Progressive Bildsprache, oder: Was heißt eigentlich „cool“ in der Politik?

Meine SPEX-Kolumne vom Juli.

Österreich hat einen neuen Bundeskanzler und ich bin da sehr froh darüber. Erstens einmal, weil jetzt der alte Bundeskanzler weg ist, Werner Faymann, der die Sozialdemokratie so völlig ideenlos geführt hat, und der Gipfel der Ideenlosigkeit war natürlich, dass er keine Idee hatte, wie er sich gegen den Aufstieg der rechtsradikalen FPÖ wehren hätte sollen. Das heißt natürlich, die Alternative zu Faymann wäre nicht irgendeine nette Christdemokratie a la Merkel gewesen, sondern FPÖ-Chef Strache, also eine Orbanisierung oder Kaczynskisierung Österreichs.

Zweitens bin ich froh, weil jetzt Christian Kern Kanzler ist. Den kenne ich seit 30 Jahren und wir sind nicht immer, aber doch häufiger einer Meinung, was ich hier jetzt nicht sage, um zu prahlen, sondern als eine Art Disclaimer: Also um Ihnen als Leserin und Leser mitzuteilen, dass ich da nicht total unparteiisch bin. Was ich aber ohnehin nie bin: Ich bin ja immer parteiisch meinen eigenen Haltungen gegenüber, und das ist gut so.

Kern ist sehr viel besser als Faymann, und zwar so sehr, dass das nicht nur mir auffällt. Das ist auch den Leuten von der „Zeit“ im fernen Hamburg aufgefallen, weshalb sie einen Text über Lässigkeit in der Politik schrieben: „Lässig ist, wer sich eigener Sprache bedient. Mut ist lässig. Selbstironie ist lässig. Auch Sozialdemokraten können lässig sein. Das beweist Christian Kern (SPÖ), seit vier Wochen Bundeskanzler in Österreich. Der wahrscheinlich coolste Regierungschef Europas. Ein Quereinsteiger. Da gibt es dieses Bild auf seinem Instagram-Kanal. (…) Selbstverständlich wäre das nicht mehr als ein Bild, hätte Christian Kern nicht eine fulminante Antrittsrede vor dem Parlament gehalten. Für Mut, Weltoffenheit, gegen Angst. Eine Rede für die Abgewendeten und Ermüdeten. Für jene, die sich wundern über die Ästhetik der Berufspolitik: die Sprache, Gesten, Rituale. Politik wird nicht lässig, wenn man sie schräg fotografiert. Lässig wird sie erst, wenn sie Lust macht auf die Zukunft. Na, SPD, wie wär’s mal mit einem Praktikum in Wien?“

„Der wahrscheinlich coolste Regierungschef Europas.“ – Da braucht man sich nicht wirklich grämen, wenn das mal über einen in der Zeitung steht. Aber ich finde, das ist ein über den Anlass hinausgehendes wichtiges Thema. Coolness in der Politik. Das begegnet uns als Thema ja nicht selten: Einerseits als Mangelerscheinung. Andererseits gelten Justin Trudeau als cool, die Syriza-Jungs um Alexis Tsipras auch, Yanis Varoufakis jazzte es beinahe zum Startum hoch, der hat es, kann man sagen, auch ein wenig übertrieben. Reale oder auch nur zugeschriebene Coolness scheint also irgendwie eine politische Kategorie zu sein, obwohl sie auf dem ersten Blick eine unpolitische Kategorie ist.

Meistens ist sie in der Politik eine Einzelpersonen zugeschriebene Kategorie, aber schon das stimmt nicht genau: Trudeau wäre nicht so cool, hätte er nicht auch ein extrem buntes Regierungsteam, inklusive dem Sikh als Verteidigungsminister, der den Treffen Uniformierter immer so etwas Buntes verleiht mit seinem Turban. Und die Syriza-Boys mit ihren offenen weißen Hemdkrägen evozierten dieses Bild auch als Truppe.

Bildsprache ist natürlich immer auch eine Botschaft, und damit Programmatik zum Ansehen. Sie kann ausdrücken: Wir sind neu, auf der Höhe der Zeit, nicht so grau wie die biedere Etabliertenpolitik, wir sind also auch Anti-Elite, weil wir anders sind als diese Politikertypen, die ihr nicht mehr sehen könnt. Sogar Bernie Sanders ist auf seine Weise cool, obwohl er natürlich ein alter Opa ist, bei dem Lässigkeit nicht die erste Charaktereigenschaft ist, die einem in den Sinn kommt.

Diese Bilder funktionieren im Kontrast: Während die Bilder der Etablierten-Politik eine Blase illustrieren, die sich abschottet und damit unzugänglich ist für die bunte, heterogene Vielheit der normalen Menschen, senden die coolen Bilder eine Botschaft der Normalität aus, auch wenn es gar nicht normal ist, so gut auszusehen und so gut Liegestütze hinzubekommen wie Justin Trudeau.

Sie ersetzen natürlich keine Politik: Nur coole Bilder ohne Ergebnisse bringen gar nichts. Aber indem sie Öffnung und Erneuerung buchstäblich bebildern, indem sie eine Programmatik symbolisieren und personifizieren, flankieren sie Politik. Es ist ja kein Wunder, dass wir einerseits von Bildsprache sprechen, andererseits von Sprachbildern. Texte sind Bilder und Bilder sind Texte. Wer also glaubt, bei Bildern und den Projektionen, die sie auslösen, ginge es nur um Werbung, bloß um Inszenierung, der hat nichts verstanden.

Das war übrigens immer schon so: Nie engagierte man sich nur für Parteien, sondern man war auch angezogen von Personen und ihrem Image. Das war schon zur Zeit von Victor Adler oder August Bebel so.

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