber machte der Wiederaufbau keinerlei Fortschritte. „Wenn wir in diesem Winter nicht eine konkrete und sichtbare Verbesserung erreichen, dann könnten 70 Prozent der Afghanen die Seiten wechseln“, sagte Nato-Befehlshaber Richards vor einigen Wochen.

Jetzt soll die Nato im Süden auch Wiederaufbau-Hilfe leisten, also zivile Aufgaben übernehmen. Das Ziel lautet, die „Hearts and Minds“ – die Hirne und Herzen – der Afghanen zu gewinnen. Reichlich spät, womöglich zu spät. Zumal die Spannungen innerhalb der internationalen Truppe unübersehbar sind. Während praktisch alle westlichen Regierungen – Briten inklusive – davon ausgehen, dass man den Paschtunen entgegenkommen muss, um die Taliban zu isolieren, setzt die US-Führung auf militärische Härte. Vergangene Woche gestand sogar die Nato-Führung in Afghanistan ein, dass viel zu oft viel zu viele unbeteiligte Zivilisten bei den Kämpfen getötet wurden.

Die Zeit arbeitet gegen die westlichen Bemühungen – und für die Taliban. „Ich bin zuverstichtlich, dass der Feind erniedrigt und verwirrt fliehen wird“, sagte der Taliban-Führer Mullah Omar in einer Botschaft zum Jahreswechsel. „Die Afghanen haben immer ihre Feinde aus dem Land vertrieben und kein Feind hat Afghanistan freiwillig verlassen.“

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